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Schweinerei
ОглавлениеDer Tag des Polterabends beginnt mit einem sonnigen Morgen. Es ist Ende August und das Wetter meint es gut mit uns. Nach einem ausgiebigen Frühstück beschäftige ich mich mit der Frage „Was ziehe ich an?“. Meine Blicke und Hände durchstreifen meinen Kleiderschrank von oben bis unten und wieder zurück, um dann festzustellen, dass wie immer nicht das Richtige dabei ist. Hätte ich auch schon mal früher daran denken können, mir etwas zu überlegen. Ich finde eine knackige schwarze Hose und eine passende Corsage in schwarz und cremefarben dazu. Noch ein paar schwarze hohe Schuhe und fertig ist das Outfit. Beim Anprobieren fällt mir auf, dass nur noch ein paar Hasenohren und ein Buschelschwanz fehlen und ich würde als Playboybunny durchgehen. Es sieht super aus und ich fühle mich wohl darin, also werde ich es heute Abend tragen. Ich räume noch ein wenig meine Wohnung auf und trödle durch den Tag, bevor ich mit meinem Dusch-, Rasier- und Stylingprogramm beginne. Wieso betreibe ich eigentlich so einen Aufwand? Meiner Mutter ihre Worte klingen wohl doch noch im Hinterhalt: “Vielleicht lernt ihr ja ein paar nette Männer kennen.“ Ein netter Mann würde mir schon reichen und da man ja nie wissen kann, wer einem so über den Weg läuft, gehe ich mal auf Nummer sicher und bin vorbereitet. Bevor ich Anne abhole, schnappe ich mir noch schnell das alte Geschirr, welches ich, in Absprache mit meinen Kollegen und der Chefin, aus dem Büro mitnehmen durfte. Nicht dass Sie denken, ich klaue heimlich Kaffeetassen aus der Arbeitsküche. Da wir aber immer wieder neue Tassen von Kunden als Werbegeschenke bekommen und selbst auch eigene in Auftrag geben, haben sich im Laufe der Jahre einige angesammelt und ich durfte die alten mitnehmen. Ich arbeite in einem Büro bei einem Radiosender, aber bevor Sie jetzt vor Begeisterung ausflippen, so toll ist es da nicht. Ich wollte schon öfter kündigen, da meine Chefin eine Tyrannin ist. Das oder sie ist schizophren und weiß es nur noch nicht. Da ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aber super verstehe, habe ich das mit der Kündigung immer wieder vor mir hergeschoben. Solange das Team zusammen hält, hält man auch eine intrigante Chefin aus, die lieber in die eigene Tasche wirtschaftet, als sich für ihre Mitarbeiter einzusetzen. Nach dem Motto “Jeder bekommt was er verdient“, hoffe ich und harre aus, dass sie sich irgendwann einmal zu weit aus dem Fenster lehnt und auffliegt und wir dann einen neuen Chef bekommen. Schlimmer kann es wirklich nicht mehr kommen, es kann nur noch besser werden. So, jetzt aber los, Anne wartet bestimmt schon.
„Wie kann man nur zum eigenen Polterabend im Unterhemd erscheinen?“ Anne ist entsetzt, als wir wenig später am Ort des Geschehens erscheinen. Nicht das Sie denken meine Cousine trägt nur ein Unterhemd, sie sieht wunderschön aus. Ihr Bräutigam ist derjenige, der Anne und mir die Schamesröte ins Gesicht treibt. Kennen Sie das Gefühl von Fremdschämen? Genau dieses Gefühl erfasst gerade unsere Körper und wird ihn voraussichtlich den ganzen Abend auch nicht wieder verlassen. Nicole und Paul fegen fleißig das zerschlagene Geschirr zusammen. Eigentlich fegt hauptsächlich Nicole mit einem glücklichen Gesichtsausdruck die Scherben, während Paul die meiste Zeit an seinem Besen lehnt und lautstarke Weisheiten von sich gibt. Er hatte wohl schon einiges an Alkohol in sich hinein geschüttet, das würde erklären, wieso er sich laut rülpsend in unsere Richtung dreht.
„Wir grüßen dich auch, Paul“, rufe ich in seine Richtung.
„Oh, entschuldigt bitte, die gebückte Haltung tut meinem Magen anscheinend nicht gut“, antwortet er und kommt auf uns zu. Bei seiner Begrüßungsumarmung riechen wir aus seinem Mund den Übeltäter und es ist nicht der Besen. Nicole hat uns mittlerweile auch entdeckt und begrüßt uns freudestrahlend ebenfalls mit einer herzlichen Umarmung.
„Schön das ihr da seid“, sagt sie.
„Danke dass ich mitkommen durfte“, antwortet Anne aufrichtig. Ich glaube, sie freut sich wirklich. Wer will schon Mr. Coolman verpassen?
„So, jetzt lasst uns aber mal etwas für euer Glück tun“ und mit einem beherzten Wurf entledige ich mich meiner mitgebrachten Tassen. Anne wirft ihr altes Geschirr auch auf den Boden und ich habe das Gefühl, es tut ihr richtig gut.
„Hey Schatzi, hätte ich gewusst, dass es dir so eine Freude macht, hätte ich noch schnell ein paar Kartons billige Service gekauft, oder ein altes Klobecken aufgetrieben.“ Bevor Anne antworten kann, kommt wie auf Bestellung ein Klobecken daher. Ein paar laut grölende Kumpels von Paul bahnen sich den Weg zur „Abwurfstelle“, um dem armen alten Toilettenbecken den Rest zu geben. Wir springen zur Seite um nichts ab zu bekommen und schauen aus sicherer Entfernung dem Treiben zu. Bilde ich mir das nur ein, oder schaut wirklich einer von denen ständig in unsere Richtung, während das Becken in immer kleinere Stücke geschlagen wird? Ich tue so, als würde ich es nicht merken und gehe mit Anne auf Begrüßungstour. Ich liebe meine Familie. Sie ist so schön chaotisch und trotzdem herzlich. Ich habe eine Menge an Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen. Irgendetwas ist immer los, es wird getratscht, gestritten, versöhnt und gefeiert. Meine Mutter hat sechs Geschwister, mein Vater drei. Hatten die früher keine anderen Hobbys oder haben sie die Pille in die verkehrte Öffnung gesteckt? Gab es damals überhaupt schon die Antibabypille? Kann man trotz Pille schwanger werden? Und das vier oder fünf Mal hintereinander? Fragen über Fragen! Für die Kinder war es bestimmt toll so aufzuwachsen, aber die armen Eltern. Die Berge an Wäsche und Töpfen ist unvorstellbar. Stellen Sie sich die Kindergeburtstage vor, wenn dann noch Freunde eingeladen wurden. Hut ab vor der Leistung, so viele Kinder groß zu ziehen und sich dann auch noch ihre Namen zu merken! Welches Kind hat wann welchen Termin und vor allem wo? Oder mussten immer alle mit, damit das Richtige auf jeden Fall dabei war? Ich glaube, ich würde durchdrehen. Ich möchte zwar auch Kinder, aber höchstens zwei, alles andere würde mich gnadenlos überfordern. Ich wäre dann eine von den Müttern, die ihre Kinder am Straßenrand stehen lassen und den ganzen Tag das Gefühl haben, irgendetwas vergessen zu haben.
Anne und ich gehen von einem Familienmitglied zum nächsten, Bussi hier, Bussi da, Smalltalk, man sieht sich, weiter. Die Leute, die ich nicht kenne, welche dann ja zu Paul´s Verwandtschaft gehören müssen (das, oder es hat sich herum gesprochen, dass es hier Essen für lau gibt), grüßen wir mit einem kurzen aber freundlichen „Hallo“. Man sind das viele. Manchen Familien müsste die Fortpflanzung verboten werden. Gut, Paul´s Eltern konnten ja nicht wissen, dass so etwas dabei herauskommt und wenn das Kind mal da ist, ist es für die Abtreibung ja auch zu spät, aber es gibt doch auch Babyklappen? Wenn der sich aber mal fest gesaugt hat, lässt er vermutlich nicht mehr locker. Wie kann ein einzelner Mensch so viel labern? Ohne Punkt und Komma. Wie hält Nicole das nur aus? Sie ist zwar eher der ruhige Typ und ich denke, in jeder Beziehung gibt es einen ruhigeren und einen impulsiveren, aber der ist nicht impulsiv, der ist einfach nur großkotzig, großmäulig, angeberisch und einfach unerträglich. Paul´s Nähe fühlt sich wie ein Schwarm Heuschrecken an, der über einen herfällt und nichts als Leere hinterlässt. Wenn ich bei meinen Eltern so über ihn lästere, verteidigt ihn meine Mutter mit den Worten „Aber er ist sauber und ordentlich und hilft immer, wenn man ihn braucht.“ Na dann, das qualifiziert ihn natürlich zum absoluten Traummann. Ich glaube Paul hilft nur, damit er wieder erzählen kann, was für ein toller Hecht er ist und was die Welt doch nur ohne ihn tun würde. Ich sage es dir, Paul: aufatmen! Und Mama, dich frage ich, sind das wirklich ausreichende Eigenschaften um miteinander das Leben zu verbringen? Okay, wer will schon gerne mit einem Messi zusammen leben, aber hätte ich die Wahl ..., zwingen Sie mich nicht zu einer Entscheidung!
„Das Buffet ist eröffnet“, holt mich Nicole aus meinen Gedanken zurück.
„Na nix wie hin“, sabbert Anne und zieht mich am Arm hinter sich her. Wir stehen in der Schlange am Buffet und ich lasse meinen Blick über die kulinarischen Köstlichkeiten gleiten. Da hat sich Paul wieder mal ins Zeug gelegt, aber er muss ja auch hinterher erzählen können, dass sein Polterabend der beste und tollste aller Zeiten war. Kartoffelsalat und Würstchen kann ja jeder, bei ihm muss es schon etwas protziger sein. Ich greife nach einem Teller, um mich meiner Gier hinzugeben, als ich spüre, dass schon eine andere Hand an meinem Teller hing.
„Upps, Entschuldigung“, lache ich und schaue in ein paar Augen, die mir irgendwie bekannt vorkommen. Das ist doch wieder der Typ von vorhin, habe ich es mir also doch nicht eingebildet.
„Kein Problem, Ladys first“, sagt er charmant.
„Da hier keine Lady im Raum ist, werden wir uns wohl um den Teller prügeln müssen“, antworte ich.
„Ich schlage mich doch nicht mit so einem hübschen Mädchen“, antwortet er spitzbübig.
„Oh, verstehe, du haust nur die hässlichen, wie ritterlich.“ Laut lachend überlässt er mir den Teller.
„Genauso frech habe ich dich in Erinnerung.“
„Wie meinst du das, wir kennen uns doch nicht, oder doch?“, frage ich etwas verwirrt.
„Ihr wart doch letztens im `Calypso`, du und deine Freundin oder nicht?“
Who the fuck is Calypso? Aaaah, langsam dämmert es mir, das Tanzlokal, wusste gar nicht, dass es auch einen Namen hat. Klar, der Barkeeper, der mit Sancho Panza unter einer Decke steckte.
„Na, ist der Groschen gefallen?“, fragt er, da man es meinem Gesichtsausdruck wohl ansieht, dass tatsächlich der Groschen oder der Cent gefallen ist.
„Ja, klar du bist der Barkeeper. Was machst du hier, verteilst du nachher noch Drinks oder bist du heute nur für Toilettenbeckenzerstörung verantwortlich?“, ärgere ich ihn.
„Ich bin heute mal genauso Gast wie alle anderen, nichts mit Drinks mixen“, antwortet er ganz gelassen, während er sich seinen Teller füllt.
„Und großen Hunger hast du auch mitgebracht“, ärgere ich ihn weiter.
„Genau wie du“, stänkert er mit einem Grinsen zurück.
„Stimmt, ich habe echt Hunger, aber bei meiner tollen Figur kann ich mir das ja auch leisten, meinst du nicht?“ Sam, sei nicht so eingebildet. Er schaut mich von oben bis unten an, was mir wirklich unangenehm ist, und sagt dann:
„Immer rein damit, ich stehe auf weibliche Rundungen.“
War das ein Kompliment oder eine Beleidigung?
„Das war ein Kompliment“, sagt er, als kann er hören, was ich denke, „du siehst toll aus.“
„Danke“, du auch, denke ich, spreche es aber nicht aus. Wir sind am Ende des Buffets angekommen und wissen beide nicht so recht, was wir jetzt tun sollen.
„Also dann, man sieht sich“, komme ich ihm zuvor und verschwinde in Richtung Anne, die sich irgendwie an uns vorbei geschlichen haben muss.
„Sam, wer war das denn? Der war ja süß“, kaut sie mit vollem Mund. „Ich wollte euch nicht stören, deshalb bin ich schon mal weiter gegangen. Nicht, dass sein Blick noch an deiner attraktiven Freundin hängen bleibt und er kein Auge mehr für dich hat.“
„Träum weiter, Baby. Außerdem habe ich meine attraktive Freundin heute zu Hause gelassen.“
Anne streckt mir ihre Zunge heraus, auf der sich etwas zerkautes befindet. Ich mache es ihr nach und klebe mir mit der Zunge zerkautes Essen an die oberen Schneidezähne, um es Anne lachend zu präsentieren.
„Sexy, ist hier noch frei, oder dürfen hier nur die Schweine sitzen.“ Der Barkeeper. Peinlich!
„Nein, auch die Jungs mit geschmacklosen T-Shirts, also setz dich“, antworte ich, während ich mir den Brei von den Zähnen lecke. Wir lachen alle drei und er setzt sich direkt neben mich.
„Ich bin übrigens Tom und wie heißt ihr?“
„Wir haben keine Namen, nenn uns einfach Schwein eins und Schwein zwei.“
Anne prustet vor lauter Lachen ihr Essen in Tom´s Richtung.
„Dann bist du wohl Schwein eins“ sagt er und reicht Anne die Hand. „Angenehm, ich bin Tom.“ Der ist echt witzig. „Solange du keine Rollmöpse auf mich kotzt, ist alles halb so schlimm.“
„Woher ...? Sam ...?“, fragt Anne mit aufgerissen Augen.
„Anne, ich kenne ihn seit fünf Minuten. Glaubst du, ich habe nichts Besseres zu erzählen, als dass meine Freundin Rollmöpse gekotzt hat? Er ist der Barkeeper in dem Lokal, wo wir letztens waren. Er war sozusagen Augenzeuge deines Auftrittes.“
„Oh mein Gott, wie peinlich.“
„Dann bist du also Anne und du Sam? Habe ich das jetzt richtig mitbekommen?“, fragt er und isst in aller Ruhe weiter.
„Du hast wohl schon schlimmere Sachen gesehen, als Rollmopskotze, weil du so gelassen bleibst?“, fragt ihn Anne voller Hoffnung, dass sie nicht das Schlimmste war, was er je gesehen hatte.
„Nein, eigentlich nicht. Das war schon ziemlich ekelig, ich wollte nur den peinlichen Moment herunter spielen.“
„Oh mein Gott“ und Anne verschwindet samt Teller und Glas. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen und sehe in meinem Augenwinkel, dass Tom genauso Spaß hat wie ich.
„Tut mir leid, ich bin manchmal ein ganz schönes Ekel“ meint er.
„Kein Problem, Anne und ich fassen uns auch nicht immer mit Samthandschuhen an.“
„Fasst ihr euch auch manchmal ohne Handschuhe an?“, fragt er wieder mit diesem verschmitzten Gesichtsausdruck und schaut mir in die Augen.
„Ja, sicher, aber nur wenn wir alleine sind. Und bevor du fragst, nein wir wollen keine Zuschauer“, antworte ich cool.
„Schade. Der Traum jedes Barkeepers war zum Greifen nah und du hast ihn zum Platzen gebracht.“
„Jeder Barkeeper träumt davon, dass sich zwei Mädels gegenseitig anfassen?“
„Unter anderem.“
„Und was für Träume habt ihr tollen Hechte noch?“
„Dafür kennen wir uns noch nicht gut genug, aber danke für den tollen Hecht.“ Er zwinkert mir mit seinen grünen Augen zu.
„Ich muss mal ...“ weiter komme ich nicht.
„Ich geh mit.“
„... nach Anne schauen.“ beende ich meinen Satz.
„Oh.“
„Wolltest du jetzt echt mit mir aufs Klo gehen?“
„Wieso nicht, am Ende schnappt mir dich noch einer weg.“
„Ja, auf der Damentoilette gibt es haufenweise Mädchen mit und ohne Samthandschuhen, die nur auf mich warten.“
„Genau, und auf dem Weg dorthin, gibt es mindestens genauso viele gierige Haie, die auf der Lauer liegen, um nach dir zu schnappen.“
„Bin ich wirklich so ein heißer Feger oder haben die sich mich alle schon schön gesoffen?“
„Also ich bin noch nüchtern“, wieder dieses Grinsen.
„Dann bist du also nur ein besitzergreifender Typ. Gesehen. Angeleckt. Meins.“ Sam, biete ihm nicht solche anzüglichen Wortspielerein. Ich wusste genau was jetzt kommt und spreche es fast mit ihm wie aus einem Munde:
„Angeleckt habe ich dich noch nicht.“
„Genau, aber was nicht ist, kann ja noch werden.“ Sein Blick bohrt sich weiter in mich hinein. Langsam geht mir meine Coolness aus.
„Ich raube dir ja nur ungern deine kleinen Barkeeperträume, aber dafür kenne ich dich noch nicht gut genug.“ Mit diesen Worten lies ich ihn sitzen, um nach Anne zu schauen. Das war zu mindestens mein Alibi. In Wirklichkeit war mir die Situation etwas zu heiß geworden. Nicht dass er noch denkt, ich bin leicht zu haben. Aber süß war er schon. Und witzig. Und süß. Witzig, süß, witzig, süß, ... singe ich in Gedanken.
„Ey Perle, Lust auf meinem Schoß zu sitzen?“, reist mich eindeutig ein Freund von Paul aus meinem Sing Sang.
„Ey Schabe, Bock von mir zertreten zu werden?“, antworte ich und kann mich gerade noch bremsen den Stinkefinger zu zeigen, schließlich sind auch Kinder anwesend.
„Die ist ja niedlich, ein richtiger Sonnenschein“, meint er ironisch in die Runde seiner dämlichen Kumpels. Ich überlege mir gerade eine passende Antwort, als mich jemand am Arm greift und zu sich zieht.
„Halt die Klappe Jo, sie gehört zu mir.“ Tom, mein schillernder Ritter, obwohl ich ganz gut alleine zu Recht gekommen wäre.
„Oh, Pardon, ich konnte ja nicht wissen, dass du deine Zähne schon in die Puppe vergraben hast“, grölt Jo laut unter tosender Begeisterung seiner nicht mehr ganz nüchternen Tischgenossen.
„Noch so ein Spruch und du kannst deine Zähne nie wieder in irgendetwas vergraben.“ Er hat sich mit der Falschen angelegt, dem werde ich es zeigen.
„Uuh, mir schlottern die Knie, schlag mich, schlag mich.“
„Also wenn du so lieb bettelst“, ich hole zum Schlag aus, werde aber von Tom zurück gehalten.
„Sam, der ist es doch gar nicht wert. Komm schon, du willst hier doch keine Prügelei anfangen?“ Tom zieht mich sanft vom Tisch der Idioten weg.
„Du hast ja Recht, aber solche Typen bringen mich auf die Palme.“
„Ich habe schon gewusst, wieso ich dich begleiten wollte“, grinst er, während wir weiter laufen. Ich weiß gar nicht genau wohin wir laufen.
„Ja, weil du diese Typen kennst. Hat Paul nur solche bescheuerten Freunde?“
„Ja, fast nur solche, mit einer Ausnahme: mich. Ich bin übrigens Paul´s Trauzeuge.“
„Was?“ Voller Entsetzen bleibe ich stehen und sehe ihn an. „Du bist sein Trauzeuge?“ Ich kann es nicht glauben. „Das heißt, ihr steht euch besonders nah? Man wählt doch immer jemanden, der einem viel bedeutet, oder hat man dich mit Waffengewalt gezwungen, weil sich niemand freiwillig gemeldet hat?“
„So schlimm ist Paul doch gar nicht. Du kennst ihn nur nicht gut genug.“ Tom scheint sich über mein ungläubiges Gesicht zu amüsieren.
„Doch, er ist sauber, ordentlich und hilft immer, wenn man ihn braucht.“ Jetzt amüsiert er sich noch mehr. „Sagt meine Mutter“, verteidige ich mich.
„Dann muss es ja stimmen. Mütter haben immer recht.“
„Meine hat noch gesagt, vielleicht treffe ich heute ein paar nette Freunde von Paul.“ Langsam kehrt mein Blut wieder in meinen Körper und meine Mundwinkel lächeln.
„Siehst du, hat sie wieder recht gehabt.“
„Aber ich habe doch noch keine netten Freunde getroffen.“ Ich bin wieder ich. Tom stößt mir liebevoll den Ellenbogen in die Seite.
„Ich denke du haust nur hässliche Mädchen?“, sage ich mit gespieltem Schmerz.
„Das habe ich nie gesagt.“
„Stimmt.“ Wir lächeln uns an und ich habe das Gefühl, er kommt dichter an mich heran, als ich plötzlich „Sam, da bist du ja“ höre.
„Mama. Wir haben gerade über dich gesprochen.“
„Ich hoffe nur Gutes.“
„Klar doch“, antworte ich und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
„Möchtest du mir nicht deinen Begleiter vorstellen?“ Was soll dieser süßliche Unterton?
„Das ist Tom und er ist nicht mein Begleiter, wir haben uns gerade erst kennen gelernt. Ich bin mit Anne da, die ich jetzt auch unbedingt mal suchen muss. Bis später.“ Gesagt, getan. Ich rausche davon.
Anne, wo steckst du nur? Ich schaue immer wieder von rechts nach links, während ich den riesigen Raum durchquere.
„Sam, hier drüben.“ Anne, Gott sei Dank. Sie sitzt bei meiner Oma und scheint sich köstlich zu amüsieren. Ich dränge mich durch herumstehende Gäste, bis ich bei ihnen bin.
„Alles klar Schatzi?“, frage ich und lege meinen Arm um Anne.
„Alles gut, mach dir keine Sorgen. Deine Oma ist der Knüller. Was die für Geschichten zu erzählen hat, zum totlachen. Dagegen ist Rollmopskotzen gar nichts. Was soll´s, es ist passiert und ich kann es nicht ungeschehen machen. Es gibt schlimmeres.“
Das ist meine Anne. Lässt sich nicht so schnell unterkriegen.
„Sag mal, der Barkeeper, steht der auf dich? Kommt mir fast so vor“, fragt sie voller Neugier.
„Keine Ahnung, kann schon sein“, antworte ich und versuche gleichgültig zu klingen.
„Blond ist doch gar nicht dein Beuteschema“, hakt sie weiter nach.
„Also erstens bin ich nicht auf der Jagd und zweitens gefallen mir auch Blonde.“
„Ach ja? Ist ja mal was ganz Neues. Nenne mir einen blonden Freund den du hattest.“
Denk, denk.
„Mir fällt gerade keiner ein. Das heißt aber nicht, dass mir grundsätzlich keine blonden Männer gefallen.“
„Nenne mir einen blonden Mann, der dir gefällt.“
Denk, denk.
„Brad Spliss und Hansi Hintergucker.“
„Hansi Hintergucker?“ Anne prustet schon wieder quer über den Tisch und diesmal bekommt es meine Oma ab.
„Schätzchen“, meint meine Oma „der Hansi ist ein ganz Netter. Ich war mal auf einem Konzert von dem, da wird man wieder jung, das sag ich dir. So tolle Lieder und so ein toller Mann. Und übrigens, geduscht habe ich heute schon, also spucke das nächste Mal in eine andere Richtung.“
„Entschuldigung“ meint Anne immer noch lachend. “Ich weiß nur, dass er ein Volksmusiksänger ist, auf den ältere Damen stehen. Ich wusste nicht, dass Sam zu seinen Fans gehört.“
„Was heißt Fan, ich finde ihn attraktiv und mag seine Musik. Und er ist blond. Und Brad Spliss auch“, sage ich trotzig.
„Brad Spliss mag auch Hansi Hintergucker?“ Anne findet sich wohl sehr komisch.
„Hattest du einen Clown zum Frühstück?“, frage ich. Gut, es war witzig. „Meinst du, die beiden kennen sich?“, spinne ich mit.
„Keine Ahnung“, meint Anne. „Stell dir mal vor, Brad Spliss, der amerikanische Schauspieltraum aller Frauen, käme hier herein, was da los wäre. Nicole würde ihren Paul noch vor der Hochzeit betrügen, meinst du nicht auch?“
„Dazu würde es nicht kommen, ich wäre schneller.“
„Wie würdest du das anstellen?“, hakt Anne nach.
„Zuerst müsste ich in eine Tüte atmen, um vor lauter Aufregung nicht zu Hyperventilieren, dann würde ich mit beiden Händen auf meinen Schoß klopfen, so wie man es bei Hunden macht und rufen `Ja wo is er denn, ja komm zu Frauchen` und wenn er dann auf meinen Schoß sitzt: festhalten, anlecken, meins!“
„Genau so würde ich es mit Hansi auch machen“, lacht meine Oma und wir beide stimmen laut mit ein.
Wir verbringen den Abend mit netten und lustigen Gesprächen, während wir von einem Tisch zum nächsten gehen und von einem Grüppchen zum anderen. Ich halte immer unauffällig Ausschau nach Tom, aber er ist wie vom Erdboden verschwunden. Vielleicht hat er ja eine Andere aufgerissen. Stört mich das? Nicht im Geringsten. Ein wenig vielleicht. Wo steckt der nur? Später am Abend hält Paul noch eine Überraschung bereit. Sie werden nie darauf kommen, was sich unser Prolet hat einfallen lassen. Etwas ganz tolles. Etwas, was sich jede Frau auf ihrem Polterabend wünscht: eine hübsche Bauchtänzerin! Wie kommt der auf so eine Idee? Nicole soll doch die weibliche Hauptperson sein, um die sich alles dreht und nicht irgendeine Tanzmaus, die ihr Becken kreisen lässt.
„Super Idee, oder?“, klingt es über meine Schulter. Tom ist wieder aufgetaucht.
„Das meinst du nicht ernst?“
„Wieso, ist doch cool. Ist mal was anderes.“
„Ja, geschmacklos.“
„Die Gäste finden es toll.“
„Stimmt, hauptsächlich die männlichen von Paul´s Familienstammbaum und Freundeskreis.“ Ich sehe mich in der grölenden, betrunkenen Menge um.
„Dann hätte ich es ihm wohl nicht empfehlen sollen?“
„Das war deine Idee?“ Ich kann es nicht fassen. „Ich glaube, ich muss mein Bild von dir noch mal überdenken.“
„Wie war es denn bisher?“ Er legt seinen Arm um mich, als wäre es selbstverständlich.
„Witzig, nett, charmant, süß, ...“, flirte ich mit ihm.
„Dann kommt jetzt wohl noch geschmacklos hinzu?“, fragt er.
„Nein, das hatte ich schon auf der Liste, als ich dein T-Shirt sah.“ Das macht Spaß.
„Was ist daran so schlimm?“, will er wissen.
„Nichts, hey du bist Paul´s Freund. Wir können uns glücklich schätzen, dass es Ärmel hat.“
„Du bist echt der Hammer. Frech wie Oskar.“
„Nur hübscher.“ säusele ich.
„Da hast du Recht.“ Er drängt sich näher an mich und schaut mir in die Augen. Ich hoffe, er will mich jetzt nicht küssen. Vor meiner ganzen Familie? Die wissen doch, dass ich ihn eben erst kennen gelernt habe. Meine Mutter wollte zwar, dass ich jemanden treffe, sie wollte aber bestimmt nicht, dass alle mit ansehen, dass ihre Tochter ein Flittchen ist, die mit dem nächst Besten herumknutscht.
„Sam.“ Habe ich ein Glück. Anne kann wohl doch meine Gedanken lesen. Ich löse mich von Tom, um nach ihr zu schauen.
„Willst du noch lange bleiben? Ich bin total müde.“ Stimmt, sie sieht echt fertig aus.
„Nein, von mir aus können wir gehen.“
„Du kannst ruhig noch bleiben, ich kann mir auch ein Taxi rufen.“
„Nein, ist schon ok, ich bin auch müde.“ Ein wenig.
„Also dann“, sage ich zu Tom. „war nett dich kennenzulernen.“
„Schade, dass du schon gehst, aber wir sehen uns ja bald wieder.“
„Vielleicht gehen wir mal wieder ins `Calypso`“, antworte ich.
„Nein, ich meine nächste Woche.“ Habe ich irgendetwas verpasst?
„Bei der Hochzeit, Blondi. Schon vergessen, ich bin Trauzeuge.“
„Blondi darf mich nur meine Busenfreundin nennen und ja, ich hatte es vergessen. Die Bauchtänzerin hat es wohl mit ihren Schwingungen aus meinem Hirn geschleudert.“
„Bis nächste Woche, ich freue mich darauf. Mach dich hübsch für mich.“ Er zwinkert mir zu und grinst über´s ganze Gesicht.
„Ich weiß, sonst werde ich gehauen“, sage ich im Weggehen.
„Muss ich das verstehen?“, fragt Anne verwirrt.
„Erzähle ich dir nachher“, beruhige ich sie. Wir verabschieden uns von allen und laufen zum Auto.
Die frische Luft tut richtig gut.
„Kann ich heute bei dir schlafen?“, gähnt Anne.
„Ich habe nichts anderes erwartet, mein Honigmäulchen“, erwidere ich, während wir ins Auto steigen.
Beim Wegfahren sehe ich Tom, wie er uns nachwinkt. Wir winken zurück und Anne will in allen Einzelheiten wissen, was zwischen uns war. Ich erzähle ihr es und als wir bei mir zu Hause ankommen, meint sie:
„Der steht eindeutig auf dich.“
„Mag sein“, freue ich mich.
„Und wenn ich mich nicht täusche, dann du auch auf ihn.“
„Mag sein“, wiederhole ich mich mit einem wohligen Gefühl im Bauch.
„Übrigens, Nicole hat mich auch zur Hochzeit eingeladen. Sie meinte, neben dir wäre noch ein Platz frei. Da wollte wohl niemand sitzen“, stichelt Anne.
„Blöde Kuh.“
„Ich liebe dich auch.“ Lachend und Arm in Arm gehen wir in meine Wohnung, um wenig später nebeneinander dem Tiefschlaf zu verfallen.
Es ist schön zu wissen, dass jemand da ist, wenn man aufwacht, auch wenn es nur so ein Schnarchsack wie Anne ist und wenn Einbrecher kommen, kann ich sagen `Nehmt die, die nimmt die Pille.` Ich nehme sie zwar auch, aber man weiß ja nie. Nicht dass ich noch von so einem daher gelaufenen Assi mit kriminellen Hintergrund schwanger werde. Wie soll ich das dem armen Kind denn erklären? An dieser Stelle klinken wir uns aus, bis morgen, gute Nacht.