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Kapitel 9

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Georg war dann doch verwundert über das derzeitige Innenleben von Verenas Haus. In jedem Zimmer standen Taschen und Kartons, so als wäre sie erste heute eingezogen. Oder bereit, jederzeit das Haus zu verlassen, meldete sich der Inspektor im Hinterkopf. Einzig allein das Wohnzimmer war frei davon, dafür standen vier verschiedenfarbige Kerzen in einem Kreis am Fußboden. Er konnte es nicht lassen und sah in der Küche in die Schränke und den Kühlschrank. Das Ergebnis – selbst eine Maus müsste am Hungertuch nagen.

Doch dann viel sein Blick auf ein Gerät am Küchentisch. Offensichtlich war es kaputt und es sah aus wie ein Seismograph. Jedenfalls bestätigte sich seine Vermutung als er das Papier mit den hohen Kurven daneben liegen sah. Das aufgedruckte Datum belief sich auf den 8. September 2004. Das war vor zwei Tagen gewesen und er konnte sich nicht erinnern von einem Erdbeben gehört zu haben.

Unter das Gerät hatte Verena eine Liste geklemmt mit den ­Notizen für die notwendigen Ersatzteile. Es erstaunte ihn eigentlich nicht, dass sie sich offensichtlich mit solch technischen Dingen auskannte, doch es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung.

Georg unterdrückte den Drang weiter neugierig zu sein und mehr über Verena Ritter zu erfahren. Er betrat das Wohnzimmer und wollte es sich auf der Bank gemütlich machen, doch diese war überfüllt mit Notizen, Tonbändern und Mitschriften. Wenn er diese Fülle betrachtete, verwunderte es ihn gar nicht mehr, dass ihr keine Zeit für Essen und Schlafen blieb.

Unschlüssig blieb er stehen und da fiel sein Blick auf den ­ersten persönlichen Gegenstand. Ein Foto. Unverkennbar Verena in der Mitte, doch noch wesentlich jünger und links und rechts von ihr, anscheinend ihr Mutter und ihre Großmutter. Zumindest war die Ähnlichkeit auffällig, dahinter vermutlich ihr ­Vater, ein Mann in Uniform.

Doch plötzlich wurden seine Gedanken von einem Telefon gestört. Es klingelte oder besser gesagt es spielte, wie es eben nun üblich war, eine Melodie. Es war die Musik von Bettlejuice. Georg musste darüber schmunzeln, Verena hatte wirklich Humor, doch wo war dieses Telefon.

Er fand es schließlich zwischen den Blätteranhäufungen auf dem Wohnzimmersofa. Ohne nachzudenken hob er ab und meldete sich mit einem freundlichen „Georg Reuter bei Verena Ritter“.

„Na, das ist ja mal was ganz Neues“, wunderte sich eine Frauen­stimme am anderen Ende.

„Wie erfreulich“, antwortete Georg spontan und es erfüllte ihn mit Befriedigung, dass Verena offensichtlich nicht häufig Männerbesuch hatte. „Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Mit Martha. Ist meine Tochter da?“

„Sie steht unter der Dusche.“

„Aha“, war das Kommentar von der anderen Seite.

„Soll ich ihr etwas ausrichten?“

„Ich versuche sie schon seit zwei Tagen zu erreichen. Wenn sie mit ihren Geistern beschäftigt ist, vergisst sie vollkommen, dass sich vielleicht auch jemand Sorgen um sie macht. Sie sind doch kein Geist?“, fragte Verenas Mutter mit einem belustigten Unterton.

„Noch nicht. Ich hoffe, dass es noch länger so bleiben wird.“

„Das ist ja interessant. Beschäftigen sie sich auch mit unerklärlichen Phänomenen?“

„Unter anderem. Ich bin Polizist. Ich versichere ihnen, dass viel unerklärlich bleibt und dass das unsere Verdächtigen phänomenal finden.“

Verenas Mutter lachte in die Leitung. „Und wie finden sie meine Tochter?“

„Interessant.“

„Sag mal, mit wem telefonierst du da, das ist mein Telefon!“ ­Verena war hinter ihm aufgetaucht, sie hatte noch leicht feuchtes Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen hatte, trug ein fließendes Sommerkleid mit kleinen bunten Blumen und eine leichte Jeansjacke. Sie sah absolut natürlich schön aus.

„Ich mache mich gerade mit deiner Mutter bekannt. Sie sagt, dass du nie anrufst.“ Georg zwinkerte ihr gut gelaunt zu.

„Das ist doch gar nicht wahr, los gib mir mein Telefon“, forderte Verena fröhlich. „Übrigens, ich bin fertig.“

Mit einem Blick auf seine Uhr verabschiedete er sich am Telefon. „Es freut mich, wenn ich wieder von ihnen höre. Und sie hat es tatsächlich in nur sechsundzwanzig Minuten geschafft, ausgehfertig zu sein.“

„Ich hoffe, wir lernen uns einmal persönlich kennen“, verabschiedete sich Verenas Mutter, doch der Unterton in ihrer Stimme transferierte, dass sie eigentlich nicht damit rechnete.

Verena schnappte sich ihr Telefon und drehte Georg den Rücken zu. „Hallo Mama, wie geht es dir.“

„Wie soll es mir gehen, Kind. Du kommst nicht nach Hause, du rufst selten an, ich vermisse dich, Verena.“

„Fang doch nicht schon wieder damit an, Mama.“

„Du hast Recht, es hat wohl nicht viel Sinn, doch eines Tages musst du deinen Vater und dir selbst den Frieden geben. Er wartet auf dich.“

Nach diesen Worten hing für lange zehn Sekunden Schweigen in der Luft und wieder fühlte Verena diesen alten Schmerz, den sie nun schon so lange in sich trug. „Doch deswegen habe ich eigentlich nicht angerufen. Ich wollte wieder deine Stimme hören und wir haben uns Sorgen gemacht, weil du nicht zu erreichen warst.“

„Das ist unnötig, es geht mir gut und alles ist in Ordnung.“ ­Verena konnte es nicht verhindern, dass erneut ihre Schuldgefühle zurück an die Oberfläche kamen.

„Dieser Georg Reuter hört sich nett an, wie ist er denn“, fragte Martha neugierig.

„Interessant.“ Verena musste in das Telefon lächeln.

„Das ist schön Verena. Ich wünsch dir einen schönen Abend.“

„Danke, ich dir auch. Ich rufe dich an.“

„Ja natürlich.“

Georg hatte Verena nicht aus den Augen gelassen und so war ihm auch der Moment des Schmerzes, der sich in ihren Augen spiegelte nicht entgangen. Mit dieser Art von Schmerz kannte er sich aus, er trug selber einen in sich und zum ersten Mal regte sich der Wunsch, ihn offen zu legen und mit jemanden zu teilen.

„Mütter, immer sind sie besorgt. Wir können gehen.“ Der Schutzpanzer hatte sich wieder um sie geschlossen.

Stunden später gingen sie nebeneinander den Weg entlang, der zu Verenas Haus führte. Verena hatte darauf bestanden ein Stück zu Fuß zu gehen und so genoss sie die klare Nachtluft, die langsam mit dem Fortschreiten der Jahreszeit kühler wurde.

Der Abend war sehr harmonisch verlaufen, sie hatten viel gelacht und vorzüglich gegessen und doch hatte sie beiderseits vermieden zu persönlich zu werden.

„Jetzt sind wir fast an deinem Haus und du bist mir noch den Gedanken schuldig geblieben“, warf Georg plötzlich ein.

„Ich möchte echt wissen, was an meinen Gedanken so interessant sein soll“, erwiderte Verena belustigt.

„Nun, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Du bist als ganze Person äußerst interessant.“ ­

Verena konnte es nicht verhindern, dass sie den Vergleich zu vergangenen Männern zog. „Dieses Wort hat viele Perspektiven, wie ich in meinen Leben erkennen musste. Die einen meinen damit, sonderbar, andere abnormal oder amüsant. Und meistens verschwinden sie dann so schnell wie sie aufgetaucht sind.“

„Narren. Lauter Narren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es je uninteressant mit dir sein könnte. Also, wie ist es jetzt mit deinem Gedanken.“

Verena blieb stehen und lehnte sich an den Weidezaun. Ihre Augen funkelten im fahlen Licht und um ihre Lippen spielte ein leichtes Lächeln. „Ich mag so manchen Ruf haben, doch ganz sicherlich bin ich noch nie etwas schuldig geblieben. Also?“ Bei dieser Frage zog sich merklich ihre Augenbraue hoch. Doch Georg schüttelte nur grinsend den Kopf. “Diese Schuld fordere ich ein, wenn die Zeit gekommen ist. Und dann wird sich heraus stellen, ob eine Verena Ritter ehrlich ist und zu ihrem Wort steht.“ Georg verstand es hervorragend sie an der Leine zu halten.

„Gut, dann halten wir die Prüfung dieses Charakterzuges also für später auf. Was jetzt?“

„Erzähl mir etwas von dir“, forderte er.

„Nun, da gibt es nicht viel zu sagen. Ich führe ein bemerkenswert normales Leben.“

„Es ist erstaunlich, was jeder für normal hält. Sich mit Geistern zu beschäftigen, sie zu jagen oder zu erforschen, wie immer du das auch nennst, würden wohl die meisten als nicht alltägliche Beschäftigungsart empfinden.“

„Da wären wir also wieder bei einer Facette von „interessant““, antwortete Verena sarkastisch.

„Ist es so schwer für dich zu akzeptieren, dass es mich ehrlich interessiert?“

„Warum tut es das?“

Auf diese Frage wusste Georg nicht gleich Antwort oder besser gesagt, sich die Wahrheit einzugestehen, fiel sogar ihm nicht leicht. „Ich weiß es nicht. Doch da ist etwas an dir, dass mich anzieht, dass den Wunsch in mir weckt, dich wieder zu sehen. Und von der Vernunft her, widersprechen sich unsere beiden Personen, doch mein Instinkt sagt mir, das mir das herzlich egal ist.“

„Vernunft und Instinkt. Und wie oft hört ein Polizist auf seinen Instinkt?“, wollte Verena wissen.

„Öfters als wir zugeben würden“, bekannte Georg ehrlich.

Verena setzte ihren Weg fort. „Ich bin auf einem vierhundert Jahre alten Gut aufgewachsen. Mein Vater war Offizier der UNO Einsatztruppen und oft Monate nicht zu Hause. Doch dafür war die Zeit, die er da war immer sehr intensiv. Meine Eltern haben sich sehr geliebt, obwohl sich meine Mutter zweifellos ihm unterordnete. Zumindest nach außen hin, ich glaube, dass Soldatenleben konnte auch privat nur schwer Widerspruch dulden.

Bei uns lebte auch meine Großmutter, sie war das komplette Gegenteil von ihren Sohn und bis heute kann ich es eigentlich nicht verstehen, dass mein Vater derart immun und abweisend gegenüber den Übersinnlichen war. Sie meinte immer, er sei das Ebenbild von meinen Großvater, eines englischen Besatzungssoldaten, den sie während des Zweiten Weltkrieges kennen gelernt hatte. Im Großen und Ganzen waren wir eigentlich eine harmonische ­Familie.

Ich hatte eine sehr innige Beziehung zu meiner Großmutter, wir waren uns im Wesen sehr ähnlich. Das war allerdings ein Punkt, den mein Vater nicht so toll fand. Er meinte immer, sie setze mir Flausen in den Kopf.“ Für einen Moment dachte Verena zurück in die Vergangenheit, an den Punkt, der Zeit ihres Lebens ein Streitfaktor zwischen ihren Vater und ihrer Oma gewesen war.

„Meine Großmutter konnte sie auch sehen.“ Verenas Stimme war zu einem Flüstern abgesunken und Georg spitzte angestrengt seine Ohren um ihre Worte zu verstehen. „Was konnte sie sehen?“ Verena steckte ihre Hände in die Jackentasche und Georg spürte förmlich ihre Abwehrhaltung und es blitze rebellisch in ihren Augen als sie ihr Gesicht ihm zuwandte.

„Die Seelen. Die Seelen, die noch nicht ihr Leben abgeschlossen haben, festsitzen und als Geister sich bemerkbar machen.“ Georg wäre niemals in den Moment auf den Gedanken gekommen, Verena auszulachen oder ihre Aussage als unglaubwürdig darzustellen. Im Grunde glaubte er nicht an übernatürliche Erscheinungen und schon gar nicht an Geister, sein Vernunftsdenken ließe eine solche Möglichkeit gar nicht zu. Der trotzige Ausdruck in ihren Augen bewies ihm, dass Verena schon oft diese Auseinandersetzung geführt hatte.

Als Georg nicht wie erwartet reagierte, sie sogar mit einer aufmunternden Geste aufforderte weiter zu sprechen, entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder.

„Für meine Großmutter war es normal, sie sehen zu können, genauso wie für mich. Es ist immer schon so gewesen. Meine Mutter saß sozusagen zwischen den Stühlen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie mir glaubte, doch mein Vater war absolut uneinsichtig. Er beschuldigte sogar meine Großmutter mir es eingeredet zu haben. Zu Beginn dachte er vielleicht, dass ich mit dem größer werden es irgendwann zu dumm finden würde, zu behaupten, dass ich Kontakt zu Geistererscheinungen habe. Ja, einige Zeit hielt er es eher für ein Spiel. Doch es kam der Zeitpunkt, wo er erkannte, dass dem nicht so war. Zuerst versuchte er mir zu erklären, dass es das gar nicht geben konnte, versuchte mich mit allen Mitteln zu überzeugen. Doch was immer er auch vorbrachte, ich wusste ja, das es anders war.“

Verena sah kurz zu den Sternen hoch, dachte an ihre Großmutter, die irgendwo da draußen verschwunden war. „Meine Großmutter war vollkommen unbeeindruckt über das Aufbrausen ihres Sohnes, ihr imponierten in diesen Fall nicht seine Autorität, die er innehatte, nicht seine Uniform. Sie gaben sich beiderseits zu verstehen, dass sie ihre jeweilige Vorgehensweise in meiner Person nicht gut hießen. Da ich beide liebte, lebte ich mit der Zeit zwei Leben. Ich lernte auf dem Grat zu wandern. Das eine Leben erlaubte mir, mich mit der Welt die ich um mich herum wahrnahm, auseinanderzusetzen. Meine Großmutter hat mich viel darüber gelehrt, zeigte mir, dass diese Eigenschaft an einem Menschen etwas ganz Besonderes ist. Das andere Leben war für meinen Vater und vermutlich auch für den Großteil der restlichen Welt, die mit meiner Begabung nicht klar kamen. Meine Mutter verhielt sich unparteiisch und erwähnte nie die endlos langen Stunden, die ich mit meiner Oma verbrachte in der Nacht und im Studium über übersinnliche Wahrnehmung. Sie sorgte dafür, dass die Waage im Gleichgewicht blieb.“

Verena atmete tief ein, das folgende Kapitel war ihr das unliebsamste. „Mein Vater war wie so viele Väter. Er wünschte sich, dass ich studiere, Jura, Medizin oder auch Architektur. Ich ließ ihm in dem Glauben, darin war ich gut. Ich spielte ihm schon so lange eine für ihn heile Welt vor ohne Geister. In Wirklichkeit machte ich mein Studium in Archäologie, Geschichte und Psychologie. Natürlich konnte ich es ihm nicht immer verheimlichen, obwohl es nicht allzu schwierig war, denn er war wochenlang nicht zu Hause.

Doch diese Heimlichkeit nagte an mir, ich wollte, dass er es akzeptierte, mich nahm wie ich eben war, auch wenn es nicht seinen Vorstellungen entsprach. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Enttäuschung? Auf jeden Fall geriet er in fürchterliche Wut, er erkannte, dass ich ihm all die Jahre hinters Licht geführt hatte.

Wir hatten einen furchtbaren Streit, es ist die schlimmste Erinnerung in meinen Leben. Es ließ sich nicht vermeiden, dass auch meine Oma damit konfrontiert wurde. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon alt und bettlägerig. Ich weiß nicht, ob sie unser Streit so aufgeregt hat oder einfach ihre Zeit zu Ende war, jedenfalls starb sie zwei Tage später. Es war ein Verlust, der mich hart getroffen hat. Ich beschuldigte meinen Vater ihren Tod herbeigeführt zu haben. Ich habe ihn angeschrieen, beschimpft, sagte unverzeihliche Dinge. Er stand nur da und wehrte sich nicht.

Danach habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Ich beendete mein Studium und begann in der Welt herum zu reisen. Ich sammelte, erforschte Berichte über die unsichtbare Welt neben uns. Und diese Tätigkeit hat mich inzwischen durch ganz Europa geführt. Und im Moment bin ich hier gelandet. Ich trage im Auftrag eines Verlages Informationen, Berichte und Augenzeugenaussagen für ein Buch zusammen. Auch wenn es die Leute nicht gerne öffentlich zugeben dan Geistererscheinungen zu glauben, so ist es doch bei vielen so, manche fürchten sich sogar und es ist doch seltsam vor etwas Angst zu haben, von dem sie behaupten, dass es das gar nicht gibt. Ist schon irgendwie komisch, findest du nicht?“

Verena fühlte sich nach ihrer Lebensgeschichte ausgelaugt und war direkt dankbar, dass Georg ihr nicht widersprach noch irgendetwas in Frage stellte. Er schlenderte im gemächlichen Takt neben ihr her und nickte leicht mit dem Kopf.

„Angst ist etwas sehr Elementares, jeder fürchtet sich vor etwas. Hast du denn niemals Angst vor solchen Begegnungen?“ Georg sah in Gedanken Verena einem Geist das Fürchten lehren. Das sie den Schneid dazu hatte, bezweifelte er nicht eine Sekunde.

„Nein. Doch man darf auch nicht leichtsinnig sein. Man muss sich vor negativen Energien schützen.“

„Du scheinst schon eine Menge erlebt zu haben und bist weit herumgekommen. Gab es denn nie einen Mann oder einen Ort, der dich fesseln konnte?“ Georg erinnerte sich nur zu gut an Verenas Kisten und Taschen, die im ganzen Haus verteilt waren – reisefertig.

„Ja einmal. Doch irgendwann stellte ich fest, das wir unterschiedliche Ansichten einer menschlichen Beziehung hatten. Meine Oma hat mich gewarnt, sie ist irgendwie mein persönlicher Schutzengel“, und dabei deutete sie viel sagend Richtung Himmel.

„Soll das bedeuten, dass deine Liebe vor deiner Ahnin bestehen muss?“ Nun konnte Georg doch ein ungläubiges Grinsen nicht unterdrücken.

„So ungefähr. Doch was ist mit dir? Warum bist du nicht verheiratet?“

Georg verhielt im Schritt und seine Augen überschatteten sich. Seine Gedanken trugen ihn zurück in die Vergangenheit, die ihn fast täglich überrannte.

„Ich war verheiratet. Sie war die Liebe meines Lebens. Inga war die Erfüllung meiner Träume, mehr als ich zu hoffen gewagt hatte. Und da war Christian, unser Sohn.“ Seine Stimme wurde in der Erinnerung eng und Verena erkannte den tiefen Schmerz, den Georg in sich trug. Nun wanderten auch Georgs Augen in den Himmel, so als könnte er dort finden, was er verloren hatte.

„Was ist passiert?“ Verenas Stimme hörte sich rau an, sie fühlte die Emotionswellen, die Georg aussandte.

„Ich war nicht da, unser Revier beteiligte sich an einer großen Suchaktion nach einem vermissten Kind. Es war selbstverständlich, dass wir halfen.

Inga war mit Christian auf dem Heimweg. Sie war immer eine besonnene Fahrerin und bis heute weiß ich nicht, warum sie es so eilig hatte. In der scharfen Kurve vor Großkirchen hat sie die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und ist frontal in die Steinmauer gekracht. Sie waren beide tot, bevor die Rettung eintreffen konnte.“

Verena sah die geballten Fäuste, die er in seinem Schmerz in der Hosentasche vergrub. „Es tut mir leid.“ Verena wusste wie abgedroschen diese Floskel klang, doch was hätte sie sagen sollen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der bestraft worden war für eine Sache an der er keine Schuld trug.

„Mir auch und jeden Tag frage ich mich, warum ausgerechnet sie, warum ausgerechnet die beiden. Es war alles so sinnlos, genauso wie die verzweifelte Suche nach dem Kind. Wir haben es gefunden, es ist im Waldsee ertrunken. Es war der furchtbarste Tag in meinem Leben.“

Wie von selbst legte sich Verenas Hand auf seinem Arm. „Und dann lebt man weiter. Einen Tag nach den anderen. Und das Warum verfolgt dich sogar bis in den Schlaf.“ Georgs Stimme war zu einem Flüstern abgesunken und gedankenverloren blickte er ins Leere.

Nun wusste Verena, was sie bei ihrer ersten Begegnung an ihm irritiert hatte. Er hatte die Vergangenheit noch nicht losgelassen. „Wie lange ist es denn her?“ Verena fiel einfach nichts Besseres ein, sie war mitfühlend und bei emotionsgeladenen Filmen musste sie weinen, doch wenn sie Trost spenden wollte, fühlte sie sich linkisch und unbeholfen.

„Drei Jahre. Letztes Monat waren es drei Jahre.“ Georg atmete tief durch. „Doch der Abend war zu schön um ihn traurig enden zu lassen und nahezu ein Verbrechen bei einer so charmanten Begleitung.“ Er zwang sich ein Lächeln ab und drückte warm ihre Finger, die noch auf seinem Arm lagen. Georg Reuter hatte sich geöffnet, doch jetzt hatte er sich erneut abgeblockt. Verena erkannte, dass sie einander gar nicht so unähnlich waren. Zumindest verstanden sie es vortrefflich sich in einen Schutzpanzer zu hüllen.

Seelenecho

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