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Kapitel 8

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Und so kam es, dass sie im Wartezimmer von Dr. Edelbach geschlagene zwei Stunden wartete. Zeit genug, um den total aus der Bahn geratenen Tag Revue passieren zu lassen. Und was ihr am meisten in den Sinn kam war Georg Reuter. Sie musste zugeben, dass er vermehrt ihre Gedanken beschäftigte. Und das Seltsamste daran war, dass sie miteinander umgingen als würden sie sich bereits seit zwei Jahren kennen und nicht erst seit zwei Tagen.

Da sie sich mit dieser Situation aber nicht beschäftigen wollte und sie im Moment nicht darauf erpicht war mit den Menschen im Arztzimmer, die hinter verdeckter Hand über sie redeten, näher in Kontakt zu treten, konzentrierte sie sich auf Karl Kafka.

Der Mensch war wirklich ein Unikat an einem frauenfeindlichen Bild. Doch da war noch mehr gewesen. Angestrengt versuchte Verena sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen. Da waren persönliche Probleme gewesen und hatte Karla nicht gesagt, seine Frau hätte ihn verlassen? Doch da war noch etwas in ihrem Hinterkopf und mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf die Szene. Irgendetwas mit seiner Frau Lisa, nein, Lydia, nein, das war doch die Tochter von Stegersbach. Wie hatte er sie genannt?

Verena war so vertieft, dass sie ihren Namen gar nicht hörte, als sie aufgerufen wurde. Auch die seltsamen Blicke der Leute fielen ihr nicht auf, die sie alle anstarrten, weil sie nicht reagierte. Der Name lag ihr auf der Zunge, gleich würde sie ihn wieder haben.

Die Sprechstundenhilfe verdrehte die Augen und ging auf Verena zu, die jedoch plötzlich aufsprang, dass diese erschreckt einem Satz nach hinten machte. „Livi, Livi Kafka“, rief Verena aus. „Das ist es.“ Es war mucksmäuschenstill im Warteraum und alle sahen Verena entgeistert an. „Verzeihen sie, ich wollte niemanden erschrecken oder stören. Ich habe nur eben nachgedacht, weil mir dieser Name nicht eingefallen ist. Ist sonst noch irgendetwas?“ Verena schenkte den Leuten nur halbe Beachtung, soeben hatte sie eine neue Spur entdeckt. Livi Kafka hörte und sah Dinge, die es gar nicht gab, hatte ihr Mann oder besser Exmann gesagt.

Da sie in Gedanken immer noch mit der Erinnerung beschäftig war, verstand sie die Worte der Sprechstundenhilfe nicht. „Was haben sie gesagt, entschuldigen sie, ich bin etwas abgelenkt.“ Die Dame räusperte sich.

„Sie sind dran, Frau Ritter.“

„Fabelhaft und keine Sekunde zu früh.“ Verena ließ die Frau stehen, die ihr verstört nach sah.

Hinter ihr tuschelte eine Frau ihren Mann unter vorgehaltener Hand zu. „Großer Gott, die gehört ja in die Klapse, die sieht ja Gespenster am helllichten Tag?“ „Jedenfalls sind mir Geister lieber wie so manche Leute“, lachte Verena. Und diese Szene reichte aus, um den Bewohnern von Großkirchen neuerdings ausreichlich Gesprächsstoff zu liefern.

Es war bereits sechs Uhr als Verena endlich in ihrem Haus ankam, das sie in ihrer Zeit in Großkirchen bewohnte. Doch sie hatte nicht vor lange zu bleiben. Fieberhaft suchte sie das Telefonbuch unter dem Stapel Reklame und ließ ihren Finger bis zu den Namen Kafka gleiten.

Es gab zwei davon und beide hießen Karl. Vermutlich Vater und Sohn, diese Generation hatte noch den Hang ihren Namen weiter zu vererben. Nachdenklich studierte sie die beiden Adressen und wurde stutzig. „Kapellenstraße 46, dass ist ja interessant.“ Na, wenn dass nicht mehr als ein Zufall war und da man eine Spur verfolgen sollte, solange sie noch heiß war, verließ sie kurz herum wieder das Haus und startete ihren Pick up.

„Kaspar, ich glaube, der Unfall heute hat doch noch etwas Gutes gebracht.“

Ohne weiter nach zu denken, schlug sie den Weg in die Richtung der Kapelle ein. Nach knapp zehn Minuten suchte sie die Hausnummernschilder nach dem Heim von Karl Kafka ab.

Es war ein kleines, heimelig wirkendes Haus und es erweckte überhaupt nicht den Eindruck als Heimstätte eines Karl Kafkas zu dienen. Doch deswegen war sie gar nicht hier und vorsichtshalber suchte sie von ihren Wagen aus nach Anzeichen, ob jemand zu Hause war. Eine Begegnung am Tag mit diesem Kerl reichte ihr.

Sie stellte ihr Auto einfach am Straßenrand ab und half dem mitleidigen Kaspar aus dem Wagen. Konzentriert versuchte Verena so viele Einzelheiten wie möglich auf zu nehmen. Aus Erfahrung wusste sie, dass oft sehr viel später die Zusammenhänge im Kopf hergestellt wurden und dass sie sich sogar Tage später an Einzelheiten erinnerte, die ihr im ersten Augenblick nicht gegenwärtig waren.

Das Haus war in einem guten Zustand, obwohl es nicht mehr allzu neu schien. Scheibengardinen waren an den Fenstern zu ­sehen und unter dem Dachvorsprung und der Hauswand hingen viele unterschiedliche Gegenstände. Ein Windspiel, ein Traumfänger, Blumenampeln mit vertrockneten Pflanzen, ein Weihrauchbehälter, eine Laterne, verschiedene getrocknete Pflanzen – vermutlich Kräuter, ein Kreuz,… Es sah fast so aus, als ob alles unter dem Dach hing, was sonst keinen Platz gefunden hatte. Langsam umrundete Verena den Lattenzaun des Hauses, das etwas abseits von den anderen stand und keinen unmittelbaren Nachbarn hatte.

Um das Haus lief eine Art Pfad aus Steinen an dem in ungefähr gleichen Abstand ein kleiner Brunnen, ein aufwendiges, buntes Windrad, ein bepflanzter Erdhügel und eine Art hohe Gasbeleuchtung stand, dass wiederum Verena seltsam vorkam, denn die Terrasse wie der Eingang auf einer anderen Hausseite lag.

Livi Kafka schien irgendwie keine besonderen Vorlieben zu ­haben, oder vielleicht auch zu viele davon. Jedenfalls konnte sich Verena über das Gesamtbild keinen Reim auf die Person machen, die hier wohnte bzw. gewohnt hatte.

Nach eingehender Betrachtung des Grundstückes weitete Verena ihr Blickfeld aus. Die Kapellenstraße führte in leichten Bogen über den Hang bis zu der Kapelle der Heiligen Katharina und Verena konnte von ihren Standpunkt aus den kleinen Glockenturm über der Hügelkuppe sehen. In der anderen Richtung mündete die Straße nach einer scharfen Kurve in der Bundesstraße, die Großkirchen mit Feldbach verband. Ansonsten stand das Haus vollkommen im Grünen, im hinteren Teil stieg die Wiese ziemlich steil an und reichte bis zu dem Wald in wenigen hundert Metern.

Wie von selbst wanderten Verenas Augen über die Wiese bis zum Waldrand und weiter bis zu der Kapelle und wieder zurück. Sie vergaß alles um sich herum als sich allmählich der erste Zusammenhang in ihren Kopf vollzog. Sie erinnerte sich an die Nacht vor zwei Tagen als sie einfach ihrer Eingebung gefolgt war. Das Haus von Karl und Livi Kafka lag sozusagen in direkter Luftlinie und keine fünfzehn Gehminuten von der Stelle entfernt, wo sie ihr Gerät in Panik hatte fallen lassen. Und Livi Kafka hatte übernatürliche Wahrnehmungen gehabt und offensichtlich hatte sie sich davor gefürchtet, denn bei der zweiten Betrachtung der ungewöhnlichen Ansammlung von Gegenständen unter ihrem Dach, erkannte Verena die Bedeutung.

Livi Kafka hatte amateurhaft versucht, sich davor zu schützen.

Nachdenklich kaute Verena auf ihrer Unterlippe während sie ihr Auto heimwärts steuerte. Jetzt hieß es den augenblicklichen Wohnort von Livi Kafka ausfindig zu machen. Am Besten sie fragte Emilia, als zentraler Treffpunkt des Ortes war sie die erste und vermutlich auch die ergiebigste Anlaufstelle.

Langsam begannen sich die kürzeren Tage bemerkbar zu machen und im einsetzenden Dämmerlicht fuhr sie in ihre Einfahrt vor der gerade Georg Reuter in seinen Wagen einsteigen wollte.

Kaspar bellte freudig auf als er seinen neuesten Freund erkannte und Verena bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. Irgendwie schienen sich die Begegnungen mit Georg Reuter zu häufen und sie wusste nicht so recht, ob das klug war. Sie hielt ihr Leben lieber unkompliziert und Georg schien nicht gerade in diese Kategorie zu fallen, eher das Gegenteil.

Unaufgefordert öffnete er ihre Wagentüre und lehnte sich lässig dagegen. „Also gut, ich erhöhe mein Angebot für deine Gedanken. Was ist dein Preis?“

Verena lachte auf. „Was bietest du denn?“

„Ich verdopple.“

„Einen läppischen Euro? Da bekomme ich ja nicht einmal eine Packung Hundeknochen für Kaspar. Das scheint mir kein gutes Geschäft zu sein.“

„Sei gnädig. Polizisten haben einen kargen Lohn.“

„Ach ja? Und meine Gedanken haben dich jetzt bis vor meine Tür geführt?“

„So in etwa. Ich wollte sehen wie es dir geht.“ Sein Blick wurde tiefgründiger und wieder war diese Spannung zwischen ihnen und Verena war nicht in der Lage sich zu entziehen.

„Ich würde dich ja gerne einladen, doch ich glaube, dass ich außer Mineralwasser nichts anzubieten habe“, gestand Verena.

Doch Georg schreckte davor nicht zurück, irgendwie hatte er das sogar fast erwartet. „Magst du griechisches Essen?“, fragte er statt dessen.

„Leidenschaftlich gern, doch auch damit kann ich leider nicht aufwarten.“

„Zwanzig Minuten von hier gibt es einen Griechen, der dir diese südlichen Gourmetfreuden auf einen Teller serviert. Ich lade dich ein, als Gegenleistung für einen deiner Gedanken.“

„Sie scheinen mir ein äußerst korrupter Polizeibeamter zu sein, Herr Reuter. Zu der Erpressung kommt jetzt noch Bestechung dazu.“

Doch er lächelte nur verschmitzt. „Gut, gib mir eine halbe Stunde für eine Dusche und frische Kleidung.“

„Eine halbe Stunde? Gibt es tatsächlich Frauen, die das in dieser Rekordzeit bewältigen?“, lachte Georg ungläubig auf.

„Stell deine Stoppuhr auf dreißig Minuten, brauche ich länger, bezahle ich.“ Verena stellte sich lächelnd der Herausforderung.

„Top, die Wette gilt.“ Und Verena schlug in die offene Hand von Georg ein.

Seelenecho

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