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Samstag, 3.27 Uhr

Krähen. Ein halbes Dutzend. Sie saßen auf der Kuppel der Christuskirche und beobachteten den Nebel. Der Dunst lag dicht und düster über den menschenleeren Straßen. Allein der halbrunde Turm des Gotteshauses ragte verlassen aus den Nebelschwaden hervor. Der goldene Engel auf der obersten Spitze blies mit seiner Posaune in die kalte Nacht, um ihn herum lauerten die Krähen. Es war beinahe so, als wollten sie die Menschen täuschen und sie in dem Glauben lassen, es gäbe im Sommer keine Krähen in der Stadt. In Wirklichkeit wohnten sie das ganze Jahr hier.

Vereinzelt durchschnitt der Schein des Vollmonds den milchigen Brei mit seinen Strahlen und beleuchtete zwei schwarz gekleidete Gestalten. Als die beiden an der Kirche vorbeischritten, erhob sich eine der Krähen mit lautem Krächzen in die Luft. Der Vogel tauchte im Sturzflug in den Nebel ein, als wollte er den Menschen folgen. Doch knapp über ihren Köpfen zog er nach oben und schoss über sie hinweg in die Nacht.

Die Männer reagierten nicht. Um die Schultern trugen sie schwarze Umhänge, deren Säume bis fast auf den Boden hingen. Die Gesichter der Männer wurden von schwarzen Masken verdeckt. Historische Karnevalsmasken. Ebenfalls schwarz und mit Augenlöchern und geschwungenen Vogelschnäbeln. Wie Figuren aus einer vergangenen Zeit liefen sie an Jugendstilvillen und an Nachkriegsbauten vorbei, die sich beliebig aneinanderreihten, und tauchten dabei immer tiefer in die Mannheimer Oststadt ein. Nach ein paar Metern begegnete ihnen ein torkelnder Passant.

»Ja – haben wir denn schon Fasching«, lallte er und lachte. Er schüttelte den Kopf und bewegte die flache Hand vor seinem Gesicht hin und her, so wild, dass er das Gleichgewicht verlor und umfiel. Die Männer beachteten ihn nicht. Nachdem er sich einen Moment gesammelt hatte, richtete er sich auf und verschwand in der Nacht.

An einer Straßenecke blieben die Maskierten stehen. Der Größere griff mit seinen Samthandschuhen unter seinen Mantel und holte aus einer kleinen Sporttasche ein elektronisches Gerät hervor. Er betätigte den Einschaltknopf. Auf dem winzigen Monitor erschien ein undeutliches Bild. Schemenhaft war ein Raum zu erkennen, in dem sich ein breiter Treppenaufgang befand.

»Die Überwachungskamera vom Eingangsbereich. Wir müssen näher ran, um die Schlafzimmerkamera zu empfangen.«

Sie überquerten die Straße und stellten sich direkt unter das Schlafzimmerfenster einer Gründerzeitvilla. Jetzt war das Bild deutlich. Es zeigte ein anderes Zimmer. Ein Mann lag einsam in einem Bett und schlief.

»Ich hatte recht. Er ist alleine.«

Der Kleinere lachte leise. Er starrte das Monitor-Babyfon an. Er hielt nicht viel von den technischen Schöpfungen der Neuzeit. Aber wenn es seiner Sache dienlich war.

Der Größere steckte das Gerät wieder ein. Sie schritten durch das eiserne Eingangstor, das ihnen mit einem schwachen Quietschen den Weg in den Vorgarten freigab. Als sie die zehn großen Stufen zum Eingangsportal hochstiegen, zog der Größere sein rechtes Bein nach, was wenig zu seiner sonst athletischen Erscheinung passte. Der Kleinere klingelte.

»Sind Sie sicher, dass er uns einfach so öffnen wird?«

»Sicherlich.« Der Antwortende räusperte sich. Dann fügte er in bedauerndem Ton hinzu: »Die Auffassungsgabe des Menschen ist sehr beschränkt.«

Erneut drückte sein rechter Finger den Klingelknopf. Der Hall des Glockentons drang bis vor die Haustür. Der Größere griff in seine Tasche und holte das Funksprechgerät wieder hervor.

»Jetzt ist er aufgewacht. Sehen Sie, er sieht um sich, fragt sich, wo er ist – nun kommt er zu sich und steht auf.«

Mittlerweile klingelte der Kleinere zum siebten Mal. Der Größere schaltete den Monitor aus, steckte ihn zurück in die Tasche und holte stattdessen ein kurzes Stück Seil hervor, nicht länger als 50 Zentimeter. Er wickelte sich ein Ende um die rechte Hand. Als Nächstes griff er nach einem Bolzenschneider, umklammerte den Griff und verschränkte beide Hände hinter dem Rücken. In der Eingangshalle des Hauses ging das Licht an, wie man durch die Milchglasscheiben sehen konnte. Schritte ertönten und näherten sich. Die Tür wurde nur einen Spaltbreit geöffnet. Der Größere blickte auf die Türkette.

Der zerzauste Kopf eines Mannes mittleren Alters tauchte hinter der Kette auf.

»Herr Oberbürgermeister, ich wünsche Ihnen einen schönen guten Abend.« Der Kleinere übernahm das Reden. »Wir möchten ...«

»Guten Abend? Es ist drei Uhr in der Nacht!«

Der Oberbürgermeister machte die Augen nun etwas weiter auf und erschrak, als er die seltsame Aufmachung der beiden ungebetenen Gäste sah.

»Es ist drei Uhr und 31 Minuten, um genau zu sein. Und nun lassen Sie uns bitte herein.« Der Tonfall des Kleineren klang zugleich förmlich und fordernd.

»Herein?«

»Werden Sie nicht unhöflich.«

»Ich denke, Sie sollten umgehend von meiner Treppe verschwinden, bevor ich die Polizei rufe«, sagte der Oberbürgermeister. Mit einer Hand griff er zur Tür, um sie zuzuschlagen.

»Bitte, so lassen Sie uns doch vernünftig miteinander reden«, sagte der Kleinere und schob seinen Fuß in den Türspalt. Ein dumpfer Schlag ertönte, als das Holz gegen den Stiefel knallte.

»Lassen Sie das!«

Langsam wachte der Oberbürgermeister auf.

Der Kleinere nickte dem Größeren zu. Dieser hatte den Bolzenschneider bereits hinter seinem Rücken hervorgeholt.

»Ich habe Sie gewarnt! Ich rufe die Polizei!« Der Bürgermeister trat von der Tür zurück.

Die Kette hielt dem Biss der Zange nicht stand. Der große Mann stürmte in die Eingangshalle. Der Kleinere trat nach ihm ein, schloss bedächtig die Tür und wartete. Sein Begleiter stand in der Mitte des Raumes und sah sich um. Wohin war der Hausherr verschwunden? Geradeaus führte eine breite Treppe ins Obergeschoss, zur Linken befand sich eine verschlossene Tür und zur Rechten stand ein Zimmer offen, allerdings unbeleuchtet. Der große Mann entschied sich, nach oben zu gehen.


Er stand in der Dunkelheit und atmete schwer. Vorsichtig tastete er nach dem Telefonapparat. Er war ins Arbeitszimmer im Erdgeschoss geflüchtet. Nur wenig Licht fiel durch den kleinen offenen Spalt der Tür in den Raum, aber es reichte, um den Hörer zu finden. Mit verschwitzten Fingern drückte er die Tasten, von denen er hoffte, dass es die richtigen waren. Dann hörte er das Freizeichen.

»Polizeinotruf.«

»Hallo ... ich werde gerade überfallen!«

»Einen Einbruch meinen Sie?«

»Genau! Hier in meinem Haus ...«

»Ich notiere.«

»Jetzt hören Sie doch!«

»Idiot! Er ist hier unten und telefoniert.«

Die Stimme aus der Eingangshalle ließ sein Blut gefrieren. Als Nächstes hörte er Schritte auf der Treppe.

»Ich … In meinem Haus ...« Er fuhr zusammen, als er den großen Mann in das Zimmer stürmen sah. »Kommen Sie schnell!«

»Aber sagen Sie mir erst einmal, wohin wir kommen sollen. Hallo! Hallo?«

Eine Schlinge legte sich um seinen Hals. Er wollte noch etwas sagen, doch die Worte erstarben in seinem Hals. Ihm wurde schwarz vor Augen. Mit Gewalt wurde er von dem Schreibtisch weggezogen, auf den das Telefon gefallen war.

»Hallo? Hallo?«

Die Stimme aus dem Hörer war kaum noch zu hören. Der kleine Mann betrat den Raum, schaltete das Licht ein, lief zu dem Tisch und legte den Hörer auf.

»Du kannst ihn jetzt wieder atmen lassen.«

Der Größere lockerte seinen Griff. Der Oberbürgermeister fiel auf die Knie und schnappte nach Luft. Ein stechender Schmerz beeinträchtigte seine Wahrnehmung. Während er langsam wieder zu sich kam, spürte er, wie ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt wurden.

»Was wollen Sie von mir?« Die Angst ließ seine Stimme zittern.

»Was meinen Sie? Glauben Sie etwa, wir wollten Ihnen etwas antun?«

»Die Polizei ... sie wird sofort hier sein, und dann ...«

»Das glaube ich nicht.« Der Mann tippte auf den eingehängten Telefonhörer. »Die Alarmanlage wurde ebenfalls nicht ausgelöst, da Sie uns ja persönlich die Tür geöffnet haben. Erinnern Sie sich?«

Der Große zog einen weiteren Umhang aus seiner Sporttasche. Er warf ihn dem Bürgermeister über und schloss eine Schnalle am Kragen. Als Nächstes holte er eine Faschingsmaske hervor. Er setzte an, sie dem Gefangenen umzubinden.

»Moment!«, unterbrach der Kleine. »Er muss doch noch zum Schlafen gebracht werden.«

Der Große legte die Maske zur Seite, packte den Oberbürgermeister mit seinen Pranken an beiden Armen und hielt ihn fest. Der Kleinere fischte ein kleines braunes Medikamentenfläschchen und ein seidenes Taschentuch aus seiner Hosentasche, lief auf den Gefesselten zu und tröpfelte etwas von der Flüssigkeit auf das Tuch. Er drückte es seinem Opfer ins Gesicht. Der Oberbürgermeister bäumte sich ein letztes Mal auf und zappelte, bis sein Kopf schlaff herunterhing. Sein Körper sackte in sich zusammen, doch der große Mann hielt ihn fest. Der Kleine steckte die Utensilien weg, nahm die Maske und band sie dem Schlafenden um.

Nun hakten die beiden Männer den Entführten jeweils unter einem Arm unter und trugen ihn wie einen Betrunkenen fort. Sie löschten das Licht, traten durch die Haustür und verschlossen diese ordentlich. Auf dem Sims des Vordachs saß eine Krähe, bewegungslos wie eine Statue, und beobachtete die drei Männer, als sie im Nebel verschwanden.

Die Partie. Thriller

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