Читать книгу Unbestreitbare Wahrheit - Mike Tyson - Страница 6
ОглавлениеWir lagen mit den Puma Boys im Clinch. Ich lebte in Brownsville, Brooklyn, und diese Jungs stammten aus meiner Nachbarschaft. Damals hatte ich mich jedoch einer Gang der Rutland Road angeschlossen, den Cats aus dem nahe gelegenen Crown Heights, einer Bande von Typen aus der Karibik. Wir waren eine Bande von Einbrechern. Einige unserer Gangsterfreunde hatten einen heftigen Streit mit den Puma Boys, also begaben wir uns zum Park, um sie zu unterstützen. Gewöhnlich hatten wir mit Waffen nichts im Sinn, aber es ging um unsere Freunde, also stahlen wir ein paar, einen .357 Magnum Revolver und ein langes Gewehr mit Bajonett aus dem Ersten Weltkrieg. Wenn man einen Bruch machte, wusste man nie, was man vorfand.
Wir marschierten also ungeniert mit unseren Gewehren durch die Straßen, doch niemand hielt uns auf, kein einziger Bulle war unterwegs. Wir hatten nicht einmal einen Beutel, um das große Gewehr zu verstauen, also wechselten wir uns alle paar Blocks einfach mit dem Tragen ab.
„Da drüben rennt er ja“, rief mein Freund Haitian Ron. „Der Kerl mit den roten Pumas und dem roten Halseinsatz.“ Ron hatte den Typen, hinter dem wir her waren, erspäht. Als wir losrannten, teilte sich die riesige Menschenmenge im Park wie das Rote Meer vor Moses. Das war sehr vernünftig, weil einer meiner Freunde das Feuer eröffnete. Als die Schüsse fielen, kam es zu einem Gedränge.
Als wir weitergingen, sah ich, dass einer der Puma Boys zwischen den auf der Straße geparkten Autos in Deckung gegangen war. Ich hatte das M1-Gewehr, schnellte herum und sah, wie der lange Kerl die Pistole direkt auf mich gerichtet hielt.
„Was zum Teufel machst du da?“, raunzte er mich an. Es war mein älterer Bruder Rodney. „Verpiss dich!“
Ich lief dann einfach aus dem Park und nach Hause. Ich war damals zehn Jahre alt.
Ich sage oft, ich sei das schwarze Schaf der Familie gewesen, aber wenn ich darüber nachdenke, war ich den größten Teil meiner Kindheit über sehr sanftmütig. Ich kam am 30. Juni 1966 im Cumberland Hospital im Fort Greene-Bezirk von Brooklyn, New York, zur Welt. Meine frühesten Erinnerungen drehen sich um Aufenthalte in der Klinik – ich hatte ständig Lungenprobleme. Einmal tauchte ich den Daumen in irgendeinen Rohrreiniger und steckte ihn dann in den Mund. Man brachte mich im Eiltempo in die Klinik. Weiter erinnere ich mich noch, wie mir meine Patentante ein Spielzeuggewehr schenkte, das ich aber sofort demolierte.
Über meine Familie weiß ich nicht sehr viel. Meine Mutter Lorna Mae war New Yorkerin, wurde aber in Virginia geboren. Mein Bruder ist mal dorthin gefahren, um sich die Gegend anzugucken, in der meine Mutter aufgewachsen ist, aber da gab es nichts außer Wohnwagensiedlungen. Ich bin also ein echter Trailer-Park-Nigga. Meine Großmutter Bertha und meine Großtante arbeiteten in den Dreißigern für eine Weiße, zu einer Zeit, in der die meisten Weißen keine Schwarzen mehr für sich arbeiten ließen. Bertha und ihre Schwester waren so dankbar, dass sie beide ihre Töchter Lorna tauften – nach der weißen Lady. Mit dem Geld, das Bertha bei ihr verdiente, schickte sie ihre Kinder aufs College.
Das K.o.-Gen habe ich vermutlich von meiner Großmutter geerbt. Die Cousine meiner Mutter erzählte mir mal, dass der Mann in der Familie, für die sie arbeitete, seine Frau schlug, was Berta gar nicht gefallen habe. Und sie war eine kräftige Frau.
„Lassen Sie sie in Ruhe“, warnte sie ihn.
Er fasste es als Scherz auf, doch sie versetzte ihm einen Kinnhaken und beförderte ihn zu Boden. Als er Bertha am nächsten Tag sah, fragte er: „Wie geht es Ihnen, Miss Price?“ Und ab da vergriff er sich nie wieder an seiner Frau und wurde ein anderer Mensch.
Meine Mom war allgemein beliebt. Als ich geboren wurde, arbeitete sie als Gefängnisaufseherin im Women’s House of Detention in Manhattan, bereitete sich aber nebenher auf den Lehrerberuf vor. Sie war drei Jahre lang aufs College gegangen, bevor sie meinen Vater kennenlernte. Als er krank wurde, musste sie aber abgehen, um ihn pflegen zu können. Trotz ihrer guten Ausbildung besaß sie jedoch keinen guten Geschmack, was Männer betraf.
Über die Familie meines Vaters weiß ich sehr wenig. Im Grunde kannte ich ihn eigentlich gar nicht, das heißt den Mann, den man als meinen Vater ausgab. Auf meiner Geburtsurkunde stand, mein Vater sei Percel Tyson. Nur haben mein Bruder, meine Schwester und ich diesen Kerl nie gesehen. Uns allen wurde erklärt, unser biologischer Vater sei Jimmy „Curlee“ Kirkpatrick Jr. Doch er trat kaum in Erscheinung. Später hörte ich Gerüchte, Curlee sei ein Zuhälter und erpresse Frauen. Doch dann bezeichnete er sich plötzlich als Diakon der Kirche. Deswegen sage ich jedes Mal, wenn ich höre, dass sich jemand als Reverend bezeichnet, „Reverend Zuhälter“. Wenn man genau darüber nachdenkt, stellt man fest, dass diese religiösen Typen das Charisma eines Zuhälters haben. Sie könnten jeden in die Kirche locken und dazu bringen zu tun, was immer sie von ihm verlangen. Für mich sind sie also immer „Bischof Zuhälter“ oder „Reverend Ike, Zuhälter“.
Curlee besuchte uns immer dort, wo wir gerade wohnten. Er und meine Mutter sprachen nie miteinander, er drückte lediglich auf die Hupe, und wir gingen hinunter zu seinem Auto, stiegen in seinen Cadillac und dachten, wir machen einen Ausflug nach Coney Island oder zum Brighton Beach, doch er fuhr einfach ein paar Minuten mit uns durch die Gegend und brachte uns dann nach Hause zurück, steckte uns etwas Geld zu, verpasste meiner Schwester einen Kuss und schüttelte meinem Bruder und mir die Hand – und das war’s. Vielleicht würde ich ihn ein anderes Mal wiedersehen.
Meine erste Wohngegend war Bedford-Stuyvesant in Brooklyn, damals ein anständiges Wohnviertel der Arbeiterklasse. Jeder kannte jeden. Es lief alles recht normal. Aber Ruhe gab es keine. Jeden Freitag und Samstag herrschte im Haus ein Tumult wie in Las Vegas. Meine Mom lud all ihre Freundinnen, von denen viele im horizontalen Gewerbe arbeiteten, zum Kartenspielen ein. Sie schickte dann ihren Freund Eddie los, Schnaps zu besorgen, und sie kippten den Alkohol nur so hinunter. Den Gewinn jedes vierten Spiels musste die Gewinnerin in den Topf werfen, und der gehörte Mom. Dann bereitete meine Mutter Hähnchenflügel zu. Mein Bruder erinnert sich, dass in unserem Haus außer den Nutten auch Gangster, Detektive, ja, die unterschiedlichsten Menschen verkehrten.
Wenn meine Mutter Geld hatte, verprasste sie es. Sie liebte Gesellschaft und lud immer ein paar Freundinnen und auch diverse Männer zu sich ein. Und alle ließen sich volllaufen bis zum Abwinken. Sie selbst rauchte kein Marihuana, aber alle ihre Freunde, die sie mit dem Stoff versorgte, taten es. Sie selbst rauchte lediglich Zigaretten. Die Freundinnen meiner Mutter waren Prostituierte oder zumindest Frauen, die für Geld mit Männern schliefen. Sie lieferten ihre Kids bei uns ab, wenn sie sich mit Männern trafen. Wenn sie ihre Kinder dann bei uns abholten, kam es vor, dass sie Blut auf der Kleidung hatten. Meine Mom half ihnen, sich zu säubern. Als ich eines Tages nach Hause kam, fand ich ein weißes Baby vor. „Was soll denn dieser Scheiß?“, dachte ich. Aber so war mein Leben.
Mein Bruder Rodney war fünf Jahre älter als ich, sodass wir wenig gemeinsam hatten. Er ist ein seltsamer Kerl! Wir sind Schwarze aus dem Ghetto, und er war wie ein Wissenschaftler, hatte jede Menge Teströhrchen und experimentierte ständig herum. Er besaß sogar eine Münzsammlung, nach dem Motto: „Wenn es die Weißen haben, steht es mir auch zu.“
Einmal ging er ins Chemielabor im Pratt Institute, einem College der Umgebung, und holte sich ein paar Chemikalien zum Experimentieren. Als er ein paar Tage später außer Haus war, schlich ich in sein Zimmer und füllte seine Teströhrchen mit Wasser. Das gesamte Fenster zum Hinterhof flog in die Luft. Daraufhin musste er ein Schloss an seiner Tür anbringen lassen.
Ich hatte viel Streit mit ihm, aber es war die typische Geschichte zwischen einem älteren und einem jüngeren Bruder. Doch eines Tages verwundete ich ihn mit einem Rasiermesser. Er hatte mich wegen irgendwas verprügelt und war dann schlafen gegangen. Zusammen mit meiner Schwester Denise sah ich mir im Fernsehen immer eine dieser Arztserien an. Gerade wurde eine Operation gezeigt. „Das könnten wir nachmachen, und Rodney könnte der Patient sein. Ich bin der Arzt und du die Krankenschwester“, erklärte ich meiner Schwester. Also rollten wir seinen linken Ärmel hoch und los ging’s. „Skalpell“, befahl ich, und meine Schwester reichte mir ein Rasiermesser. Ich machte einen kleinen Schnitt, und er fing an zu bluten. „Schwester, wir brauchen Alkohol“, sagte ich. Sie reichte ihn mir, und ich träufelte ihn auf seine Wunde. Er wachte brüllend auf und jagte uns durchs Haus. Ich versteckte mich hinter meiner Mutter. Noch heute hat er Narben von meinen Schnitten.
Aber wir verlebten auch gute Zeiten miteinander. Einmal ging ich mit meinem Bruder die Atlantic Avenue hinunter, und er sagte: „Komm, lass uns zur Donuts-Fabrik gehen.“ Ein paar Tage zuvor hatte er dort ein paar Donuts gestohlen, und ich glaube, er wollte mir zeigen, dass er es erneut tun konnte. Also schlenderten wir dorthin; das Tor stand offen. Er ging hinein und schnappte sich ein paar Donuts-Schachteln, aber plötzlich schloss sich das Tor. Er konnte nicht mehr raus, und die Wachmänner setzten sich in Bewegung. Also gab er mir die Donuts, und ich rannte damit heim. Meine Schwester und ich setzten uns auf die Veranda und stopften die Donuts in uns hinein; unsere Gesichter waren weiß vom Puderzucker. Unsere Mom stand daneben und unterhielt sich mit der Nachbarin.
„Mein Sohn Rodney hat den Test für die Brooklyn Tech mit Bravour bestanden“, prahlte sie. „Er ist der beste Schüler seiner Klasse, wirklich ein Überflieger.“
Just in diesem Moment fuhr ein Polizeiauto vor, mit Rodney auf dem Rücksitz. Die Polizei wollte ihn rauslassen, aber er hörte, wie unsere Mutter von ihrem guten Sohn schwärmte und bat die Polizisten, weiterzufahren. Man brachte ihn direkt nach Spofford, in ein Jugendgefängnis. Meine Schwester und ich verputzten fröhlich sämtliche Donuts.
Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich mit meiner Schwester Denise. Sie war zwei Jahre älter als ich und in der Nachbarschaft sehr beliebt. War sie dein Freund, dann war sie dein bester Freund. Aber war sie dein Feind, dann war es besser, sich aus dem Staub zu machen. Wir machten Lehmkuchen, schauten uns im Fernsehen Wrestling und Karatefilme an und begleiteten unsere Mutter zum Einkaufen. Es war ein behagliches Leben, aber dann wurde plötzlich von heute auf morgen alles anders. Ich war gerade sieben Jahre alt.
Die Wirtschaft brach ein, meine Mom verlor ihren Job, und wir wurden aus unserer hübschen Wohnung in Bed-Stuy geworfen. Ein paar Männer kreuzten auf und stellten einfach unsere Möbel und den sonstigen Kram auf den Gehsteig. Wir drei Kinder mussten uns auf die Möbel setzen und darauf achten, dass niemand sie wegnahm, während meine Mutter sich auf die Suche nach einer Bleibe für uns begab. Als ich so dasaß, kamen ein paar Nachbarkinder und fragten: „Mike, weshalb stehen eure Möbel hier draußen?“ Wir erklärten ihnen einfach, dass wir umzögen. Daraufhin brachten uns ein paar freundliche Nachbarn etwas zu essen.
Schließlich landeten wir in Brownsville. Was für ein Unterschied zu unserer vorherigen Wohngegend! Hier waren die Menschen viel lauter, viel aggressiver. Es war eine grauenhafte, brutale Umgebung. Meine Mutter war diese Art von aggressiven Schwarzen nicht gewohnt und daher eingeschüchtert, ebenso mein Bruder und meine Schwester. Hier war alles feindselig, es gab überhaupt keine ruhigen Momente. Ständig fuhren Polizeiautos mit ihren Sirenen vorbei, pausenlos waren Krankenwagen unterwegs, um jemanden abzuholen, und immer wieder hörte man Schüsse, oder jemand wurde erstochen oder Fenster zersplitterten. Eines Tages wurden mein Bruder und ich sogar direkt vor unserem Haus ausgeraubt. Wir beobachteten diese Jungs, die einfach wild herumschossen. Es war wie in einem alten Film mit Edward G. Robinson. Wir wollten uns das Ganze ansehen und sagten: „Wow, das ist also das wahre Leben.“
Die gesamte Umgebung war auch eine Brutstätte sexueller Ausschweifung. Alle waren völlig schamlos. Sogar auf der Straße hörte man: „Blas mir einen“ oder „Leck meine Muschi“. Hier herrschte eine völlig andere Lebensweise als in meinem alten Viertel. Eines Tages zerrte mich ein Junge von der Straße, schob mich in ein verlassenes Gebäude und versuchte, sich an mir zu schaffen zu machen. Auf den Straßen fühlte ich mich nie richtig sicher. Ja, wir waren nicht einmal mehr in unserer Wohnung sicher. In Brownsville gab es keine Partys mehr. Meine Mutter schloss wohl ein paar Freundschaften, aber es war nicht mehr so wie in Bed Stuy. Sie fing an zu trinken, trank immer mehr und bekam auch keinen neuen Job mehr. Also stand ich stundenlang mit ihr im Sozialamt an. Es waren endlose Warteschlangen. Als wir nach Stunden endlich vor dem Schalter standen, war es fünf Uhr, und wir lasen: „Geschlossen“. Es war wie in einem Film.
Auch in Brownsville wurden wir rausgeschmissen, und nicht nur einmal. Ab und zu hatten wir eine anständige Wohnung in einer ordentlichen Wohngegend, wenn uns Freunde meiner Mutter oder einer ihrer Liebhaber aufnahmen. Doch im Allgemeinen wurden die Verhältnisse bei jedem Umzug schlechter. Erst waren wir arm, dann sehr arm und schließlich bettelarm. Am Ende lebten wir in Abbruchhäusern, ohne Heizung, Wasser oder Strom. Im Winter schliefen wir alle im selben Bett, um uns gegenseitig zu wärmen. Dort blieben wir, bis irgendein Kerl uns rauswarf. Meine Mutter ging dann los, um eine andere Bleibe für uns zu suchen, was oft bedeutete, dass sie mit jemandem schlief, aus dem sie sich nicht viel machte. So liefen die Dinge damals.
Sie wollte uns das Obdachlosenheim ersparen, also bezogen wir das nächste abbruchreife Haus. Es war traumatisch, aber was konnten wir tun? Was ich von meiner Mutter gelernt habe, hasse ich an mir: Ich schreckte vor nichts zurück, um zu überleben.
Ich erinnere mich noch genau, wie Sozialarbeiter in unsere Wohnung kamen und nach Männern unter dem Bett suchten. Im Sommer bekamen wir kostenloses Frühstück und Essen. Ich erklärte, dass wir zehn Kinder seien, sodass man uns größere Portionen gab. Ich fühlte mich dabei, als wäre ich gerade in den Krieg gezogen und hätte eine Prämie erhalten. Man ist so stolz, dass man was zu essen im Haus hat. Können Sie sich diesen Schwachsinn vorstellen? Sie öffnen den Kühlschrank und sehen das verdammte Fleischwurst-Sandwich, die Orange und die kleine Milchpackung. 20 davon. Ich lud ein paar Leute ein und fragte: „Bruder, brauchst du was zu essen? Hast du Hunger? Wir haben Essen.“ Wir taten so, als hätten wir hart verdientes Geld dafür bezahlt. Dabei war alles umsonst.
Als ich klein war, war ich ein Mamakind, schlief immer bei meiner Mutter im Bett. Meine Schwester und mein Bruder hatten ihr eigenes Zimmer, aber ich schlief bei meiner Mutter, bis ich 15 war. Einmal schlief meine Mutter mit einem Mann, während ich danebenlag. Sie dachte wohl, dass ich schlafen würde. Ich bin mir sicher, dass dies nicht ohne Wirkung auf mich blieb, aber die Dinge waren eben so, wie sie waren. Als ihr Freund Eddie Kelvison auf der Bildfläche erschien, wurde ich auf die Couch verfrachtet. Die Liebesbeziehung zu ihm tat meiner Mutter nicht gut. Vermutlich waren deshalb meine eigenen Beziehungen so seltsam. Sie ließen sich volllaufen, stritten und vögelten miteinander, zerstritten sich, begannen wieder zu trinken, zu streiten und zu vögeln. Sie liebten sich wirklich, auch wenn es eine echt kranke Liebe war.
Eddie war ein kleiner, gedrungener Typ aus South Carolina, der als Vorarbeiter in einer Waschmaschinenfabrik arbeitete. Er war in der Schule nicht sehr weit gekommen, und als mein Bruder und meine Schwester in die 4. Klasse kamen, konnte er ihnen bei den Hausaufgaben nicht mehr helfen. Eddie war ein sehr dominanter Typ und meine Mutter eine sehr dominante Frau, sodass ständig die Hölle los war. Immer war irgendein Streit im Gange, und die Bullen tauchten auf und rieten: „He, Kumpel, geh doch einfach mal um den Block.“ Manchmal wurden wir alle in den Streit mit hineingezogen. Eines Tages hatten meine Mutter und Eddie einen heftigen Streit, der sogar in eine Schlägerei ausartete. Ich versuchte, Eddie zurückzuhalten, doch er versetzte mir einen Schlag in den Magen, und ich ging in die Knie und dachte: „Oh Gott, das kann doch nicht wahr sein!“ Ich war doch noch ein Kind. Das ist der Grund, weshalb ich später nie die Hand gegen meine eigenen Kids erhob. Ich wollte nicht, dass sie mich als Monster in Erinnerung behielten. Doch damals fand man nichts dabei, ein Kind zu schlagen, das kümmerte niemanden. Heutzutage gilt es hingegen als Verbrechen, und man wandert ins Gefängnis.
Eddie und meine Mutter stritten sich über alles – andere Männer oder Frauen, Geld, die Kontrolle. Eddie war kein Engel. Wenn meine Mutter Freundinnen bei sich hatte und alle betrunken waren und Mom umkippte, vögelte er ihre Freundinnen. Und dann ging der Streit erst richtig los. Es ging brutal zu, und die beiden gingen mit allen möglichen Gegenständen aufeinander los und fluchten: „Fick dich doch ins Knie, du Hurensohn“ und „Du schwarze Schlampe, besorg’s mir endlich …“ Und wir schrien: „Mommy, hör auf, nein!“ Als ich 17 war, lagen sie mal wieder im Streit, und Eddie schlug ihr ihren Goldzahn aus. Meine Mutter setzte einen großen Topf Wasser auf und befahl meinem Bruder und meiner Schwester, unter die Decke zu kriechen. Aber ich war so gebannt von dem Wrestling-Programm im Fernsehen, dass ich nicht hörte, was sie sagte. Meine Mutter war so raffiniert, dass sie an uns vorbeiging, ohne dass etwas passierte. Als sie dann wieder ins Zimmer kam, hatten meine Geschwister sich bereits unter der Decke verkrochen. Eddie saß direkt neben mir. Dann machte es wumm, und der Topf mit dem siedend heißen Wasser landete an Eddies Kopf. Etwas von dem Wasser spritzte zu mir rüber. Es fühlte sich an wie ein Riesengewicht.
„Ahhhhhhhh!“ Eddie rannte schreiend zur Tür hinaus, in die Diele, ich direkt hinter ihm her. Er drehte sich um und fasste nach mir: „Oh Gott, mein Junge, hat dich diese Hexe auch getroffen?“
„Verdammt, die alte Hexe hat mich getroffen, ah, sie hat mich getroffen!“ Wir brachten ihn ins Zimmer zurück und zogen ihm das Hemd aus. Sein Hals, sein Rücken und eine Gesichtshälfte waren übersät mit großen Blasen. Er sah aus wie ein Reptil. Wir legten ihn auf den Boden, vor die kleine Klimaanlage vor dem Fenster. Meine Schwester setzte sich neben ihn, nahm ein Streichholz, sterilisierte eine Nadel und öffnete die Blasen eine nach der anderen. Meine Schwester und ich weinten beide, und ich gab ihm etwas Alkohol, um seine Schmerzen zu lindern.
Aber in der Erinnerung sehe ich Mom meistens als Opfer. Schließlich hat Eddie sie ja auch verprügelt. Die Frauenbewegung würde ihre Reaktion bestimmt großartig finden, aber ich dachte: „Wie kann man einem Partner, mit dem man zusammenlebt, so etwas antun?“ Ich erkannte, dass meine Mom keineswegs eine Mutter Teresa war. Das war eine ernste Geschichte, und doch blieb er bei ihr. Nachdem sie ihm das angetan hatte, ging er sogar los, um ihr etwas Alkohol zu besorgen, er hat sie gewissermaßen dafür belohnt. Das ist wohl auch der Grund, warum ich sexuell so fehlgesteuert bin.
Das war also mein Umfeld, in dem ich aufwuchs. Menschen, die sich liebten, schlugen sich den Schädel ein und bluteten wie die Schweine. Sie liebten sich zwar, stachen aber aufeinander ein. Verdammte Scheiße, ich hatte in dem Haus eine Höllenangst vor meiner Familie, denn ich wuchs mit taffen Frauen auf, Frauen, die mit Männern kämpften. Also dachte ich, dass es kein Tabu ist, mit einer Frau zu kämpfen, da die Frauen, die ich kannte, keine Skrupel hatten, einen zu töten. Man musste gegen sie kämpfen, denn andernfalls würden sie einen aufschlitzen oder erschießen. Oder sie würden ein paar Männer anschleppen, die dich ebenfalls verprügelten, weil sie dich für wertlos hielten.
Ich hatte Angst im Haus, aber ich hatte auch Angst, aus dem Haus zu gehen. Ich ging jetzt in die öffentliche Schule, und das war ein Albtraum. Ich war ein dickliches Kind, sehr schüchtern, fast wie ein Mädchen, und beim Sprechen lispelte ich, sodass die Kids mich „Little Fairy Boy“ nannten, da ich immer mit meiner Schwester rumhing. Doch meine Mutter hatte mir geraten, mich an Denise zu halten, da sie älter war als ich und sie mich im Auge behalten sollte. Man nannte mich auch „Dirty Ike“ oder „Schmutziger Wichser“, da ich zum damaligen Zeitpunkt noch keine Beziehung zur Hygiene hatte. Wir hatten kein fließend warmes Wasser zum Duschen. Und wenn das Gas abgestellt war, konnten wir auch kein Wasser warm machen. Meine Mutter versuchte, mich für Hygiene empfänglich zu machen, aber es war vergebliche Liebesmüh. Sie pflegte einen Eimer mit heißem Wasser zu füllen, nahm ein Stück Seife und wusch mich. Aber als kleiner Junge machst du dir den Teufel aus Hygiene. Schließlich lernte ich sie auf der Straße, von den anderen Kids. Sie erzählten mir von Brut und Paco Rabanne und Pierre Cardin.
Meine Schule war nur ein paar Schritte von unserer Wohnung entfernt. Manchmal konnte meine Mutter mich nicht zur Schule begleiten, da sie am Abend zuvor zu viel getrunken hatte. Wenn ich allein war, traktierten mich die Kids mit Schlägen und Fußtritten. Damit wollten sie mir wohl zu verstehen geben: „Verpiss dich, du widerlicher Wichser!“ Ich wurde permanent beschimpft. Man schlug mir ins Gesicht, und ich rannte davon. In der Schule wurden wir von Kids schikaniert, zu Hause von anderen mit Waffen bedroht und ausgeraubt, bis auf den letzten Cent. Es war brutal, dass diese Kids nicht einmal vor unserem eigenen Apartment Halt machten.
Ein Wendepunkt in meinem Leben war das Tragen einer Brille. Meine Mutter brachte mich zum Augenarzt, und es stellte sich heraus, dass ich kurzsichtig war, also ließ sie mir eine Brille anfertigen. Das war richtig übel. Eines Tages kam ich zur Mittagszeit aus der Schule. Ich holte mir in der Cafeteria ein paar Fleischbällchen, die zum Warmhalten in Alufolie verpackt waren. Da sprach mich ein Kerl an: „He, hast du ein paar Cents für mich?“ Ich erwiderte: „Nein.“ Er fing an, meine Taschen zu durchsuchen, fand aber nichts. Also versuchte er, mir die verdammten Fleischbällchen wegzunehmen. Ich wehrte mich und schrie: „Nein, nein, nein.“ Ich ließ zwar zu, dass die Dreckskerle mein Geld raubten, aber nicht mein Essen. Ich verteidigte meine Fleischbällchen, als wäre ich ein menschliches Schutzschild. Er schlug mir gegen den Kopf, dann riss er mir die Brille herunter und warf sie in den Tank eines Lastwagens. Ich rannte wie der Blitz nach Hause und war froh, dass er wenigstens meine Fleischbällchen nicht bekommen hatte. Ich hätte diese Kerle fertigmachen sollen, aber ich war so ängstlich, weil sie so dreist und frech waren, dass ich glaubte, sie wüssten etwas, das ich nicht wusste. „Schlag mich nicht, lass mich los, hör auf.“ Ich fühle mich auch heute noch als Feigling. Es ist ein unglaubliches Gefühl, sich so hilflos zu fühlen. Das vergisst man sein Leben lang nie. An dem Tag, als mir der Kerl die Brille wegnahm und in den Tank warf, ging ich zum letzten Mal zur Schule. Anschließend ging ich nur noch zur Schule, um zu frühstücken, und verließ sie dann wieder. Ich spazierte ein paar Stunden um den Block herum. Zum Lunch tauchte ich wieder in der Schule auf und haute dann wieder ab. Nach Schulende ging ich nach Hause. Im Frühling 1974 kamen auf der Straße drei Kerle auf mich zu und fingen dann an, an meinen Taschen herumzufummeln. „Haste etwas Geld?“ Ich erklärte ihnen, dass ich kein Geld habe. Sie erwiderten: „Wenn wir aber welches finden, behalten wir es.“ Also untersuchten sie systematisch meine Taschen, fanden aber nichts. Dann sagten sie: „Wohin gehst du? Willst du bei uns mitmachen?“
„Wobei?“
Wir gingen zur Schule, und sie ließen mich den Zaun hochklettern. Ich sollte ihnen ein paar Milchkästen aus Plastik zuwerfen. Dann gingen wir ein paar Blocks weiter, und sie zwangen mich, in ein leerstehendes Haus zu gehen.
„Hm, ich weiß nicht“, zögerte ich. Ich war ein mickriger kleiner Kerl, und sie waren zu dritt. Nun, wir gingen hinein, und dann sagten sie: „Kleiner, geh hoch aufs Dach.“ Ich wusste nicht, ob sie vorhatten, mich zu töten. Also kletterten wir aufs Dach hoch, und ich sah eine kleine Kiste mit Tauben.
Diese Kerle bauten einen Taubenstall. Ich wurde ihr kleiner Laufbursche. Schon bald fand ich heraus, dass die Tauben oft auf irgendwelchen anderen Dächern landeten, wenn sie sich in einem schlechten Zustand befanden. Ich musste dann gucken, auf welchem Dach sie gelandet waren, einen Weg auskundschaften, um in das Gebäude zu gelangen und die Vögel auf dem Dach aufzuscheuchen. Ich jagte den ganzen Tag den Tauben hinterher, fand das aber recht lustig. Ich war gern mit den Vögeln zusammen und kaufte ihnen sogar in einer Tierhandlung Futter. Diese Jungs waren jedenfalls taff und machten mich zu ihrem Laufburschen. Mein ganzes Leben lang war ich ein Außenseiter gewesen, aber auf dem Dach fühlte ich mich wie zu Hause.
Am nächsten Morgen kehrte ich zu dem Haus zurück. Sie standen auf dem Dach, sahen mich kommen und warfen Ziegelsteine nach mir. „Du Dreckskerl, was tust du hier? Versuchst du, unsere verdammten Vögel zu stehlen?“, rief einer der Jungs. Und ich hatte gedacht, das sei mein neues Zuhause.
„Nein, nein, nein“, versicherte ich ihnen. „Ich wollte nur wissen, ob ich etwas für euch besorgen oder euren Tauben hinterherjagen soll.“
„Meinst du das wirklich ernst?“, sagte er. „Komm rauf, Kleiner.“ Und sie schickten mich Zigaretten kaufen. Sie waren eine Bande skrupelloser Dreckskerle, aber es machte mir nichts aus, ihnen zu helfen, da die Tauben mich begeisterten. Es war wirklich toll zu beobachten, wie etwa 100 Tauben ihre Kreise am Himmel zogen und dann auf einem Dach landeten.
Tauben fliegen zu lassen, war damals in Brooklyn eine Lieblingsbeschäftigung. Jeder, vom Mafiaboss bis zu den kleinen Ghettokids, tat es. Es ist nicht zu beschreiben und geht einem einfach unter die Haut. Ich lernte, mit ihnen umzugehen, erfuhr immer mehr über sie, wurde ein echter Taubenmeister und war stolz, dass ich so gut darin war. Alle ließen ihre Tauben im selben Augenblick fliegen, und der Sinn des Spiels bestand darin, die Tauben einzufangen. Es war wie beim Pferderennen. Hat man erst mal Feuer gefangen, kommt man nicht mehr los davon. Wo auch immer ich künftig wohnte, jedes Mal baute ich mir einen Taubenstall.
Als wir eines Tages mal wieder auf dem Dach waren und uns um die Tauben kümmerten, kam ein älterer Junge zu uns herauf. Er hieß Barkim und war der Bruder eines der Jungen. Als er feststellte, dass sein Freund nicht da war, trug er uns auf, ihm auszurichten, dass er ihn am Abend in unserem Mietsblock beim Sportcenter zu einem Jam treffen solle. Jams waren wie Teenager-Tanzpartys, aber nicht so ein Scheiß wie die Zeichentrickserie Archie mit ihren lauen Teenager-Witzen. Das Sportcenter wurde dann sogar umbenannt in The Sagittarius. Alle Spieler und Gauner würden dorthin gehen, die Jungs, die Brüche machten, die Taschendiebe und Kreditkartenbetrüger. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen.
An jenem Abend ging also auch ich dorthin. Ich war sieben Jahre alt und hatte keine Ahnung von einer Kleiderordnung. Ich wusste nicht, dass man nach Hause gehen sollte, um zu duschen, die Kleider zu wechseln und den Club zu besuchen. So wie es alle Jungs taten, die mit Tauben zu tun hatten. Also ging ich direkt aus dem Taubenstall zum Sportplatz und trug immer noch meine schmutzige Kleidung voller Taubendreck. Ich dachte, die Jungs wären da und akzeptierten mich als einen der ihren, da ich für sie den verdammten Tauben hinterherjagte.
Als ich hineinging, sagten sie: „Was ist denn das für ein Gestank? Schaut euch den dreckigen, stinkenden Dreckskerl an.“ Alle fingen an zu lachen und mich zu verspotten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, es war ein traumatisches Erlebnis, da alle auf mir herumhackten. Ich weinte und lachte gleichzeitig. Da alle lachten und ich dazugehören wollte, lachte ich also über mich selbst. Ich glaube, Barkim bemerkte, wie ich gekleidet war, und bekam Mitleid mit mir. Er ging auf mich zu und sagte: „He, Kleiner, mach dich vom Acker. Wir treffen uns morgen früh um acht Uhr auf dem Dach.“
Am nächsten Morgen war ich pünktlich dort. Barkim kletterte hoch und hielt mir einen Vortrag: „Du kannst nicht irgendwohin gehen und wie ein verdreckter Penner aussehen. Was zum Teufel soll das, Mann?“ Er redete sehr schnell, und ich versuchte, jedes Wort zu verstehen. „Junge, wir wollen damit Geld verdienen. Bist du bereit?“ Ich begleitete ihn, und wir brachen in Häuser ein. Er forderte mich auf, durch Fenster zu schlüpfen, die zu eng für ihn waren, und ich öffnete ihm dann von innen die Tür. Als wir im Haus waren, durchwühlte er die Schubladen, brach den Safe auf, räumte aus, was er finden konnte. Wir stahlen Stereoanlagen, Tonbänder, Schmuck, Waffen, Geld. Nach den Raubzügen ging er mit mir in die Stadt, in die Delancey Street, und kaufte mir etwas Hübsches zum Anziehen, Sneakers und einen Lammfellmantel. Am Abend nahm er mich mit zu einem Jam. Viele der Leute, die mich vor Kurzem noch ausgelacht hatten, waren ebenfalls anwesend. Ich trug meinen neuen Mantel und meine Hose aus Leder. Niemand erkannte mich, es war, als wäre ich ein anderer Mensch. Es war unglaublich.
Barkim stellte mich jetzt den Leuten auf der Straße als seinen „Sohn“ vor. Er war lediglich ein paar Jahre älter als ich, aber in der Sprache der Straße wurden die anderen dadurch aufgefordert, mich mit Respekt zu behandeln. Es bedeutete: „Auf der Straße ist das mein Sohn, wir sind eine Familie, wir rauben und stehlen. Er ist mein kleiner Geldmacher, legt euch nicht mit diesem Nigga an.“ Er brachte mir das Rauben und Stehlen bei, erklärte mir, welche Personen ich dafür aussuchen sollte und welchen ich nicht trauen konnte, weil sie mir sofort wieder alles abnehmen würden. Mein Leben erinnerte mich an das von Oliver Twist, der von einem älteren Jungen namens Fagin unterwiesen wurde. Barkim kaufte mir ’ne Menge Klamotten, aber er gab mir nie viel Geld. Wenn er bei einem Raub ein paar Tausender ergatterte, gab er mir 200. Aber für einen Achtjährigen sind 200 Dollar viel Kohle.
Mit der Rutland Road Crew erreichte meine Kriminalität eine andere Stufe. Meistens handelte es sich bei ihnen um Jungs aus der Karibik, aus Crown Heights. Barkim kannte die älteren, The Cats. Ich fing an, mit der RRC rumzuhängen, ihrer Nachwuchsabteilung, und machte bei ihren kleinen Raubzügen mit. Wir gingen gewöhnlich zuerst zur Schule, frühstückten, nahmen dann den Bus oder Zug und waren während der Unterrichtsstunden mit unseren Raubzügen beschäftigt. So wurde ich also einer von ihnen. Wir waren alle gleich, solange wir die Einnahmen unserer Beutezüge teilten.
Wer dies liest, wird mich als erwachsenen Menschen dafür verurteilen und mich als kriminell bezeichnen, aber all dies spielte sich vor mehr als 35 Jahren ab. Ich war ein kleiner Junge und wollte geliebt und akzeptiert werden, und das wurde ich auf der Straße. Dies war meine einzige Erziehung, und diese Jungs waren meine Lehrer. Die älteren Gangster sagten mir zwar, „du solltest das nicht tun, du solltest lieber zur Schule gehen“, aber wir wollten nicht auf sie hören, auch wenn sie auf der Straße das Sagen hatten. Sie sagten uns, wir sollten in der Schule bleiben, wenn sie irgendwo einbrachen. Aber alle Jungs respektierten mich jetzt, da ich ein kleiner Geldmacher war. Einigen meiner Freunde, die ein bisschen Geld brauchten, griff ich unter die Arme. Ich besorgte uns allen Alkohol und etwas zu essen und fing an, Tauben zu kaufen. Wenn man gute Vögel hatte, wurde man respektiert. Es lief immer gleich ab: schnell auf Raubzug gehen und dann Klamotten kaufen. Ich merkte, wie ich jetzt von allen behandelt wurde, und ich war mit meinem Lammfellmantel und meinen Pumas gut angezogen. Ich besaß einen geilen Skianzug mit einer gelben Schneebrille, hatte aber noch nie in meinem Leben auf einer Skipiste gestanden. Ich konnte den Markennamen Adidas nicht einmal buchstabieren, aber ich wusste, welches Gefühl er mir verlieh.
Einer der Rutland-Jungs brachte mir bei, wie man Schlösser knackte. Hat man einen Schlüssel, der in die Öffnung passt, dreht man ihn hin und her, sodass er den Zylinder runterdrückt und die Tür geöffnet werden kann. Ich war wie im Rausch. O Mann, wenn wir die Türen aufgebrochen hatten, stießen wir auf Silber, Schmuck, Gewehre und Geldbündel. Wir weinten und lachten vor Glück, konnten aber nicht alles mitschleppen. Man kann ja mit all dem Kram nicht einfach durch die Straßen laufen. Also stopften wir es in unsere Schultaschen.
Eines Tages brachen mein Freund Curtis und ich in ein Haus ein. Die Besitzer stammten, genau wie Curtis, aus der Karibik. Plötzlich hörte ich: „Wer ist da? Bist du’s, Liebling?“ Ich dachte, es sei Curtis, also erwiderte ich: „Ich versuche, eine Waffe und das Geld zu finden. Kümmerst du dich um den Safe?“ Dann erkannte ich, dass es nicht Curtis’ Stimme war. Es war der Kerl, der hier wohnte und auf der Couch lag. Ich eilte zur Tür. „Curtis, diese Scheiße hier klappt nicht. Lass uns verduften, jemand ist im Haus“, sagte ich. Aber Curtis war ein Perfektionist. Er wollte lieber ganze Arbeit leisten und nicht einfach davonrennen. Ich rannte aus dem Haus, so schnell mich meine Füße trugen. Aber Curtis blieb zurück und versuchte, das Sicherheitsschloss zu knacken. Der Besitzer öffnete die Tür, knallte sie ihm gegen den Kopf und schlug ihn eiskalt nieder. Ich dachte lange, er wäre tot. Erst ein Jahr später sah ich ihn wieder. Er lebte, aber sein Gesicht war zerstört, so hart war der Aufprall der Tür gewesen.
Wenn wir Silber gestohlen hatten, brachten wir es zu Sal’s, einem Laden an der Utica und Sterling. Ich war noch klein, aber sie kannten mich, da ich immer mit den älteren Jungs kam. Die Jungs in dem Laden wussten, dass ich gestohlenes Zeug brachte, aber sie konnten mich nicht übers Ohr hauen, denn ich wusste, was der Kram kostete. Auch wenn ich den genauen Preis nicht kannte, wusste ich, was das Zeug wert war. Und ich wusste, was ich wollte.
Manchmal gingen wir, wenn wir unterwegs waren, zur Mittagszeit in eine Schule, in die Cafeteria, schnappten uns ein Tablett, stellten uns an und ließen uns dann das Essen schmecken. Wir hielten Ausschau nach jemandem, den wir beklauen könnten, und entdeckten Jungs, die einen edlen Schulring um den Hals trugen. Wir beendeten unseren Lunch, stellten die Tabletts zurück, schnappten uns den Ring und stürmten hinaus.
Auf der Straße wollten wir immer ordentlich aussehen, denn ein kleines schwarzes Kind auf der Straße, das ungepflegt und schmutzig aussieht, wird schikaniert. Also sahen wir gepflegt und harmlos aus. Wir hatten das gesamte Outfit, Schulranzen und nette kleine Brillen und den typischen Look einer katholischen Schule, eine ordentliche Hose und weiße Hemden.
Nach etwa einem Jahr unternahm ich die Brüche auf eigene Faust. Es war recht lukrativ, aber auf der Straße herumzuhängen und Ausschau nach Opfern zu halten, war viel aufregender als das Ausrauben von Häusern. Man erleichterte ein paar Ladys um ihren Schmuck, und die Bullen jagten einem hinterher. Wir nannten sie Helden, die kamen und den Tag retteten. Höheres Risiko für weniger Geld.
Manchmal stellte man fest, dass man Konkurrenz hatte. Man stieg in einen Bus, in dem bereits jemand auf der Lauer lag. Vielleicht war man selbst auffällig. So was nannte man „Aufsehen erregen“. Bevor man einstieg, war im Bus alles ruhig, aber dann machte der Busfahrer eine Durchsage.
„Meine Damen und Herren, soeben sind ein paar junge Männer eingestiegen. Passen Sie auf Ihre Handtaschen auf, man wird versuchen, Sie auszurauben.“ Dann stieg man bei der nächsten Haltestelle aus, aber der andere, der unauffällige Dieb, stieg ebenfalls aus und folgte einem.
„Du Arschgesicht, du hast den ganzen Bus in Aufruhr gebracht“, schrie er. Und wenn er älter war als man selbst, versohlte er einem den Arsch und nahm einem das ab, was man bis dahin gestohlen hatte – das Geld und den Schmuck.
Ich fand schwer einen Partner, der mit mir gemeinsam auf Taschendiebstahl gehen wollte, da ich weder so geduldig noch so gut wie die anderen darin war. Ich war nie so glatt, dass ich gesagt hätte: „Ich werde jetzt den Nigga da verarschen, mich langsam von rechts ranschieben und ganz nah dranbleiben.“ Ich war viel besser darin, jemanden zu überrumpeln.
Jeder starke Kerl kann andere überrumpeln. Aber der Kick bestand darin, gerissen zu sein und den anderen auszutricksen. Die meisten Leute würden denken: „Man verfolgt mich, ich werde mich schnell verziehen.“ Aber nicht mit uns. Auch wenn eine Lady den ganzen Tag krampfhaft ihre Geldbörse umklammerte, ließen wir sie nicht aus den Augen, auch wenn sie keine Sekunde die Geldbörse losließ. Wir folgten ihr, zogen uns dann aber zurück. Eins der kleinen Kinder, die immer bei uns waren, beobachtete sie jedoch weiterhin. Ein paar Sekunden lang ließ sie sich ablenken, und der Kleine schnappte sich den Geldbeutel und machte sich aus dem Staub. Und bevor wir wieder auftauchten, hörten wir einen herzzerreißenden Schrei: „Um Himmels willen, mein Geld ist weg!“
Es war verrückt.
Der einfachste Beutegang war das Klauen einer Goldkette, was ich ganz dreist in der U-Bahn tat. Ich setzte mich an einen Platz am Fenster. Zu der Zeit konnte man noch die Fenster öffnen. Ich kurbelte ein paar Fenster herunter, dann hielt die Bahn an und neue Fahrgäste stiegen ein und setzten sich ans Fenster. Ich stieg aus, und sobald sich der Zug langsam wieder in Bewegung setzte, griff ich hinein und schnappte mir ihre Ketten. Sie schrien auf und blickten mich an, aber sie konnten nicht aussteigen. Ich behielt die Kette ein paar Tage lang, versteckte sie gut und verkaufte sie dann, bevor die älteren Jungs sie mir wegnehmen konnten.
Obwohl ich mittlerweile mehr oder weniger dazugehörte, kam ich damals mit den Mädchen nicht so recht klar. Ich mochte Mädchen, aber in dem Alter wusste ich nicht, wie ich es ihnen sagen sollte. Einmal beobachtete ich die Mädchen beim Seilspringen. Ich mochte sie und wollte mit ihnen zusammen springen, also fing ich an, sie zu ärgern. Und plötzlich fingen diese Mädchen aus der 5. Klasse an, mich ohne Vorwarnung zu verprügeln. Ich spielte mit ihnen, aber sie meinten es ernst, und ich wurde überrumpelt. Erst viel zu spät dämmerte es mir, dass ich mich wehren musste. Damals kam jemand und beendete den Spuk, aber sie hatten sich als stärker erwiesen als ich. Ich wollte nicht mit ihnen streiten.
Für meine Mutter und meine Schwester war es keine Überraschung, dass ich klaute und keineswegs gesellschaftsfähige Dinge tat, um Geld heimzubringen. Sie sahen meine hübschen Klamotten, und ich versorgte sie mit Essen – Pizza oder was von Burger King und McDonald’s. Meine Mutter erkannte, was es geschlagen hatte, aber es war bereits zu spät. Sie dachte, ich sei ein Krimineller, ich würde umkommen oder vor die Hunde gehen. Vermutlich hatte sie schon früher Kids wie mich erlebt und ahnte, dass ich jeden bestehlen würde. Ich kannte keinerlei Grenzen und machte vor niemandem Halt.
Meine Mutter zog es vor zu betteln. Sie verwirrte mich ein wenig, da sie zu ehrlich war. Allerdings bettelte sie ständig um Geld, so war sie halt. Ich gab meiner Schwester viel Geld für den Haushalt. Manchmal gab ich meiner Mutter 100 Dollar oder so, aber ich bekam es nie zurück. In den Augen meiner Mutter war ich nie so viel wert. Wenn ich sagte, „Ma, du schuldest mir Geld“, antwortete sie lediglich: „Und du schuldest mir dein Leben, Junge. Ich zahle dir nichts zurück.“
Nachdem die großen Jungs in der Nachbarschaft wussten, dass ich ein Dieb war, nahmen sie mir das Geld, den Schmuck und meine Schuhe weg, und ich hatte Angst, es meiner Mutter zu sagen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sie verprügelten mich, stahlen mir meine Tauben und wussten, wie sie mich einschüchtern konnten. Barkim brachte mir nicht bei, wie man sich wehrte. Er brachte mir lediglich bei, wie man sich gut kleidete und Hygiene betrieb. Wenn mich auf der Straße jemand anschrie oder jagte, nahm ich einfach mein Zeug und machte mich aus dem Staub. Ich wurde weiterhin schikaniert, aber ich wurde jetzt auch mehr respektiert.
Als ich heranwuchs, wollte ich immer im Mittelpunkt stehen. Ich wollte der Kerl sein, der cool daherredete: „Ich bin der größte Dreckskerl weit und breit“, „Ich habe die besten Vögel“. Ich wollte ein richtiger Straßenjunge sein, ein cleverer Bursche, aalglatt und redegewandt, aber ich war zu schüchtern und unbeholfen. Wenn ich versucht hätte, so zu reden, hätte mir jemand was auf die Rübe gegeben und gesagt: „Halt die Schnauze, Nigga!“ Doch als ich in meinen ersten Straßenkampf geriet, bekam ich einen Vorgeschmack davon, wie es war, sich in der Bewunderung der Menge zu sonnen.
Eines Tages ging ich nach Crown Heights und brach mit einem älteren Jungen in ein Haus ein. Wir fanden 2.200 Dollar Bargeld, und er gab mir 600 Dollar. Ich ging in eine Tierhandlung und kaufte für 100 Dollar Vögel. Sie wurden für mich in eine Kiste verpackt, und der Besitzer half mir, sie in die U-Bahn zu verfrachten. Als ich ausstieg, half mir jemand aus meiner Nachbarschaft, die Kiste zu dem Abbruchhaus zu schleppen, wo ich meine Tauben versteckte. Aber dieser Junge erzählte einigen Kids der Umgebung, dass ich all diese Vögel hätte. So tauchte ein Kerl namens Gary Flowers mit ein paar Freunden auf, um meine Tauben zu klauen.
Meine Mutter beobachtete, wie sie sich an den Vögeln zu schaffen machten, und rief mich sofort. Ich rannte zu ihnen und stellte sie zur Rede. Sie sahen mich kommen und ließen von den Tauben ab, nur Gary hatte immer noch einen meiner Vögel unter dem Mantel versteckt. Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge um uns versammelt.
„Gib mir meinen Vogel zurück“, protestierte ich.
Gary holte den Vogel unter seinem Mantel hervor.
„Willst du den Vogel? Willst du wirklich den verdammten Vogel?“, fragte er mich. Dann drehte er der Taube den Hals um und warf sie auf mich, so dass mein Gesicht und mein Hemd voller Blut waren.
„Kämpf mit ihm“, drängte einer meiner Freunde. „Hab keine Angst, kämpf einfach mit ihm.“
Zuvor war ich immer viel zu ängstlich gewesen, mit jemandem zu kämpfen. In meiner Gegend wohnte ein älterer Kerl, Wise, der mal in der Police Athletic League geboxt hatte. Er rauchte mit uns Gras, und wenn er high war, fing er mit Schattenboxen an. Ich beobachtete ihn, und er sagte: „Los, mach mit.“ Aber ich hatte nicht einmal den Mut, mit ihm die Boxbewegungen zu trainieren. Ich erinnerte mich jedoch an seinen Boxstil.
Also sagte ich mir, scheiß drauf. Meine Freunde waren schockiert. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat, schlug einfach wie wild um mich. Ein Schlag traf ihn, und er ging zu Boden. Wise tänzelte, wenn er Schattenboxen trainierte. Nachdem ich Gary k.o. geschlagen hatte, tänzelte ich ebenfalls. Es schien das Leichteste auf der Welt zu sein. Der ganze Block schaute dabei zu. Alle jubelten und klatschten. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, obwohl mein Herz wie wild raste.
„Dieser Nigga hat eine schnelle Faust“, lachte einer der Jungs. Ich probierte den Ali-Shuffle, aber ohne Erfolg. Trotzdem war es ein gutes Gefühl, sich zu verteidigen, und ich mochte es, wie mir alle applaudierten und mich abklatschten. Hinter meiner Schüchternheit verbarg sich vermutlich schon immer ein wilder Entertainer.
Jetzt erntete ich auf der Straße eine ganz neue Art von Respekt. Die Jungs fragten jetzt meine Mutter nicht mehr: „Kann Mike mit uns spielen?“, sondern: „Kann Mike Tyson mit uns spielen?“
Andere Jungs schleppten ihre Kumpels an, damit sie gegen mich antraten, und schlossen Wetten auf den Ausgang ab. Ich hatte jetzt also eine weitere Einnahmequelle. Sie strömten auch aus anderen Bezirken herbei. Obwohl ich noch ein Kind war, trat ich gegen ältere Jungs an und gewann viel Geld. Selbst wenn ich verlor, sagten die Jungs, die mich geschlagen hatten: „Verdammt, bist du wirklich erst elf?“ So wurde ich allmählich in Brooklyn bekannt. Ich hatte den Ruf, dass ich gegen jeden antrat, auch gegen erwachsene Männer, einfach gegen jeden. Ich begann jetzt, Rachepläne für die Schläge zu schmieden, die ich bei den Schikanen abbekommen hatte. War ich mit ein paar Freunden unterwegs und entdeckte einen der Jungs, die mich vor Jahren verprügelt und schikaniert hatten, verfolgte ich ihn in das Geschäft, das er betrat, drängte ihn hinaus und bearbeitete ihn mit meinen Fäusten. Ich erklärte meinen Freunden nicht, weshalb, sondern sagte nur: „Ich hasse dieses Arschloch da drüben.“ Sie unterstützten mich, zerrissen seine Kleider und verprügelten ihn. Und der Kerl, der meine Brille weggeworfen hatte? Ich verprügelte ihn auf der Straße wie einen räudigen Hund, weil er mich so gedemütigt hatte. Er hatte das vielleicht schon vergessen, aber ich nicht.
Mit meinem neu gewonnenen Selbstbewusstsein, meinem Glauben an meine Fähigkeit, mich selbst verteidigen zu können, eskalierte meine Kriminalität. Ich wurde immer verwegener und fing sogar an, meine Nachbarschaft zu bestehlen. Ich dachte, so mache man es, und kapierte nicht das Gesetz der Straße. Ich dachte, jeder sei Freiwild, da ich anscheinend ja auch für alle Freiwild zu sein schien. Ich wusste nicht, dass man mit bestimmten Leuten nicht spaßen sollte.
Zu der Zeit lebte ich in einem Mietshaus und bestahl jeden, der hier wohnte, aber niemand wusste, dass ich der Dieb war. Einige dieser Leute waren mit meiner Mutter befreundet. Sie lösten ihren Sozialhilfescheck ein, kauften ein paar Spirituosen und besuchten meine Mom, kippten sich einen hinter die Binde und hatten Spaß miteinander. Ich zog mich derweil zurück, kletterte die Feuerleiter hoch, brach in die Wohnung einer der Frauen, die unten bei Mom waren, ein und stahl alles, was nicht niet- und nagelfest war. Als die Frau dann in ihre Wohnung zurückkehrte, entdeckte sie das Unheil und rannte schreiend zu meiner Mutter: „Lorna, stell dir vor, man hat mir alles gestohlen, sogar die Kindernahrung, einfach alles.“
Nachdem sie gegangen war, kam meine Mutter in mein Zimmer.
„Junge, ich weiß, du hast was damit zu tun, oder? Was hast du getan?“
Ich erwiderte: „Mom, das war ich nicht, schau dich doch um.“ Ich hatte nämlich das gesamte Diebesgut auf dem Dach verstaut und wollte es mir später mit meinen Freunden holen.
„Wie hätte ich das anstellen sollen? Ich war doch in meinem Zimmer und sonst nirgendwo“, erklärte ich meiner Mom.
„Nun, wenn du’s nicht warst, dann weißt du bestimmt, wer’s war, du Dieb“, kreischte meine Mutter. „Du bist nichts als ein Dieb. Ich habe mein ganzes Leben lang nichts gestohlen. Ich weiß gar nicht, woher du das hast, du Ganove.“
Oh Gott. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre eigene Mutter so einen Mist verzapft und Sie für einen Dieb hält? Für meine Familie war ich ein hoffnungsloser Fall, alle dachten, ich würde als Krimineller enden. Niemand sonst in meiner Familie hatte je so etwas getan. Meine Schwester leierte mir ständig vor: „Welcher Vogel fliegt nicht? Der Gefängnisvogel.“
Einmal begleitete ich meine Mutter zu ihrer Freundin Via. Vias Mann war einer dieser Kerle, die gern mit ihrem Geld protzten. Er ging schlafen, und ich klaute ihm die Geldbörse aus der Tasche und nahm das Geld. Als er aufwachte, verprügelte er Via brutal, weil er dachte, dass sie das Geld gestohlen hätte. Alle in der Nachbarschaft fingen an, meine Unverfrorenheit zu hassen. Und wenn sie mich nicht hassten, so waren sie neidisch auf mich, sogar die Spieler, denn ich besaß Nerven aus Stahl.
Ich fühlte mich unglaublich. Es war mir gleichgültig, ob jemand, dem ich die Halskette entriss und den ich die Treppe hinunterwarf, sich den Kopf aufschlug, bumm, bumm, bumm. Machte es mir etwas aus? Nein, denn ich wollte diese Halskette um jeden Preis: Mitleid war für mich ein Fremdwort. Warum sollte ich auch welches haben? Mit mir hatte ja auch niemand Mitleid gehabt. Ich empfand nur dann Mitleid, wenn einer meiner Freunde bei einem Bruch erstochen oder erschossen wurde. Das machte mich traurig.
Aber ich machte einfach weiter, dachte wohl, dass ich nicht getötet würde, dass mir das nicht passieren könnte. Ich konnte einfach nicht aufhören. Ich wusste, dass ich dabei draufgehen konnte, aber das war mir egal. Ich glaubte ohnehin nicht, dass ich jemals 16 werden würde, also was sollte das. Vor Kurzem sagte mein Bruder Rodney zu jemandem, er finde, dass ich der mutigste Kerl sei, den er kenne, aber ich fand mich gar nicht mutig. Ich hatte tapfere Freunde, die wegen ihres Schmucks, ihrer Uhren oder ihres Motorrads erschossen wurden. Sie haben ihre Beute aber nicht aufgegeben, obwohl man sie ihnen entreißen wollte. Diese Jungs genossen in der Nachbarschaft den größten Respekt. Ich weiß nicht, ob ich mutig war, aber ich erlebte auch, wie Menschen Mut bewiesen. Ich fand immer, dass ich eher verrückt als mutig war. Ich schoss auf offener Straße auf Menschen, während meine Mutter aus dem Fenster guckte, und war einfach hirnlos. Rodney hielt es für Mut, aber in Wahrheit war es mangelnde Intelligenz. Ich war ein Extremist.
Jeder, den ich kannte, stand mit beiden Füßen im Leben. Sogar die Jungs, die Jobs hatten, verdienten sich ein Zubrot mit Gaunereien. Sie verkauften Drogen oder stahlen irgendwas. Es war wie eine Science-fiction-Welt, wo die Bullen die bösen Jungs waren und die Diebe und Ganoven die guten. Wenn man niemandem etwas zugefügt hatte, galt man als Spießer, und niemand wollte etwas mit einem zu tun haben. Gehörte man zu den Bösen, war man in Ordnung. Wenn dir jemand in die Quere kam, dann kämpften sie für dich, weil sie wussten, dass du einer von ihnen warst. Es war so geil, dass all diese heruntergekommenen, grinsenden Mistkerle meinen Namen kannten.
Alles eskalierte, als ich Bekanntschaft mit der Polizei machte. In Brownsville erschossen zu werden, war nichts Ungewöhnliches. Man war gerade in irgendeiner Gasse mit Glücksspielen beschäftigt, und ein paar Kerle kreuzten auf und schossen aufeinander. Man wusste nie, wann es losging. Andere wiederum fuhren auf ihren Motorrädern vorbei, und bumm, bumm schossen sie auf einen. Wir wussten im Allgemeinen, wo sich gewisse Gangs herumtrieben, und mieden deshalb bestimmte Plätze.
Aber es ist etwas ganz anderes, wenn die Bullen anfangen, auf einen zu schießen. Eines Tages schlenderten ein paar von uns Jungs auf der Amboy Street an einem Juwelierladen vorbei und sahen den Juwelier, der eine Schachtel trug. Ich schnappte sie mir, und wir rannten, so schnell uns die Füße trugen. Als wir kurz vor unserem Wohnblock waren, hörten wir quietschende Reifen und ein paar Undercover-Bullen sprangen aus dem Auto und fingen an, auf uns zu schießen. Ich rannte in ein abbruchreifes Haus, in dem wir immer herumhingen, und ich wusste, ich war gerettet. Ich kannte mich in dem Gebäude genau aus und wusste, wie man hinter den Mauern verschwand, durch ein Loch schlüpfte, auf das Dach hoch kletterte und sich in den Dachsparren versteckte. Und genau das tat ich, ich ging hinauf, spähte durch das Loch und sah, wer unten alles herumlief.
Dann sah ich, wie die Bullen in das Gebäude stürmten. Sie liefen herum, mit gezogenen Pistolen, und einer von ihnen schlüpfte durch ein Loch im Boden.
„Verdammte Scheiße, diese beschissenen Kids verarschen mich, locken mich hier rein“, sagte er. „Ich werde den verdammten Bastarden das Licht ausblasen.“
Ich belauschte das Gespräch dieser weißen Bullen und lachte mir ins Fäustchen. Das Gebäude war zu baufällig, als dass die Bullen es bis zum nächsten Stock geschafft hätten, da die Stufen durchbrachen. Aber es bestand die Gefahr, dass sie hoch blickten und mich zwischen den Dachsparren entdeckten und auf mich schossen. Ich erwog, auf das nächste Dach zu springen, aber das wären immerhin drei Meter gewesen.
Also arbeitete ich mich auf das Dach vor, und mein Freund, der im selben Haus wie ich wohnte, stand auf seinem Dach. Ich robbte auf den Knien voran, wenn ich aufgestanden wäre, hätten mich die Bullen ja sehen können. Aber mein Freund beruhigte mich.
„Mike, entspann dich. Sie sind wieder raus aus dem Gebäude, aber sie sind immer noch auf der Suche nach dir. Da unten stehen jede Menge Polizeiautos“, berichtete er mir.
Ich stand, so mein Gefühl, eine Ewigkeit auf dem Dach und wartete.
„Mike, sie sind weg“, verkündete mein Freund schließlich.
Also ging ich wieder hinunter, blieb aber noch ein paar Minuten im Haus. Meine Freunde suchten den Block ab, um sicher zu sein, dass sich die Bullen nicht irgendwo versteckt hatten.
„Mike, warte noch ein bisschen“, bat mich mein Freund. Schließlich gab er mir Entwarnung. Ich war froh, dass ich meinen Arsch gerettet hatte. Wir hatten all die teuren Uhren, Medaillons, Armbänder, Brillanten und Rubine. Wir brauchten zwei Wochen, um den ganzen Kram loszuwerden, mussten einiges unter der Hand verkaufen und einen Teil in einem anderen Stadtteil verschachern.
Es klingt wie ein Witz, aber zum ersten Mal festgenommen wurde ich wegen einer gestohlenen Kreditkarte. Ich war damals zehn und sah eindeutig zu jung aus, um schon eine Kreditkarte zu besitzen. Also überredeten wir einen älteren Jungen, uns in ein Geschäft zu begleiten und dieses und jenes zu kaufen, auch etwas für sich selber.
Als wir ein anderes Mal in einem Laden in der Belmont Street versuchten, die Karte einzusetzen, sahen wir aber für eine Kreditkarte einfach zu jung aus. Wir stapelten die Klamotten und Sneakers an der Kasse und reichten der Kassiererin die Kreditkarte. Sie bat uns, einen Moment zu warten, und tätigte einen Anruf. Sie schnitt dann die Karte durch, und innerhalb von Sekunden tauchten die Bullen auf und verhafteten uns.
Sie brachten mich zur Polizeiwache in unserem Viertel. Meine Mutter hatte kein Telefon, also holten sie sie mit dem Polizeiauto ab und brachten sie dorthin. Als sie reinkam, schrie sie mich an und schlug wie wild auf mich ein. Als ich zwölf war, wurde das zur Routine. Wegen dieser Festnahmen musste ich bei Gericht erscheinen, aber ich wurde nicht verurteilt, weil ich minderjährig war.
Ich hasste es, wenn meine Mutter auf dem Revier aufkreuzte und auf mich einschlug. Ich kauerte mich in einer Ecke zusammen und versuchte, mich zu schützen, wenn sie mich attackierte. Anschließend betrank sie sich mit ihren Freundinnen und erzählte ihnen, wie sie den Teufel aus mir herausgeprügelt habe. Das war wirklich traumatisierender Scheiß. Bis heute muss ich den Blick abwenden, wenn ich in eine Zimmerecke schaue, da ich an all die Schläge erinnert werde, die meine Mutter mir verpasst hat.
Sie schlug mich sogar, wenn ich nichts falsch gemacht hatte. Einmal, als ich elf war, machte ich ein Würfelspiel mit einem Jungen, der etwa 18 war. Ich hatte an jenem Tag ein glückliches Händchen, und meine Freunde schlossen Wetten ab, dass meine Zahlen fallen würden. Ich fing mit 200 Dollar an, aber meine Zahl fiel sechsmal hintereinander. Ich hatte 600 Dollar von ihm gewonnen.
„Noch eine Runde. Ich setze meine Uhr ein“, sagte er.
Bumm, schon wieder fiel meine Zahl.
„Spiel ist Spiel“, sagte ich. „Gib mir deine Uhr.“
„Tatsache ist, ich gebe dir gar nichts“, sagte er und versuchte, sich das Geld zu schnappen, das ich von ihm gewonnen hatte. Ich fing an, nach ihm zu beißen, schlug ihn mit einem Stein, und wir fingen an zu ringen. Ein paar Freundinnen meiner Mutter sahen den Aufruhr und rannten zu unserer Wohnung.
„Dein Sohn kämpft mit einem Erwachsenen“, erklärte eine von ihnen.
Meine Mutter kam angestürmt. Alle anderen Erwachsenen ließen uns kämpfen, weil sie ihr Geld wollten. Wenn dieser Kerl nicht zahlte, würde es sonst auch niemand tun. Ich war mitten drin im Ringkampf mit diesem Kerl, als meine Mutter mich ansprang, meine Hände packte, mir eine schmierte und mich zu Boden warf.
„Warum kämpfst du mit diesem Mann?“, brüllte sie. „Was hast du diesem Mann getan? Tut mir leid, Sir“, erklärte sie ihm.
„Er hat versucht, sein Geld zurückzunehmen“, protestierte ich.
Meine Mutter nahm das Geld, gab es dem Mann und schlug mir ins Gesicht.
„Tut mir leid, Sir“, wiederholte sie.
„Ich werde dich umbringen, du Scheißkerl“, brüllte ich, als sie mich wegzerrte.
Allerdings verdiente ich jeden Schlag, den ich bekam. Ich wollte zu den coolen Kids gehören, den 15-Jährigen, die Schmuck, Geld und Freundinnen hatten. Zu der Zeit mochte ich die Mädchen nicht besonders, aber ich mochte schicke Klamotten und Aufmerksamkeit.
Meine Mutter resignierte jetzt. Sie war geachtet und konnte sich gut ausdrücken, ihre anderen Kinder waren lernfähig und verträglich, und dann war da noch ich. Ich war der Einzige, der weder lesen noch schreiben konnte. Ich kapierte das Zeug einfach nicht.
„Warum kannst du das nicht?“, fragte sie mich. „Was stimmt nicht mit dir?“
Sie nahm an, ich sei geistig zurückgeblieben. Als Baby hatte sie mich zu all den Institutionen auf der Lee Avenue geschleppt, und ich wurde psychologischen Tests unterzogen. Als Kind hielt ich laute Selbstgespräche. Ich glaube, das war in den Siebzigern nicht normal. Nachdem ich auffällig geworden und im System drin war, musste ich auf die dem Gericht unterstellte Special Ed-Schule für Geistesgestörte. Die Special Ed war wie ein Gefängnis. Man lebte die ganze Zeit hinter verschlossenen Türen. Die ganzen asozialen Kids und die verdammten Spinner wurden dort einfach zusammengepfercht. Man sollte das tun, was einem aufgetragen wurde, aber ich ließ mir das nicht gefallen, fing mit allen Streit an und spuckte ihnen ins Gesicht. Man gab uns Jetons, mit denen wir zur Schule und wieder nach Hause fahren konnten, und ich klaute den Kids ihre Jetons und spielte damit. Ich schreckte auch nicht davor zurück, die Lehrer zu bestehlen, und am nächsten Tag kam ich mit dem neuen Outfit zur Schule, das ich mir von ihrem Geld gekauft hatte. Ich baute einfach jede Menge Scheiße.
Man fand, ich sei hyperaktiv, also verabreichte man mir Thorazin. Ritalin wurde ausgelassen, und man griff gleich nach dem großen T, das man in den Siebzigern kleinen bösen schwarzen Scheißkerlen wie mir verabreichte. Mit Thorazin ist man auf einem Trip. Man sitzt da, starrt vor sich hin, kann sich aber nicht bewegen, kann nichts tun. Alles ist toll, man kann alles hören, ist aber irgendwie zugedröhnt, wie ein Zombie. Man bittet nicht um Essen, es wird einem zur rechten Zeit gebracht. Vielleicht wird man gefragt: „Musst du zur Toilette?“, und man antwortet: „Oh ja, dringend.“ Man weiß nicht einmal, wann man pinkeln muss.
Als ich diesen Mist nahm, schickte man mich aus der Schule heim. Ich sollte zu Hause bleiben, mich entspannen und mir die Zeichentrickserie Rocky and His Friends anschauen. Meine Mutter fand, dass etwas nicht mit ihrem Baby stimmte, aber ich war lediglich ein verdammt knallhartes Kind. Man schätzte mich falsch ein und machte mich vermutlich noch ein wenig abgefuckter als ich sowieso schon war, aber ich nahm das nie jemandem persönlich übel. Ich dachte immer, ich hätte es verdient, dass mir etwas Schlimmes widerfuhr, weil irgendwas mit mir nicht stimmte.
Neben den Zombies und verrückten Kids schickte man die Kriminellen in die Special Ed-Schulen, so lernten sich die Leute aus den verschiedenen Bezirken kennen. Wir fuhren zum Times Square und trafen all die Jungs von unserer Schule, alle in Lammfellmänteln, modischen Klamotten und mit Geld in der Tasche. Sie taten alle das Gleiche.
1977 lungerte ich am Times Square herum, als ich ein paar Jungs aus meinem alten Wohnviertel in Bed Stuy entdeckte. Wir unterhielten uns, und einer von ihnen schnappte sich die Geldbörse einer Nutte. Sie geriet außer sich und schüttete mir einen Becher heißen Kaffee ins Gesicht. In dem Augenblick tauchten die Bullen auf, und mein Freund Bub und ich gaben Fersengeld. Wir rannten in ein nicht jugendfreies Kino, doch die Nutte kreuzte kurz danach mit den Bullen auf.„Das sind sie“, sagte sie und deutete auf Bub und mich. „Ich? Ich habe nichts damit zu tun“, protestierte ich, aber die Bullen führten uns hinaus und schubsten uns auf den Rücksitz des Polizeiwagens.
Und diese verrückte Lady gab nicht auf. Sie fasste durch das Fenster und zerkratzte mir mit ihren langen Nuttennägeln das Gesicht. Man fuhr uns zu der Wache im Stadtzentrum. Als wir wegfuhren, sah ich, wie uns die Typen aus Bed Stuy, die all diesen Scheiß angestellt hatten, von der Straße aus nachschauten. Ich war bereits viele Male festgenommen worden, und so war ich an das Ritual gewöhnt. Doch auf der Wache studierte man mein Strafregister; ich hatte entschieden zu viele Verhaftungen aufzuweisen. Somit wurde ich ohne Umschweife nach Spofford gebracht, ein Jugendgefängnis im Hunts-Point-Viertel der Bronx. Ich hatte Horrorgeschichten über Spofford gehört – wie Menschen von anderen Insassen oder von den Wärtern verprügelt wurden, also war ich nicht gerade begeistert von der Aussicht, dort zu landen. Ich bekam Kleider und eine Einzelzelle und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen ergriff mich Panik, ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwarten würde. Aber als ich die Cafeteria betrat, wo es Frühstück gab, war es wie ein Klassentreffen. Ich entdeckte meinen Freund Curtis, mit dem ich einen Bruch gemacht hatte und der vom Besitzer verprügelt worden war. Dann sah ich all meine verschiedenen Partner von Raubzügen.
„Entspann dich“, sprach ich zu mir selbst. „All deine Jungs sind hier.“
Nach diesem ersten Mal ging ich in Spofford ein und aus, als wäre es ein Spaziergang. Spofford wurde für mich zur Zweitwohnung. Bei einem meiner Aufenthalte dort sahen wir uns im Versammlungsraum einen Film an mit dem Titel Der Größte. Er handelte von Muhammad Ali. Danach klatschten wir alle, trauten aber dann unseren Augen nicht, als Ali höchstpersönlich auf die Bühne trat. Er sah in Wirklichkeit größer aus. Er brauchte noch nicht einmal den Mund zu öffnen – sobald er in Erscheinung trat, dachte ich: „Ich will dieser Typ sein.“ Er unterhielt sich mit uns, und es war sehr inspirierend. Ich hatte keine Vorstellung, was ich mit meinem Leben anstellen wollte, aber ich wusste, ich wollte so sein wie er. Es ist seltsam, aber heute sagen die Menschen so etwas nicht mehr. Wenn sie einen großen Boxer sehen, sagen sie vielleicht: „Ich will Boxer werden.“ Aber niemand sagt: „Ich will sein wie er.“ Es gibt nicht viele Alis. In diesem Augenblick beschloss ich, berühmt zu werden. Ich wusste nicht, was ich dafür tun musste, aber ich beschloss, die Menschen sollten mich so kämpfen sehen, genauso wie Ali.
Ganz so einfach war es dann aber doch nicht. Ich kam jetzt nicht aus Spofford raus und krempelte mein Leben nicht total um. Ich war immer noch eine kleine Kanalratte.
Meine Lage zu Hause verschlechterte sich immer mehr. Nach all diesen Festnahmen und Spezialschulen und Medikamenten hatte meine Mutter jegliche Hoffnung, was mich betraf, aufgegeben.
Ich erlebte nie, dass meine Mutter mit mir glücklich oder stolz auf mich war. Ich bekam nie die Chance, mit ihr zu reden oder mehr über sie zu erfahren. „Beruflich“ hatte dies keine Folgen für mich, aber emotional und psychisch war es vernichtend für mich. Wenn ich mit meinen Freunden zusammen war und deren Mütter vorbeischauten, bekamen sie einen Kuss von ihnen. Ich wurde von meiner Mutter nie geküsst. Da mich meine Mutter bis zum 15. Lebensjahr in ihrem Bett schlafen ließ, hätte man annehmen können, sie würde mich mögen, dabei war sie die ganze Zeit nur betrunken.
Da ich jetzt im Justizvollzugssystem eingebettet war, beschloss das Gericht, mich in eine Wohngruppe zu stecken, um mich auf den rechten Weg zu bringen. Man nahm einen Haufen fertiger Kids, missbrauchter Kids, böser Kids und Psychokids und steckte sie in irgendein Heim, dessen Personal von der Regierung dafür bezahlt wurde, uns hereinzulegen. Dort herrschte ein regelrechtes Gedränge. Ich hielt es da nie länger als zwei Tage aus und lief immer wieder weg. Einmal steckte man mich in ein Heim in Brentwood, Long Island. Ich rief zu Hause an, quengelte und jammerte meiner Mutter vor, dass ich kein Gras habe. Also beauftragte sie Rodney, mir welches zu besorgen. Sie war immer eine Vermittlerin.
Schließlich wurde ich nach Mount Loretto geschickt, einer Einrichtung auf Staten Island. Aber nichts und niemand konnte andere Menschen aus uns machen. Jetzt bestahlen wir halt die Jungs auf der Staten-Island-Fähre. Allerdings weiß man nie, wen man bestiehlt. Manchmal raubt man den Falschen aus, einen widerlichen Dreckskerl, der dann sein Geld zurückverlangt und alle verrückt macht.
„Wer hat mir mein verdammtes Geld geklaut?“, schrie er.
Er fing an, auf jeden einzuprügeln, sämtliche Passagiere mussten diesen Dreckskerl überwältigen. Mein Freund war derjenige, der ihn beklaut hatte, und der Kerl versetzte ihm einen Tritt in den Arsch, aber er wusste nicht, dass er der Täter war. Wir gingen von Bord und lachten uns ins Fäustchen, weil wir das Geld hatten. Sogar mein Freund lachte unter Tränen, denn er hatte immer noch Schmerzen. Hätte dieser Kerl gewusst, dass wir das Geld haben, hätte er uns vom Schiff geworfen. Wenn ich darüber nachdenke, was für ein Leben ich führte, wird mir heiß und kalt. Oh Gott, er hätte uns tatsächlich umgebracht, denn er war der Typ dafür.
Anfang 1978 wurde ich aus der Einrichtung auf Staten Island entlassen und kehrte nach Brownsville zurück. Immer wieder erfuhr ich, dass Freunde von mir wegen Banalitäten wie Schmuckraub oder wegen ein paar 100 Dollar getötet wurden. Das machte mich doch etwas nachdenklich, dennoch hörte ich nicht auf, Brüche zu machen und zu stehlen. Ich beobachtete die älteren Jungs, die meine Vorbilder waren, erlebte ihren Aufstieg, aber auch, wie sie auf der Straße lagen. Ich beobachtete, wie sie gnadenlos verprügelt wurden, denn diese Jungs waren ständig damit beschäftigt, andere zu beklauen. Aber sie hörten nie damit auf, es lag ihnen im Blut.
Mein Umfeld wurde immer bedrohlicher, und ich wurde immer mehr gehasst. Ich war gerade elf und schlenderte manchmal durch unsere Gegend, nur auf mich bedacht, und die Hausbesitzer oder Geschäftsinhaber entdeckten mich und warfen mit Steinen nach mir.
„Du verdammter dreckiger Dieb“, brüllten sie.
Sie sahen mich in meinen schicken Klamotten und wussten, dass ich der Nigga war, der sie bestahl. Eines Tages kam ich an einem Gebäude vorbei und blieb stehen, um mich mit einem Freund zu unterhalten, als ein Kerl namens Nicky mit einer Schrotflinte und ein Freund von ihm mit einer Pistole aus dem Haus stürmten. Sein Freund richtete die Pistole auf meinen Kopf und Nicky die Schrotflinte auf meinen Penis.
„Hör zu, du dreckiger kleiner Nigga, wenn ich höre, dass du wieder auf diesem verdammten Dach warst, blase ich dir das Licht aus. Und wenn ich dich je wieder hier sehe, schieß ich dir die Eier ab“, drohte er mir.
Ich hatte keine Ahnung, wer zum Teufel dieser Kerl war, aber anscheinend kannte er mich. Können Sie sich vorstellen, dass man mit einem Kind so spricht und es so behandelt?
Ein paar Monate vor meinem 13. Geburtstag, wurde ich erneut wegen des Besitzes von Diebesgut festgenommen. Inzwischen wusste man nicht mehr, wo man mich hinschicken sollte, da man alle Institutionen um New York City herum ausprobiert hatte. Ich weiß nicht, welchen wissenschaftlichen Diagnosetest sie anwandten, doch man beschloss, mich zur Tryon School for Boys zu schicken, einer Einrichtung im Hinterland von New York, etwa eine Stunde nordwestlich von Albany. Das war eine Einrichtung für jugendliche Straftäter.
Meine Mutter war froh, dass ich aus New York verschwand, denn zu der Zeit kreuzten jede Menge erwachsener Männer bei uns auf und suchten nach mir.
„Dein Bruder ist Abschaum, ich werde ihn umbringen“, erklärten sie meiner Schwester.
„Er ist doch noch ein Kind“, protestierte diese. „Er hat Ihnen ja nicht die Frau oder so weggenommen.“
Stellen Sie sich vor, erwachsene Männer kommen zu Ihnen nach Hause und suchen nach Ihnen, obwohl Sie erst 12 sind. Ist das nicht Scheiße? Kann man es meiner Mutter verübeln, dass sie in Bezug auf mich jegliche Hoffnung aufgegeben hatte?