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Glanz der Großstadt

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Das Leben an einem Ort ist erst dann schön, wenn die Menschen ein gutes Verhältnis zueinander haben.“

Konfuzius

„Beep... Beep... Beep... Beep...“, dröhnte mein elektronischer Wecker um 6:33 Uhr. Reflexartig ging meine Hand in die Richtung des nervtötenden Geräusches und suchte die Taste, um den sirenenartigen Alarm auszuschalten. Ich war es nach zweimonatiger Auszeit gar nicht mehr gewohnt, mich so früh aus dem Bett zu bewegen. Anfang Juni hatte ich meinen letzten Schultag an der Geesthachter Realschule absolviert. Nun begann ein neuer Lebensabschnitt für mich. Ich entschied mich für drei Jahre Verlängerung auf der Schulbank und schrieb mich im Sommer am Wirtschaftsgymnasium im Hamburger Stadtteil Bergedorf ein.

Bevor meine Aufweckmaschine die zweite Runde einläutete, quälte ich mich aus den Federn und tapste schlaftrunken ins Bad. Es war jetzt zwanzig vor sieben und im Hause Walther herrschte schon Hochbetrieb. Meine Eltern saßen schon in der Küche und frühstückten. Mein jüngerer Bruder Philipp erledigte gerade seine Hausaufgaben, weil er am Wochenende seine Zeit sinnvoller verplant hatte. Mit fast dreizehn Jahren vertrat er die Auffassung, dass ihm die Sams- und Sonntage heilig waren. Philipp hatte schon damals das richtige Gespür für die perfekte Work-Life-Balance.

Ich klappte den Klodeckel hoch und hockte mich auf die Schüssel, dort pennte ich etwa eine Viertelstunde weiter. Der frühe Morgen war die einzige Tageszeit, zu der ich mein kleines Geschäft im Sitzen ausführte. Anschließend freute ich mich auf die warme Dusche. Während ich mir mit mechanischen Bewegungen meine Haare wusch und den restlichen Körper einseifte, schweiften meine Gedanken wieder ins Träumeland ab.

Mein Unterbewusstsein freute sich riesig, endlich dem Kleinstadtmief zu entfliehen und die Luft der großen weiten Welt einzuatmen. Ich beendete meine Morgentoilette mit Zähneputzen und zog mich danach an.

Kurz bevor meine Eltern sich auf den Weg zur Arbeit begaben, überreichten sie mir eine kleine selbstgebastelte Schultüte und wünschten mir, für meinen ersten Tag, viel Glück. Ich freute mich sehr über ihre Geste, obwohl sie anfangs nicht gerade davon begeistert waren, mir drei weitere Jahre Taschengeld zu bezahlen. Außerdem hatten sie noch die Mehrkosten für die Busfahrkarte zu tragen. Vorher fuhr ich ja immer mit dem Fahrrad zu meiner alten Schule.

Nun stand ich also mit meinem gewöhnungsbedürftigen Look - ein im Sixties-Style anmutendes Jackett, weite Karotten-Jeans, schwarze Dreiloch-Martens und ein schlichtes schwarzes T-Shirt - an der Bushaltestelle und wartete. Wir hatten Montag, den 11. August 1986. Ich war viel zu früh dran. An meinem ersten Tag wollte ich nicht gleich zu spät kommen. Als der Bus endlich kam und ich einstieg, entdeckte ich einige bekannte Gesichter. Durch den regen Austausch während der 25-minütigen Bustour wusste ich schon, dass es aus meiner alten Schule keinen Mitschüler in meiner neuen Klasse gab. „Naja“, dachte ich: „Vielleicht taucht doch noch ein bekanntes Gesicht aus meiner Vergangenheit auf.“ Aber auch diese Hoffnung starb, nachdem unsere Klassenlehrerin Frau Förster das Klassenzimmer zu Stundenbeginn betrat.

Kurz vor unserer Lehrerin stürzte Nils in die Klasse und setzte sich mangels Alternativen auf den freien Platz rechts neben mir. Nils und ich hatten eine Gemeinsamkeit, wir hatten beide von allen Mitschülern die längsten Anfahrtswege zur Schule. Allerdings kam Nils mitten aus Hamburg, aus dem Stadtteil Bramfeld. Er hatte sich zu spät angemeldet, so blieb für ihn nur noch ein Schulplatz in Bergedorf. Damit hatte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Tag eine ziemlich beschwerliche Anreise. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, obwohl uns Welten trennten. Er war der trendige City-Boy und ich das Landei.

Da ich etwa zehn Kilometer östlich von Hamburg entfernt wohnte, nannten mich später viele aus Spaß „Zoni“. Das Vorurteil wurde durch meinen unkonventionellen Kleidungsstil quasi noch verstärkt. Tatsächlich war die Innerdeutsche Grenze – der sogenannte eiserne Vorhang – nur etwa 20 Kilometer von Geesthacht entfernt. „Na, heute wieder ‘nen Visum für einen schönen Abstecher in den Westen bekommen? Bist du eigentlich bei der Stasi oder warum lassen sie dich täglich raus?“, bekam ich morgens öfters von meinen lieben Klassenkameraden zu hören. Ich dachte mir, wenn die es so wollen, dann gebe ich dem Ganzen noch ein wenig Futter und trug am Revers meiner Jacke fortan einen roten Stern mit Hammer und Sichel. In einem Laden im Schanzenviertel besorgte ich mir einen knallroten Kapuzenpulli mit dem Aufdruck CCCP. Es war damals, zu Zeiten des kalten Krieges, das Länderkürzel der größten Ostblock-Nation, der Sowjetunion. Danach verstummten die morgendlichen Witze relativ geschwind und ich hatte wieder meine Ruhe.

Unsere Klassenbezeichung lautete WG 11C und wir waren zu Beginn insgesamt 24 Schüler. Das übliche Einschulungsritual ließen wir im Haupttrakt der Schule über uns ergehen. Nach einer etwa zweistündigen Einführung, bei der wir unseren Stundenplan bekamen und uns gegenseitig vorgestellt hatten, wechselten wir in ein vom restlichen Schulgelände abgelegenes Gebäude, um unseren tatsächlichen Klassenraum zu beziehen. Der Bau stammte aus der Jahrhundertwende und hatte auch den Charme eines altehrwürdigen Gemäuers. Gegenüber war gleich die Waldorfschule. Für unsere weitere Schulzeit erwies sich der Auszug in die Dependance als wirklicher Volltreffer für eine kreative Pausengestaltung.

Unser Klassenverband zeigte sich ziemlich schnell als sehr heterogener Haufen, was Ansichten, soziale Herkunft, Modestil, Musikgeschmack, Altersstruktur, Charakter und Leistungsniveau anging. Es war daher unvermeidbar, dass sich unterschiedliche Gruppen zusammenfanden. Durch Nils hatte ich das Glück, zunächst bei den coolen Kids zu landen. Bis zu den Herbstferien verschoben sich die Gruppen aber noch einige Male. In den ersten zwei Monaten erhielt die Klasse durch einige Ab- und Zugänge nochmals ein neues Gesicht. Die einen begannen kurzfristig dann doch eine Ausbildung oder hatten gemerkt, dass Wirtschaft nicht unbedingt ihre Obsession war.

Ich hatte weiterhin auf der einen Seite Nils neben mir sitzen und auf der anderen Michael Hellmann. Dieser Michael war 17 Jahre alt und hatte etwas längere in der Mitte gescheitelte blonde Haare, einen dezenten Schnurrbart und war trotz seiner leichten O-Beine etwas größer als ich. Michael trug immer enge Jeans, hohe Turnschuhe, eine schwarze Lederjacke und stand auf Hardrock und Heavy Metal. Diese Tatsache brachte ihm unvermittelt den Spitznamen „Mettel“ ein. Andy saß zu diesem Zeitpunkt neben dem charismatischen Ernst direkt vor dem Lehrerpult. Ernst und Andy waren die beiden Senioren in unserer Klasse. Andy war zu dem Zeitpunkt bereits 18 und Ernst sogar fast 19 Lenze jung. Die beiden hatten dadurch den Vorteil, dass sie sich für Fehltage und permanentes Zuspätkommen selbst die Entschuldigungen schreiben konnten, weil sie beide volljährig und damit nicht mehr schulpflichtig waren. Besonders Ernst nutzte diesen Umstand des Öfteren aus.

Ernst war schon ein sehr spezieller Typ. Wir nannten ihn Ernie, damit hatte er auch überhaupt keine Probleme. Von den Lehrern mit Ausnahme von Frau Förster erwartete er allerdings, gesiezt und mit „Herr Meinhardt“ angesprochen zu werden. Darauf wies Ernie den Lehrkörper auch in aller Regelmäßigkeit und mit entsprechendem Nachdruck hin. Er gehörte zu der Jugendgruppierung der Mods und stand auf Musik und Lifestyle der sechziger Jahre. Mit seinen guten Beziehungen war er auch unsere Bezugsquelle für nicht ganz legale Highmacher.

Andy hingegen kleidete sich zu der Zeit wie ein 40-jähriger Banker mit Buntfaltenhosen, Poloshirts, feinen Lederslippern und er trug seine Haare relativ kurz mit einem schmierigen Seitenscheitel. Die Frisur wirkte aber alles andere als modern. Den Anspruch hatte Andy zu der Zeit ohnehin nicht. Es wirkte immer so, als ob Mutti ihm morgens noch die Klamotten für den Tag herauslegen würde. Die Verbindung, die Ernie, Mettel und ich hatten, war die Liebe zur Musik. Auch, wenn wir auf unterschiedliche Richtungen standen, so hatten wir doch eine Basis. Wir interessierten uns nicht für den Mainstream. Ich mochte sowohl die Musik aus den Sechzigern und Siebzigern aber auch Independent, Punk, New Wave und elektronische Musik. Meine Lieblingsbands zu der Zeit waren Depeche Mode, The Cure, U2, INXS, The Smiths, Deep Purple, Black Sabbath, Eric Burdon & The Animals, The Who, Queen, The Ramones, Pink Floyd, The Clash, Beastie Boys, Billy Idol, The Doors, The Yardbirds, Thin Lizzy, Gary Moore und die Rolling Stones, um mal einige bekanntere Beispiele meiner damaligen Helden zu nennen.

Tja, wie passte Andy da jetzt hinein? Der Andy, der mir, mehr als 25 Jahre später, schräg gegenüber auf dem Sofa sitzt und sich tierisch über ein unnötiges Gegentor unseres Vereins in der 35. Spielminute ärgert. Sein Musikgeschmack beschränkte sich damals weitestgehend auf die Charts. Er stand ganz besonders auf Nena und Samantha Fox, aber nicht weil die beiden so wunderschön sangen, sondern weil sie ganz andere Vorzüge hatten. Ein Argument, das wir anderen durchaus nachvollziehen konnten. Außerdem war Andy der Einzige unserer Combo, der einen Führerschein und Zugriff auf einen fahrbaren Untersatz hatte. Mettel und ich durften altersbedingt noch nicht und Ernie sah für sich keinen Nutzen darin. Womit die Straßen für die anderen Verkehrsteilnehmer definitiv sicherer waren, da er ohnehin andauernd breit war.

Schon verrückt, wie sich aus vier ganz unterschiedlichen Typen ein absolut eingeschworener Haufen formieren konnte. Wobei ich sagen muss, dass Ernie sehr häufig sein eigenes Ding durchgezogen hatte und wir an den Wochenenden oft nur zu dritt unterwegs waren. Es gab allerdings auch einige Mädchen aus unserer Klasse, mit denen wir öfters loszogen. Diese Abende gestalteten sich natürlich ganz anders, als unsere reinen Jungstreffen und hatten meistens nicht den erhofften Verlauf.

Es gab zwei Mädchen in der Klasse, die ich beide unheimlich cool fand, obwohl sie total unterschiedlich waren. Die eine hieß Barbette. Sie hatte braun gelocktes, schulterlanges Haar, haselnussbraune Augen und einen besonders knackigen Hintern. Aufgrund ihres umwerfenden Aussehens und als gute Hockeyspielerin war sie äußerst selbstbewusst. Ihre Art sprach mich einerseits an, aber andererseits schüchterte sie mich auch unheimlich ein. Meine andere Favoritin war Friederike. Im Gegensatz zu Barbette hatte sie blonde lange Haare und blaue Augen. Friederike war sehr kommunikativ und offen. Sie hatte eine einnehmend freundliche Art im Umgang mit ihren Mitmenschen und ging vorbehaltlos auf jeden zu. Aufgrund der Tatsache, dass wir in der Schule ziemlich nahe beieinander saßen, kamen wir sowohl im Unterricht als auch in der Pause diverse Male ins Plaudern. Es entwickelte sich rasch ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns. Meine Wahl war getroffen.

In der ersten Woche nach den Herbstferien saßen Andy, Friederike und ich auf dem Pausenhof zusammen und redeten darüber, am Wochenende mal gemeinsam auszugehen. Plötzlich tauchte Friederikes Sitznachbarin Marion aus dem Hintergrund auf und meinte mit einem vielsagenden Blick: „Na ihr, alles klar? Was für ein Thema habt ihr denn gerade am Wickel?“

„Wir hatten uns überlegt, am Freitag mal gemeinsam ins Madhouse zum Tanzen zu gehen“, strahlte Friederike. „Da bin ich doch dabei!“, meinte Marion kurz entschlossen. Andy und ich warfen uns einen gequälten Blick zu. Marion war für uns natürlich nicht gerade die erste Wahl für einen netten Discoabend. Wir hatten eigentlich darauf spekuliert, dass Friederike eine Freundin von sich mitnimmt. „Klasse, das wird sicherlich ein schöner Abend“, freute sich Friederike. Andy meinte nur: „Okay! Dann wäre das geklärt. Wo wollen wir uns zum Vorglühen treffen?“

„Kommt doch gegen acht bei mir vorbei, dann können wir noch ein schönes Sektchen köpfen“, lud Friederike uns ein.

„Das hört sich ja hervorragend an“, sagte ich mit leicht ironischem Unterton und fügte flapsig hinzu: „Gibt es auch Bier bei dir, oder sollen Andy und ich noch etwas mitbringen?“

„Nee, Bier hat mein Vater auch immer da!“

Andy grinste: „Wunderbar!“

Als die Mädchen außer Hörweite waren und sicherlich schon über ihre Outfits für Freitagabend redeten, meinte Andy zu mir: „Lass uns um halb sieben bei mir treffen, meine Eltern gehen Freitag mit Freunden essen, dann können wir schon mal vorlegen, falls es bei Friederike nichts Vernünftiges zu saufen gibt. Die knallen sich doch bestimmt das süße Kopfschmerzwasser von Aldi rein und wir dürfen das lauwarme Bier von ihrem Alten schlürfen. Du kannst dann auch bei mir pennen, damit du nicht zurück in dein Dorf musst!“

„Super, das hört sich gut an. Für die beiden im Doppelpack brauchen wir auch echt ‘n Bier mehr“, wagte ich, zu prognostizieren.

Marion war ein wirklich nettes und unkompliziertes Mädchen. Mit ihrer burschikosen Art, den etwas zu vielen Pickeln im Gesicht und ihren komisch geschminkten Augen stand sie nicht unbedingt im Verdacht, unsere Traumfrau zu sein. Wir mochten allerdings ihren Humor und ihre ungezwungene Art, daher versprach der Abend durchaus vergnüglich zu werden. Nur die von uns erträumte Knutscherei und Fummelei konnten wir uns in dieser Konstellation abschminken. Marion sendete zu wenig sexuelle Anziehungskraft aus und Friederike war eigentlich vergeben. Wir hatten uns eigentlich so schön ausgemalt, mit Friederike und ihrer Freundin Susi auszugehen. Die beiden wollten wir mit unserem unbändigen Charme und weltmännischer Coolness für uns begeistern, um anschließend ein wenig körperliche Zuwendung zu erhalten. So strichen wir diese Option - jedenfalls für den anstehenden Freitagabend -aus unseren Köpfen. Wir trösteten uns mit dem Gedanken, dass es im Madhouse sicherlich genügend brauchbares Material geben würde, wie Andy damals zu sagen pflegte.

Um halb sieben erreichte ich das Haus von Andys Eltern.

„Na, alles senkrecht?“, begrüßte er mich.

„Auf jeden! Ich hab dir eine Kleinigkeit mitgebracht.“

„Da bin ich mal gespannt. Hoffentlich keine elektrische Handmuschi von Beate Uhse, die sich anhört wie ein Rasierapparat aus den sechziger Jahren?!“

„Nö, ich weiß ja, dass du so ein Teil schon dein Eigen nennst!“

Ich kramte eine Musikkassette aus meiner Tasche hervor und gab sie Andy. „Hier bitte, als kleiner Opener für einen geilen Abend. Außerdem hast du damit endlich mal vernünftige Musik am Start. Mit dem Mixtape kannst du sogar bei Ernie und Mettel punkten!“

„Das Ding hau ich gleich mal rein. Bier ist übrigens kaltgestellt.“

„Na, dann lass uns mal keine Zeit verlieren, in knapp einer Stunde müssen wir los!“

Andy machte uns zwei Bier auf und wir lauschten dem ersten Titel meines Tapes, es war „Panic“ von The Smiths.

„Was für ein geiler Sound!“, posaunte ich heraus, als die Lautsprecher die ersten Klänge absonderten. Andy meinte nur ganz trocken: „Das sollte ich von einer Stereoanlage für zehn Riesen erwarten können.“

Die Hifi-Komponenten von Andys Vater waren echt der pure Luxus und der Traum meiner schlaflosen Nächte. Ich hatte extra eine Leerkassette mit 120 Minuten Aufnahmekapazität verwendet, weil ich Andy ein ziemlich breites Spektrum meiner derzeitigen Lieblingsstücke näher bringen wollte. Er hatte wirklich null Ahnung von guter Musik, ließ sich aber sofort begeistern. Das Band war so aufgebaut, dass ich zum Einstieg einige softe und aktuelle Stücke aufgenommen hatte. Die meisten von ihnen klangen allerdings schon etwas gitarren- und basslastig. Im weiteren Verlauf kamen immer härtere Titel hinzu, ohne es allerdings auf die Spitze zu treiben. Ich wollte den guten Andy ja nicht gleich verschrecken und blieb bei zeitlosen Klassikern. Zum Ende der Kassette wählte ich etwas ruhigere Titel aus den Sixties und ein paar nette Blues-Stücke.

„Spul mal bis Lied elf vor. Da kommt „Waterfront“ von Simple Minds! Der Titel hat ‘ne unheimlich geile Bass-Sequenz!“, rief ich begeistert.

Das Tapedeck von Andys Vater hatte die Funktion von Titellücke zu Titellücke zu spulen, ohne dass das Band lange vor und zurücklaufen musste, um den Liedanfang zu erwischen. „Wow, das klingt super!“, begeisterte sich Andy. „Jetzt versteh ich auch, warum Ernie, Mettel und du so auf handgemachte Musik abfahrt. Der Bass knallt richtig rein!“ Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass Andy so positiv darauf reagieren würde. In der Folge verbrachten wir zahlreiche Musikabende miteinander, tauschten Platten und Kassetten und besuchten gemeinsam einige Konzerte. Er entwickelte sich zu einem richtigen Freak und war ein Meister im Luftgitarrespielen.

Mixtape für Andy Oktober 1986:

Seite 1:

1 Panic 2:22 - The Smiths

2 Fight for Ourselves 4:24 - Spandau Ballet

3 Shout 6:34 - Tears for Fears

4 Shout To The Top 4:20 - The Style Council

5 Don't leave me this way 4:32 - The Communards

6 The Swing 3:52 - INXS

7 Pride 3:50 - U2

8 Wild Boys 4:17 - Duran Duran

9 Money for nothing 3:31 - Dire Straits

10 That Was Yesterday 3:46 - Foreigner

11 Waterfront 4:50 - Simple Minds

12 Town Called Malice 2:54 - The Jam

13 Rebel Yell 4:48 - Billy Idol

14 The Final Countdown 5:08 - Europe

Seite 2:

15 Don't Break My Heart Again 4:04 - Whitesnake

16 I Was Made for Lovin' You 4:31 - Kiss

17 Should I Stay or Should I Go 3:08 - The Clash

18 La Grange 3:52 - ZZ Top

19 Paranoid 2:49 - Black Sabbath

20 T.N.T. 3:34 - AC/DC

21 Smoke on the Water 7:32 - Deep Purple

22 Empty Rooms 4:17 - Gary Moore

23 Rock 'n' Roll Rebel 5:28 - Ozzy Osbourne

24 Mannish Boy 2:54 - Muddy Waters

25 Paint It Black 3:46 - The Rolling Stones

26 My Generation 3:19 - The Who

27 When I Was Young 3:00 - Eric Burdon & The Animals

28 Boom, Boom 2:27 - The Yardbirds

29 Break On Through 2:28 - The Doors

30 Gotta Move 2:32 - Alexis Korner & Blues Incorporated

Nach drei Bier machten wir uns gut gelaunt auf den Weg zu Friederike, die etwa eine Viertelstunde fußläufig von Andy entfernt wohnte.

„Ich bin mal gespannt, was das heute für ‘n Abend mit den beiden Mädels wird“, meinte Andy mit einer gewissen Vorfreude.

Wir bogen in die Straße ein, in der Friederike wohnte.

Nach etwa hundert Metern kamen wir bei Hausnummer 48 an. „So, da sind wir auch schon!“, sagte ich erleichtert, weil es etwas zu regnen begann.

Wir standen vor einem schlichten Einfamilienhaus, das nicht besonders groß wirkte und wahrscheinlich irgendwann in den sechziger Jahren mehr oder weniger in Eigenregie gebaut wurde.

„Dann lass uns mal klingeln“, regte ich an, nachdem wir die Gartenpforte hinter uns ließen und nach 15 Metern eine schmale kurze Treppe hinaufschritten.

„Hier wohnt Familie Jahn“, stand auf dem selbstgebastelten Türschild über der Klingel. Andy drückte den Klingelknopf und nach knapp einer halben Minute öffnete sich die Tür. Vor uns stand eine Frau von etwa 45 Jahren und begrüßte uns freundlich.

„Hallo, ihr seid also Andreas und Rene aus Friederikes Klasse.“

„Ja hallo, ich bin der Rene“, sagte ich etwas schüchtern und Andy stellte sich ebenfalls kurz vor.

„Ich werde Friederike gleich mal holen. Sie hat sicherlich das Läuten nicht gehört. Marion ist auch schon da. Aber nehmt doch erst einmal Platz, Jungs.“

Sie führte uns in ein kleines Wohnzimmer, wo bereits Friederikes Vater saß und uns argwöhnisch beäugte. Wir schüttelten ihm die Hand und stellten uns höflich vor. Andy und ich fühlten uns ein wenig deplatziert. Der kleine Raum erdrückte uns förmlich mit der dunklen im Gelsenkirchener Barock gehaltenen Einrichtung, die zudem völlig mit Nippes überladen war. Soviel schlechter Geschmack überforderte uns total. Ich dachte nur: „Hoffentlich kommt Friederike gleich runter und befreit uns aus dieser Situation.“

Ihr Vater war auch nicht gerade gesprächig und verspürte, nach meiner Einschätzung, ebenso ein Unbehagen, dass plötzlich zwei wildfremde Jungs in sein spießiges Refugium eindrangen und durch ihre bloße Anwesenheit seinen Feierabend störten. Schließlich lief gerade die Tagesschau und er wollte sicherlich in Ruhe Nachrichten schauen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Friederike mit ihrer Mutter im Wohnzimmer auftauchte und uns überschwänglich mit Umarmung und Küsschen begrüßte. Andy und ich wussten gar nicht, wie uns geschah. Sie roch ausgesprochen gut, nach Aprikose oder Pfirsich. Ich zerlief, wie Wachs, in ihren Armen und hätte für den restlichen Abend in dieser Position verharren können. Nach der herzlichen Begrüßung warfen Andy und ich uns ein kurzes Grinsen zu.

„Na, dann lass uns mal nach oben gehen. Ich zeig euch mal mein Zimmer. Marion wartet auch schon“, lud uns Friederike ein und wir trotteten hinter ihr die Treppe hoch. Dabei war es mir gelungen, die Pole Position direkt hinter ihr einzunehmen, um die unverbaute Sicht auf ihre weibliche Silhouette zu genießen. Oben angekommen, begrüßte uns Marion in gleicher Weise, wie Friederike zuvor, allerdings war der Erlebnisfaktor nicht annähernd so stimulierend.

„Ihr seid ja schon gut dabei“, meinte Andy mit einem Blick auf die schon zu drei Vierteln geleerte Sektflasche. Beide Mädchen grinsten und Marion erwiderte frech: „Wir müssen uns ja auch in die richtige Stimmung bringen!“

„Habt ihr denn auch einen kleinen Stimmungsaufheller für uns oder müssen uns Andy und ich die Restpfütze von eurer süßen Puffbrause teilen?“

„Nein, nein, Marion und ich machen das schon. Wollt ihr ein Bier? Ich habe sonst noch ‘ne Flasche Wodka versteckt und Orangensaft hier oben.“

Unsere Augen fingen an, zu leuchten und wir waren uns ohne Worte einig, nach drei Bierchen die nächste Stufe zu zünden. Andy freute sich besonders über diese Wahlmöglichkeit.

„Oh man, ich bin aber auch wieder nah am Wodka gebaut!“, scherzte er.

„Mach mal ‘ne schöne Drei-Finger-Mische!“

Friederike schaute mich ganz irritiert an. „Was ist das denn?“

„Na, ganz einfach!“, meinte ich. „Drei Finger hoch Wodka ins Glas und danach mit O-Saft aufgießen.“

„Ach so, das sollte ich hinkriegen!“

Marion schien aufgrund unserer Bestellung etwas besorgt. „Wann wollen wir denn los?“

„Ich würde sagen, wir sollten die S-Bahn um halb zehn kriegen. Vor zehn wird in dem Laden eh nichts los sein“, äußerte sich Andy und tat dabei so selbstverständlich, als ob er dort Stammgast wäre.

„Wir können hier um viertel nach den Bus zum Bahnhof nehmen!“, informierte uns Friederike über die Optionen des abendlichen Fahrplans.

„Wo das nun klar ist, können wir ja mal auf unseren ersten gemeinsamen Partyabend anstoßen“, ließ eine jetzt sehr entspannte Marion verlautbaren und hob ihr Glas.

Ich reckte ihr meinen Longdrink entgegen. „Na, dann Prost, auf einen bunten Abend!“

„Prost!“

Auch Friederike war die Vorfreude anzusehen. „Stößchen!“

Die verbliebene Zeit bis zu unserem Aufbruch verging wie im Fluge. Wir unterhielten uns sehr angeregt, scherzten und lachten. Der Abend lief bis dahin unheimlich entspannt. Andy und ich tankten jeweils drei Longdrinks und die Mädchen köpften eine weitere Flasche Sekt. Wir lästerten über das riesige Plakat von Boy George an Friederikes Zimmertür.

„Wieso, der ist doch süß!“, schwärmte sie. „Und die Musik ist echt toll!“

Selbst Marion rümpfte die Nase, sie hörte lieber Prince, Michael Jackson und solche Sachen.

„Da ist ja nicht mal ‘ne ordentliche E-Gitarre zu hören“, echauffierte sich Andy, nachdem er an diesem Abend erstmals Auszüge von meinem Mixtape gehört hatte.

„Ich hab da ‘n echt geiles Tape, das kann ich dir gerne mal kopieren!“, bot er großspurig an und zwinkerte mir zu.

„Nö, lass mal!“, entgegnete Friederike ihm völlig desinteressiert an weiteren Ausführungen zu diesem Thema.

Gegen zehn standen wir im Valentinskamp in der Hamburger Innenstadt vor der Disco „Madhouse“. Zur damaligen Zeit war der Laden ziemlich angesagt.

„Rückt mal eure Vorzüge ins rechte Licht!“, meinte ich scherzhaft zu den Mädchen mit einem Blick auf die Menschentraube vor der Tür und fügte hinzu: „Ich frage mal den Türsteher, wie die Einlass-Situation aussieht und wie lange wir hier in der Kälte warten müssen?“

Ich marschierte aus der Menge der Wartenden heraus in Richtung Tür und sprach den nächststehenden Typen vom Reinlasskommando höflich von der Seite an.

„Hallo, eine Frage, ist der Laden schon voll und wie lange müssen wir ungefähr warten, um hineinzukommen?“

Der Türsteher, ein Maat von knapp zwei Metern und von kräftiger Statur, drehte sich zu mir um und meinte flapsig: „Es dauert solange, wie es halt dauert!“

Ich wendete mich bereits ab, um mich wieder bei meinen Leuten in der einlassbegehrenden Masse einzugliedern, da sagte der Typ auf einmal: „Hey Rene, warte mal! Entschuldige, ich hab dich gar nicht erkannt, wie geht’s?“

Verwundert drehte ich mich wieder in seine Richtung und schaute ihn verdutzt an. „Erkennst du mich nicht?“ Ich schaute etwas verdattert und dann machte es Klick. „Hey Kemal, alles klar? In deiner schwarzen Montur habe ich dich echt nicht erkannt.“

„Na, dann komm mal rein, du musst dir hier ja nicht die Eier abfrieren.“

„Echt super, danke! Ich habe noch ein paar Leute mit. Können die auch mit rein?“

„Natürlich, wie viele sind es denn?“

„Zwei Mädels und ein Typ!“, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß.

„Überhaupt kein Problem, lass krachen! Wenn du die Mädels für dich alleine willst, dann lass ich den Typen hier gerne draußen am langen Arm verhungern.“

„Nö, das ist schon okay! Er kümmert sich um die Hässlichere“, erwiderte ich ihm grinsend. Er lachte kurz und meinte: „So hätte ich das auch gemacht! Übrigens, grüß mal deine Familie bei Gelegenheit.“

„Mach ich gerne und du deine.“

Ich winkte den Dreien zu und signalisierte ihnen, zu mir zu kommen. Andy grinste zufrieden und die beiden Mädels waren schwer beeindruckt.

„Na, wie hast du das denn hinbekommen?“, fragte Friederike erstaunt.

„Tja, auch wenn ich vom Dorf bin, habe ich so meine Beziehungen. Das ist Kemal, er stammt, genau wie ich, aus Geesthacht!“

„Jo Leute, freut mich! Aber jetzt rein mit euch. Ich hab hier noch ein bisschen wat zu arbeiten!“

Ich stellte die anderen kurz vor. Wir klatschten Kemal ab und gingen hinein.

An der Kasse übernahmen Andy und ich - ganz Gentleman - die Kosten für Eintritt und Garderobe. Das erste Getränk war im Eintrittspreis von zehn Mark enthalten, so dass wir uns zunächst an die Bar begaben, bevor wir uns in die Menge stürzten. Unsere letzte Flüssigkeitszufuhr war nun auch schon eine Weile her. Wir waren allesamt das erste Mal hier und staunten nicht schlecht über die gelungene und sehr tanzbare Mischung aus Rock, Funk, Soul und Rap. Es verkehrte hier auch nicht unbedingt das übliche Diskotheken-Publikum aus Schnöseln und Tussis. Wir genossen, trotz der vielen anwesenden Menschen und der Enge, die sehr entspannte Atmosphäre.

Friederike nahm mich bei der Hand und schleppte mich auf die Tanzfläche. „Na, dann will ich mal sehen, wie du dich bewegen kannst.“ Da ich nun schon öfter bei uns in der Kleinstadt-Disco unterwegs war, hatte ich mir einen aus meiner Sicht sehr coolen Tanzstil angeeignet. Nach dem Motto: „Weniger ist mehr“, setzte ich beim Tanzen überwiegend den Oberkörper ein und verharrte mit den Füßen immer auf einer Position. Meine Hufe standen etwa in einem 90 Grad Winkel auseinander, um einen festen Stand zu haben und um im Bedarfsfall besser die Hüfte einsetzen zu können. Auch Friederike schien mein Tanzstil zu gefallen. Marion quälte sich hingegen mit der ungelenken und unkoordinierten Zappelei von Andy ab, der sichtlich seine Freude hatte, aber gezwungenermaßen alle Blicke der umstehenden Leute auf sich zog. Die machten sich natürlich über seine unfreiwillige Slapstickeinlage ziemlich lustig. Andy scherte das aber herzlich wenig. Er hatte seinen Spaß. Diese Eigenschaft bewundere ich noch heute an ihm. Er macht sich rein gar nichts daraus, was andere Menschen über ihn denken. Er zieht einfach sein Ding durch.

„Wow, mir läuft das Arschwasser die Beine runter und ich habe stechenden Durst“, brüllte Andy der Marion nach etwa einer halben Stunde Action auf dem Dancefloor ins Ohr.

„Ist echt heiß hier, aber super Musik! Soll ich Friederike und Rene auch mal anhauen, ob sie auch etwas trinken wollen?“

„Jo mach mal!“

Marion stupste Friederike an die Schulter. „Hey, kommt ihr mit an die Bar, etwas trinken?“ Friederike nickte und zog mich einfach zur nächsten Getränkestation hinter sich her.

„Na Rene, auch am Verdursten?“ Andys Frage war eher rhetorischer Natur. Ich beantwortete sie ihm trotzdem.

„Aber wie, vor allen Dingen bin ich wieder komplett nüchtern. Ein paar Minuten Tanzen werfen dich wirklich um Stunden zurück.“

„Was wollt ihr denn?“, schaute Andy fragend in die Runde

„Also ich bleibe bei Wodka O!“, schoss es aus mir heraus. Die Mädchen nickten zustimmend. Andy bestellte die gewünschten Getränke und wir suchten uns ein etwas ruhigeres Eckchen, wo wir uns beim Unterhalten nicht so anschreien mussten.

„Echt dufter Schuppen hier, das sollten wir öfter mal machen!“, freute sich Marion, die insbesondere die Funk- und Soultitel überzeugten.

„Recht haste! Hier passt echt alles. Ziemlich geil!“

Letztlich freuten wir uns alle über einen bisher sehr netten Abend.

„So schmeckt mir die bunte Welt der großen Stadt.“

Ich sprach diesen Satz kaum aus, da kam ein ziemlich bulliger Typ auf uns zu und tippte Friederike von hinten an.

„Hey Riki, wie geht’s? Wo ist denn Wolfgang?“

Sie drehte sich erschrocken um. „Oh, hallo Jochen, prima. Wie du siehst, ist Wolfgang nicht mit dabei. Ich bin heute mit ein paar Schulfreunden unterwegs!“ Sie umarmte ihn und flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr. Es stellte sich heraus, dass Jochen ein Arbeitskollege ihres Freundes war. Ihr Lover wusste natürlich nichts davon, mit wem sie beziehungsweise dass sie überhaupt unterwegs war. Wolfgang schien sehr eifersüchtig und ein bisschen einfältig zu sein. Zumindest erweckte er den Eindruck bei mir, ohne ihn jemals getroffen zu haben. Aber allein aus den Erzählungen von Friederike ergab sich für mich eindeutig dieses Bild.

Jochen versuchte, Friederike völlig für sich zu vereinnahmen. Mit einem verächtlichen Blick auf Andy und mich gerichtet, fragte er sie: „Und was sind das hier für Dünnbrettbohrer? Gehen die Weicheier etwa auch auf deine Mädchenschule?“

Ich fragte mich nur, was diese Aktion jetzt sollte. Ich war nicht hier, um mich von irgendeinem dahergelaufenen Vollidioten beleidigen zu lassen und plusterte mich entsprechend auf. Dabei schob ich Friederike etwas zur Seite. „Was willst du Schwachmat denn von mir? Kann nicht mal bis drei zählen, hat ‘ne Fresse wie ‘n Warzenschwein und spuckt hier große Töne!“ Andy schaute mich erstaunt an, da ich körperlich ungefähr die Hälfte von dem Typen und einen halben Kopf kleiner war. Ein Grinsen konnte er sich aufgrund meines verbalen Vorstoßes allerdings nicht verkneifen und meinte dann für alle Umstehenden hörbar: „Komm, die Hohlbratze ist es doch nicht wert, sich den Abend vermiesen zu lassen. Nachher holst du dir noch irgendwelche Krankheiten, wenn du ihn rundmachst wie ein Buslenker.“

„Hast recht, der Neandertaler hat echt ‘ne ziemlich feuchte Aussprache und wer weiß, wer ihm die Rosette gepudert hat und aus welchem Zoo er entlaufen ist“, flackste ich zurück, ohne Jochen dabei aus den Augen zu lassen.

Es kam so, wie es kommen musste. Er holte aus und versuchte mir seine Faust ins Gesicht zu schlagen. Ich stand relativ nahe an einer Wand und duckte mich seitlich weg. So streifte er nur leicht meinen Haaransatz und hämmerte mit voller Wucht gegen die massive Steinwand. Seine eh schon hässliche Fratze verzog sich vor Schmerzen und Tränen schossen ihm in die Augen. Als er mich packen wollte, um mir tatsächlich eine zu verpassen, machte glücklicherweise Kemal gerade seine Runde und sah sofort, dass ich in Schwierigkeiten war. Er zog Jochen am Hemdkragen zurück und warf ihn auf den Boden. Anschließend packte er Jochens verletzte Hand und zog sie im Polizeigriff hinter dessen Rücken hoch. „So, ganz ruhig du Spacken. Was belästigst du hier unsere Gäste? Die Leute wollen hier friedlich feiern und du meinst hier ‘nen Dicken machen zu können, du Hänger!?“ Innerhalb einer halben Minute waren zwei Kollegen von Kemal zur Stelle, um Jochen vor die Tür zu begleiten.

„Na Rene, alles klar? Was war das denn für ‘ne Nummer, sag mal?“ Kemal schaute mich mit ernster Miene an.

„Der Typ hat uns beleidigt und kam sich richtig schlau vor, da haben Andy und ich ihm einfach ein paar Takte erzählt. Daraufhin wollte er mir eine klatschen und traf versehentlich nicht mich, sondern die Wand“, schilderte ich kurz die Geschehnisse.

Kemal grinste: „Hast ja früher beim Judo doch aufgepasst.“ Ich nickte und sagte nur lapidar: „Nutze immer die Energie deines Gegners!“

„Was passiert jetzt eigentlich mit dem Typen?“, fragte Andy, der sich feixend über Jochens Schicksal informierte.

„Der wird hier für ein Jahr Hausverbot bekommen und wir überlegen, ob wir ihn der Polizei übergeben.“

Ich hatte nicht gedacht, dass dieser Vorfall solche Wellen schlagen würde und wandte mich nochmals an Kemal. „Was würde dann geschehen?“

„Du kannst ihn wegen versuchter Körperverletzung anzeigen.“

„Ich hab ja nichts abbekommen. Er hat sich ja nur selbst verletzt, der Vollpfosten. Lass mal gut sein!“

„Eine weise Entscheidung. Wir, als Veranstalter, haben auch keine Lust die Polizei vor oder im Laden zu haben. Wollt ihr einen Drink auf Kosten des Hauses?“

„Lass uns zuerst mal nach den Mädels sehen, ob bei denen alles okay ist“, dankte ich Kemal für das nette Angebot.

Nachdem jetzt wieder Normalität eingekehrt war, schauten Andy und ich nach den Mädchen, die heftig miteinander diskutierten.

Als Friederike mich sah, stürzte sie auf mich zu. „Sag mal, spinnst du? Jochen ist ein Kollege von Wolfgang. Der wird ihm jetzt sicherlich stecken, dass ich heute ohne ihn los war.“

Eigentlich hatte ich mit einer anderen Reaktion gerechnet und ging sofort zum verbalen Gegenangriff über.

„Ach, das ist doch nicht mein Problem! Außerdem hätte ich mich lieber beleidigen und von ihm schlagen lassen sollen? Er kam uns doch doof mit Mädchenschule und hat uns als Weicheier bezeichnet.“

„Trotzdem hättest du nicht sofort in die gleiche Kerbe hauen müssen.“ Womit sie vermutlich im Recht war. An ihrem Vorwurf ärgerte mich allerdings in diesem Moment mehr, dass sie mit keiner Silbe Jochens Verhalten kritisierte. Anstatt ruhig zu bleiben, brachte ich nochmals Schärfe in unseren Disput.

„Außerdem kann Wolfgang ja auch nicht so der Bringer sein, wenn er solche Hohlköpfe kennt!“

Während ich diesen Satz herauspolterte, war mir nicht klar, dass dies womöglich das jähe Ende dieses Abends bedeuten konnte. Der Konter ließ auch nicht lange auf sich warten.

„Trotzdem, ich hätte die Situation auf meine Weise gelöst und lass gefälligst Wolfgang da raus. Du kennst ihn doch gar nicht!“

„Zum Glück! Ich kann auch nichts dafür, wenn du solche Asozialen kennst. Wir hätten uns ja vernünftig unterhalten können, wenn der Typ nicht so ein Idiot wäre!“

„Ach, du kannst mich mal. Du bist der Idiot! Ich will jetzt nach Hause!“

Marion versuchte noch auf Friederike einzureden, aber es nützte alles nichts, der Abend war gegessen. Ich war total frustriert darüber, dass ich in den Augen von Friederike der Sündenbock war. „Tolle Wurst, irgendein Prolet will mir in die Fresse hauen und ich bin jetzt der Arsch oder was?“, schüttelte ich ratlos den Kopf.

„Mach dir nichts draus, die kriegt sich auch wieder ein“, versuchte Andy mich aufzumuntern. „Nachher gibt es noch ‘nen Lütten bei mir, dann sieht die Welt schon wieder anders aus!“

Achtung, MÄNNERABEND!

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