Читать книгу Seelenecho - Michaela Hössinger - Страница 13
Kapitel 10
ОглавлениеBeschwingt sprang Verena aus dem Bett, sie war bester Laune und pfeifend verschwand sie im Bad. Kaspar betrachtete sie mit treuen Augen und winselte beleidigt auf, als sie ihn endlich zur Kenntnis nahm. „He, du bist doch nicht etwa eifersüchtig. Ich muss zugeben, dass Georg ein netter Kerl ist, doch du weißt, was ich von komplizierten Gefühlswelten halte. Und außerdem bleiben wir gar nicht so lange hier. Deshalb sind wir beide einander treu. Pfote drauf.“
Aufbellend rollte sich der Rüde auf den Rücken, er wollte spielen. „Komm, bevor wir zu Emilia gehen, toben wir uns noch so richtig aus. Ich glaube, ich kann heute Bäume ausreißen.“ Verena reckte sich heftig und der kurze dumpfe Schmerz an der Brust erinnerte sie daran, dass sie doch nicht ganz so fit war. Doch ein paar blaue Flecken würden sie nicht aufhalten und sie hatte heute eine Menge zu erledigen.
Und so kam es, dass sie eine halbe Stunde später aufgeheizt und keuchend mit einem aufgeregt bellenden Kaspar vor Emilias Café landete. Ihre Muskeln kribbelten von den wilden Spiel und dem schnellen Laufen, man sollte vier Beine haben statt zwei. Doch auch Kaspar hinkte wieder merklich und erinnerte Verena daran, dass sie als erstes zu der Tierärztin fahren musste.
„Bist du denn niemals müde?“ Georgs Stimme drang durch die geöffnete Tür nach draußen.
„Dafür habe ich keine Zeit.“ Verena lachte ihn keck an. „Als wenn das den Schlaf abhalten würde“, erwiderte Georg seufzend. Verenas gute Laune war ansteckend, wie er gerade feststellte. Er hatte furchtbar geschlafen, die Alpträume der Vergangenheit hatten ihn bis zum Morgen nicht losgelassen und dementsprechend mies und schwer hatte er sich aus dem Bett gequält. Alleine der Gedanke an das Frühstück mit Verena hatte ihn überhaupt bewegen können, den Tag wie gewohnt zu beginnen.
Emilia erschien in der Tür und winkte ihr aufgeregt zu. „Guten Morgen Verena. Komm, ich zeig dir was.“ Emilia strahlte kindliche Freude aus und neugierig folgte sie ihr in das duftende Café. Stolz präsentierte Emilia die Hoya, die nun eigentlich zwei waren. Sie hatte sie säuberlich eingetopft und in handbemalte Übertöpfe gestellt. Liebevoll strich Emilia über die grünen Blätter und rührselig blickte sie zu Verena auf. „Ich habe mir immer eine von diesen Wachsblumen gewünscht und jetzt habe ich sogar zwei davon. Weidmann hat mir versichert, dass ich beide davon bringe. Sind sie nicht eine Augenweide?“, fragte Emilia atemlos.
„Wundervoll, obwohl ich verstehe nicht allzu viel davon“, gab Verena offen zu.
„Danke, Verena.“
Emilia schwammen die Tränen in den Augen und überschwänglich drückte sie Verena an sich, dass ihr die Luft wegblieb. „Mein Gott, was bin ich für eine Heulsuse. Los, setzt euch hin, ich schicke euch gleich Tim.“ Emilia schniefte laut und putzte sich anschließend lautstark die Nase, bevor sie im Hinterzimmer verschwand.
„Ich glaube, ich wurde soeben von meinen Potest gestoßen“, murmelte Georg. „Doch, da es du bist, kann ich damit leben“, seufzte er nach.
Verena schüttelte bedauernd den Kopf. „Tja, vielleicht hättest du ihr auch mal Blumen bringen sollen.“
„Tu ich ja, hin und wieder, aber natürlich kann ich mit deiner „Hoya“ nicht mithalten.“
Verena grinste. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“
„Das ist ja wohl wirklich lächerlich.“ Georg rührte brummig in seinem Kaffee herum.
„Warum bist du dann so – sagen wir pikiert?“, wollte Verena wissen.
„Ich habe einfach schlecht geschlafen, tut mir leid, wenn ich noch muffelig bin. Und jetzt hör auf mit dem Quatsch.“
Verena blickte nachdenklich in die Luft. „Hat Emilia eigentlich Kinder?“
„Nein, es hat nicht geklappt. Doch dafür hat sie mich gehabt.“ Verena zog fragend die Stirne kraus.
„Es interessiert dich nicht, dass ich heute nicht besonders kommunikativ bin, oder?“, brummte Georg mürrisch.
„Nein. Also, wie bist du an Emilia geraten“, bohrte Verena nach.
Aufseufzend legte Georg den Löffel zur Seite und Verena sah die rötlichen Augen, die tatsächlich von einer anstrengenden Nacht zeugten. „Emilia kennt mich schon seit Kindesbeinen an. Ich bin hier geboren. Ich war das zweite Kind und mit meiner Schwester waren wir das Pärchen, das sich meine Eltern gewünscht hatten. Als ich neun war, diagnostizierten die Ärzte bei meiner Mutter Krebs. Ihre Gesundheit war wie eine Fahrt mit der Achterbahn, jedes Mal wenn wir dachten, sie schafft es, gab es einen Rückschlag. Mein Vater versuchte damit fertig zu werden und die Familie irgendwie zusammen zu halten. Doch schon bald war meine Mutter zu schwach um das Haus zu verlassen und mein Vater stürzte sich in Arbeit um die hohen Medikamentenrechnungen und unser Leben bezahlen zu können. Meine Mutter versuchte trotzdem nicht den Optimismus zu verlieren und ich kann mich an viele lustige Stunden erinnern, Stunden, in denen wir eine kleine glückliche Familie waren.
Emilia hat sich viel um meine Mutter gekümmert, hat uns im Haushalt geholfen.
Als ich zwölf war, ist sie dann gestorben, es war der Tag, an dem mein Vater zerbrach. All den Mühen, die er sich in den Jahren ausgesetzt hatte, hatte unsere Mutter nicht retten können. Er hat eine Woche lang fast nur geweint und dann begann er zu trinken, er lebte sein Leben wie eine Marionette und er zog die Maschinerie durch bis wir alt genug waren um selbst im Leben zu stehen. Er wurde mit ihrem Tod einfach nicht fertig.
Von da an, waren Karin und ich täglich bei Emilia. Sie war unsere Ersatzmutter und wir waren für sie die Kinder, die sie gerne gehabt hätte. Sie hat uns von diesem Tag an sozusagen adoptiert. Da unser Vater täglich arbeitete, war es natürlich auch die beste Lösung, die uns passieren konnte.
Und wenn er zu Hause war, hat er versucht uns glücklich zu machen. Doch er war selten da und er vermisste unsere Mutter so schmerzlich und mit der Zeit hat er sich aufgegeben, sich immer mehr abgekapselt. Ich hatte das Gefühl, dass er uns gar nicht mehr wahrnahm.
Sobald Karin und ich erwachsen waren, hat er noch mehr getrunken, er verlor schließlich seine Arbeit, was ihm jedoch egal war und am Hochzeitstag meiner Eltern ist er auf den Friedhof gegangen, zu ihr. Das war im Jänner, er ist erfrorenen, an ihrem Grab. Ich konnte ihn nicht retten“, flüsterte Georg rau.
Verena betrachtet Georg, wie er ihr gegenüber saß und mit stoischem Ausdruck seine Geschichte vor ihr ausbreitete. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass er eine solch traurige Vergangenheit mit sich herum trug. Und vor allem Schuld, unverkennbar fühlte er sich schuldig.
„Vielleicht deswegen, weil es nicht in deiner Macht lag. Oft muss man sich zuerst selbst retten, um gerettet werden zu können. Es war nicht deine Schuld“, versicherte Verena.
„Das habe ich mir schon oft selbst gesagt und doch, vielleicht hätten wir einen Weg finden können.“
„Ich glaube, der einzige Weg wäre gewesen, nie erwachsen zu werden, doch das liegt nun einmal im Lauf des Lebens.“
Georg nickte wenig überzeugt. „Wie auch immer, ich muss jetzt los. Vielleicht sehen wir uns ja noch später“, verabschiedete sich Georg
„Klar, schönen Tag noch.“ Georg nickte ihr zu und war wenig später verschwunden.
Nachdenklich rührte Verena in ihrer Tasse. Georg schien nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen zu sein. Er hatte schreckliche Schicksalsschläge erlitten und doch schien er nicht den Lebensmut verloren zu haben.
Kaspar winselte mitleidig um Verenas Aufmerksamkeit zu erlangen und geistesabwesend kraulte sie ihm hinter den Ohren. „Na, wohin ist denn deine gute Laune verschwunden?“, fragte Tim mit lauter Stimme.
„Setz dich doch zu mir, Emilia scheint ja sowieso keine Zeit für mich zu haben.“
„Emilia hat ein großes Herz, doch sie ist ständig in Bewegung. Wenn sie zum Stillstand kommt, ist das eine ernste Sache. Also, was hast du auf dem Herzen, dass du dem alten Tim erzählen willst.“ Tims tiefe Stimme war nicht gerade unauffällig
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Verena lachend.
„Das sehe ich an deiner Nasenspitze.“ Als Verena ihn nur lächelnd ansah und ein lässiges „Ach ja“ zuwarf, brachte es er gleich auf den Punkt.
„Georg hat dir von seiner Familie erzählt, ich kenne den Jungen sehr genau. Es geht mich ja auch nichts an, was ihr beide da so redet, aber – nun ja, ich wollte dir danken.“ Tim schien auf einmal ganz verlegen.
„Wofür“, wollte Verena überrascht wissen. „Das du es geschafft hast, dass er sich öffnet. Georg trägt ziemlich viel Last mit sich herum, weil er manche Dinge in sich verschlossen hat. Als damals Inga und Christan den Tod fanden, befürchteten Emilia und ich, dass er es seinen Vater gleichtun könnte. Nun, ich meine…“ Tims Verlegenheit stieg. Was tat er da eigentlich, er mischte sich grundsätzlich nicht in solche Sachen ein, das tat normal Emilia.
„Du meinst, an Kummer sterben?“, vollendete Verena seinen Satz.
Ihre Augen trafen sich, Tim war ein guter Mann unter seiner Schale steckte ein einfühlsamer Mensch mit großem Herz, der sich um andere sorgte. „Er hat doch euch beide, ihr seid auf eine Art seine Familie, so wie er auf eine Art euer Sohn ist.“
Tim presste unschlüssig seine Lippen aufeinander. Er räusperte sich und Verena konnte sehen, dass er sich unbehaglich fühlte. „Georg braucht wieder eine eigene Familie. Und ihr beide scheint zusammen zu gehören. Er mag dich.“ Tim deutete verlegen und fahrig mit seinen Händen herum, während Verena ihn entgeistert anstarrte.
„Du solltest dir nicht unmögliche Hoffnungen machen und ganz sicherlich möchte ich niemanden verletzen. Ich werde wieder gehen Tim, wenn ich meine Arbeit hier beendet habe. Und nur, weil wir uns gut verstehen, heißt das nicht, dass wir mehr als gute Freunde sind. Außerdem kennen wir uns kaum.“
Tim nickte ernst mit dem Kopf. „Wir werden noch sehen. Du bist ein gutes Mädel. Ich mag dich auch.“ Verena sah perplex Tim hinterher, wer hätte gedacht, dass gerade er solche Gedanken mit sich herumtrug.
„Komm, Kaspar. Wir fahren zu Dr. Sonnleitner, bevor auch noch Emilia uns in die Zange nimmt.“ Und fluchtartig räumte Verena ihren Platz.