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KAPITEL 2 BONNIE BOY

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In der Anfangszeit von AC/DC kam es gelegentlich vor, dass Bon Scott in einem Pub in Sydney blöd angequatscht und gefragt wurde, ob er nun AC oder DC sei. Statt dem vermeintlichen Witzbold eine reinzuhauen, wie er es früher ohne Zweifel getan hätte – und wohl auch jetzt noch täte, falls der Scherzkecks nicht aufhören sollte, ihn mit solchem Schwachsinn zu nerven –, legte er sein strahlendstes Zahnlückengrinsen auf und antwortete: »Weder noch. Ich bin der Blitz in der Mitte.«

Und das war er tatsächlich. Man kann die Rolle, die Bon Scott bei AC/DC spielte, nachdem die Band ihn endlich aufgenommen hatte, wohl kaum treffender beschreiben. Er war der Fleischbelag auf dem Riff-Sandwich der Young-Brüder. Er steuerte nicht nur den perfekten dreckigen Gesang zu Malcolms und Angus’ Vollgasrhythmen und dem rohen, wilden Sound bei, er schrieb auch die Songtexte, gab den mitreißenden Frontman und verhalf der Band zu einem etwas frecheren, anrüchigeren Image. Dazu trugen nicht zuletzt auch all seine Tattoos bei und die Unmengen Schweiß, die auf der Bühne aus seinen Poren strömten. »Das hält fit«, tönte Bon später einmal, »der Alkohol, die Weiber, die Schwitzerei, das schlechte Essen – das tut mir richtig gut!« Natürlich tat es das nicht. Dem Ego mag es geschmeichelt haben, doch Körper und Seele gingen daran zugrunde – Bon sollte das als Erster aus der Band herausfinden. Dennoch, wenn er nicht gewesen wäre, gab Angus später zu, »hätte es AC/DC in der Form vermutlich nicht gegeben… Bon hat AC/DC geprägt, der Band die richtige Würze verliehen. Er war einer der größten Dreckskerle, die mir je begegnet sind. Als ich ihm zum ersten Mal über den Weg lief, konnte man sich nicht mal gescheit mit ihm unterhalten – mehr als ›Fuck‹, ›Fotze‹, ›Piss‹ und ›Scheiße‹ kam nicht aus ihm raus. Später wurde er ein bisschen ruhiger und normaler.« Bon Scott war ein echter Kerl im wahrsten Sinne des Wortes, er hatte nichts Aufgesetztes an sich, er war absolut authentisch. Er konnte tatsächlich saufen, prügeln und ficken wie ein Weltmeister. Außerdem hatte er viel Humor. Man konnte also jede Menge Spaß mit ihm haben. Bon war allen freundlich gesinnt – bis seine Laune ganz plötzlich kippte. Dann kam seine andere, seine düstere, depressive Seite zum Vorschein, der Bon, der allen sagte, sie sollten sich verpissen und ihn in Ruhe lassen. Und wehe, das taten sie nicht!

Als wahrhaft schottischer Scott stammte Bon von einer langen Reihe verrückter Haudegen – oder wie die Schotten sagen »heid the ba’s« – ab. Anders als die Youngs, die wie ein Clan auftraten, aber eher eine Art Sept waren – eine kleinere Sippe nichtadeliger Herkunft, die sich die Treue schwört –, waren die Scotts die Nachfahren eines ehemals mächtigen Lowland-Clans, dessen Wurzeln bis zu jenem Clan zurückreichen, der lange vor der Verbreitung des Christentums Argyll von Irland aus erobert hatte. Das Motto der Scotts lautete »Amo« (dt.: ich liebe). Seinerzeit zählten sie zu den unerschrockenen Gefolgsleuten von Robert the Bruce. Sie kämpften an seiner Seite in der legendären Schlacht bei Bannockburn und in vielen anderen während der Schottischen Unabhängigkeitskriege, sie wurden wie er vom Papst exkommuniziert und als seine treuen Mitstreiter zum Tode verurteilt. Nur wenige Clans blicken auf eine derart leidvolle und blutige Vergangenheit zurück wie die Scotts.

Charles Scott – von seinen Freunden »Chick« genannt – wurde 1918 in Kirriemuir geboren, einem kleinen Marktflecken etwa fünf Meilen nordwestlich von Forfar in der Grafschaft Angus, im Osten von Schottland. Man kommt dorthin über die A928, eine enge, einspurige Straße mit ziemlicher Steigung. Der Ort liegt auf einem Hügel inmitten von Feldern; in nördlicher Richtung erheben sich der Glen Clova und der Glen Prosen, Richtung Süden kann man Glamis sehen, wo Queen Elizabeth und die Königinmutter geboren wurden. Das Städtchen ist zweigeteilt: Auf der einen Seite die Altstadt mit ihren schmalen Sträßchen und Durchgängen, die sich durch den alten Stadtkern hindurchwinden und von klassischen roten Sandsteingebäuden gesäumt sind. Hier ist die Vergangenheit immer noch lebendig; man kann sich leicht vorstellen, wie einst Gaslampen die engen Gassen erleuchteten. Auf der anderen Seite gibt es den modernen Teil, in dem die Tourismusindustrie deutliche Spuren hinterlassen hat. Die ehemals holprigen, unebenen Wege sind heute akkurat gepflastert und die Museen und Souvenirgeschäfte zeugen davon, wie wichtig heute der Tourismus für das Städtchen ist, das einst aufblühte, als die hier ansässige Textilindustrie zu florieren begann.

An Kirriemuirs berühmtesten Sohn, J. M. Barrie, erinnern sowohl eine Statue von Peter Pan, seiner bekanntesten Schöpfung, als auch eine Plakette an dem Haus in der Berchin Street, in dem er aufwuchs. Die Statue steht an einem Platz an der Bank Street, schräg gegenüber der Cumberland Close, wo Chick mit seiner Familie lebte, und dem sogenannten tollbooth, einem alten Uhrenturm, der über die Jahrhunderte als Mautstelle, Gericht und Polizeirevier diente und neuerdings als Museum genutzt wird. In einigen der umliegenden älteren Gebäude wurde zwischen den traditionellen roten Sandstein jeweils ein massiver grauer Stein gesetzt, ein sogenannter Hexenstein. Diese Steine sollten einst Hexen abwehren und erinnern noch heute an die Zeit der Hexenverfolgung, der im 16. Jahrhundert auch in dieser Region Frauen zum Opfer fielen.

Die Bank Street ist relativ kurz. Auf der einen Straßenseite gibt es einen Coop-Supermarkt und eine Filiale der Royal Bank of Scotland, auf der gegenüberliegenden das Dreisternehotel The Thrums. Vom Marktplatz mit dem Uhrenturm aus gelangt man über die Bank Street zur Kreuzung Mary Well Brae und School Wynd. An dieser Stelle soll früher die Bäckerei der Scotts gestanden haben. Allerdings weist heute nichts mehr darauf hin, wobei sich auch einige Ältere gar nicht daran erinnern können, dass es hier einmal eine Bäckerei gegeben haben könnte. Sie vermuten, dass sie eher in der Reform Street gleich hinter der Bank Street war. Dort gibt es tatsächlich eine Bäckerei. Allerdings war das Ladenlokal in all den Jahren an alle möglichen Geschäfte vermietet worden, wie ein Anwohner erklärt. Wesentlich mehr Gewissheit hat man bezüglich des Ortes, an dem man die Familie Scott häufig in ihrer Freizeit angetroffen haben dürfte. Das gilt zumindest für die männlichen Familienmitglieder, die wohl einigermaßen regelmäßig in Bellie’s Brae Inn eingekehrt sein dürften. Das Pub an der Ecke Cumberland Close, wo die Scotts wohnten, gibt es immerhin seit 1857. Das ehemalige Wohnhaus der Familie an der 2 Cumberland Close wurde wie die restlichen Gebäude entlang der Straße Anfang der 90er-Jahre abgerissen. Heute stehen hier moderne Wohnhäuser, und es gibt einen Souvenirladen und ein Fremdenverkehrsbüro.

Wo auch immer die Bäckerei der Scotts gewesen sein mag, klar ist, dass sie den Alltag der ganzen Familie bestimmte. Chicks Vater Alexander, der Alec genannt wurde, hat sie 1920 eröffnet. Wie später sein eigener Sohn, trieb sich auch Chick in jungen Jahren mit einem Freund namens Angus rum. Die beiden Teenager träumten davon, zur See zu fahren, bis Alec ihnen diese Flausen austrieb und Chick und seinen älteren Bruder George in der familieneigenen Bäckerei unterbrachte. Für ein Bier und ein kleines Liedchen nach der Arbeit war Chick immer zu haben. Alec sang sehr gerne gemeinsam mit seinen Söhnen, und ihre Mutter Jayne ermunterte George dazu, Klavierstunden zu nehmen. Auch Chick hat Klavierspielen gelernt und sogar mit Geige angefangen, doch am meisten Freude hatte er daran, zu singen und andere mit seinen Späßchen und amüsanten Geschichten zu unterhalten. Mit seinen tätowierten Armen war er ein echtes Original, niemand, der vor anderen katzbuckelte. Dem australischen Journalisten Clinton Walker erklärte er: »Ich ging einfach gern aus, wollte Spaß haben und auch ein bisschen ein ungezogener Bube sein.« Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Chick zweiundzwanzig. Er war bereits Reservist bei den Citizen Military Forces (CMF) gewesen. Jetzt meldete er sich freiwillig zur Armee und freute sich darauf, etwas von der großen weiten Welt zu sehen. Er leistete seinen Dienst als Bäcker und wurde zunächst in Frankreich, dann in Irland, Nordafrika und Italien stationiert.

Während seiner Grundausbildung im Küstenort Kirkcaldy lernte Chick eines Abends auf einer Tanzveranstaltung Isobelle Cunningham Mitchell kennen, die Isa genannt wurde. Die dunkelhaarige, schlanke junge Frau mit dem hübschen Gesicht war außerordentlich intelligent. Sie hatte noch drei Schwestern, mit denen sie zusammen aufgewachsen war. Ihr konnte niemand so leicht etwas vormachen. Auch sie liebte Musik, was kein Wunder war, da auch sie aus einer musikalischen Familie stammte. Ihre Mutter spielte Klavier – ebenso wie ihr Vater – und Orgel. »[Er] hatte eine tolle Stimme und konnte wunderbar singen«, erzählte sie Walker. Als Chick Isa 1941 während eines Fronturlaubs heiratete, war Jayne Scott alles andere als begeistert. Als Bäcker mit einem eigenen Geschäft fühlten sich die Scotts der vergleichsweise gut situierten Mittelschicht zugehörig, und Jayne konnte nicht verstehen, dass ihr Sohn ein Mädchen aus dem »gemeinen Arbeitervolk« zur Frau genommen und damit ihrer Meinung nach weit unter seinem Stand geheiratet hatte. Doch Chick war inzwischen Soldat und dreiundzwanzig Jahre alt; er ließ sich nicht länger vorschreiben, was er tun sollte oder nicht. Zwei Jahre später brachte Isa ihr erstes Kind zur Welt, einen Jungen namens Sandy. Doch das Baby starb tragischerweise bereits mit neun Monaten, ohne dass Chick es jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Als Chick im Dezember 45 aus dem Kriegsdienst entlassen wurde, war Isa erneut schwanger. Die beiden ließen sich in Kirriemuir nieder und zogen in ein bescheidenes Reihenhaus, das Alec für sie gekauft hatte. Chick arbeitete wieder mit seinem Vater und dem älteren Bruder in der Bäckerei, und endlich begann das Leben der Eheleute in ruhigeren Bahnen zu verlaufen. Isa ging jeden Sonntag in die Kirche und Chick trat einer Laienoperettengruppe bei, wo er Lieder von Gilbert und Sullivan sang. Zudem fand er endlich ein Instrument, das ihm wirklich zusagte: Er wurde Trommler in der Kirriemuir Pipe Band. Am 9. Juli 1946 kam ihr zweites Kind zur Welt, es war wieder ein Sohn, den sie Ronald Belford (nach dem mittleren Namen der Großmutter) nannten. Obschon Ronnie die dunklen Augen und den sanften Blick seiner Mutter geerbt hatte, schlug er äußerlich eher nach seinem Vater, dessen wölfische Züge auch er hatte. Und genau wie Chick trieb er sich gerne herum; schon als Kleinkind, das gerade Laufen gelernt hatte, »geriet er in alle möglichen Situationen hinein«. Als er später zur Schule ging, habe er überhaupt keinen Drang verspürte, nach Hause zu wollen, erklärte Isa Clinton Walker. »Er war immer mit seinen Freunden unterwegs … Ich musste ihm ständig hinterherlaufen und ihn förmlich nach Haus schleppen. Das fing also schon früh an!«

Ronald trommelte gerne – wie sein Vater; er schlug mit Stricknadeln auf eine Keksdose ein oder malträtierte ein Brotschneidebrett mit Löffeln und Gabeln. Immer wenn der Spielmannszug seines Vaters an ihrem Haus vorbeizog – also fast jeden Samstagabend –, marschierte der »kleine Sommersprossen-Ronnie«, wie seine Mutter ihn nannte, neben den Musikern her. Als er drei Jahre alt war, bekam er einen kleinen Bruder, Derek, und als er sieben war, brachte Isa einen weiteren Sohn zur Welt, den sie Graeme nannten. Als großer Bruder sagte Ronald seinen kleinen Geschwistern natürlich, wo’s langgeht, doch Isa zufolge war er »eher ein Schelm als gemein oder ungezogen«.

Sein Vater bekam indes immer mehr Fernweh. Sechs Jahre beim Militär, die er zum größten Teil im Ausland verbracht hatte, hatten in ihm die Neugier geweckt; er wollte plötzlich wissen, was jenseits der Grenzen des sicheren, aber auch einengenden Kirriemuir lag, was das Leben noch Aufregendes bieten mochte. Er konnte der Vorstellung nichts abgewinnen, mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern, für die er zu sorgen hatte, dort bis zum Ende seiner Tage zu bleiben und zu versauern. Nicht nur die Iren, auch die Schotten hatten seit jeher immer wieder ihr Glück in der Ferne gesucht. In der entbehrungsreichen Nachkriegszeit zog es sie zuhauf in die aufstrebenden, jungen Länder, in denen die Wirtschaft boomte: Kanada, die Vereinigten Staaten, Neuseeland oder Australien.

Chick und Isa interessierten sich für dasselbe, 1947 eingeführte Einwanderungsprogramm, das später auch den Youngs einen Neuanfang in Australien ermöglichte. Immer ernsthafter beschäftigten sie sich mit dem Thema Auswanderung. Eine von Isas Schwestern war schon 1951 nach Melbourne immigriert. Und die Briefe, die sie nach Hause schrieb und in denen sie von ihrem neuen Leben unter der unablässig scheinenden Sonne berichtete, taten das ihrige, um Isa davon zu überzeugen, am anderen Ende der Welt noch mal neu anzufangen. In Australien hatten vor dem Krieg nicht mal sieben Millionen Menschen gelebt, doch seit der Einführung seines Einwanderungsprogramms vor fünf Jahren waren bereits über eine Million Neubürger hinzugekommen. Allerdings waren nicht alle gleichermaßen willkommen. Viele wurden als »Wogs« oder »Spics« beschimpft und fast ebenso schlecht behandelt wie die Aborigines, die australischen Ureinwohner. Die Briten galten als jammernde »Poms«, und auch die Iren, die besonders zahlreich ins Land strömten, wurden schief angesehen, wobei besonders den irischen Katholiken ein enormes Maß an Geringschätzung entgegengebracht wurde. Die Schotten hingegen – und somit auch die Scotts, die trotz der eindringlichen Warnung von Chicks Mutter 1952 den Sprung ins kalte Wasser gewagt und ein Schiff nach Melbourne genommen hatten – wurden mit offenen Armen empfangen. Die Australier betrachteten sie als natürliche Verbündete, da sie angeblich die jahrhundertelange Unterdrückung und Missachtung durch die Briten einte. Von all den Ausländern, die von überall aus der Welt kamen und bei ihnen Zuflucht suchten, konnten sich die Australier mit den zähen, hart arbeitenden schottischen Protestanten am besten identifizieren.

Zunächst kamen die Scotts bei Isas Schwester unter, die in einem Vorort von Melbourne lebte, der passenderweise Sunshine hieß – sie waren am Ziel, zumal sie kurz darauf in derselben Straße ein eigenes Haus bezogen. Chick kehrte hier nicht in seinen Beruf als Bäcker zurück, sondern nahm eine Stelle als Fensterbauer an. Der kleine Ronnie wurde in der Grundschule angemeldet und erwarb sich dank seiner Fähigkeiten als Marschtrommler die Anerkennung seiner kleinen Mitschüler, die sich jeden Morgen auf dem Weg zur Schule hinter ihm einreihten und im Gleichschritt mit ihm zur Sunshine Primary School marschierten. Ronnie nahm auch Blockflötenunterricht und klimperte gerne auf dem Familienklavier herum. Zwar versuchte Isa, ihn davon zu überzeugen, Klavierstunden zu nehmen, doch musste sie schnell einsehen, dass ein solcher Unterricht zum Scheitern verurteilt war, da er genauso wenig stillsitzen konnte wie sein Vater. Der Siebenjährige hatte aber eine andere Idee, und so bekniete er seine Eltern dermaßen, ihm ein Akkordeon zu kaufen, und versprach ihnen hoch und heilig, regelmäßig zu üben, dass sie das Klavier veräußerten und ihrem Ältesten tatsächlich ein Akkordeon besorgten. Pflichtbewusst ging Ronnie daraufhin regelmäßig zum Unterricht – bis er urplötzlich damit aufhörte und das Instrument nicht mehr anrührte. Was er wirklich spielen wollte, war Schlagzeug, wie sein Vater. Also wurde auch das Akkordeon wieder verkauft und Ronnie bekam sein erstes Schlagzeug. »Man musste ihn nie dazu anhalten, darauf zu spielen«, sagte Isa mit einem Lächeln. »Es lag ihm einfach im Blut.«

Dasselbe galt für den Sport. Ronnie schwamm gerne und war regelmäßig in den nahe gelegenen Footscray Baths zu finden, wo er es genoss, als mutiger Turmspringer die Blicke auf sich zu ziehen: Vom höchsten Sprungbrett aus stürzte er sich ins Wasser, wobei ihm die anderen Kinder – auch die älteren – voller Bewunderung zusahen. Er wartete so lange, bis die Rettungsschwimmer auf ihn aufmerksam wurden und ihn vom Springen abhalten wollten. Dann stürzte er hinab – halb flog er, halb fiel er hinunter – und traf mit einer harten Bauchlandung auf dem Wasser auf. Das waren Ronnies erste spektakuläre Darbietungen vor einem ehrfürchtigen Publikum – es sollten nicht seine letzten sein.

Als bei dem kleinen Graeme 1956 Asthma diagnostiziert wurde, empfahl der Arzt den Scotts in den trockeneren australischen Westen umzusiedeln. Die Familie folgte dieser Empfehlung und zog nach Fremantle, einer kleinen, zwölf Meilen südlich von Perth gelegenen Hafenstadt. Über hundert Jahre lang war Fremantle ein zweites Zuhause für Verbrecher, Seefahrer, Puffmütter und Zuhälter gewesen, für eben jene zwielichtigen Figuren, die sich in Hafenstädten gewöhnlich herumtreiben. Doch mit der Erschließung des Industriegebiets von Kwinana Mitte der 50er-Jahre änderte sich die Einwohnerstruktur von Fremantle. Immer mehr Männer fanden dort Arbeit, und irgendwann war dank der neu hinzugezogenen Familien das alteingesessene Gesindel plötzlich in der Minderheit. In diese Zeit des sozialen Umbruchs fiel auch die Ankunft von Chick Scott und seiner Familie. Chick fand eine Stelle in einer Filiale der Firma, für die er auch schon in Melbourne gearbeitet hatte, und kaufte zunächst ein Haus an der Nordseite des Flusses, bevor er Isa und seine Söhne nachholte. Wie üblich gelang es den Scotts, sich schnell einzuleben und Anschluss zu finden. Während Chick der örtlichen Caledonian Society beitrat, gründete Isa ihren eigenen »Scottish Club«. Schon bald spielte Chick auch wieder in einer schottischen Pipe Band und nahm Klein-Ronnie als Ersatztrommler mit. Immer, wenn der Spielmannszug irgendwo auftrat, zog sich die gesamte Familie ihre Kilts an und schaute zu.

Den Spitznamen »Bonnie« erhielt der inzwischen zehnjährige Ronnie an seiner neuen Grundschule im Norden von Fremantle. Sein mittlerweile ziemlich eigenwilliger schottisch-australischer Akzent und sein durchaus passender Nachname verleitete seine Mitschüler dazu, aus Ronnie Scott kurzerhand Bonnie Scotland zu machen. Ronnie selbst hasste diesen Namen und prügelte sich mit jedem, der ihn auf dem Schulhof damit aufzog. Dennoch setzte er sich durch. »Ich hab einfach nicht hingehört«, sagte er achselzuckend. »Ich lasse mir nichts aufzwingen.« Doch als er ins Teenageralter kam, nannten ihn selbst seine besten Freunde Bonnie – oder kurz Bon.

Etwa um diese Zeit hatte er auch seinen ersten öffentlichen Auftritt als Musiker: Er spielte Blockflöte bei einem Schulkonzert in der North Fremantle Town Hall. Das hat ihm so viel Spaß gemacht, dass er sich fortan noch intensiver mit seiner Marschtrommel beschäftigte. Und zwar so intensiv, dass er fünf Jahre in Folge den Trommelwettbewerb der unter Siebzehnjährigen gewann. Gutmütig und offenherzig wie er war, eroberte Bonnie mit seinen Sommersprossen und seinem breiten Lächeln die Herzen von vielen. Immer wieder bekam er zu hören, dass seine Eltern sehr stolz auf ihn sein könnten. Das änderte sich allerdings, als er auf die weiterführende Schule wechselte, die John Curtin High. Als Jugendlicher, der in die Pubertät kam, entdeckte der stets übermütige und schelmische Bon wie damals jeder in seinem Alter den Rock’n’Roll – und danach gab es kein Zurück mehr.

Neben den bekannten Stars wie Chuck Berry, Little Richard, Elvis und später die Beatles liebte Bon auch die einheimischen, australischen Rocker wie Johnny O’Keefe, dessen »Wild One« (das später von vielen bekannten Musikern wie Jerry Lee Lewis, Iggy Pop, Lou Reed und anderen gecovert wurde) er gerne unter der Dusche anstimmte. Später erinnerte er sich, dass Isa ihn ermahnte, damit aufzuhören. »Meine Mutter sagte immer: ›Ron, sei doch einfach ruhig, wenn du keine richtigen Lieder singen kannst! Schrei doch nicht dieses Rock’n’Roll-Zeug hier herum.‹« Und dann waren da natürlich die Mädchen. Wie Bon zu seiner großen Freude feststellte, erregte er deren Aufmerksamkeit durch sein Interesse für den Rock’n’Roll fast automatisch. Sein Bruder Graeme erinnert sich: »Er genoss das Interesse der Mädels. Einmal war ein Foto von ihm in der Zeitung: Bon in voller schottischer Montur, umrahmt von zwei Highland-Tänzerinnen. Die beiden hatten etwa sein Alter, zwölf oder dreizehn. Und er stand da und grinste übers ganze Gesicht.«

Sein Interesse am Rock’n’Roll und an Mädchen zog auch die damit eng verbundenen, allerdings weniger gesunden Hobbys wie Rauchen und Alkohol trinken nach sich – wozu später noch der Konsum von Blues (Speed) und Dope (Marihuana) kam. Diese Vorlieben brachten Bon wiederum in Kontakt mit Cliquen von eher zweifelhaftem Ruf, in die nur Jungs aufgenommen wurden, die gut prügeln und einstecken konnten. Bon lungerte mit den Älteren beim Fluss herum und konnte mit Rauchen, Prügeln und Mädchenabschleppen Eindruck schinden. Als er fünfzehn war, hatte er seine eigene Clique, zu der auch seine beiden besten Freunden Terry und Moe gehörten. Bon war ihr Anführer, weil er der Stärkste von ihnen war. Er schlug jeden zusammen, der »ihm im Weg stand«. Eine eigene Bande zu haben, brachte ihm jene Art von Respekt ein, die er sich selbst als bester Trommler nicht hätte verdienen können. Besser als Schule war es allemal. Daher ging Bon 1961, als er endlich selbst entscheiden durfte, von der Schule ab und nahm einen Job als Traktorfahrer an. Den schmiss er allerdings, als Terry ihm eine Stelle auf einem Krabbenfischerboot verschaffte. Falls Bon von einem abenteuerreichen Leben auf hoher See geträumt hatte, wird ihn sein neuer Job sicher schnell ernüchtert haben. Die Fischer arbeiteten hart; sie mussten in aller Früh, solange es noch dunkel war, aufs Meer hinaus, und sie kehrten erst zurück, wenn sich ihre Arme anfühlten, als würden sie abfallen, und die Beine kurz davor waren, einzuknicken. Das einzig Gute, das sein Intermezzo als Fischer hatte, war das Ohrloch, das er sich in dieser Zeit stechen ließ – ein damals extrem ungewöhnliches Accessoire für einen jungen Mann, der nicht zur See fuhr. Inzwischen hatte Bon nämlich eine wesentlich angenehmere Stelle als Waagenschlosserlehrling angetreten. Im Endeffekt interessierte es ihn nicht sonderlich, womit er sein Geld verdiente, solange er am Ende der Woche ein paar Dollar in der Tasche hatte und ihn der Job von seinen eigentlichen Plänen – nämlich Rock’n’Roll-Musiker zu werden – nicht allzu sehr abhielt.

Eine von Bons damaligen Freundinnen war Maureen Henderson, die Schwester seines Kumpels Terry. Herausgeputzt nach allen Regeln der Kunst gingen die beiden an den Wochenenden zu irgendwelchen Tanzveranstaltungen oder ins Autokino, wo sie sich Filme wie Schlagerpiraten und Jailhouse Rock – Rhythmus hinter Gittern ansahen. Bon hatte alles, was einen echten Bad Boy ausmachte. Damals war man entweder Rocker oder Bodgie. Mit seinen immer gestylten, pomadisierten Haaren, seiner schwarzen Lederjacke und den hautengen Jeans war Bon zweifelsfrei ein Rocker. Nur wer keine Ahnung hatte, konnte glauben, dass Rocker dieselbe Musik wie die Bodgies hörten. Tatsächlich standen die beiden Gruppierungen auf ziemlich unterschiedliche Musik: Bon und seine Kumpels liebten Elvis und Little Richard, während die anderen auf Buddy Holly und die Everly Brothers abfuhren – auf Mädchenmucke also. Das passte, denn die Bodgies kleideten sich ja auch fast wie Mädels mit ihren adretten Strickjäckchen, den langen Stoffhosen und den akkuraten Bürstenschnitten. Bon hätte um nichts in der Welt ein Bodgie sein wollen.

Nachdem er den Führerschein gemacht hatte, begann er sich auch sehr für Autos zu interessieren. Vor allem große, schnelle, schnittige amerikanische Schlitten und alle Fahrzeuge, die so aussahen und deren Motorsound sich so anhörte, hatten es ihm angetan. In Fremantle wurden diese Wagen »Tanks« genannt. Und wehe dem, der versuchte, Bon in seinem zu überholen oder auszustechen. Er war kein Junge mehr, der mit anderen Jungs herumbalgte. Mehr und mehr kam eine ziemlich brutale Ader zum Vorschein; er prügelte sich jetzt so lange, bis er oder sein Widersacher blutend am Boden lag – je größer der Gegner, desto besser. Bon war nicht gerade hochgewachsen, aber er schreckte nie vor einer Auseinandersetzung zurück. Er hielt nichts davon, klein beizugeben. Auch dies war etwas, das er mit seinem Vater und dem Rest des großen Scott-Clans gemein hatte.

Schon bald war Bon in der näheren Umgebung bekannt als jemand, mit dem man sich besser nicht anlegte. Diesen Ruf festigte er noch, als er sich die erste seiner vielen Tätowierungen stechen ließ. Aktionen wie diese hatten allerdings immer auch eine irgendwie komische Seite. Für besagtes erstes Tattoo fuhr Bon mit Terry nach East Perth. Als Terry nach Hause kam, zierte der Schriftzug »Death Before Dishonour« seinen Arm. Bon kam mit derselben tätowierten Botschaft heim, doch weil er seinen Freund, verwegen wie er war, natürlich noch übertreffen wollte, ließ er sie sich nicht auf den Arm, sondern kurz über den Schamhaaransatz in die empfindliche Leistengegend stechen. Die Tränen rannen ihm übers Gesicht, während der Tätowierer seiner Arbeit nachging, dennoch zog er es durch. Zugeben, dass er es diesmal vielleicht übertrieben hatte, war nicht drin. Noch Wochen später konnte er seine Hose nicht richtig zumachen, so sehr schmerzte die Stelle.

Noch war Bon nicht der Alkoholiker, der er in seinen Zwanzigern werden sollte. Stattdessen schluckte er Speed und rauchte alles, was er zwischen die Finger bekam, und es dauerte nie lange, bis er sich irgendwelchen Ärger einhandelte. Samstagabends traf er sich mit Terry, Maureen und dem Rest der Bande im Cafe de Wheels. Draußen vor der Tür standen etliche Chevrolets, Dodge Customs und sogar Mustangs. Autos brachten Bon und die Jungs auf jede Menge dummer Ideen. Genauso wie sie es bei James Dean in … denn sie wissen nicht, was sie tun gesehen hatten, traten sie auf der Hauptstraße gegeneinander an, fuhren Rennen oder rasten in einer irrsinnigen Mutprobe aufeinander zu, manchmal fuhren sie auch nach Port Beach hinunter, um sich dort Rennen zu liefern. Terry fuhr einen Ford, doch Bon knackte immer irgendwelche Wagen, die ihm gerade gefielen. Mit so einem geklauten Schätzchen rammte er einmal am Strand einen Kleinbus, der daraufhin buchstäblich auseinanderbrach. Dass sich die Polizei der Sache annahm, war unvermeidlich. Es dauerte nicht lange, bis die Cops Bon und Terry auf dem Kieker hatten und immer dann genauer unter die Lupe nahmen, wenn irgendwo in der Stadt etwas gestohlen worden oder zu Bruch gegangen war. »Sie haben Benzin geklaut«, erinnerte sich Maureen später. »Während sie den Sprit abzapften, stand ich Schmiere.« Wenn Bon und Terry die Cops verhöhnten, konnte es auch schon mal ungemütlich werden. Eines Abends haben sie Terry ganz schön vermöbelt. Bon hat daraufhin einen der Bullen halb tot geprügelt. Letztendlich konnte allerdings nichts davon bewiesen werden, sodass das Ganze nicht weiter verfolgt wurde. Bon geriet dadurch allerdings immer nur tiefer in den Schlamassel hinein. Chick machte sich deshalb ernsthafte Sorgen um seinen Sohn, den er sich hin und wieder vorknöpfte. Doch das half nichts, irgendwann hörte ihm Bon einfach gar nicht mehr zu, ließ ihn stehen und übernachtete bei Terrys Eltern auf der Couch.

Wer es regelmäßig bis zum Äußersten treibt, braucht nicht viel, um irgendwann tatsächlich zu weit zu gehen. Bon Scott passierte das zum ersten Mal mit sechzehn. Bei einer Tanzveranstaltung in Port Beach, die er öfter besuchte und bei der er gelegentlich ein, zwei Lieder mit der Hausband sang, lernte er eines Samstagabends ein hübsches Mädchen kennen, das er mit an den Strand nahm, um sich mit ihr zu vergnügen. Als sie fertig waren und wieder zurückgingen, kamen auf sie ein paar Jungs zu, die sie beobachtet hatten und der Meinung waren, dass sie ein Anrecht auf ein bisschen Spaß mit der jungen Dame hätten. Bon mag ein Rowdy und Draufgänger gewesen sein, aber was Frauen anging, war er ein Gentleman – zumindest sah er das so. Keine Frage, dass er diesen Rüpeln Manieren beibringen musste. Wie eine Kampfmaschine stürzte er sich auf sie und schlug alles kurz und klein, was ihm in die Quere kam. Tische gingen zu Bruch, Gläser flogen umher. Irgendwann rückte die Polizei an, und Bon flüchtete blutüberströmt in Terrys Ford. Natürlich wussten die Cops ganz genau, wer da vor ihnen Reißaus genommen hatte, und noch in derselben Nacht erwischten sie ihn – mit rund fünfundvierzig Litern geklautem Benzin. Bon kam bis zum Montagmorgen hinter Gitter und wurde dann einem Jugendrichter am Fremantle Children’s Court vorgeführt. Der befand Bon für schuldig, falsche Angaben zu Namen und Adresse gemacht, sich der gesetzlichen Obhut seiner Eltern entzogen, Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen gehabt und natürlich zwölf Gallonen Benzin geklaut zu haben. Chick und Isa, die bei der Verhandlung dabei waren, waren erschüttert über das, was sie sich dort anhören mussten. Bis zu seinem achtzehnten Geburtstag wurde Bon der Obhut des Jugendamtes unterstellt, zudem empfahl der Richter die Unterbringung in einer Besserungsanstalt. Eine Heraufsetzung des Strafmaßes wurde für den Fall angekündigt, dass die junge Dame, mit der er sich am Strand vergnügt hatte, ihn wegen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen anzeigen sollte (was glücklicherweise nicht geschah).

Das alles war ein schlimmer Schlag für Bon und seine Familie. Dass so etwas passieren würde, war seit geraumer Zeit absehbar gewesen – weniger hart getroffen hat es deshalb freilich niemanden. Das einzige Positive war, dass Bons junge Verbrecherkarriere vorerst gestoppt war. Wäre dies fünf Jahre später passiert, hätte man es womöglich nur als weitere Episode auf seiner unaufhaltbaren Talfahrt angesehen. Der gerade einmal Sechzehnjährige, der davon träumte, sich als Sänger richtig beweisen zu können, wollte seinen Fehltritt jedoch so schnell wie möglich vergessen machen. Durch die samstäglichen Tanzveranstaltungen in Port Beach, die der in der Region sehr beliebte Sänger Johnny Young veranstaltete, hatte Bon sich noch für etwas anderes einen Namen gemacht, als der Anführer einer Bande zu sein. Young sang bei diesen Veranstaltungen selbst ein, zwei Lieder, kam dann aber meist nicht weiter, weil die Menge, angestachelt von Maureen, lautstark »Wir wollen Bonnie! Wir wollen Bonnie!« skandierte. Ohne jede Scheu kletterte Bon sogleich auf die Bühne, nahm Young das Mikrofon aus der Hand und ließ es mit »Long Tall Sally« und »Blue Suede Shoes« richtig krachen. Maureen erinnert sich, dass »die Mädels total verrückt nach ihm waren … Johnny Young fand das natürlich gar nicht so lustig«.

Nächte, in denen er Mädchen den Kopf verdrehte, sollte es für Bon in nächster Zeit nicht mehr geben. Obschon er sich später nie mehr eingehend zu dieser Phase seines Lebens äußern wollte, sickerte doch das ein oder andere durch. Das größte Dilemma war für Bon damals, dass Alec und Jayne, seine Großeltern aus Kirriemuir, genau zu dieser Zeit kommen wollten, um Chick, Isa und ihre Enkel zum ersten Mal in Australien zu besuchen. Auch wenn er sich wie ein Halbstarker aufführte, fand Bon immer noch, er sei ein »ziemlich netter Kerl«. Immerhin hatte er kürzlich den Avery’s Best First Year Apprenticeship Award gewonnen – eine Auszeichnung für die besten Lehrlinge im ersten Ausbildungsjahr. Doch lieferte er sich zur selben Zeit illegale Rennen, klaute Autos und prügelte sich regelmäßig. Er hatte sich sehr darauf gefreut, seine Großeltern wiederzusehen. Doch wie sollte er ihnen jetzt gegenübertreten? Silver Smith, eine seiner späteren Freundinnen, erklärte Clinton Walker Jahre später, dass Bon »die Wahl hatte: Er konnte der richterlichen Empfehlung nachkommen oder eben nicht«. Weil er es unter den gegebenen Umständen nicht ertragen konnte, seinen Großeltern unter die Augen zu treten, »folgte er der Empfehlung des Richters und entschied sich für das Erziehungsheim. Als er dort wieder rauskam, waren seine Großeltern längst abgereist – und kurze Zeit später starben sie. Er wollte immer etwas tun, um das wiedergutzumachen.«

Riverbank war keine typische Besserungsanstalt, es war ein spezielles Gefängnis für die schlimmsten jugendlichen Straftäter. Statt offener Schlafsäle gab es abschließbare Zellen. Es sollte für die Jungs, die dorthin kamen, nicht angenehm, sondern hart sein – und das war es auch. Die Älteren schikanierten die Jüngeren, und sexuelle Belästigungen und Übergriffe waren an der Tagesordnung. Bon saß ganze neun Monate dort ein. Ein harter Kerl zu sein machte hier gar nicht mehr so viel Spaß wie draußen. Um sechs Uhr früh wurde er geweckt. Dann stellte er sich in der Schlange an den Waschräumen an, wo ihn eine eiskalte Dusche erwartete. Bei Anbruch der Dunkelheit scheuchte man ihn wieder in seine Zelle mit der harten Pritsche. Dort lag er und rauchte, während sich seine Gedanken im Kreis drehten. Den Rest des Tages musste er gemeinsam mit den anderen anstrengende Tätigkeiten in der Werkstatt, der Küche oder der Wäscherei verrichten. Stundenlang robbte er auf Händen und Knien umher, um kalte, verdreckte Böden zu schrubben, die man nie richtig sauber bekam. Die Finger wurden dabei wund und taub. Nach dem in der Regel ungenießbaren Abendessen wurden sie in den Gemeinschaftsraum gepfercht, wo die meisten Jungs Karten spielten oder Radio hörten. Die wachhabenden Beamten wollten sie dazu bringen, Bücher zu lesen oder Instrumente zu spielen, doch daran bestand gemeinhin wenig Interesse. Hin und wieder wurde ein bisschen halbherzig gesungen. Manchmal machte Bon mit, doch meistens ließ er es bleiben. Er war viel zu beschäftigt damit, zu beobachten, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Es hatte wohl auch mit der allgemeinen Langeweile zu tun, dass es täglich, manchmal sogar stündlich zu Handgreiflichkeiten kam. Als Strafe für solche Prügeleien kam man »in die Kiste«, genauer gesagt, in Isolationshaft. Für einen so geselligen Menschen wie Bon war das die schlimmste Strafe. Die einzige Abwechslung und Entspannung bot die Besuchszeit, sonntags nach dem Mittagessen. Gelegentlich wurden die Insassen ermuntert, bei dieser Gelegenheit ein Konzert für die Besucher aufzuführen. Weil er Schlagzeug spielen konnte, machte Bon bei diesen Aufführungen stets mit. Dabei keimte in ihm mehr und mehr der Wunsch auf, in einer Band zu spielen – einer wie die Beatles, deren Songs Bon in Riverbank im Radio zum ersten Mal gehört hatte. Schon bald erzählte er seinen Eltern, dass er nach seiner Entlassung einer echten Band beitreten und berühmt werden wollte. Sie hofften insgeheim, während sie ihm zuhörten, dass er sein Leben in den Griff bekommen und bloß nicht noch einmal in Riverbank landen würde. Auch ohne sich mit Bons Mitinsassen eingehender zu befassen, war ihnen klar, dass für eine Reihe von ihnen – auch wenn sie erst am Anfang ihres Lebens standen – das Gefängnis schon bald ein zweites Zuhause sein würde.

Kurz vor Weihnachten 63 wurde Bon aus Riverbank entlassen. Er zog wieder zu seinen Eltern und bewarb sich, wie sein Bewährungshelfer ihm empfohlen hatte, bei den Citizen Military Forces, der Freiwilligenreservearmee. Doch beim Vorstellungsgespräch, zu dem ihn sein Bewährungshelfer begleitete, erklärte man ihm, dass er nicht die erforderlichen Eigenschaften für einen Soldaten mitbrächte, nicht einmal für einen Reservisten. Es mangele ihm an der entsprechenden Charakterstärke. Er schien in dieser Hinsicht für immer gezeichnet zu sein. Und so wurde er in den nächsten Jahren, als sich Australien immer stärker in den Vietnamkrieg verstrickte, auch nie eingezogen, obschon er gemustert wurde. Später verkündete er stolz, dass ihn die Armee wegen seines »unangepassten Sozialverhaltens« verschmäht habe.

Insgeheim war Bon froh über diese Zurückweisung, denn so war es ihm möglich, sich voll und ganz auf die Verwirklichung seines neuen Traums zu konzentrieren: Drummer in einer Rockband zu werden. Tagsüber arbeitete er im Lager des Western Australian Egg Board, des westaustralischen Wirtschaftsverbands der Eierindustrie, abends übte er auf einem Schlagzeug, dass er bei seinen Eltern im Wohnzimmererker aufstellte. Möchtegernsänger und -gitarristen gab es wie Sand am Meer, aber gute Drummer waren Mangelware, und so dauerte es nicht lange, bis Bon in einer richtigen Band aufgenommen worden war. Die Gruppe, die sich nach dem berühmten Produzenten Phil Spector The Spektors genannt hatte, bestand mit dem Gitarristen Wyn Milson und Sänger John Collins aus zwei Jungs aus der Kwinana-Ölraffinerie, die Bon kürzlich kennengelernt hatte, sowie dem Bassisten Brian Gannon. Mit Bon am Schlagzeug mauserte sie sich zu einer passablen Coverband, die in denselben Läden spielte, die Bon früher oft besucht hatte, etwa das im Zentrum von Perth gelegene The Big Beat Centre. Da er keine Lust hatte, die ganze Zeit über im Hintergrund zu versauern, meinte Bon, es sei doch eine pfiffige Idee, auch den Drummer jeden Abend ein paar Songs singen zu lassen. Die anderen waren von diesem Vorschlag zwar nicht sonderlich überzeugt, aber es wollte sich auch keiner mit diesem harten Typen anlegen, der gerade aus dem Knast entlassen worden war. Und so kam es, dass sich Bons knallharte Version des Kinks-Klassikers »You Really Got Me« zu einem echten Highlight ihres Sets entwickelte – zumindest in Bons Augen.

1965 stand Australien – wie der Rest der zunehmend vom Popvirus befallenen Welt – fest im Bann der Beatles, der Rolling Stones und diverser Trittbrettfahrer. Die Spektors machten für sich das Beste daraus, indem sie Songs wie »It’s All Over Now« von den Stones, »Gloria« von Them und selbst »Yesterday« von den Beatles nachspielten. Bon hatte seinen Vater überredet, ihm seinen nigelnagelneuen Ford Falcon Kombi auszuleihen, um sein Schlagzeug zu den Gigs zu transportieren. Hoch und heilig schwor er ihm, dass er das gute Stück nicht wie die Karren behandeln würde, mit denen er einst über den Strand gebrettert war. Er hielt Wort zumindest insofern, als dass ihm diesmal nicht die Geschwindigkeit zum Verhängnis wurde, sondern seine Müdigkeit. Eines Samstagnachts auf dem Nachhauseweg nickte er hinter dem Steuer ein, krachte auf dem Stirling Highway gegen eine Straßenlaterne und wachte wenig später mit etlichen Schnittwunden an Gesicht und Händen im Krankenhaus wieder auf.

Ein Zwischenfall ganz anderer Art ereignete sich noch im selben Jahr bei einem Spektors-Gig im Medina Youth Club: Als er die bildschöne siebzehnjährige Maria Van Vlijman kennenlernte, verliebte sich Bon zum ersten Mal. Bon war es gewöhnt, dass sich die Mädchen während der Gigs um ihn scharten. Schon seit Schulzeiten war er hinter ihnen her gewesen – und sie auch hinter ihm. Doch ein Mädchen wie Maria hatte er noch nie getroffen. Das hatte auch damit zu tun, dass sie eine praktizierende Katholikin, die genau wusste, wie weit sie zu gehen bereit war. In den Worten eines jungen Halbstarken wie Bon hieß das: Küssen ja, Ficken nein. Mit einem Mal reichte es nicht mehr aus, ein Filou oder ein Drummer oder eine Mischung aus beidem zu sein. Bon musste die guten Manieren aufpolieren, die Isa ihm beigebracht hatte, und ein Gentleman werden. Ein Mädchen wie Maria hatte es verdient, umworben zu werden, und Bon gab sich größte Mühe.

Maria erzählte Jahre später, dass Bon um ihre Hand angehalten habe – »Er wollte eine Jungfrau heiraten« – und dass sie auch Ja gesagt hätte, wenn ihr nicht allzu bewusst gewesen wäre, dass er sich, solange er bei ihr nicht zum Zuge kam, mit irgendwelchen anderen »Tussis« vergnügte. Dennoch: Wenn er mit ihr zusammen war, zeigte sich Bon immer von seiner besten Seite, fluchte nicht und trank nicht. Wirklich freuen konnte sich Isa über die Wandlung ihres Sohnes nicht. Als Protestantin, die aus einem von Sektierertum fast zerrissenen Land stammte, befand sich Isa durch den offenbar ungezügelten Drang ihres Sohnes, die Regeln anderer zu missachten, abermals in der Defensive. Nicht nur, dass Maria eine »Papistin« war, sie bildete sich Isa zufolge sogar noch etwas darauf ein! Auch Marias Eltern hatten ein Problem mit der neuen Liebelei ihrer Tochter. Was wollte sie nur von diesem verwahrlosten dahergelaufenen Rowdy? Einen besseren jungen Mann zu finden, würde ihr wohl kaum schwerfallen. Doch dass Eltern etwas missbilligten, war nichts Neues für Bon, für den Maria seine erste große Liebe war. Und auch sie zeigte sich relativ immun gegenüber den Vorhaltungen ihrer Eltern. Sie nahm eine Stelle im Hafenviertel von Fremantle an und zog mit ihrem Bruder Joe in eine eigene Wohnung, um Bon und seiner Familie näher zu sein. Von da an verbrachte Bon all seine freie Zeit mit ihr. Da Sex vor der Ehe für sie absolut tabu war, verdoppelte er sogar noch seine Bemühungen, sie für sich zu gewinnen. Er zog sich schick an, führte sie zum Essen aus und ging sonntags mit ihr in die Kirche – in eine katholische Kirche, wohlgemerkt! Kurz: Er tat wirklich alles, um ihr Herz zu gewinnen und ihr an die Wäsche zu dürfen.

Konkurrenz bekamen die Spektors in Perth von einer Band namens The Winztons, deren Sänger Vince Lovegrove hieß. Schon seit er vierzehn war, war Vince als Sänger oder als Gitarrist Mitglied in verschiedenen Bands. Er begann bei den Dynells, die ausschließlich instrumentale Surfmusik wie die Shadows spielte, dann war er Frontman bei den Dimensions und zuletzt bei den Winztons. Er und Bon liefen sich in dieser Zeit mehr als einmal über den Weg. Vince erinnerte sich: »Bon war dieser pfiffige kleine Drummer, mit den niedlichen sanften Augen, den winzigen Elfenohren, der süßen kleinen Stupsnase, einem goldigen schottischen Akzent und vier ziemlich auffälligen reizenden kleinen Tattoos.« Außerdem fügte er hinzu: »Es war auf Anhieb klar: Mit ihm würde man eine Menge Spaß haben.«

Als der aus Perth stammende Johnny Young im Juni 66 mit »Step Back«, einem Song aus der Feder von Stevie Wright und George Young, endlich einen landesweiten Nummer-eins-Hit landete, tat er, was alle aufstrebenden australischen Popstars damals taten: Er zog nach Melbourne, ins damalige Zentrum des australischen Musikbusiness.

Nun, da Johnny weg war, hätten sich die Spektors und Winztons eigentlich einen Konkurrenzkampf um den frei gewordenen Platz an der Spitze der lokalen Musikszene liefern müssen. Doch Vince hatte eine bessere Idee: Er schlug vor, dass sich die beiden Bands zu einer Supergroup zusammenschließen und alle Gigs in der Gegend gemeinsam bestreiten sollten. Da Bons Band ohnehin dabei war, sich aufzulösen – Bon und Wyn wollten weitermachen, aber die anderen hatten Frauen kennengelernt, schmiedeten Heiratspläne und hatten dementsprechend keine richtige Lust mehr, jedes Wochenende irgendwo aufzutreten –, hatten die Spektors nichts dagegen einzuwenden. Und als Alan Robinson, DJ beim Perther Regionalsender Radio 6KA, mit The Valentines einen Namen für die neue Band in die Runde warf, gab es praktisch kein Zurück mehr.

Das Besondere an der Gruppe, die sich von Anfang an auf PopSoul-Coverversionen von Musikern wie Wilson Pickett und Sam and Dave spezialisierte, war, dass sie mit Vince Lovegrove und Bon Scott zwei Sänger hatte. Vince übernahm in dieser Konstellation die Rolle des strahlenden Schönlings, der ultracool und dennoch sehr gefällig rüberkam, während Bon sein nicht ganz so gut, aber doch interessant aussehender, vorlauter Partner war. Vince zufolge hatten sie beide damals noch nicht genug Selbstbewusstsein, um den Job alleine zu machen. »Wir reagierten uns oft aneinander ab. Für die damaligen Verhältnisse ging es bei uns ziemlich wild zu. Wir sprangen auf die Amps und experimentierten sogar schon ein bisschen mit Pyrotechnik … Wir haben diese Dinge vorher geplant und geprobt, sodass für uns klar war, was wir auf der Bühne abziehen und was nicht.« Was den Getränkeverzehr betraf, ging es in den Clubs in Perth damals noch zu wie zur Zeit der Varietétheater, das heißt man brachte seine eigenen Getränke mit und zahlte dafür Korkgeld. So mussten die Clubs keine Schanklizenz beantragen. Die Gebühren, die verlangt wurden, waren akzeptabel, und die Clubs hatten bis drei Uhr morgens geöffnet. Lukrativer, wenn auch gefährlicher, waren die Clubs für die Minenarbeiter aus Nordaustralien, die in Gegenden wie Mount Tom Price ein halbes Jahr lang durchgearbeitet hatten und nun drei Monate frei hatten, in denen sie nach Perth fuhren, um ihr Geld in Läden wie dem Top Hat, dem North Side und dem Trend Setter zu lassen, die allesamt Schanklizenzen besaßen. Die Jungs aus dem Norden wollten Chartmusik hören, und die Valentines waren gerne dazu bereit, die Sachen zu spielen, wenn man sie dafür entsprechend bezahlte. Sie trugen Puffärmel und blaue Sharkskin-Anzüge, grinsten bis über beide Ohren und schmetterten »Build Me Up Buttercup« aus voller Kehle; Bon schlug sich bei dem Stichwort »heart« gegen die Brust, während Vince sich versonnen im Takt hin- und herwiegte. Schon bei den Spektors hatte Bon mit seiner Version von »Gloria« bewiesen, was er als Sänger draufhatte. Aber erst jetzt, als Vince ihn dazu antrieb und forderte, setzte er sich intensiver mit dem Singen auseinander. Ihre eigenen Songs, die in der Regel Vince und Bon geschrieben hatten, spielten die Valentines nur in den Surfclubs entlang der Westküste, wo regelmäßig sogenannte »Stomps« stattfanden. Bei manchen solcher Veranstaltungen traten sie sogar regelmäßig auf, zum Beispiel in Swanbourne, direkt am Strand. Doch bei diesen Gigs verdienten sie nicht so viel wie in den Läden in der Innenstadt, und da ihre Ambitionen mit ihrer Popularität wuchsen, verzichteten sie bald auf solche Auftritte wie auch generell auf Konzerte in kleinen Clubs.

In einem Artikel aus dem Jahr 2008 schrieb Vince: »Wenn er sang, hob Bon ins Charisma-Land ab. Seine Augen begannen zu leuchten, seine Brauen hoben sich leicht an, seine Lippen formten ein verschmitztes Lächeln, sein ganzes Auftreten erregte Aufmerksamkeit. Bon hatte eine einzigartige, raue Stimme, die mein eher zartes Popstimmchen hervorragend ergänzte.« Zusammen wollten sie die Welt erobern. »Wir hatten kaum Knete, schoben immer Hunger und fuhren die Highways entlang mit nichts als Rock’n’Roll im Kopf. Um zu überleben, stahlen wir das Milchgeld, das die Leute vor ihren Haustüren deponiert hatten. Wir ernährten uns von gekochten Kartoffeln, der Traum vom Erfolg war unser Mantra.« Bon schmiss den Job beim Egg Board und begann als Postbote; jeden Morgen schwang er sich aufs Fahrrad und lieferte die Post aus. Wenn er morgens zur Arbeit erschien, trug er oft noch sein Bühnenoutfit; dann hatte er vorher nicht geschlafen und war völlig verschwitzt. Vince arbeitete in Fremantle bei dem Herrenausstatter Pellew’s Menswear, wo Bon ihn jeden Tag besuchte, wenn er auf seiner Runde dort vorbeikam. Dann verdrückten sie sich hinter die nächste Ecke und zogen sich Speed oder Alkohol oder auch gleich beides rein. »Wir träumten von unseren nächsten Abenteuern«, sagte Vince.

Im Oktober kam P. J. Proby für ein Konzert nach Perth, und es gab nur eine Band, die für sein Vorprogramm infrage kam: die Valentines. Um Neujahr herum bot ihnen Clarion Records einen Plattenvertrag an, dasselbe Label, das auch Johnny Young in die Charts gebracht hatte. Erst vor Kurzem waren in einer regelrechten Welle eine ganze Reihe von kleinen australischen Independentlabels aus der Taufe gehoben worden, die sich auf einheimische Künstler spezialisierten. In diesem Zuge war auch Clarion ein Jahr zuvor von dem aus Perth stammenden Geschäftsmann Martin Clarke gegründet worden. Viel Geld konnte Clarion nicht investieren. Für ihre erste Aufnahmesession gingen die Valentines in ein winziges Kellerstudio nahe der Hay Street im Zentrum von Perth. Sie arbeiteten eine ganze Nacht hindurch, da die Studiomiete in diesen Stunden nicht viel kostete, und hatten am nächsten Morgen die beiden Aufnahmen für ihre erste Single fertig: eine ungeschliffene Coverversion der Country-Soul-Nummer »Every Day I Have To Cry« von Arthur Alexander (ein netter Ohrwurm, mit dem auch Ike und Tina Turner, The McCoys, Dusty Springfield und andere später Hits landeten) und ihre in nur einem Durchgang eingespielte Version des eher unbekannten Small-Faces-Songs »I Can’t Dance With You«. Die im Mai 67 veröffentlichte Platte, die in der Sendung von Alan Robinson auf Radio 6KA rauf- und runterlief, schaffte es tatsächlich in die Top 5 der westaustralischen Charts. Ein landesweiter Hit gelang der Band damit zwar nicht, doch zumindest zeigte der Song auf überzeugende Weise, dass Bons Traum vom erfolgreichen Musiker gar nicht so abwegig war. Und die Scheibe machte auch deutlich, dass er in gewisser Weise solide geworden war: ein solider Sänger in einer soliden Band. Zugegeben, er spielte immer noch die zweite Geige, aber er war Sänger, und er hatte eine Platte gemacht – eine verdammt gute Platte.

Im Juni 67 kamen die Vallies – wie sie von ihrer stetig wachsenden Fangemeinde inzwischen genannt wurden – ihrem Traum vom Ruhm so nah, wie sie ihm nie wieder kommen sollten: Sie spielten zweimal im His Majesty’s Theatre, weil sie im Vorprogamm der Easybeats auftraten, der bis dahin größten australischen Band. Die schon seit geraumer Zeit in ihrer Heimat als Superstars gefeierten Easys hatten kürzlich mit »Friday On My Mind« einen internationalen Megahit gelandet und waren gerade aus England zurückgekehrt. Wie alle aufstrebenden jungen australischen Bands orientierten sich die Vallies natürlich an ihnen. Das konnte man nicht zuletzt daran sehen, dass Bon, der dem Sänger der Easys mehr als nur ein bisschen ähnlich sah, sich auf der Bühne wie »Little« Stevie Wright bewegte, dessen typische Moves er nachahmte. Als die Easys ihre unerfahrene Vorgruppe zu einer Aftershowparty in ihr Hotel einluden, konnten die Vallies ihr Glück kaum fassen. Die Easybeats hatten es geschafft: Egal ob tagsüber oder nachts, auf oder hinter der Bühne – wo immer sie hinkamen, wurden sie von einer Schar kreischender Mädchen empfangen. Schon allein dadurch, dass sie nun zu ihrem Dunstkreis gehörten, bekamen Bon und Vince einen regelrechten Höhenrausch. Als George Young und Stevie Wright schließlich vorschlugen, die Hemden zu tauschen – in Anlehnung an den Trikottausch zweier gegnerischer Fußballmannschaften –, war Bon völlig aus dem Häuschen. Und als George und Harry Vanda auch noch anboten, für die Band einen Song zu schreiben, den sie sich noch vor Ort aus dem Ärmel schüttelten, konnten Bon und Vince sich nur noch mit großen Augen ansehen; zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie sprachlos.

Der Song, von dem hier die Rede ist, heißt »She Said«, und er ist so belanglos wie alles, was George und Harry geschrieben hatten. Bon nahm die schrecklich seichte Nummer mit einem alten Tonbandgerät auf, das für solche Zwecke eigentlich gar nicht mehr geeignet war. Dennoch wurde »She Said« ein weiterer Hit für die Vallies; die Single schaffte es in die Top Ten der Western Australian Charts, erneut mit kräftiger Unterstützung von Alan Robinson von Radio 6KA. Als die Valentines noch im selben Jahr das Western Australian Hoadley’s Battle of the Bands gewannen und sich damit für das Wettbewerbsfinale in Melbourne qualifizierten, hielten es Vince und Bon nur noch für eine Frage der Zeit, bis sich die Band auch landesweit durchsetzte und zur Riege so illustrer australischer Stars wie Johnny Young, Ray Brown and the Whispers, Billy Thorpe & The Aztecs und natürlich The Easybeats, ihre neuen besten Freunde, gehören würde. All diese Aussichten eröffnete »She Said« mit seiner abgedroschenen Akkordfolge und seinem hausbackenen Refrain. Der Sieg bei dem Talentwettbewerb und die damit verbundene Chance, ins australische Musikmekka Melbourne zu reisen, trugen das ihre zu diesem Eindruck bei. Im Nachhinein war allerdings wichtiger, dass »She Said« nur der erste von drei Songs war, den die Easybeats in den nächsten Jahren für die Vallies schrieben. Und obschon es damals noch niemand ahnen konnte, war es für Bon Scott und George Young der Beginn einer außergewöhnlich produktiven Freundschaft.

Vince und Bon waren absolut überzeugt, das Wettbewerbsfinale in Melbourne, das sogar im Fernsehen übertragen wurde, zu gewinnen. Bei all dem Glück, das sie in letzter Zeit gehabt hatten, konnte die Sache gar nicht schiefgehen. Über fünftausend kreischende Teenager verfolgten die Show live vor Ort. Zwölf Bands aus ganz Australien präsentierten sich mit jeweils zwei Songs. Als erster Preis winkte eine Reise nach London mit allem Drum und Dran. Die Vallies strotzten nur so vor Selbstvertrauen, als sie auf die Bühne kamen, und sie lieferten auch eine wirklich gute Show ab. Doch für den ersten Platz reichte es nicht, den holte eine Formation, die sich The Groop nannte. Ernüchtert und enttäuscht, aber fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen, mischten sich Vince und Bon nach der Show unter die Leute und gaben sich redlich Mühe, allen durch ihr Auftreten klarzumachen, dass es ein Riesenfehler war, nicht sie zum Sieger gekürt zu haben. Natürlich gingen auch die Zweitplatzierten nicht leer aus. Sie durften sich vier Tage lang in Melbourne vergnügen und sich all die angesagten Clubs anschauen, für die die Stadt so berühmt war. Die provinziellen Kaschemmen, in denen die Vallies üblicherweise auftraten, konnten da nicht mithalten. Während Bon in jeder Bar, in der er sich betrank, Dutzende neuer Freundschaften schloss, knüpfte Vince emsig neue Kontakte. Unter anderem mit bekannten Medienleuten wie Ian »Molly« Meldrum vom einflussreichen Go Set-Magazin und dem beliebten Melbourner Radiomoderator Stan »The Man« Rofe. Beide hat-ten die Show gesehen und Vince versichert, dass ihnen der Auftritt der Vallies sehr gefallen habe. Sie rieten ihm, mit der Band nach Melbourne überzusiedeln, da die Jungs ihrer Meinung nach alles hatten, was nötig war, um sich in Australiens Musikmetrople zu behaupten. Auf dem Rückflug nach Perth waren sich Vince, Bon und die restlichen Bandmitglieder einig, dass sie so schnell wie möglich wieder nach Melbourne mussten. Und dass sie erst wieder als Stars in ihre Heimat zurückkehren wollten. Nicht als ein paar popelige Talentwettbewerbsgewinner wie The Groop, sondern als echte Stars.

Vince war damals der Ehrgeizigste von ihnen. Er war der Bandleader und entschlossen, das Beste aus dieser einmaligen Chance zu machen, koste es, was es wolle. Bon, der ähnliche Träume hatte, aber eher dazu tendierte, die Sache nüchtern zu sehen, hatte ganz eigene, wesentlich handfestere Gründe, nach Melbourne zurückzureisen, denn Maria war einige Monate zuvor dorthin gezogen. Sie hatte keine Lust mehr gehabt, ständig auf Bon zu warten, der jeder Frau, die ihm über den Weg lief, schöne Augen machte, und bei seinen zahlreichen Gigs mit den Valentines die Nächte durchzechte. Sie war alles andere als auf den Kopf gefallen und überzeugt davon, dass ihr das Leben mehr zu bieten hatte als einen Job in einer kleinen Zahlstelle in Fremantle und das ständige Warten darauf, von jemandem geheiratet zu werden, der selbst keinen gescheiten Job hatte. Also zog sie los, ihre eigenen Träume zu verwirklichen, und landete dadurch ganze sechs Monate früher in Melbourne als Bon.

Eine Woche bevor er und Vince sich auf die lange Zugfahrt nach Melbourne machten, schrieb Bon Maria einen Brief, in dem er ihr von seinen großen Plänen berichtete. Dass er und Vince alles verkauft hatten, was sie besaßen, um das Geld für die Reise aufzubringen. Und wie sehr er darauf hoffte, dass sie »eine schöne Zeit miteinander verbringen können, wenn ich ankomme« und dass es »diesmal klappen« müsse, da er ansonsten »verdammt einsam« sein würde. Maria hoffte ihrerseits, dass Bon diesmal Wort hielt und in ihrer neuen Heimat tatsächlich zu ihr ziehen und bei ihr bleiben würde. Sie war allerdings die Einzige, die dachte, dass dieser Umzug nach Melbourne sinnvoll wäre. Alle anderen konnten nicht begreifen, was das bringen sollte. »Keiner in Perth verstand, warum wir weg wollten«, erklärte Vince. Clinton Walker schrieb später, dass die Szene auf dem Bahnhof an dem Morgen, als die Band die Reise nach Melbourne antrat, »einem Exodus glich. Die Mütter schluchzten hemmungslos, die Väter ließen sich natürlich nichts anmerken. Die Jungs waren völlig aus dem Häuschen, sie fühlten sich wie Entdecker oder Kreuzritter …« Die Reise quer durch die Nullabor-Ebene dauerte ganze vier Tage und Nächte. Die großen Erwartungen, die sie gehabt hatten, schienen sich im Verlauf der endlosen Zugfahrt mehr und mehr in Luft aufzulösen. Die Jungs gaben ein entsprechend hoffnungsloses Bild ab, wie sie zwischen ihren Koffern und dem ganzen Equipment auf den billigen Plätzen zermürbt und entmutigt herumhingen. Sie kauften Bier, um sich die Zeit zu vertreiben, aber es zeigte keinerlei Wirkung, ganz gleich, wie viel sie davon tranken. Irgendwann saßen sie nur noch dumpf rum, starrten aus dem Fenster, rauchten und fragten sich, was der ganze Scheiß eigentlich sollte. Sie hatten allen erzählt, dass sie nicht zurückkehren würden, bevor sie groß rausgekommen seien. Sie hatten das ernst gemeint, als sie es gesagt hatten – zumindest glaubten sie das. Jetzt, da sie hier saßen und über ihre Zukunft nachdachten, waren sie sich ihrer Sache plötzlich gar nicht mehr so sicher. Wem machten sie eigentlich etwas vor mit ihrem Traum von der glorreichen Rückkehr als Stars? Was war das nur alles für eine Riesenscheiße?

Aber es war tatsächlich genau das, was sie vorhatten.

AC/DC

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