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2.2 Verteilungsgerechtigkeit
ОглавлениеWir können mit diesen Gedanken nun im Hinblick auf das Argument der Verteilungsgerechtigkeit fortfahren. Zu Beginn möchte ich jedoch bemerken, dass ich selbst nicht über die Kompetenz verfüge, irgendwelche Aussagen bezüglich der empirischen Effekte treffen zu können, die der Ausschluss von Migrantinnen mit sich bringt; die Ökonomie der Migration ist, um es vorsichtig auszudrücken, ein kontrovers diskutiertes Feld und zudem sollte sich niemand an einen Philosophen wenden, wenn es um Fragen empirischer Zusammenhänge geht.43 Aus einer philosophischen Perspektive heraus kann ich jedoch so viel sagen: Selbst wenn wir unter Bezug auf die Idee der Verteilungsgerechtigkeit bestimmte Migrationsrechte rechtfertigen könnten, müssten wir immer noch dasjenige Bündel von Rechten identifizieren, das, moralisch betrachtet, die besten Resultate erzielt – und es ist unklar, ob aus einer Politik der offenen Grenzen eben solche Ergebnisse folgen würden. So hat zum einen Peter Higgins angeführt, dass offene Grenzen dazu neigen könnten, diejenigen zu benachteiligen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen, Alter oder sozialer Marginalisierung weniger mobil sind als andere.44 Eine auf der Idee der Verteilungsgerechtigkeit beruhende Theorie der Migration muss daher zwar auf eine radikale Veränderung des geltenden Migrationsrechts bestehen; allerdings ist nicht klar, ob diese Veränderung die Abschaffung eines Rechts auf Ausschluss umfassen muss.
An dieser Stelle können wir zwei grundsätzlichere Herausforderungen für das Argument der Verteilungsgerechtigkeit anführen. Die erste fragt recht simpel, warum wir uns überhaupt um internationale Ungleichheit kümmern sollten. Das bedeutet selbstredend nicht, dass ich der Meinung wäre, wir sollten uns überhaupt nicht um sie kümmern; ich habe hier keinen Grund angeführt, aus dem zu folgern wäre, dass internationale Ungleichheit für unsere Erwägungen keine Rolle spielen sollte – und ziemlich sicher scheint globale Armut relevant zu sein und zwar ganz unabhängig davon, ob der Kluft zwischen Arm und Reich eine besondere Bedeutung zukommt oder nicht. Die von mir angeführte Herausforderung besagt bloß, dass es einer Begründung bedarf, warum Ungleichheit von Bedeutung ist – und dass es in meinen Augen nicht selbstverständlich ist, dass die besten derzeit verfügbaren Antworten auf diese Frage schlicht vom innerstaatlichen auf den internationalen Raum übertragen werden können. Rawls stellte mit Nachdruck fest, dass sein strenges Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit – das Differenzprinzip – nur innerhalb des Staates anwendbar sei; es kann daher nicht legitimerweise zwischen Staaten oder über sie hinweg angewendet werden. Damit möchte ich, wie gesagt, nicht den Eindruck erwecken, die Idee der Verteilungsgerechtigkeit zwischen Staaten wäre bedeutungslos. Vielmehr will ich bloß zeigen, dass es einer Rechtfertigung dafür bedarf, warum sie eine Rolle spielen sollte. Wenn uns gesagt wird, dass das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit anhand eines Rechts auf einen Anteil am globalen wirtschaftlichen Wohlstand begründet werden kann, dann ist die Frage berechtigt, was diesem Argument seine moralische Kraft verleiht.
Die letzte grundlegende Herausforderung für die Argumente der Verteilungsgerechtigkeit besteht jedoch in einer etwas anderen Frage: Falls die Idee der Verteilungsgerechtigkeit von Bedeutung ist, wie würde sie sich dann zu anderen Normen politischer Gerechtigkeit verhalten, darunter der Idee der Selbstbestimmung? Verteilungsgerechtigkeit, um es klar zu sagen, ist nicht die einzig gültige politische Norm, sei es auf innerstaatlicher oder internationaler Ebene. Andere Rechte – wie beispielsweise das Recht, seine eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt regeln zu dürfen – sind ebenfalls von Bedeutung. Selbst wenn gezeigt werden könnte, dass offene Grenzen die globale Verteilung von Gütern gerechter gestalten würden, könnten wir daraus nicht folgern, dass offene Grenzen verpflichtend seien. Stellen Sie sich zur Veranschaulichung das folgende Szenario innerhalb eines Staates vor: Ein bestimmtes Land wird vernünftig und gerecht regiert, betreibt jedoch eine recht schlichte (wenngleich populäre) Finanzpolitik, durch die eine große Menge an Goldbarren in der Zentralbank des Landes gelagert wird. Stellen Sie sich nun vor, dass Robin Hood erscheint, das Gold aus der Zentralbank befreit und es den Armen des Landes gibt – im Ergebnis ist die Verteilung des Wohlstands nun derjenigen näher gekommen, die unserer besten Vorstellung liberaler politischer Gerechtigkeit entspricht. Ist das Land nun moralisch verpflichtet, den Armen das Gold zu überlassen? Ich vermute, dass die Meinungen hier auseinander gehen werden, aber für mich lautet die Antwort: Nein. Verteilungsgerechtigkeit ist eine wichtige Norm, aber so verhält es sich auch mit der Idee der Selbstbestimmung, und Robin Hood ist nicht dazu berechtigt zu entscheiden, wie die Finanzpolitik eines Landes gestaltet werden sollte. Staaten – oder zumindest demokratische Staaten – haben ein Recht auf Dummheit, so lange sie sich im Rahmen der Menschenrechte bewegen.
Daraus folgt jedoch, dass eine bestimmte Politik nicht bloß deshalb als zwingend gilt, weil sie zu einer gerechteren Verteilung von Gütern führen würde. Der Gedanke, dass offene Grenzen die Welt einer gerechten Verteilung näherbringen würden, stellt daher kein vollständiges Argument für offene Grenzen, sondern vielmehr erst dessen Ausgangspunkt dar.
Über all dies könnte sicherlich noch sehr viel mehr gesagt werden. Ich denke, die Befürworterinnen offener Grenzen werden in der Lage sein, weitere Argumente dafür zu entwickeln, warum der Verteilungsgerechtigkeit größeres Gewicht zukommen sollte als Werten wie der Selbstbestimmung oder dem mutmaßlichen Recht darauf, die Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte eines Dritten zurückzuweisen, das ich in meinem eigenen Ansatz anführe. An dieser Stelle möchte ich jedoch nur darauf bestehen, dass solche Argumente vorgebracht werden müssen, um den auf der Idee der Verteilungsgerechtigkeit beruhenden Überlegungen Geltung zu verschaffen. Nun möchte ich allerdings mit der Untersuchung des Arguments der Chancengleichheit fortfahren, da es in meinen Augen die erfolgversprechendste Version des Arguments der Verteilungsgerechtigkeit darstellt. Hierzu werde ich Kieran Obermans Überlegungen genauer untersuchen, dessen Argumente sehr gut entwickelt und daher einer ausführlicheren Betrachtung wert sind.
Oberman formuliert sein Argument der Chancengleichheit als Antwort auf die Behauptung David Millers, wir hätten kein Recht auf die größtmögliche, sondern bloß auf eine angemessene Menge an Lebensmöglichkeiten. Hiergegen verteidigt Oberman die Idee, dass alle Menschen einen Anspruch auf die größtmögliche Menge an verfügbaren Möglichkeiten haben, was er als „vollen Umfang verfügbarer Optionen zur persönlichen Lebensgestaltung“ bezeichnet.45 Er argumentiert gegen Miller, dass eine Person den Anspruch auf diesen vollen Umfang aufgrund der persönlichen und politischen Interessen besitzt, die den Kern des eigenen Lebens bilden. Darunter fällt zum Beispiel, dass ich zur Umsetzung eines bestimmten Lebensplans in ein anderes Land ziehen oder zu dem Zweck migrieren möchte, mehr darüber zu erfahren, wie andere Länder Politik betreiben. Laut Oberman käme die Verweigerung des Rechts auf eine derart motivierte Migration daher der Beseitigung verfügbarer Optionen innerhalb einer politischen Gemeinschaft gleich:
„Sollte das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit die Menschen bloß zu einem ‚adäquaten‘ Umfang von Optionen der Lebensgestaltung berechtigen, würde den Bewohnerinnen der Staaten, in denen eine größere Menge solcher Optionen zur Verfügung steht, kein Menschenrecht auf freie Bewegung über das gesamte Gebiet ihres eigenen Staates hinweg zukommen. Sollte beispielsweise Belgien einen ‚adäquaten‘ Umfang solcher Optionen bieten, die Vereinigten Staaten im Vergleich dazu aber eine Vielzahl mehr, stünde Personen innerhalb der Vereinigten Staaten deutlich mehr als eine ‚adäquate‘ Menge an Optionen zur persönlichen Lebensgestaltung zur Verfügung. Bestünde allerdings bloß ein Recht auf eine ‚adäquate‘ Menge solcher Optionen, könnten die Vereinigten Staaten ihr Staatsgebiet in hunderte Parzellen von der Größe Belgiens aufteilen und jede einzelne Grenze zwischen den Parzellen mit Wachpersonal und Stacheldraht ausstatten, ohne dadurch das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit zu verletzen.“46
Eine solche Position wäre laut Oberman genauso einfältig wie der Gedanke, dass ein Verbot der jüdischen Religion so lange keine Verletzung der Religionsfreiheit darstelle, wie eine „angemessene“ Auswahl anderer Religionen zur Verfügung stehe. Oberman legt nahe, dass in beiden Fällen die Chancengleichheit nur dann wirklich angemessen erfüllt ist, wenn jede Person ein Recht auf den vollen Umfang möglicher Optionen zur persönlichen Lebensgestaltung besitzt, was wiederum bedeutet, dass jeglicher Ausschluss mutmaßlich ungerecht ist.
Ein solcher Gedankengang scheint jedoch die moralische Struktur von Bürgerrechten misszuverstehen. Zunächst erscheint es schlicht falsch, zu denken, dass jede Person ein Recht auf den maximalen Umfang von Möglichkeiten hat. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass ein bestimmtes Land vor der Wahl steht sich zu industrialisieren oder weiterhin eine landwirtschaftliche Lebensweise zu pflegen. Auch wenn ich nicht sagen kann, wie in einem solchen Falle zu entscheiden wäre, sehe ich es als unwahrscheinlich an, dass dabei allein die Quantität der Möglichkeiten eine Rolle spielen sollte. Die Tatsache, dass mit der Industrialisierung mehr Möglichkeiten für die persönliche Lebensführung einhergehen, stattet uns daher nicht mit hinreichenden Gründen dafür aus, ein mögliches Ausbleiben der Industrialisierung als ungerecht zu bezeichnen.
Was stattdessen zählt, ist nicht der Umfang an Möglichkeiten, sondern warum sie eben diesen Umfang besitzen. Nehmen sie beispielsweise Belgien. Sollten sich die Vereinigten Staaten tatsächlich in kleinere Einheiten aufteilen, jede von ihnen bewacht von Menschen mit Schusswaffen, wäre ich ebenfalls der Meinung, dass es sich hierbei um einen eher ungerechten Vorgang handelt. Aber der Grund für dieses Urteil hat rein gar nichts mit der Frage zu tun, ob die Möglichkeiten der persönlichen Lebensgestaltung in Belgien angemessen sind. Stattdessen ist ausschlaggebend, dass es einem Staat nicht gestattet ist, seine Bevölkerung so zu behandeln, wie die Regierung der Vereinigten Staaten die auf amerikanischem Boden anwesenden Personen behandelt, und diese Personen dann zugleich davon abzuhalten, sich frei auf eben jenem Boden zu bewegen. Wenn wir die Rechtfertigung der innerstaatlichen Bewegungsfreiheit stärker als die Rechtfertigung eines Bürgerrechts verstehen, was Oberman nicht zulässt, dann besteht die Ungerechtigkeit darin, dass die mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten persönlicher Lebensgestaltung auf den Umfang belgischer Optionen reduziert wurden und zugleich seitens des Staates darauf bestanden wird, mich von der Hauptstadt aus zu regieren. Adam Hosein hat ein ähnliches Argument vorgebracht: Im Hinblick auf innerstaatliche Bewegungsfreiheit ist nicht die Bewegungsfreiheit als solche von Bedeutung, sondern wie die Art der Einschränkungen dieser internen Bewegungsfreiheit vom Staat dazu genutzt werden könnte, Bürgerinnen ungerechtfertigterweise ungleich zu behandeln.47 Um Obermans Beispiel abzuwandeln: Sollten die Vereinigten Staaten in eine Vielzahl souveräner Territorien von der Größe Belgiens aufgeteilt werden, jedes von ihnen geschützt durch Stacheldraht und bewaffnete Grenzposten, würde ich das bedauerlich finden. Aber meine Reaktion auf diesen Fall wäre eindeutig eine andere, wenn die Vereinigten Staaten sowohl das Recht für sich beanspruchen würden, mich mittels Zwangsgewalt zu regieren, als auch meine Bewegungsfreiheit auf amerikanischem Boden einschränkten. Der erste Fall scheint mir bedauerlich, aber nicht in sich ungerecht. Im Gegensatz dazu erscheint mir der zweite Fall tatsächlich als ungerecht. Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten das Recht beansprucht, mich zu regieren, so kann sie dies nicht gerechterweise beanspruchen, während sie mich an der freien Bewegung innerhalb der USA hindert.
Ich denke, dass ähnliche Erwägungen auf die Überlegungen zur Religionsfreiheit zutreffen. Oberman und ich stimmen darin überein, dass ein Verbot der jüdischen Religion moralisch falsch wäre. (Tatsächlich denke ich, dass es sich hierbei um einen der bereits im vorherigen Kapitel erwähnten grundlegenden Orientierungspunkte handelt.) Die Rechtfertigung dieser Behauptung aber hat weit weniger mit der Zahl mir verfügbarer Religionen zu tun, als mit der Historie staatlicher Versuche, manche Bürgerinnen als moralisch minderwertig im Vergleich zu ihren Mitbürgerinnen zu behandeln. Ich denke, es besteht ein Recht darauf, dass die eigenen religiösen Überzeugungen als ebenso moralisch bedeutsam anerkannt werden wie diejenigen der Mitbürgerinnen, und dass daraus ein Recht auf Religionsfreiheit erwächst. Es ist folglich in der Tat ungerecht, wenn ein Staat eine bestimmte Religion verbietet – allerdings beruht diese Ungerechtigkeit darauf, wie der Staat uns in diesem Fall im Vergleich zu unseren Mitbürgerinnen behandelt. Auch hier besteht die Frage nicht darin, wie groß der Umfang an Optionen hinsichtlich des eigenen religiösen Glaubens ist; sie besteht darin, wie und warum ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter Staat eine Option aus der Auswahl entfernt.
Anders ausgedrückt: Religiöse Intoleranz kann durchaus verurteilt werden ohne dabei annehmen zu müssen, dass ein Recht auf den größtmöglichen Umfang von Optionen hinsichtlich der Wahl der eigenen Religionsgemeinschaft besteht. Das genannte Beispiel ist jedoch auch in anderer Hinsicht lehrreich. Aus der Religionsfreiheit wird oft ein Recht auf Freiheit vor staatlichen Eingriffen in die Ausübung der jeweiligen Religion abgeleitet. Allerdings folgt aus der Religionsfreiheit im Allgemeinen kein Recht auf die für diese Ausübung notwendigen Mittel, oder auf die Mitwirkung von Personen, deren Beitrag für diese Ausübung notwendig erscheinen mag. Wenn meine Religion beispielsweise von mir verlangt, eine kostspielige Pilgerreise auf mich zu nehmen, ist nicht direkt ersichtlich, warum die Idee der Religionsfreiheit den Staat dazu verpflichten sollte meine Reise zu finanzieren.48 Wenn mein Gottesdienst eine Minjan von zehn Leuten verlangt, aber bloß neun Personen Teil meiner religiösen Gemeinschaft sind, kann ich nicht dem Staat gegenüber darauf bestehen, mich mit der zehnten Person zu versorgen, sei es durch Einwanderung oder (vielleicht) Anreizen zur Konversion. Die Freiheit der Religionsausübung umfasst kein Recht auf die Nutzung fremder Körper oder Ressourcen.
Diese Überlegungen sind im Hinblick auf die Analyse der Religionsfreiheit wohl nicht übermäßig umstritten. Meiner Meinung nach sollten wir uns ihrer allerdings auch in der Diskussion über Migration bewusst sein. Oberman klingt an vielen Stellen so, als wären Migrationseinschränkungen ebenso zu betrachten wie Fälle, in denen die Ausübung einer Religion durch den Einsatz von Zwangsgewalt verhindert wird. In meinen Augen handelt es sich jedoch beim Ausschluss von Migrantinnen um eine komplexere Angelegenheit, weshalb er in manchen Fällen eher mit der Verweigerung verglichen werden sollte, einen bestimmten Vorteil zu gewähren. Wenn eine Person in ein anderes Hoheitsgebiet einwandert, erschafft sie – wie ich in Kapitel vier zeigen werde – neue Formen der Verpflichtung aufseiten derjenigen, die bereits in diesem Hoheitsgebiet leben. Möchte eine Person ein Hoheitsgebiet betreten, ist damit weit mehr verbunden als schlicht die Überquerung einer Linie auf dem Boden; vielmehr versucht sie durch ihren Grenzübertritt, neue Verpflichtungen aufseiten der bereits dort lebenden Bürgerinnen zu etablieren. Sie vom Grenzübertritt abzuhalten könnte daher in manchen Fällen am besten analog dazu verstanden werden, einer Person die für die Ausübung ihrer Religion notwendigen Mittel zu verweigern, statt analog dazu, ihr diese Ausübung mittels Zwang zu verwehren. Während wir zuweilen verpflichtet sind, solche Mittel bereitzustellen, muss doch jeweils gezeigt werden, warum dies der Fall sein sollte. Ein solcher Nachweis ist durchaus möglich. So denken viele von uns, dass, um einen aktuellen Fall aufzugreifen, die Hersteller von Hochzeitstorten ihre Dienste sowohl für hetero- als auch homosexuelle Hochzeiten zur Verfügung stellen sollten.49 Aber auch hier muss das Argument Bezug auf eine Idee wie die der Gleichheit vor dem Staat nehmen. Im Falle der Hochzeitstorten kann daher vorgebracht werden, dass eine solche Verweigerung aufseiten der Bäcker zur Stigmatisierung homosexueller Beziehungen beitragen würde. Allerdings findet sich in dieser Überlegung nichts, was ein Menschenrecht auf eine Hochzeitstorte begründen würde. Sollten alle Bäcker auf einen Schlag aus den Vereinigten Staaten verschwinden, würden keinerlei Rechte verletzt. Wir können daher folgern, dass die Religionsfreiheit auch ohne ein Recht auf den größtmöglichen Umfang von Optionen verteidigt werden kann – oder, wie in diesem Fall, ohne ein Recht auf eine Hochzeitstorte.
Ein letzter Punkt: Oberman nennt als Grundlage seiner Zurückweisung eines Rechts auf Ausschluss bestimmte Interessen wie „[das] Treffen persönlicher Entscheidungen und politisches Engagement“. Selbst wenn ich dazu bereit wäre, die erstgenannte Art von Interessen zu akzeptieren, muss ich doch zugeben, dass mich die zweite Art etwas irritiert. Um es einfach auszudrücken: Politik ist kein spaßiger Zeitvertreib und existiert auch nicht allein für das eigene, private Selbstverständnis, sondern beinhaltet notwendig den Einsatz von Zwang gegenüber anderen. Um Cheshire Calhoun zu paraphrasieren: Meine politischen Überzeugungen sind von anderer Art als meine persönlichen Überzeugungen; sie sind Überzeugungen im Hinblick darauf, was wir sein sollten, und nicht im Hinblick darauf, was ich sein sollte.50 Diese unterschiedlichen Arten von Überzeugungen im Kontext der Migration als gleichwertig zu betrachten scheint in meinen Augen zu einer für das Problem ungeeigneten Lösung zu führen. Migration bedeutet, wie Kukathas schreibt, in einer neuen Gesellschaft „anzukommen, zu bleiben und teilzuhaben“. Warum sollten wir ein Recht auf all das haben, wenn der Zweck solchen Handelns in diesem Fall bloß darin besteht, herauszufinden, wie Politik betrieben wird? Migration bedeutet, an einen neuen Ort zu ziehen und ihn zu seinem eigenen zu machen. Es erscheint seltsam, zu glauben, dass wir dieses Recht aufgrund der Bedeutung politischen Handelns haben sollten. Wenn die Grundlage des von Oberman angeführten Interesses grundsätzlich informativer Natur sein sollte, dann halte ich es für ungeeignet, um ein Recht auf Migration zu verteidigen. Wir denken im Allgemeinen nicht, dass ein Recht darauf, in eine Beziehung mit anderen zu treten, mit dem Erlangen von Informationen begründet werden kann. Ich mag ein großes Interesse daran haben, wie Universitäten geleitet werden und aus diesem Grunde auch ein starkes Interesse daran, zu erfahren, wie die University of Miami den Fachbereich Philosophie führt.51 Allerdings scheint nichts davon ausreichend, um mir ein Recht auf eine Stelle an der University of Miami zuzusprechen. Aus der Tatsache, dass meine Anwesenheit in dieser Gemeinschaft mich mit für mich wertvollen Informationen versorgen würde, folgt nicht, dass die derzeitigen Mitglieder dieser Gemeinschaft eine Verpflichtung hätten, mich in ihrem Kreis willkommen zu heißen.