Читать книгу Kommunikations- und Mediengeschichte - Mike Meißner - Страница 9

EXKURS I Historischer Hintergrund I: Die Alte Eidgenossenschaft bis 1798

Оглавление

Der ›erste‹ Bund, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute offiziell als Gründungsakt der Schweiz mit dem Nationalfeiertag am 1. August begangen wird, wurde 1291 zwischen Uri, Schwyz und Nidwalden geschlossen (vgl. REINHARDT 2010: 13-18),20 nach der Schlacht am Morgarten 1315 erneuert und um weitere Orte ergänzt.21 So kamen per Vertrag Obwalden (1315), Luzern (1332), Zürich (1351), Glarus (1352) und Bern (1353) hinzu, Zug wurde 1352 erobert. Diese Verträge bildeten zu Beginn, insbesondere für Zürich und Bern, nur »eine Option« bzw. »eine Vernetzung unter anderen«, denn sog. »Landfriedensbündnisse […] [waren] zeittypisch« (ebd.: 24-26). Dass der neue Bund von Dauerhaftigkeit geprägt war, hatte nach dem Freiburger Historiker Volker Reinhardt (ebd.: 28) mehrere Gründe: die stetige »Verdichtung der Bünde […] mit gemeinsamen innenpolitischen Zielrichtungen und […] Einrichtungen«; die »Eroberung abhängiger Gebiete, die […] gemeinsam zu verwalten« waren (sog. Gemeine Herrschaften); »eine Abstoßungsreaktion« gegen »neue zentrale Institutionen« innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation am Ende des 15. Jahrhunderts (vgl. Historischer Hintergrund II);22 sowie die »Idee der Nation«, die durch die »Wortkriege […] der Humanisten […] in den Köpfen der Eliten« verankert wurde. Gelegentlich musste das Primat der »eidgenössischen Ausrichtung« (ebd.: 41) auch militärisch durchgesetzt werden, z. B. 1450 gegen Zürich (vgl. ebd.: 19-41).

Mit der Erweiterung der Eidgenossenschaft war ein kontinuierlicher Austausch und »ein Minimum gemeinsamer Beschlussfassung« (REINHARDT 2010: 42) notwendig geworden. Zu diesem Zweck kam seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zuerst einmal jährlich die sog. Tagsatzung (französisch: diète; italienisch: dieta) zusammen, die Versammlung der Abgesandten der Orte bzw. später Kantone. Diese wurde von zwei Vertretern je Ort besucht, die ein sog. ›imperatives Mandat‹ hatten, d. h., sie waren an vorher gefasste Beschlüsse zu den einzelnen Tagesordnungspunkten gebunden. Gleichzeitig setzte sich eine Mischform aus Einstimmigkeit, z. B. für eine Bundesrevision, und Majoritätsprinzip, etwa für Angelegenheiten, welche die gemeinsam verwalteten Gebiete und Schiedsgerichte betrafen, durch. Neben den Mitgliedern der Eidgenossenschaft konnten aber auch die zugewandten Orte teilnehmen, die formal keine Mitglieder, aber eng assoziiert waren, z. B. das Wallis oder die ›Drei Bünde‹ (das spätere Graubünden). Als ›Vorort‹ agierte zunächst Luzern, welches sich diese Rolle nach der Reformation mit Zürich teilte (vgl. ebd.: 42-45; WÜRGLER 2014: o. S.).

Ab den 1520er-Jahren erschütterte die Reformation die Eidgenossenschaft. Die von dem Zürcher Prediger Huldrych Zwingli angeführte Glaubenserneuerung wurde von den innerschweizerischen Orten (Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug) bekämpft, von Bern, Basel und Schaffhausen aber befürwortet. Dies führte 1529 zu einem Bündnis der katholischen Orte mit Österreich und kriegerischen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Ausgängen. Als eines der langfristigen Ergebnisse kann wohl die Landteilung von Appenzell Innerrhoden (katholisch) und Außerrhoden (reformiert) gelten, die sich bis heute in den beiden Halbkantonen manifestiert. Wie breit die Gräben waren, zeigt sich etwa an der Tagsatzung, die »seit zweihundert Jahren das Forum des eidgenössischen Gedankenaustauschs schlechthin« (REINHARDT 2010: 82) gewesen war und »in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Symptome der Entfremdung« zeigte (ebd.: 82).

Für die sog. »Spätzeit der Alten Eidgenossenschaft« (1713-1797) spricht Reinhardt (ebd.: 98) von einem »Spannungsverhältnis von Stabilität im Großen und vielfältigen Konflikten im Kleinen«. Stabilisierend wirkten insbesondere die Erhaltung der traditionell sehr kleinräumigen Selbstverwaltung sowie die enge Verflechtung der »Interessen der städtischen Eliten mit denen der dörflichen Oberschichten« (ebd.: 99). Neben Konflikten über die Frage der Vorherrschaft geistlicher oder weltlicher Gerichtsbarkeit gelangten zudem die neuen Ideen der Aufklärung in die Köpfe der führenden Politiker – nicht zuletzt in Form der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 (vgl. ebd.: 98-109).


Wie weiter oben bereits angespochen, lässt sich in allen Varianten der Versammlungskommunikation typischerweise beobachten, dass nur bestimmte Personen als Redner*innen aktiv sind, die jedoch ihnen zugehörige Gruppen repräsentieren. Solche Repräsentant*innen sind ein typisches Phänomen jeder Kommunikation größerer Gruppen und sie prägen auch die massenmedial vermittelte Kommunikation (vgl. FÜRST/SCHÖNHAGEN 2020:117-119; WAGNER 1995: 32-36, 235-262). Das Prinzip der Repräsentanz sorgt für eine Konzentration der Sprecher*innen, d. h., es muss nicht jede*r einzelne Teilnehmende sprechen bzw. vermittelt werden.23 Letzteres würde einerseits Zeitprobleme, andererseits unnötige Wiederholungen der gleichen Standpunkte mit sich bringen. »Kommunikationsrepräsentanz bedeutet somit eine außerordentliche Vereinfachung und Abkürzung des Kommunikationsverlaufs« (WAGNER 1995: 34) und sorgt für Überschaubarkeit des kommunikativen Geschehens. Hier zeigt sich eine erste Rationalisierungstendenz, die auch für die weitere Entwicklung (und speziell für die Kommunikationsvermittlung durch Massenmedien) bedeutsam ist.

Versammlungskommunikation vollzog und vollzieht sich allerdings nicht nur als (zumindest prinzipiell) gesamtgesellschaftlicher Austausch. Man findet in der Geschichte auch viele Beispiele der »Verkündigung vor versammelter Menge« (RIEPL 2014: 79; Hervorh. d. Verf.). Dabei handelt es sich um eine einseitige Information, meist seitens der Obrigkeit an das Volk. In autoritären Gesellschaften ist dies typischerweise die vorherrschende Variante. Eher selten verlasen Herrscher oder Feldherren dabei selbst, was bekannt gegeben werden sollte. Meist wurde diese Funktion vielmehr von sog. Herolden wahrgenommen, etwa bei feierlichen Anlässen.24

Alle Varianten der Versammlungskommunikation sind durch bestimmte Eigenschaften bzw. Bedingungen charakterisiert, die ihr zugleich Grenzen setzen (WAGNER 2009: 106f.):

•Die Kommunikationspartner sind am gleichen Ort physisch anwesend (Anwesenheit, »Einheit des Ortes«).

•Der kommunikative Austausch bzw. Mitteilung und Kenntnisnahme finden (quasi) gleichzeitig statt (»Gleichzeitigkeit oder die Parallelität der Kundgabe und Kenntnisnahme von Nachrichten«).

•Im Prinzip (von Ausnahmen wie gehörlosen Personen abgesehen) verfügen alle Beteiligten über die gleichen Medien (Sprache, Gestik, Mimik), derer sie sich selbst bedienen, um ihre Mitteilungen zu vermitteln (»allgemeine Medienverfügbarkeit«).

Ebenfalls schon seit der frühesten Menschheitsgeschichte vollzog sich Kommunikation teilweise auch über räumliche Distanzen hinweg, also als »Fernkommunikation« (HALBACH 1998: 277; HÖFLICH 1997: 204; Hervorh. d. Verf.), z. B. bei verstreut lebenden Gemeinschaften oder während Kriegszügen. Dabei kamen einfache Medien zum Einsatz: zunächst die Sprache in Form lauten Rufens, z. B. von Berg zu Berg, bzw. die Stimme wie z. B. bei Pfeifsprachen, etwa auf den Kanarischen Inseln (vgl. SEBEOK/UMIKERSEBEOK 1976). Auch das Alp- bzw. Hirtenhorn wurde möglicherweise in verschiedenen europäischen Ländern als Stimmverstärker verwendet, etwa in der Schweiz (vgl. SCHÜSSELE 2000: 39, 174). Weiter wurden auch Feuer- und Rauchzeichen, Trommeln bzw. Trommelsprachen etc. genutzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 143f.). Das »Universalorgan« der Nachrichtenübermittlung war allerdings der Bote, lange Zeit v. a. mit mündlichem Bericht (RIEPL 2014: 105, Hervorh. i. O.). Die Ausdrucksmöglichkeiten dieser einfachen Medien sind jedoch begrenzt (vgl. KNIES 1857/1996; SEBEOK/UMIKER-SEBEOK 1976). Der Einsatz von Boten, die mündlich eine Nachricht überbringen, oder anderer Vermittler, die z. B. die Trommelsprache beherrschen, birgt zudem das Problem der Zuverlässigkeit: Es ist keineswegs sicher, dass genau das vermittelt wird, was jemand in Auftrag gegeben hat.

Solange Kommunikation über Distanz nicht der Normalfall war, sondern nur fallweise und eher spontan genutzt wurde, z. B. um Stammesmitglieder zu einer Versammlung zusammenzurufen, wogen diese Probleme nicht schwer. Mit der Versammlung als zentralem Kommunikationsort war es unproblematisch, gesellschaftliche Kommunikation umfassend und für alle überschaubar abzuwickeln. Sobald Gesellschaften aber derart anwuchsen und sich aus differenzierten, dass sie nicht mehr vorrangig oder ausschließlich in Form von Versammlungen kommunizieren konnten, erwuchsen ihnen erhebliche Schwierigkeiten (vgl. WAGNER 1995: 19). Es brauchte andere Lösungen, um den kommunikativen Austausch weiter umfassend und zuverlässig sicherzustellen, ohne dass die Beteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort anwesend sein mussten. Die schrittweise Lösung dieses Problems kennzeichnet die weitere Entwicklung sozialer Kommunikation und ihrer Medien, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird.

17Verfassungsrechtlich war die innerschweizerische Landsgemeinde »als Vertretung aller männlichen Bewohner mit vollem Bürgerrecht« bis ins 17./18. Jahrhundert hinein einzigartig (vgl. REINHARDT 2010: 50-52).

18Üblicherweise am letzten Sonntag im April (Appenzell Innerrhoden) bzw. am ersten Sonntag im Mai (Glarus).

19Für ausführliche Beschreibungen der Landsgemeinden in Glarus und Appenzell Innerrhoden vgl. Schaub (2016: 87-92), Vischer (1983a, b), Stauffacher (1964) bzw. Huber-Schlatter (1987: 62-96).

20Tatsächlich war dies nicht das erste solche Bündnis. Auch in dem sog. Bundesbrief von 1291 wird mindestens ein früherer Bund erwähnt.

21Entwicklungen vor dieser Zeit, von den keltischen Helvetiern bis zu Stadtgründungen und der Etablierung von Klöstern, können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden, finden sich aber in dichter Form bei Stadler (2003: 13-33). Vgl. auch Leuzinger (2014), Frei-Stolba/Paunier (2014) und Morerod/Favrod (2014).

22Mit dem Friedensschluss von 1499 erreichte die Eidgenossenschaft, von den Reichsreformen ausgenommen zu werden, wodurch sie »randständig und parallel dazu ein politisches Gebilde eigener Art« wurde (REINHARDT 2010: 61). In diesem Zuge wurde auch der Weg Basels in die Eidgenossenschaft frei, das ebenso wie Schaffhausen 1501 beitrat. Die erfolgreichen militärischen Manöver der Eidgenossenschaft endeten mit der Niederlage bei Marignano 1515. Der Friedensschluss im folgenden Jahr verhalf ihr aber immerhin zu einigen ›Gemeinen Herrschaften‹, »die knapp dreihundert Jahre später den neuen Kanton Tessin bildeten« (REINHARDT 2010: 63; vgl. ebd.: 56-63).

23Häufig existieren bei der Versammlungskommunikation (informelle oder formelle) Regeln, wer wann das Wort ergreifen darf, damit alle Repräsentant*innen die Gelegenheit haben, sich zu äußern, aber kein Chaos entsteht. Solche Regeln werden häufig von speziellen Personen, die für die Leitung der Kommunikation verantwortlich sind, kontrolliert und um- bzw. durchgesetzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 136).

24Bei Riepl (2014) findet sich, am Beispiel des antiken Nachrichtenwesens, eine umfangreiche Darstellung der unterschiedlichen Varianten von Kommunikation nach dem Prinzip der Versammlung.

Kommunikations- und Mediengeschichte

Подняться наверх