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2.1. Willkürlichkeit

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Das Argument der Willkürlichkeit führt an, dass Rawls’ Gerechtigkeitsbegriff die Verteilung grundlegender Rechte auf der Basis willkürlicher Unterscheidungen ablehnt; dieser Gedanke wird dann genutzt, um den Ausschluss von Migrantinnen als illegitim anzufechten. Das Problem mit diesem Argument besteht jedoch darin, dass die Idee der Willkürlichkeit uns zwar vorschreibt, Ungleichheiten nicht auf der Basis moralisch irrelevanter Fakten zu rechtfertigen – allerdings behauptet sie nicht, dass jede Form von auf Zufall beruhender Ungleichheit auch moralisch fragwürdig sein muss. Wir können das an einem Beispiel aus dem vorangegangenen Kapitel erkennen: Es ist nicht ungerecht, mir das Wahlrecht in Frankreich zu verweigern, und dass obwohl die Grenzen zwischen Frankreich und anderen Ländern letztlich, je nach Perspektive, Resultate des Zufalls oder moralischen Unrechts sind – und dasselbe gilt hinsichtlich des Umstands, dass ich zufällig in Kanada statt in Frankreich geboren wurde. Aus der der Tatsache, dass in diesem System Glück und Zufall eine große Rolle spielen, folgt daher nicht notwendig, dass die ungleiche Verteilung des Wahlrechts in einem moralisch zu verurteilenden Sinne zufällig ist. Die französische Bürgerin hat eine bestimmte Beziehung zu ihrer Regierung, die in meinem Falle nicht besteht, da ich weder in Frankreich geboren wurde, noch dort lebe. Diese Beziehung lässt die besonderen Rechte der französischen Bürgerinnen gegenüber ihrer Regierung als moralisch angemessen erscheinen, selbst wenn es bloßer Zufall ist, dass sie in Frankreich geboren wurde und ich in Kanada zur Welt kam. Die Ungleichheit zwischen uns ist folglich, selbst wenn sie ursprünglich auf reinem Zufall beruhte, aufgrund der Tatsache gerechtfertigt, dass die politische Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Staat sich von der meinigen zu meinem Staat unterscheidet.

Warum aber ist das von Bedeutung? Ich denke, diese Beobachtung ist deshalb wichtig, weil einige der Argumente gegen ein Recht auf Ausschluss davon auszugehen scheinen, dass jeglicher Anteil von Zufall eine Ungleichheit bereits als ungerecht qualifiziert. So argumentiert beispielsweise Carens in seinen früheren Arbeiten, dass wir John Rawls’ Vorstellung der Gerechtigkeit als Fairness global anwenden sollten und folglich die von Rawls verteidigten Bewegungsreche entsprechend für die Welt als Ganze gelten sollten. Eine solche Vorgehensweise übersieht jedoch, dass Rawls seinen Ansatz auf die spezifische Frage begrenzen wollte, wie eine politische Gesellschaft ihre mit Zwang verbundenen Gesetze und Praktiken vor allem gegenüber den in ihrem Hoheitsgebiet anwesenden Personen rechtfertigen kann. Als Rawls seine Aufmerksamkeit dem internationalen Recht zuwandte, sprach er sich mit Nachdruck gegen solche Auslegungen seiner theoretischen Überlegungen aus, die in ihnen ein Argument für die Abschaffung jeglicher, auf Zufall beruhender Unterschiede erkennen wollten – womit er zugleich auch all jenen widersprach, die meinten, aus seiner Theorie folge die Abschaffung des staatlichen Rechts auf Ausschluss. Laut Cole ist die Idee willkürlicher Grenzen eine theoretische Peinlichkeit für den Liberalismus. Allerdings haben alle diejenigen, die – wie Rawls selbst – den Liberalismus als dezidiert politische Theorie charakterisieren, keinen Grund, peinlich berührt zu sein. Wir können uns weiterhin fragen, was der Liberalismus im Bereich der Migration von uns verlangt. Aber willkürlich gezogene Staatsgrenzen sind bloß für diejenigen eine Peinlichkeit, die dachten, der Liberalismus fordere die Abschaffung jeglichen Zufalls. Die meisten Liberalen haben allerdings nichts dergleichen im Sinne.

Mit Blick auf einen ähnlichen Kontext ist es überdies erwähnenswert, dass wir womöglich auch ganz allgemein sensibler für die Unterscheidung von Bürger- und Menschenrechten sein sollten. Cristina Rodríguez merkt in ihrer Geschichte der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten an, dass die Aufhebung dieser Unterscheidung es schwieriger gestalten könnte, das Wesen der Ansprüche von Einwanderern akkurat zu beschreiben. Ihr zufolge sollte der Versuchung widerstanden werden, die Rechte von Migrantinnen schlicht als ihrem Wesen nach identisch mit den Rechten afrikanischstämmiger Amerikanerinnen zu betrachten:

„Das Migrationsrecht entwickelte sich in Auseinandersetzung mit den Bewegungen für Bürgerrechte und bürgerliche Freiheiten der 1960er und 1970er Jahre und es bestehen tatsächlich bedeutende Ähnlichkeiten zwischen der Situation vieler Migrantinnen heutzutage und der Situation marginalisierter Gruppen, deren Kämpfe den Ausgangspunkt der Bürgerrechtsbewegung darstellten. Viele arme, nicht-weiße Migrantinnen erledigen essenzielle, aber harte Arbeit, wobei sie zum einen den Abschiebegesetzen ausgeliefert sind und zum anderen kaum die Möglichkeit besitzen, ihre Interessen in den politischen Prozess einzubringen. Aber so wichtig diese Gemeinsamkeiten auch sein mögen, liegen der Aufnahme von Migrantinnen und der Bürgerrechtsbewegung doch zwei recht unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit zugrunde. Während die Protagonistinnen der Bürgerrechtsbewegung die Anerkennung der vollen Staatsbürgerschaft forderten, wie sie ihnen bei ihrer Geburt durch den vierzehnten Verfassungszusatz garantiert wurde, ersuchen die Migrantinnen um Einlass in ein neues Gemeinwesen, welches keine vorhergehende Verpflichtung zu einer solchen Aufnahme eingegangen ist.“42

Wie im politischen Aktivismus, so ist es auch in der Philosophie. Die Ansprüche marginalisierter Bürgerinnen, die von einem Staat regiert werden und Gleichheit vor eben jenem Staat einfordern, können nicht so einfach mit den Ansprüchen von Personen gleichgesetzt werden, die außerhalb dieses Staates stehen und nicht auf diese Weise regiert werden, sondern vielmehr darum ersuchen, auf eben diese Weise regiert zu werden. Eine angemessene Theorie der Gerechtigkeit im Bereich der Migration müsste diesen Unterschied anerkennen. Sie würde zudem ein Verständnis von Zufall und Willkürlichkeit explizieren, das diesem Unterschied Rechnung trägt, und die ungleiche Verteilung von Rechten nicht als moralisch verdächtig betrachten, wenn diese moralisch bedeutsame Unterschiede zwischen Personen widerspiegeln.

Zwischen Gerechtigkeit und Gnade

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