Читать книгу VerSAMt nochmal - Michelle Hidsidney - Страница 6
Badespaß
ОглавлениеAnne braucht ein paar Tage, um sich von ihrem Liebeskummer und der Kotzerei zu erholen. Es ist Donnerstagabend und ich will mich gerade mit dem Telefon in eine Badewanne voller Schaum gleiten lassen, um sie anzurufen, als das selbige klingelt. Telepathie? „Anne?“, rufe ich in den Hörer, während ich meinen geplagten Körper ins heiße Nass flutschen lasse. Geplagter Körper deswegen, weil ich eigentlich ständig Rücken- und Nackenschmerzen habe. Mein Physiotherapeut meint, ich hätte eine schlechte Haltung. Wie eine Schildkröte. Kopf und Nacken immer leicht nach vorne geneigt. Wenn ich aber meinen Kopf nach hinten schiebe, also in die „richtige“ Position, habe ich ein Doppelkinn. Finde ich jedenfalls. Also ein Teufelskreis: entweder Doppelkinn oder Rückenschmerzen. Da man Rückenschmerzen nicht sieht, ein Doppelkinn aber schon, entscheidet mein Unterbewusstsein, lieber leicht krumm zu laufen, als scheiße auszusehen. Gutes Unterbewusstsein. Obwohl, jetzt wo ich es schreibe, krumm zu laufen sieht auch nicht wirklich toll aus. Okay, ich werde mich bemühen, das alte Sprichwort „Brust raus, Bauch rein“ zu verinnerlichen. Ich fühle mich dann zwar wie eine eingebildete Schnepfe, die ihre Nase gern hoch trägt, kann aber immer mal meinen Schildkrötenhals zum Einsatz bringen, um das Ganze aufzulockern. Ich habe auch schon einige Kurse mitgemacht, die eine bessere Haltung und weniger Rückenschmerzen versprechen. Das Problem ist nur, dass ich die Übungen sehr unregelmäßig zu Hause wiederhole. Meistens erst dann, wenn die Schmerzen schon zu ausgeprägt sind und ich in dem Irrglauben bin, mit einer einmaligen Turnübung wird es mir wieder gut gehen. Apropos Turnübung. Haben Sie schon einmal Yoga gemacht? Ich schon. Ein Yogakurs mit meiner Kollegin. Ich habe mich vorher nie mit Yoga beschäftigt, wusste also nicht, was auf mich zukam. Unsere Yogalehrerin kam sehr spirituell daher, leichten Fußes mit Matte, Handtuch, Kerze und einem Glas, an das sie mit einem Stab schlug. Natürlich nur ganz sanft, dass es zu klingen anfing, nicht mit voller Kraft, als würde es gleich in tausend Stücke zerfallen. Das wäre eigentlich ziemlich witzig gewesen, obwohl ich dann ins Zweifeln gekommen wäre, ob ich bei Yoga oder bei einer Kampfsportart gelandet bin. Jedenfalls turnten wir lustig darauf los, ließen Arme baumeln und warfen sie in die Höhe, um sie dann geräuschvoll wieder fallen zu lassen. Bei jedem Stöhnen der Yogalehrerin musste ich mir das Lachen verkneifen und sah heimlich zu meiner Kollegin hinüber, die sich in voller Hingabe auf die Übungen konzentrierte. Ich sah mich im Raum um und merkte, dass ich die Einzige war, die sich vor unterdrücktem Lachen fast in die Hose machte. Nach einer geräuschvollen Aufwärmphase durften wir uns auf die Matten legen und ich dachte, jetzt wird es bestimmt unlustiger und ernster. Für die anderen war das auch so, aber für mich wurde es noch schlimmer: Übungen mit Namen Taube, Schmetterling, kleiner und großer Hund (oder war es Bär?) machten es mir sehr schwer, mich zu konzentrieren. Das soll entspannen? Ich fühlte mich noch nie so verknotet wie bei diesen Übungen. Als dann eine ältere Dame neben mir vor lauter Ent- oder Anspannung einen fahren ließ und so tat, als wenn es zur Übung gehörte, gab es für mich kein Halten mehr. Ich fiel aus meiner Hundeposition in die Kleine-Kinder-Lachposition und ließ meinen Lachtränen freien Lauf. Was hatte ich schon zu verlieren? Hier wollte ich eh nicht wieder her. Ich presste immer wieder ein „Tschuldigung“ hervor, während ich schnell meine Sachen einpackte und verschwand. Den Sonnengruß am Ende werde ich wohl verpassen. Für alle die Yoga lieben, es tut mir Leid, werfen Sie mein Buch nicht in die Ecke, aber für mich ist das nichts. Machen Sie ruhig weiter, wenn es Ihnen gut tut. Jedem das Seine. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber zum Zahnarzt gehen und das will etwas heißen!
„Nein mein Schatz, Mama hier.“ Mama hier? Wo? Ah, am Telefon.
„Hallo Mama, was gibt’s?“
„Wartest du auf einen Anruf von Anne? Ich will dich nicht stören.“
„Nein, nein Mama, alles gut. Bei dir und Papa alles in Ordnung?“
„Du kennst ja deinen Vater“, seufzt sie. „Er lässt seine Finger lieber über die Computertastatur gleiten als über mich. Also ja, alles wie immer.“
„Mama, so genau wollte ich es gar nicht wissen, aber schön, dass wir darüber gesprochen haben. Vielleicht solltest du dir mal eine Computertastatur auf den Körper malen lassen. Nein, Schluss jetzt, antworte mir nicht, sonst beginnt mein Kopfkino und ich glaube kein Kind der Welt, egal wie alt, möchte diese Bilder seiner Eltern vor Augen haben. Auch nicht vor dem inneren.“
„Sam, mit wem soll ich denn sonst darüber reden, wenn nicht mit meinen Kindern? Es geht doch sonst niemanden etwas an.“
„Wie wäre es mit Papa? Das wäre doch die einfachste Art das Problem anzugehen?“
„Naja, mal sehen“, antwortet sie leicht niedergeschlagen, “eigentlich müsste er doch wissen, dass mich dieses Computergehocke nervt. Ich würde so gerne mal wieder einfach nur Kaffee trinken gehen oder du weißt schon ...“
„Mama“, unterbreche ich sie schnell „bitte keine Details.“
„Gut mein Schatz“, lacht sie „ich wollte dich eigentlich nur an den Polterabend deiner Cousine am Samstag erinnern.“
„Habe ich schon längst abgespeichert und eingeplant. Meinst du, ich könnte noch jemanden mitbringen?“
„Sam“, ihre Stimme überschlägt sich fast „hast du jemanden kennen gelernt?“
„Mama, ich lerne ständig jemanden kennen, aber niemanden, der Schwiegersohn tauglich ist. Also krieg dich wieder ein. Nein, ich meine Anne. Du weißt doch, sie hat sich von ihrem Freund getrennt, also eigentlich er von ihr. Jedenfalls könnte ihr etwas Ablenkung gut tun.“
„Schatz, meinst du ein Polterabend ist das Richtige für sie? Ein glückliches Brautpaar ist bestimmt das letzte was sie jetzt sehen möchte“
„Wieso, welches glückliche Brautpaar kommt denn?“, scherze ich.
„Sam“, ermahnt mich meine Mutter, um dann besänftigt hinzuzufügen „bring Anne ruhig mit. Ich glaube nicht, dass Nicole etwas dagegen hat. Vielleicht lernt ihr zwei ja noch ein paar nette Männer kennen, man weiß ja nie, wen man auf solchen Festen alles kennen lernt.“
„Da ich mit mindestens der Hälfte der Gäste verwandt bin, wird sich die Ausbeute wohl in Grenzen halten.“
„Vielleicht kommen ja ein paar nette Freunde von Paul.“
„Also erstens glaube ich nicht dass er überhaupt Freunde hat und zweitens bestimmt keine netten“, antworte ich entrüstet.
„Wenn er so ein Ekel wäre, würde ihn Nicole doch nicht heiraten, meinst du nicht auch?“
„Ich sage nur Tick Tack.“
„Wie meinst du das, mögen sie beide Pfefferminz?“
„Oh Mama, ich meine die biologische Uhr von Nicole tickt. Sie wünscht sich doch Kinder, oder nicht?“ Langsam wird mein Badewasser kalt.
„Ja natürlich wünscht sie sich Kinder, aber glaubst du sie lieben sich nicht?“
„Doch, doch bestimmt. Vergiss es einfach. Aus mir spricht wahrscheinlich nur der pure Neid, aber ich gönne Nicole ihr Glück. Ich mach jetzt Schluss Mama, mein Wasser wird langsam kalt. Grüß Papa von mir, wir sehen uns am Samstag. Hab euch lieb.“
„Wir dich auch. Bis in zwei Tagen. Schlaf gut, mein Schatz.“
„Ja, du auch. Bis dann.“ Wir geben uns noch Luftküsse übers Telefon, dann legen wir auf. Ich liebe meine Mutter. Natürlich auch meinen Vater. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber meine Mama ist wohl die Beste der Welt. Das denken wahrscheinlich viele von ihren Müttern, aber ich höre auch oft von Freundinnen und Bekannten, dass sie ein problematisches Verhältnis zu ihren Müttern haben. Ich stelle mir das schrecklich vor, sich ständig mit seiner Mama zu streiten. Mütter sind auch nur Menschen, die Fehler machen. Es heißt zwar: „Wenn Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind gib ihnen Flügel“, aber das mit den Flügeln ist für die meisten Mütter sicherlich ein Problem. Wir sind in ihnen gewachsen, wir sind ein Teil von ihnen und glaubt mir, sie lieben euch, auch wenn sie es manchmal auf eine verschrobene Art und Weise zeigen. Sie müssen euch lieben, ihr seid ihre Altersvorsorge! Und ihr liebt sie auch. Also nehmt eure Mama´s das nächste Mal, wenn ihr sie seht, in eure Arme und sagt ihnen, dass ihr sie lieb habt, auch wenn sie manchmal nerven, denn irgendwann sind sie nicht mehr da und dann ist es zu spät. Man streitet sich so oft wegen Nichtigkeiten, dabei gibt es doch wirklich wichtigere Dinge im Leben. Wie schnell kann alles vorbei sein und man sieht einen geliebten Menschen nie mehr. Damit meine ich nicht, wenn „Friends“ eingestellt wird und wir auf Joey verzichten müssen. Ihr wisst schon, die schlimmen Sachen: Tod, Krankheit, Koma, ... Vielleicht nicht in der Reihenfolge, aber denkt mal darüber nach und dann: an die Telefone, fertig, los. Da wir gerade übers Telefonieren sprechen, ich wollte ja Anne anrufen.
Mittlerweile habe ich es mir auf meinem Sofa im warmen Bademantel gemütlich gemacht und wähle Annes Nummer.
„Hi Schnecke“, begrüßt sie mich, ohne dass ich ein Wort gesagt habe. Das Wunder der Telefonnummernerkennung.
„Was wäre, wenn dich mein heißer Lover von meinem Telefon aus angerufen hätte und du begrüßt ihn mit ´Hi Schnecke`, das würde doch seine Männlichkeit enorm kränken“, stänkere ich.
„Erstens wüsste ich von deinem heißen Lover und zweitens wieso sollte er mich anrufen?“
„Um dir zu sagen, dass du die heißeste und schönste Freundin der Welt hast“, lache ich.
„Aber das weiß ich doch auch so mein Herzblatt“, flötet Anne „dafür brauche ich doch keinen Typen.“
„Na wenn das so ist Zuckerpuppe, dann hast du ja bestimmt nichts dagegen, mich am Samstag zu einem Polterabend zu begleiten.“
„Ich finde, wir sollten uns erst noch besser kennen lernen, bevor wir uns auf ewig binden“, spinnt Anne mit.
„Darling, ich bestehe auf einen Antrag. Ich bin nicht so leicht zu haben, ein paar nette Worte und ab zum Poltern. Spaß beiseite, hast du Lust mit mir zum Polterabend meiner Cousine zu gehen? Du hast sie mal bei meinem Geburtstag kennen gelernt, Nicole.“
„Ah, die mit dem reizenden Freund“, fällt bei Anne der Groschen. „Er ist nicht mehr ihr Freund ...“, bevor ich weiter sprechen kann, fällt sie mir ins Wort:
„Na Gott sei Dingelchen, der war ja eine echte Plage ...“
„Anne“, unterbreche ich sie „er ist jetzt ihr Bräutigam.“
„Ach du Scheiße, tut mir Leid.“
„Kein Problem, du hast ja Recht. Zum Glück müssen wir ihn ja nicht heiraten. Die Hauptsache ist, dass sie glücklich mit ihm ist. Wir machen uns einfach einen schönen Abend, was hältst du davon?“, frage ich sie.
„Klingt ganz lustig, warum nicht“, antwortet Anne.
„Meine Mutter hat die Hoffnung, wir finden vielleicht unseren Traummann auf diesem Event. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt“, klugscheiße ich.
„Hast du ihr nicht gesagt, dass du gefunden werden willst?“, meint Anne mit einem spöttischen Unterton.
„Du wirst schon sehen, der Richtige wird mich finden und wenn ich dafür vorher noch ein paar Frösche küssen muss, was soll´s, dann trainiere ich wenigstens noch meine Kusskünste und kann dann bei Mr. Right mit Perfektion glänzen“, träume ich.
„Na dann, lass uns die Männerwelt aufmischen.“ Anne scheint wirklich über Mike hinweg zu sein.
„Alles klar, bis dann“, beende ich unser Gespräch und gehe ins Bett, um ein paar Minuten später schon tief und fest zu schlafen wie ein Baby.