Читать книгу Moira - Michaela Santowski - Страница 4
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Оглавление„Was machst du denn so lange?“, rief Judit Tony ein wenig entnervt zu. Sie stand vor dem Spiegel im Flur und brachte ihre kurzen blonden Haare mit den Händen in Form während sie das ungefähr tausendste Mal ihre Freundin verfluchte. Das Tony sich auch nicht einmal ein wenig beeilen konnte. „Sie können jeden Moment hier sein!“, rief Judit der geschlossenen Badezimmertür zu.
Antonia ignorierte ihre Freundin und Mitbewohnerin, die sie schon seit einer halben Stunde nervte und schaltete demonstrativ den Fön ein.
Sie kannte Judit bereits seit der fünften Klasse. Damals, vor ziemlich genau achtzehn Jahren, war Tony mit ihren Eltern neu in die Stadt gezogen und Judit war die erste gewesen, die sich um sie gekümmert hatte. Tony wusste noch genau, wie dankbar sie gewesen war, gleich eine Freundin gefunden zu haben. Judit und sie waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich. Sie hatten jeden Mist zusammen durchgestanden; angefangen von den ersten wirklich schlechten Noten und dem folgenden Riesenärger ihrer jeweiligen Eltern, über den ersten Kuss bis hin zu dem ersten Liebeskummer und des darauffolgenden Katzenjammers. Zwischendurch hatten sich ihre Wege kurzzeitig getrennt als Judit eine Ausbildung zur Bürokauffrau begann und Tony ihrerseits eine Lehre zur Hotelkauffrau. Dazu musste Tony wiederum in eine andere Stadt ziehen. Aber sie hatten sich nie aus den Augen verloren. Schließlich gab es Email und Telefon. Tony beschloss nach ihrer Ausbildung zu studieren und bewarb sich in der Stadt, in der Judit lebte. Diese suchte zu der Zeit eine neue Wohnung, da die Beziehung zu ihrem damaligen Freund ein unspektakuläres Ende nahm als dieser Judit heiraten wollte, sie sich aber mit Mitte zwanzig zu jung dafür fühlte. Abgesehen davon, dass sie ihn nicht so sehr liebte, um den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen, wie sie Tony anvertraute. Als Tony dann die Zusage von der Uni bekam, zog sie mit Judit zusammen. Und sie hatten es beide noch nicht einen Tag bereut.
Während Tony ihre hüftlangen schwarzen Haare trocknete, überlegte sie, warum sie sich überhaupt dazu überreden lassen hatte, den Bruder von Judits derzeitigem Freund Jonas kennenzulernen. Normalerweise hatte sie gar keine Zeit, den Abend in irgendeiner Kneipe zu verbringen. Und dann auch noch mit einem Typen, von dem sie weiß Gott nichts Gutes gehört hatte. Es hieß, Fabian, so hieß Jonas Bruder, sei ein typischer Frauenheld. Und auf solche Typen stand Tony absolut nicht. Meistens waren die arrogant und herablassend. Erschwerend kam auch noch hinzu, dass Tony in den seltensten Fällen verstehen konnte, warum die Frauen auf die Kerle so abfuhren. Aber anscheinend hatte sie einfach einen anderen Geschmack bei Männern als die meisten Frauen. Judit pflegte immer zu sagen, dass sie zu anspruchsvoll sei. Tony sah das anders. Sie wusste eben einfach, was sie wollte. Einen gut erzogenen, liebevollen Mann, der seine Aufmerksamkeit auf sie richtete, und zwar nur auf sie und nicht noch gleichzeitig auf die hübsche Frau, die vielleicht zufällig im Restaurant neben ihnen saß. Gegen flirten hatte sie nichts, aber sich überflüssig zu fühlen, obwohl der Mann ihr Partner war, ging entschieden zu weit. Da sprach sie aus bitterer Erfahrung. Und Manieren sollte er haben. Auch wenn man das 21. Jahrhundert schrieb, fand Tony nichts Falsches daran, sich die Tür aufhalten oder in den Mantel helfen zu lassen. Das hatte nichts mit „zu anspruchsvoll“ zu tun.
Tony schaltete den Fön aus und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, aus dem ihr ihre dunkelbraunen Augen müde entgegenblickten. Kein Wunder, wenn man die halbe Nacht für das Studium büffeln musste, dachte sie. Und genau das war es, was sie jetzt auch tun sollte: lernen! Stattdessen hatte sie Judits Drängen nachgegeben. Seufzend nahm sie ihren Eyeliner aus der Tasche. Ihre Kosmetikerin hatte ihr mal gesagt, dass die Augen größer und dadurch wacher wirken würden, wenn man nur auf dem oberen Lid einen dünnen Strich zog. Tony konnte nur hoffen, dass das auch wirklich stimmte.
„Und wenn nicht, dann eben nicht“, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild. „Schließlich liegt mir nichts ferner als für diesen Fabian gut auszusehen.“
Wie aufs Stichwort klingelte es in dem Moment an der Tür.
„Sie sind da!“, rief Judit ihr überflüssigerweise zu. „Ich hoffe, du bist endlich fertig.“
Anstatt einer Antwort, öffnete Tony die Badezimmertür und trat in den Flur und fast in Jonas und Judit hinein, die eng umschlungen in dem kleinen Flur standen.
„Hallo, Jonas“, begrüßte sie Judits Freund und reichte ihm die Hand. „Ihr seid auf die Minute pünktlich“, betonte Tony mit einem Blick in Judits Richtung, der soviel bedeutete wie „du musst dich nicht aufregen, ich bin genau rechtzeitig fertig“.
Jonas wandte sich lächelnd von Judit ab und ergriff Tonys Hand.
„Hallo, Tony“, sagte er mit seiner angenehmen dunklen Stimme. „Freut mich, dass du auch mal mitkommst.“
„Ich bin ja auch gefahren“, hörte sie eine weitere dunkle jedoch etwas rauere Stimme. „Wenn mein Bruder gefahren wäre, wären wir immer noch unterwegs.“
Tony warf einen Blick an Judit vorbei. Fabian lehnte lässig mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen. Er war groß, mindestens 1,90 Meter schätzte sie. Seine Haare trug er ebenso modisch kurz geschnitten wie sein Bruder. Doch im Gegensatz zu Jonas` braunen Haaren waren Fabians dunkelbraun, fast schwarz. Selbst auf diese Entfernung konnte sie erkennen, dass seine Augen grün waren, nicht braun wie Jonas`. So grün, wie man es manchmal vom Ozean her kannte, wenn die See etwas stürmisch war und das Licht in genau dem richtigen Winkel auf die Oberfläche traf, dachte Tony unwillkürlich. Diese Augen schienen sie ein wenig spöttisch anzublicken, während er an seinem Bruder vorbeischaute und sie musterte. Er trug verwaschene Blue Jeans, ein rotes T-Shirt, das keinerlei Zweifel an seinem durchtrainierten Körper ließ, und eine schwarze Lederjacke. Alles in allem musste Tony sich eingestehen, dass sie bei diesem Mann durchaus verstehen konnte, warum die Frauen reihenweise auf ihn reinfielen. Da er keinerlei Anstallten machte, die Wohnung zu betreten, schob Tony sich an den anderen beiden vorbei und reichte ihm die Hand. „Hallo, Fabian. Freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin Antonia.“
Fabian taxierte sie mit hochgezogenen Augenbrauen langsam von oben bis unten. Tony merkte, wie leichter Ärger in ihr aufstieg. Wenigstens stimmte ihre Einschätzung hinsichtlich der Arroganz, die diese Typen meistens an den Tag legten. Fabian ignorierte ihre dargebotene Hand. Stattdessen fand sie sich in seinen Armen wieder und spürte nur Sekunden später seine vollen Lippen auf ihrem Mund. „Hi, Tony“, sagte er mit dieser dunklen Stimme, die sie trotz ihres Ärgers sehr anziehend fand. Einen kurzen Moment sah er sie mit seinen grünen Augen so intensiv an, dass Tony unwillkürlich schlucken musste. Dann war der Zauber vorbei. „Seid ihr fertig?“, wandte Fabian sich fragend an Judit. „Ich parke im Halteverbot.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging die Treppe runter.
Tony starrte ihm perplex hinterher. Das hatte sie wohl hoffentlich grade geträumt. Wenn sie eins nicht leiden konnte, dann war es, wenn sich jemand die Frechheit herausnahm, ihr ohne ihre Erlaubnis zu nahe zu kommen. Und sie dann auch noch für einen kleinen Augenblick aus der Fassung zu bringen. Hinter sich hörte sie Judit lachen. Tony erwachte aus ihrer Erstarrung, schnappte sich ihre Jacke und stürmte Fabian nach.
Als Judit und Jonas, die Tony grinsend gefolgt waren, aus der Haustür traten, bot sich ihnen ein interessantes Bild. Fabian lehnte entspannt am Auto und schaute die um einen Kopf kleinere Tony spöttisch lächelnd an, während diese ihn anschrie.
„Hey, Mister, um eins gleich klarzustellen: wir kennen uns nicht gut genug als das du das Recht hättest, mich zu küssen. Auch nicht zur Begrüßung.“
Fabian zog die Augenbrauen hoch. Dann zuckte er mit den Schultern als wolle er sagen `Wenn du meinst` und öffnete die hintere Autotür, um Tony beim Einsteigen zu helfen. Erbost schlug diese die Tür wieder zu. Sie war noch nicht fertig mit ihm.
„Das wird erst geklärt. Ich mag es nicht, so behandelt zu werden!“
„Wie habe ich dich denn behandelt?“, fragte Fabian sichtlich amüsiert.
Tony schnappte hörbar nach Luft. „Als wüsstest du nicht genau, was ich meine.“
Fragend blickte Fabian sie an. Tony kochte innerlich. Das machte dieser Kerl mit voller Absicht. Und das brachte sie erst recht auf die Palme.
„Ich bestimme, wer mich küssen darf. Und du gehörst ganz gewiss nicht dazu.“
„OK, Spatz. Können wir dann fahren, jetzt, wo das geklärt ist?“
Tony blieb ob soviel Frechheit der Mund offen stehen. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass er sie absolut nicht ernst nahm. Was sich auch bestätigte als Fabian erneut die hintere Tür öffnete. Wieder schlug Tony diese zu.
„Was bildest du dir eigentlich ein?“ Böse funkelte sie ihn an. „Es mag ja sein, dass es Frauen gibt, die auf dieses Macho-Gehabe stehen. Zu denen gehöre ich allerdings nicht.“
„Und was gefällt dir?“ Ruhig blickte Fabian sie an.
Einen kleinen Moment geriet Tony etwas aus der Fassung, da sie mit so einer Äußerung nicht gerechnet hatte. Dann antwortete sie heftig: „Zu einem Mann gehört jedenfalls mehr als nur gutes Aussehen. Höflichkeit und Respekt wären für den Anfang nicht schlecht.“
„Vielen Dank.“
„Wofür?“, fragte Tony verwirrt.
„Für das Kompliment über mein Aussehen.“ Fabian öffnete zum dritten Mal die hintere Tür.
Tony starrte ihn ungläubig an. Dieser Mann war absolut unfassbar. Und völlig von sich überzeugt.
„Lasst uns endlich fahren“, schaltete Judit sich dazwischen, bevor Tony die Tür zum dritten Mal zuschlagen konnte und stieg ins Auto. „Wenn ihr das unbedingt ausdiskutieren wollt, könnt ihr das auch noch in der Kneipe tun.“
Fabian warf Tony ein charmantes Lächeln zu und hielt ihr weiterhin die Autotür auf. Mit der Hand deutete er ins Innere. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stolzierte sie an ihm vorbei und setzte sich.
„Na, dann auf“, sagte Jonas und nahm neben seinem Bruder Platz. Bevor Fabian los fuhr, stellte er den Spiegel so ein, dass er sowohl den hinteren Verkehr als auch Tony beobachten konnte. `Diese Frau ist eine echte Herausforderung`, dachte er und fuhr los.
Tony blickte stur aus dem Fenster. Nach einer Weile jedoch drehte sie den Kopf in Richtung Frontscheibe und begegnete Fabians Blick im Spiegel, der sie unverhohlen anstarrte. Es schien ihm nicht mal peinlich, dass sie ihn dabei erwischt hatte. Schnell schaute sie wieder nach draußen. Fabian lächelte still vor sich hin.