Читать книгу VerSAMt nochmal - Michelle Hidsidney - Страница 8
Träume
ОглавлениеAm nächsten Morgen werde ich von einem unruhigen Hin- und Hergewälze neben mir wach. Das heißt, wach wäre übertrieben. Ich schaue aus einem halben Auge Richtung Nachbarbett.
„Was ist los?“, frage ich Anne.
„Ich muss auf´s Klo, bin aber zu faul aufzustehen. Ich will noch weiter schlafen“, antwortet sie mit Brummbärstimme.
„Du meinst, so tief und fest wie gerade? Danke, dass du mich daran teilhaben lässt.“
„Wenn ich ganz schnell schlafe, vergesse ich bestimmt, dass ich Pippi muss.“
„Hat ja bis jetzt super funktioniert“, antworte ich mit geschlossenen Augen. “Und wenn ich jetzt ganz schnell weiterschlafe, vergesse ich bestimmt, dass ich eine bekloppte Freundin habe.“
„... die natürlich gerade nicht anwesend ist“, meint Anne und steht endlich auf, um auf´s Klo zu gehen. Als sie sich wenig später wieder ins Bett fallen lässt, hoffe ich, noch ein wenig Schlaf ab zu bekommen. Heute ist schließlich Sonntag! Wie spät ist es überhaupt? Ist mir egal, ich bin noch müde.
„Sam, schläfst du?“, fragt Anne einige Minuten später.
„Ja.“
„Sag mal, geht es dir auch so, dass du immer, egal wo du bist, das letzte Klopapier von der Rolle ziehst und dann eine neue Rolle in den Halter machen musst? Mir passiert das ständig, ist doch komisch, oder?“
„Wenn du sonst keine Probleme hast.“ Die hat doch den Schuss nicht gehört.
„Soll ich schon mal Frühstück machen? Ich glaube ich kann nicht mehr einschlafen, deswegen wollte ich nicht aufstehen. Wenn ich mal aufgestanden bin, ist es vorbei, dann bin ich wach.“
„Danke, ich jetzt auch.“ Ich drehe mich, mit immer noch geschlossen Augen und die Decke fest um mich geschlungen, in ihre Richtung.
„Tut mir leid. Ich halte meine Klappe und lass dich noch schlafen.“ Sie steht auf und schleicht sich aus dem Zimmer. Jetzt bin ich doch wach. Was soll das Geschleiche? Gefühlte 5 Minuten später steht sie wieder auf der Matte.
„Sam, schläfst du?“ Bin ich hier bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“?
„Ja.“
„Frühstück ist fertig“, flötet sie.
„Hmm, komme“, brumme ich zurück und erhebe meine müden Glieder, um ihr in die Küche zu folgen. Ich wohne in einer Zweizimmerwohnung mit großer Küche. Relativ groß. Für einen Ölscheich wäre sie wahrscheinlich noch als Abstellkammer zu klein. Der würde nur seine Uhren in meiner Küche aufbewahren. Fein säuberlich eine neben der anderen. Oder seine Krawatten. Oder nur die Halter für seine Krawatten. Vielleicht aber auch nur das Katzenfutter, wenn er welche hätte. Was fressen eigentlich Kamele?
„Ich glaube, ich brauche erst mal einen Kaffee.“
„Kommt sofort.“
„Wieso bist du eigentlich so gut drauf?“, frage ich Anne, immer noch brummelich.
„Wieso bist du heute so ein Morgenmuffel?“, fragt Anne zurück.
„Keine Ahnung. Ich brauche wohl noch etwas Schlaf, bevor es morgen wieder in die Tretmühle geht. Nicht, dass mir mein Job keinen Spaß macht, aber du weißt ja, meine Chefin.“
„Sam, weißt du was ich gerne machen würde?“, fragt sie mich mit großen Kulleraugen.
„Ja, mit allen zehn Fingern gleichzeitig in der Nase bohren.“ Meine gute Laune kommt zurück.
„Ja, das auch, aber im Ernst und lach mich jetzt bitte nicht aus. Ich möchte gerne Jura studieren.“ Anne schaut mich an wie ein scheues Reh, das den Jäger ansieht und wartet auf eine Reaktion von mir. Mir bleibt erst mal mein Brötchen auf dem Weg zum Mund stehen, ich lege es auf den Teller zurück und kann nur antworten:
„Wow“.
„Mehr fällt dir nicht dazu ein? Glaubst du ich könnte es schaffen?“
„Du kannst alles schaffen. Du bist klug, ehrgeizig und hast ein gutes Abi gemacht. Aber mal ehrlich, so ganz taufrisch sind wir ja beide nicht mehr. Weißt du wie lange es dauert, bis du Anwältin bist?“
„Circa neun Semester, das heißt ungefähr fünf Jahre plus zwei Jahre Referendarzeit“, antwortet Anne wie aus der Pistole geschossen.
„Du hast dich ja schon gut informiert. Hast du auch mal ausgerechnet, wie alt du dann bist? Nichts für ungut. Ich bin ja genauso alt.“
„Ja, habe ich, aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr will ich es machen. Ist doch egal wie alt ich dann bin, wenn es mein großer Traum ist und Kinder kann man heutzutage auch noch später bekommen.“
„Genau und wenn´s eins aus der Babyklappe ist, aber bitte keinen Paul“, scherze ich. „Nein, Anne du hast recht, wenn es dein großer Traum ist, dann mach es. Da wir irgendwann bestimmt bis 70 arbeiten müssen, lohnt sich die Investition noch und eine Anwältin als Freundin zu haben, finde ich richtig cool. Du willst dann aber nicht gefährliche Verbrecher vertreten oder noch schlimmer, einbuchten? Die können nämlich ganz schön ungemütlich werden.“
„Nein, mich interessiert Zivilrecht.“
„Also solche Sachen wie Erbstreitigkeiten und so weiter“, frage ich, wieder fähig nebenbei Nahrung aufzunehmen.
„Ja genau, solche Sachen zum Beispiel.“ Anne wirkt richtig glücklich, als wäre ihr eine Last von den Schultern genommen.
„Wie lange spielst du schon mit dem Gedanken?“, will ich wissen.
„Schon eine ganze Weile. Ich habe aber immer noch geschwankt, ob ich es machen soll oder nicht. Danke, dass du mich unterstützt.“
„Aber nur seelisch und moralisch, finanziell nicht.“
„Nein“, lacht Anne „musst du auch nicht. Ich habe etwas gespart und meine Eltern helfen mir auch noch.“
„Du hast etwas gespart und schenkst mir nur eine nachgemachte Designerhandtasche zum Geburtstag? Dabei hättest du dir auch eine Echte leisten können?“, spiele ich die Empörte.
„Stimmt, das oder mein Jurastudium. Nenne mich egoistisch, aber ich habe mich fürs Studium entschieden.“
„Wann soll es denn losgehen und wo? Musst du wegziehen?“
„Nein, keine Angst, ich bleibe dir erhalten. Weiß noch nicht genau wann es losgeht. Ich muss mich noch erkundigen. Ich wollte nur noch deinen Segen.“
„Ja klar, als wenn du schon jemals auf mich gehört hättest. Ich sage nur Mike.“
„Liebe macht blind, aber wie heißt es so schön `Wer im Glashaus sitzt, ...´.“
„Da hast du Recht Frau Anwältin. Gegen dich habe ich jetzt wohl keine Chance mehr.“
„Erst bin ich mal eine kleine, dumme Studentin.“
„Aah, jetzt kommst du mir wieder bekannt vor. Klein und dumm, kenne ich irgendwoher.“
„So klein bin ich auch wieder nicht“, verteidigt sich Anne.
„Aber jetzt mal zu dir. Gibt es irgendetwas was du gerne mal machen würdest, außer deiner Chefin eins rein zu würgen, meine ich?“
„Naja, wenn du dann Anwältin bist, kannst du ja den Laden auffliegen lassen. Obwohl, bist du soweit bist, ist die Olle wahrscheinlich schon mit den Millionen, die sie unterschlagen hat, über alle Berge, aber du hast dann ja Beziehungen“, lenke ich vom Thema ab.
„Nicht vom Thema ablenken. Ich kenne dich doch Sam. Raus mit der Sprache, was ist es?“
„Bei einer Fastfoodkette am Drive-in-Schalter arbeiten. Du schmeißt denen nur die Tüte ins Auto mit ihren Brötchen, die wie Pappe mit Schmiere schmecken und bekommst dafür noch Geld. Oder nein warte, in Las Vegas am Schalter, wo geheiratet wird. Ja genau, oder als singender Elvis. Das wäre doch lustig.“ Bevor ich mich weiter meinen Fantasien hingeben kann, unterbricht mich Anne mit einem warnenden Unterton, als hätte ich etwas ausgefressen.
„Saaam, du verschweigst mir doch etwas?“
„Stimmt, ich wäre gerne Domina, Kerle verkloppen und dafür noch bezahlt werden.“
„Ist das dein ernst?“, fragt Anne entsetzt.
„Nein, natürlich nicht. Ich wäre statt Domina lieber Domino. Süß und lecker mit etwas Marzipan.“
„Du spinnst. Jetzt sag schon ehrlich, was du gerne machen möchtest.“
„Also abgesehen davon, dass ich Tom wieder sehen möchte, würde ich gerne mal ein Buch schreiben. So, jetzt ist es raus.“
„Ein Buch? Über Tom reden wir noch. Ein Buch schreiben, wow. Über was? Blondinenwitze?“
„Hey, gar keine schlechte Idee. Meine kleine Nachbarin fragte mich letztens `Sam, warum geht eine Blondine nackt in den Garten?`, na weißt du es? Damit die Tomaten rot werden. Ist doch süß, oder? Der Anfang wäre gemacht.“
„Wird bestimmt ein Bestseller“
„Garantiert.“
„Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, um was es in deinem Buch gehen soll?“
„Ja, Freundschaft, Liebe, ... solche Sachen.“
„Komme ich darin vor?“ Anne sieht mich voller Hoffnung an.
„Willst du denn darin vorkommen?“, frage ich.
„Nur wenn ich gut abschneide.“
„Vielleicht schreibe ich ja über Außerirdische, die eine verrückte Dunkelhaarige mit auf ihren Planeten nehmen, um die Menschheit zu erforschen.“
„Lass mich raten, die verrückte Dunkelhaarige bin ich?“
„Genau, wie sagtest du letztens, als wir in den Regen kamen und deine Schuhe nass wurden? `Meine Schuhe sind wie ich, nicht ganz dicht, aber hübsch anzuschauen.´ Ich denke, nach diesem Verfahren suchen Außerirdische ihre Opfer aus.“
„Super, ich wollte schon immer mal mit grünen Männchen reden.“
„Glaubst du, die wollen nur mit dir reden? Die dringen erst mal in dein Hirn ein und dann wahrscheinlich noch in alle anderen Körperöffnungen.“
„Sam, höre auf, ich bekomme sonst Angst.“
„Es ist helllichter Tag.“
„Irgendwann wird es aber wieder dunkel und wenn du mir Angst machst, schlafe ich öfter bei dir. Willst du das?“
„Alles, bloß das nicht.“
„Schreibe dein Buch, versuche es auf jeden Fall. Mehr, als dass es nicht veröffentlicht wird, kann doch nicht passieren.“
„Super, ich schreibe mir Nächte lang die Finger wund, damit es der Typ aus dem Verlag in den Müll schmeißt. Vielleicht sogar ungelesen. Tolle Motivation.“
„Dann schickst du es eben zum nächsten Verlag. Irgendeiner wird es schon drucken.“
„Und wenn nicht, hole ich meine Freundin die Anwältin und die verklagt dann alle.“
„Rischdisch.“ (für alle die beim Lesen dieses Wortes Schwierigkeiten haben, hier nochmal auf hochdeutsch RICHTIG)
„Weißt du, mir fehlt der rote Faden. Ich habe keine Geschichte im Kopf. Ich kann doch nicht einfach drauf los schreiben.“
„Wieso nicht? Du schnatterst doch auch einfach drauf los, ohne zu wissen, wie es ausgeht. Fang einfach an zu schreiben, das kommt dann bestimmt von ganz alleine. Wenn du Kindern eine ausgedachte Geschichte erzählst, weißt du dann schon wie sie endet?“
„Nein, das fällt mir erst beim Erzählen ein.“
„Siehst du, genau so ist das bestimmt mit dem Schreiben, fang einfach an, der Rest ergibt sich dann von alleine.“
„Du hast Recht, ich sollte es echt probieren.“ Voller Motivation stopfte ich mir meinen letzten Bissen in den Mund. „Du musst jetzt gehen, ich muss schreiben“, kaue ich zu Anne hinüber.
„So schnell wirst du mich nicht los. Wie war das mit Tom und gerne wieder sehen?“ Ich wusste doch, dass sie nochmal nachhakt.
„Ich sehe ihn doch sowieso wieder, ob ich will oder nicht, bei der Hochzeit. Schon vergessen?“
„Nein, nicht vergessen. Aber du freust dich darauf, stimmt doch? Oder nicht?“
„Ja Frau Richterin, ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage. Ich freue mich Herrn ..., wie heißt er eigentlich weiter?, Herrn Tom wieder zu sehen. Ja, ich werde mich aufmotzen und ja ich werde ihn nicht abweisen, aber vielleicht weist Tom mich ja zurück, dann komme ich auf dich zurück.“
„Gut zu wissen, dass ich deine erste Wahl bin.“
„Ich freue mich wirklich auf die Hochzeit. Wann kann man sich schon mal so festlich anziehen? Und zu wissen, dass ein gut aussehender Mann auf einen wartet, sind doch tolle Aussichten.“
„Meinst du, Nicole denkt dasselbe von ihrem Mann?“
„Geschmäcker sind zum Glück verschieden. Ja ich denke sie ist glücklich. Ich wünsche es ihr jedenfalls.“
„Und wer wartet auf mich?“ Anne spielt die Traurige.
„Irgendeinen Typen vom Partyservice werden wir schon für dich auftreiben.“
„Schöne Aussichten“, seufzt sie.
„Wieso, wahrscheinlich ist es ein Jurastudent, der sein BAföG mit Nebenjobs aufstockt. Dann könnt ihr euch während der wilden Knutscherei übers Studium austauschen.“
„Wilde Knutscherei klingt gut, wenn nicht, komme ich auf dich zurück.“ Mit einem Augenzwinkern steht Anne auf und räumt den Tisch ab.
„Wenn du immer so fleißig bist, wird es vielleicht noch was mit uns beiden. Aber eins sage ich dir, zu unserer Hochzeit trage ich das Kleid, was du anziehst ist mir egal.“
„Welch liebreizendes Persönchen du doch bist. So einfühlsam und denkst immer an das Wohl anderer Menschen.“
„Tja, so bin ich. Kann nicht aus meiner Haut.“
Wir verbringen den restlichen Sonntag noch mit viel lachen und necken uns gegenseitig mit unseren Zukunftsplänen, wobei wir den anderen aber auch immer wieder Mut machen, seine Träume zu verwirklichen. Und hey, wenn Sie gerade mein Buch lesen, dann habe ich meinen zumindest wahr gemacht. Okay, vielleicht habe ich nur dieses eine Buch verkauft, welches Sie gerade lesen (das zweite habe ich selbst gekauft), aber immerhin, es wurde gedruckt und steht eventuell in einer Buchhandlung. Meinen Kindern kann ich dann sagen, die Mama hat mal ein Buch geschrieben. Als Antwort bekomme ich dann wahrscheinlich von einer Tochter zum Beispiel: „Der Kevin schreibt auch viel, immer diese Zettel, willst du mit mir gehen, ja, nein, vielleicht.“ Tochter, ich hoffe du kreuzt nein an, wenn Kevin nicht mal den Mut hat dich persönlich zu fragen, ob du seine Freundin sein möchtest, dann taugt er nicht viel. Ist doch egal, ob er erst sieben ist. Arsch in der Hose hat man, oder eben nicht und Kevin hat ihn definitiv nicht. An alle Kevins da draußen, traut euch Mädchen anzusprechen. Irgendwann ist eine dabei, die euch toll findet. Die Körbe vorher müsst ihr leider einstecken. So ist das Leben. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Manchmal muss man eben erst viele Frösche küssen, bis der oder die Richtige dabei ist. Wenn man es sich aber gar nicht erst traut, dann endet man noch in einer Fernsehkuppelshow. Die Guten sind nämlich im wahren Leben schnell weg, also ran an die Buletten.