Читать книгу Die Partie. Thriller - Mike Wächter - Страница 8
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ОглавлениеMontag, 17.43 Uhr
Er erwacht in einem braunen, fauligen Meer. Der Nebel in seinem Kopf klärt sich, doch der modrige Geruch bleibt. Blitze erhellen das Braun um ihn herum. Lautes Gepolter umgibt ihn und seine Knochen schmerzen. Was ist passiert? Wo ist er?
Kimski hält sich mit der Hand an irgendetwas fest, das er zu greifen bekommt, und zieht seinen Oberkörper mühsam hoch.
»Mensch, Kimski! Sie kommen wieder zu sich!«
Das ist nicht die Stimme eines Engels an der Himmelspforte, so viel steht fest. Er kennt die Person, die gesprochen hat, erkennt sie aber nicht. Eine kalte Hand, die ihn an der Schulter packt und nach oben reißt, hat ihn wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.
»Was ist hier vorgefallen?«
Jetzt kann er den Sprecher identifizieren. Kriminalrat Pflüger ist nicht besonders groß, meistens aber ziemlich laut. Momentan ist er darüber hinaus auch noch aufgebracht, und er hat angefangen, Kimski zu siezen.
»Was ist passiert?«, fragt Kimski, immer noch irritiert. Er hält sich den Kopf. Er erinnert sich jetzt, wie er sein Bewusstsein verlor.
»Was passiert ist? Das habe ich Sie gerade gefragt!«
In Kimskis Schädel schwirrt es. Er sieht sich verstört um. Um ihn herum wimmelt es von Polizisten. Mehrere Beamte von der Spurensicherung in ihren weißen Ganzkörperanzügen. Einer schießt Fotos. Das waren die Blitze, die er beim Aufwachen gesehen hat. Kimski macht einen Schritt vorwärts. Das Büchermeer droht ihn zu verschlucken, doch er bleibt standhaft. Als er die Durchgangstür zum Badezimmer erreicht, wird seine Kehle heiß. Meier liegt mit ausgestreckten Armen zwischen dem Türrahmen. Sein Körper ist verdreht wie ein Fragezeichen. Die Augen sind aufgerissen. Von der Mitte seiner Stirn aus läuft ein breiter rötlichbrauner Fluss.
»Guter Schuss, was?« Pflüger ist direkt hinter Kimski getreten und vergräbt die Hände in den Hosentaschen.
Kimski schluckt, um seinen ausgetrockneten Rachen zu befeuchten. Als er sich umdreht, sieht er, dass ein Mann von der Spurensicherung seine Dienstwaffe in der Hand hält.
»Moment mal!«
»Ihre Waffe, oder?«, fragt Pflüger. Er wartet keine Antwort ab. »War noch warm, als ich kam. Haben Sie auf jemanden geschossen?«
»Nein!«
»Hm, ja. Die Zeugin hat auch nur einen Schuss gehört. Und eine Kugel steckt in Meiers Kopf.«
»Zeugin?«
»Diese Reporterin, Sie haben sie doch selbst mitgeschleppt. Hat sich im Treppenhaus versteckt, als sie den Krach gehört hat. Sie hat ausgesagt, dass jemand aus der Wohnung gestürzt kam und aus dem Haus rannte. Leider konnte sie die Person von ihrer Position aus nicht sehen. Dann ist sie ins Zimmer gelaufen und hat vergeblich versucht, Sie zu wecken, hat Meier entdeckt und schließlich die Polizei angerufen.«
Kimski sieht seiner Pistole hinterher, die in einem Plastikbeutel verschwindet. Pflüger beobachtet seinen irritierten Blick.
»Es hilft nichts, Kimski. Wir müssen Ihre Waffe überprüfen. Könnte ja sein, dass der tödliche Schuss damit abgegeben wurde.«
Kimski sieht ihn mit großen Augen an. »Sie können gerne einen Schmauchspurentest an meinen Händen durchführen lassen. Dann werden Sie sehen, dass ich nicht geschossen habe!«
»Mein lieber Herr Kimski.« Pflüger verschränkt die Arme hinter dem Rücken und drückt seinen Brustkorb vor. »Was den Schmauchspurentest betrifft – da merkt man, dass Sie lange keine Tatortarbeit mehr gemacht haben. Neuste wissenschaftliche Experimente haben gezeigt, dass bei einem Pistolenschuss in einem Raum von dieser Größe noch acht Minuten später so viele Metallpartikel herumschwirren, dass selbst jemand, der nach der Tat eintritt, mehr Blei an sich kleben haben kann als der Schütze, der sofort weggelaufen ist. Außerdem – es hat doch niemand behauptet, dass Sie auf Ihren Kollegen geschossen haben. Wir befürchten nur, die Kugel könnte aus Ihrer Waffe abgefeuert worden sein.« Pflüger schweigt einen Moment, dann setzt er nach: »Oder sollte ich mir etwa Sorgen um Sie machen?«
»Nein, ich ...« Er hält sich den Kopf.
»Es ist ja auch schon so schlimm genug, wenn Ihnen jemand Ihre Dienstwaffe abgenommen hat und damit einen anderen Polizisten erschossen hat. Was haben Sie beim SEK eigentlich gelernt, Kimski?«
Einen kurzen Augenblick verspürt Kimski den Impuls, seinem Vorgesetzten eine Kopfnuss zu geben. Er zählt bis zehn und versucht, an etwas Schönes zu denken.
»Wobei«, fährt Pflüger fort, »es gibt da natürlich auch noch eine andere Variante, was hier passiert sein könnte. Passen Sie auf.«
Pflüger tritt in die Mitte des Raums.
»Sie betreten mit Ihrem Kollegen diese Wohnung. Sie erwarten, einen Notarzt vorzufinden, aber da ist niemand. Das kommt Ihnen komisch vor. Wie Sie es von Ihren Einsätzen beim SEK gewohnt sind, ziehen Sie sofort Ihre Waffe. Meier geht ins Badezimmer, um sich umzusehen. Sie bleiben in diesem Zimmer. Plötzlich öffnet sich hinter Ihnen die Schranktür.«
Pflüger deutet auf den offen stehenden Dielenschrank.
»Irgendjemand springt aus dem Schrank hervor, Sie reißen Ihre Waffe hoch. Auf einmal hören Sie ein Geräusch aus der anderen Richtung. Erschrocken drehen Sie sich um, sehen eine Gestalt und schießen, bevor Sie überhaupt bemerkt haben, dass es sich um Ihren Kollegen handelt. Trotzdem ein sauberer Schuss. Geübt ist geübt. Wir normalen Polizisten können ja fast nie auf dem Schießstand trainieren. Wie dem auch sei. Der Kerl aus dem Schrank nutzt die Verwirrung, schlägt Sie hinterrücks nieder und verschwindet.«
Kimski läuft Pflüger hinterher. Er tastet seinen Hinterkopf ab und spürt eine massive Beule. »Nein! So war das nicht!«
»Sie wissen aber auch nicht, wie es sonst gewesen sein könnte?«
»Ich kann mich doch an nichts erinnern!«
»Ach stimmt. Sie haben ja Amnesie. Das hat uns gerade noch gefehlt. Aber ist ja egal. Wir werden die Indizien schon irgendwie zusammenbasteln. Die interessanteste Frage bleibt erst mal, warum ein Unbekannter zwei Polizisten in ein Apartment lockt. Und was eigentlich diese ganzen Bücher sollen.«
Kimski hört ihm nicht mehr zu. Er muss seinen Blick von Meier abwenden, kann nicht länger hinsehen. Warum kann er sich an nichts erinnern? Zumindest nicht an die wichtigsten Details. Aber dass er es nicht war, der den Schuss abgegeben hat, das weiß er tief in seinem Innersten. Er sieht sich um, beugt sich über den Tisch mit dem Schachspiel. Auf dem historischen Stadtplan fällt ihm erst jetzt die handschriftliche Notiz auf. Mit Bleistift eingetragen und so klein, dass man sie nur schwer lesen kann. Er muss sich noch mehr vorbeugen. Dann erkennt er die sonderbare Ziffernfolge:
c7xc5
d3xc5
Als Kimski sich umdreht, steht der Kriminalrat bereits bei einem anderen Beamten. Vollmer.
»Ich habe gerade mit dem Vermieter gesprochen,« erklärt Vollmer seinem Chef. »Die Wohnung stand seit ein paar Wochen leer. Der Täter scheint eingebrochen zu sein. Die Wohnungstür ist ziemlich amateurhaft aufgebrochen worden. Ist euch das nicht aufgefallen, als ihr reingekommen seid?«
Die Frage ist an Kimski gerichtet.
»Nein.«
»Na, jedenfalls ... wegen der ganzen Bücher hier ... ich hab mich mal bei den Leuten im Haus umgehört. Eine ältere Frau hat gesehen, wie heute Mittag ein Mann in einem blauen Arbeiteroverall einige Säcke ins Haus getragen hat. Ob er einen Transporter vor der Tür stehen hatte, hat sie nicht gesehen, aber dafür hat sie ihn angesprochen, was er hier macht.«
»Und?«
»Er liefert Wissen, hat er gesagt.«
»Wie sah er aus?«
»Daran kann die Frau sich nicht erinnern. Er hat eine Schildmütze getragen – und überhaupt hätte sie ein schlechtes Gedächtnis, was Gesichter angeht.«
»Na ja. Aber gut, dass Sie so schnell kommen konnten, Vollmer. Ihre Hilfe ist unverzichtbar.«
»Ich kann auch ein paar Befragungen übernehmen«, sagt Kimski und stellt sich neben seinen Vorgesetzten.
»Machen Sie Witze, Kimski? Sie gehen jetzt erst mal nach unten und warten auf den Notarzt, den wir Ihretwegen gerufen haben. Und falls der Sie wieder gehen lässt, melden Sie sich im Präsidium, die sollen Ihnen einen psychologischen Betreuer vermitteln.«
»Und machen Sie sich darauf gefasst, dass wir Ihnen noch ein paar Fragen stellen werden in den nächsten Tagen«, sagt Vollmer.
»Hoffen wir, dass er diesmal ohne Disziplinarverfahren davonkommt«, sagt Pflüger.
Kimski wendet sich zu seinem Vorgesetzten und starrt ihn an. Seine Stirn legt sich in Falten.
»Was ist?«, fragt der Kriminalrat. »So ein Verfahren wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Abteilung.«
»Klar«, sagt Kimski trocken. Er zieht den Klopapierstreifen hervor und stopft ihn Pflüger in die Jacketttasche. Dann läuft er davon. Zum Ausgang. Ein uniformierter Beamter stürmt die Treppe hinauf und rempelt ihn im Vorbeigehen an.
»Was ist das denn schon wieder?«, schreit Pflüger Kimski hinterher und holt den Zettel aus der Tasche. Zum Lesen kommt er nicht. Der Beamte tritt an Pflüger heran und flüstert ihm ins Ohr.
»Was? Der Oberbürgermeister? Sind Sie sicher?«
»Ja. Seine Frau und seine Tochter sind gestern Abend von einer Reise zurückgekehrt, da war er schon verschwunden. Bis jetzt ist er nicht wieder aufgetaucht.«
»Kein Wort darüber nach außen, bis wir mehr wissen.«
Kimski bleibt im Türrahmen stehen und versucht, die Fetzen der Unterhaltung aufzuschnappen. Vollmer ist ihm gefolgt. Er lächelt Kimski an. Dann schlägt er ihm die Wohnungstür vor der Nase zu und Pflügers Stimme verstummt.