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Sancho Panza

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Die meisten haben ja bestimmt eine Stammdisco oder Stammkneipe. Wir nicht. Ich glaube, aus dem Alter sind wir raus. Es sei denn, ein- bis zweimal pro Jahr irgendwo aufzutauchen macht einen Ort zum „Stamm ... irgendwas“. Anne hat von ihrer Arbeitskollegin gehört, dass ein neues Tanzlokal eröffnet wurde. Tanzlokal! Klingt, als ob man nur mit einem Rollator hereingelassen wird, aber bei „Disco“ denkt man an 16-18 jährige. Wir befinden uns schon jenseits der zwanzig und nähern uns mit verdammt großen Schritten dem nächsten runden Geburtstag, wenn Sie wissen was ich meine. Also ab ins Tanzlokal. Im Inneren angekommen, finde ich es echt super hier. Zum Glück habe ich mir noch schnell Anne´s Schuhe angezogen, statt meine alten Turnschuhe anzulassen. Viele der Mädels sind total aufgebrezelt. Wir erkämpfen uns einen Stehtisch nahe der Tanzfläche. Super Beobachtungsposten! Ich hasse es, wenn ich das Gefühl habe beobachtet zu werden, aber selber gucken macht Spaß. Die Tanzfläche ist schon gut gefüllt, aber wir bestellen uns erst einmal etwas zu trinken bevor wir eine flotte Sohle auf´s Parkett legen. Anne trinkt ihr Glas in einem Zug leer und bestellt sich gleich das nächste. Ich hoffe nicht, dass sie das Tempo den ganzen Abend beibehält, bin aber froh, dass sie nicht mehr diesem Affen nachheult. Jedenfalls im Moment nicht. Heute Abend (oder morgen früh, je nachdem wie lange der Abend heute dauert) vergießt sie bestimmt noch ein paar Tränen, bis sie dann in ein paar Tagen feststellt, dass sie ohne ihn besser dran ist. So langsam erreicht die Musik auch unseren Körper, das heißt, wir wippen schon mal mit den Füßen mit. Ich halte mich noch an meinem Glas fest und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Überall Menschen (klar was sonst, bei Krokodilen wäre ich abgehauen) die miteinander reden, lachen oder tanzen. Vom Alter her gut gemischt, so dass ich mich wohl fühle und nicht wie die Oma, die heute mal Ausgang hat. Mein Blick bleibt auch an einigen Pärchen hängen, die sich küssen oder nur umarmt da stehen. Seufz, ich auch will! Ich schaue weiter nach rechts und werde sofort aus dem Tal der Tränen und des Neides herausgerissen.

„Anne, Pupsi auf drei Uhr!“

„Von dir oder von mir aus?“, lallt sie mir entgegen. Hatte sie doch schon so viel getrunken, oder verträgt sich Rollmops nicht mit Alkohol?

„Anne, wir stehen beide nebeneinander und schauen in dieselbe Richtung, also von uns aus auf drei Uhr.“

„Was, ihr bleibt bis drei Uhr?“ Pupsi hatte uns erreicht, ohne dass wir uns vorher unsichtbar machen konnten. Mist! Pupsi heißt nicht wirklich Pupsi. Sie heißt eigentlich Kotzi. Nein Quatsch, sie heißt Karin, aber wir nennen sie Pupsi, weil sie die meiste Zeit nur Sch... von sich gibt. Ich glaube jeder kennt eine oder einen Pupsi. Jemanden, der den ganzen Tag reden kann und am Abend doch nichts gesagt hat. Der sich ständig in den Mittelpunkt stellen muss, alles besser weiß, besser kann und immer höher und weiter springt als alle anderen. Dabei weiß jeder „normale Mensch“, dass eine oder ein Pupsi gar nicht so toll ist, denn wenn man mal genau hinhört, dann widersprechen sie sich auch noch oft. Das liegt wohl daran, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen und irgendwann selber nicht mehr wissen, was sie mal gesagt haben. Unsere Pupsi ist schon immer so nervig. Aber seit sie ein paar Kilo abgenommen hat, denkt sie, sie ist die Größte. Sie stolziert vor allen herum, als wäre es für jeden erstrebenswert in Größe 42 zu passen und soo einen Po zu haben. Gut, wenn man vorher Größe 46 hatte ist das schon bewundernswert, aber sie meint jetzt Modellmaße zu haben und würde am liebsten nackt herumlaufen. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Hut ab vor jedem der es schafft sein Gewicht so zu reduzieren, ohne sich den Finger in den Hals zu stecken, aber dann so damit anzugeben, finde ich blöd. Ich meine, was musste sie dafür alles für Opfer bringen? Bestimmt hat sie nur noch Salat und Krautrouladen aus Rosenkohl gegessen. Und ganz bestimmt keine Schokolade, Kuchen und andere Stimmungsaufheller. Das würde auch ihre ständige schlechte Laune erklären. Es heißt doch „Hunger macht garstig“ oder war es „Sauer macht lustig?“ Und dann noch die Sache mit dem Sport. Ohne mich! Wenn mein Alltag so aussieht, dass ich hungrig Sport machen soll, nein danke. Ich habe aber zum Glück gute Gene, ich kann essen was ich will und passe immer in eine Größe 38 oder 40. Bis jetzt funktioniert mein Stoffwechsel noch gut, aber Sie wissen schon, das Alter! Vielleicht muss mir eine gertenschlanke Pupsi eines Tages Ratschläge geben, wie ich aus meiner Birnenfigur wieder etwas Ansehnliches machen kann. Vielleicht eine Banane, nur nicht so krumm, wenn´s geht. Oder einen Pfirsich, obwohl mir meine runden Knie schon reichen, aber eine Pfirsichhaut im hohen Alter, das wäre doch etwas. Möglichst an Stellen meines Körpers, die meine Mitmenschen noch sehen. Was nützt mir ein Pfirsichhautpopo den nur mein Arzt zur jährlichen Darmspiegelung sieht. Im Moment genieße ich noch meine Süßigkeiten und wenn ich Pickel davon kriege, geht das fast noch als Pubertät durch. Ha! Schön wär´s!

Pupsi´s Mund bewegt sich zwar die ganze Zeit als sie an unserem Tisch steht und es kommen bestimmt auch Töne dazu heraus, aber ich sehe sie nur an und höre gar nicht richtig zu. Ich hänge einfach meinen Gedanken nach. Dann fällt mir auf, dass Anne nicht mehr da ist.

„Hast du Anne gesehen?“, frage ich Pupsi und bin wieder voll im Jetzt und Hier.

„Ja, die tanzt da drüben“, unterbricht sie ihren Monolog und zeigt in Richtung Tanzfläche.

„Oh, ich gehe lieber mal zu ihr“, ergreife ich meine Chance Pupsi zu entkommen. „Ihr geht’s heute nicht so gut“ und schon bin ich weg, meiner Freiheit entgegen. Ich höre noch ein „Was hat sie denn?“ hinter mir, tue aber so, als hätte ich nichts gehört. Bei Anne angekommen, stürze ich mich gleich ins Tanzgeschehen. Man, ist das lange her. Ich bewege mich bestimmt total hölzern, das ist mir aber völlig egal. Mir geht es im Moment richtig gut. Im Gegenteil zu Anne. Ich glaube, ihr ist es irgendwie schlecht. Sie hält sich den Magen und signalisiert mir, dass sie zum Tisch zurückgeht. Ich folge ihr.

„Kannst du mir ein Glas Wasser besorgen?“, fragt sie. „Klar, kein Problem, warte hier“ und schon dränge ich mich durch die Menschenmenge zur Bar. Dort angekommen, brülle ich über die Theke „Ein Wasser bitte“, wow wie cool. Irgendeinen exotischen Drink zu bestellen, wäre jetzt wahrscheinlich cooler. Der Barkeeper grinst mich an und ich warte auf mein Wasser. Plötzlich drängt sich ein Typ neben mich und fragt „Hey Süße, glaubst du an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich nochmal rein kommen?“ Würg! Ich weiß nicht, ob ich lachen oder verschwinden soll. Da ich noch auf mein Wasser warte, was ja soo schwierig ist ins Glas zu füllen, kann ich nicht wortlos flüchten.

„So oft kannst du gar nicht rein und raus rennen, bis bei mir erst mal eine Wimper zuckt.“ Was Besseres ist mir nicht eingefallen. Der Typ lacht, er hat wohl nicht kapiert das ich null Interesse habe. Er labert mich einfach zu und langsam glaube ich, der Barkeeper steckt mit ihm unter einer Decke. Er hält die Mädels hin, indem er ihre Getränke langsam fertig macht und Sancho Panza kann seine einstudierten dummen Sprüche klopfen. Endlich, mein Wasser. „Ich bin dann mal weg“, sage ich und verschwinde im Menschenmeer. Dachte ich zu mindestens. Bei Anne angekommen, hängt mir der Typ doch tatsächlich noch im Rücken.

„Ich wollte doch nur Wasser und du bringst mir auch noch einen Kapitän“, lacht sie leicht angetrunken. Sancho Panza fühlt sich eingeladen und stellt sich mit an unseren Tisch. Keine Ahnung was die beiden sich zu erzählen haben, aber da er Anne zum Lachen bringt, ist mir alles recht. Ich schaue gelangweilt durch den Saal und bleibe an einem Augenpaar, welches mich beobachtet, hängen. Der Barkeeper lächelt mich schon wieder an. Ich weiß nur nicht, ob es ein „Du gefällst mir“ Lächeln oder ein „Scheiße, ihr habt den Typ am Hals“ Lächeln ist. Ich reiße mich leicht errötet von seinem Blick los. Anne fängt plötzlich wie verrückt zu husten an. Sie hat sich wohl vor lauter lachen verschluckt. Vielleicht täuscht sie aber auch nur ihren Tod vor, um Sancho Panza zu entkommen. Sie hat schon Tränen in den Augen vor lauter Husten- und Röchelgeräuschen. Langsam mache ich mir Sorgen. Gerade als ich eingreifen will, übergibt sie sich auf Sancho´s Hemd. Voll in den Ausschnitt. Er trägt sein Hemd natürlich leicht geöffnet. Ich möchte eigentlich nicht genauer hinsehen, aber das ist wie bei einem Unfall: man will nicht hinsehen, kann aber auch nicht wegsehen. Also, ich schaue mir die Sauerei aus sicherer Entfernung an. Eines kann ich aber genau erkennen, Anne hat den Typen Rollmöpse in den Ausschnitt gekotzt. Er hatte sich bei „Baby, zeig mir deine Möpse“ sicherlich etwas anderes vorgestellt. Nach tausend Entschuldigungen von Anne und einen hochroten Kopf meinerseits, verlassen wir fluchtartig den Ort des Geschehens. An der frischen Luft geht es Anne schnell wieder besser und wir fahren lachend nach Hause. Den entsetzten Gesichtsausdruck des voll gekotzten Heinis werde ich so schnell nicht wieder vergessen. Das hat er jetzt von seinem Anmachspruch. Strafe muss sein. Der überlegt sich jetzt bestimmt zweimal, wen er anspricht und wen nicht. Wenig später fallen wir beide ins Bett und Anne murmelt kurz vor dem Einschlafen „Eigentlich war er ganz nett.“ Wie bitte? Sie ist wohl doch betrunkener als ich dachte.

VerSAMt nochmal

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