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Kapitel 3

VON NONNEN, KANINCHEN UND EISENBAHNZÜGEN

Zu dieser Zeit muss es in der Nähe ein Kloster gegeben haben, denn einmal in der Woche ging eine Gruppe von Nonnen, gekleidet in den fließenden, düsteren Ordenskleidern jener Tage, auf dem Weg zur örtlichen Kirche an unserem Haus vorbei. Sie durch unsere Eisentore beobachtend, war ich fasziniert von diesen seltsamen Wesen. Eines Tages erblickten sie mich und hielten an. Sie stellten mir ein paar Fragen zu meinem Namen und meinem Alter und dergleichen – die Art von Fragen, die Erwachsene immer an kleine Kinder stellen, die sie nicht kennen – und als ich antwortete, schauten sie mich auf eine Art und Weise an, die ich für nett und freundlich hielt. Einige von ihnen lächelten mich sogar an. Derart habe ich in der Nähe unseres Hauses nicht viele Leute so vorbeigehen sehen und selbst als welche gingen, lächelten sie mit Sicherheit nicht. Normalerweise drehten sie sich weg und schauten woanders hin. Die Nonnen waren da völlig anders: Auch wenn sie alle von Kopf bis Fuß in schwarze Habite und reinweiße Flügelhauben gehüllt waren, schienen sie doch Güte und Licht auszustrahlen. Als ich eines Sonntags sah, wie sie ihren üblichen wöchentlichen Gang in Richtung unseres Hauses machten, rannte ich ihnen entgegen. Zu meiner großen Überraschung und Freude reichten sie mir durch das Tor ein kleines Päckchen mit Vanillekipferln (Vanilkové rohlíčky). Der Duft von Vanille war wunderbar exotisch und den Geschmack des weichen, süßen, krümeligen Haselnussgebäckes werde ich nie vergessen. Ich habe immer noch eine Schwäche für diese besondere Bäckerei! Wie auch immer, ich war im Himmel.

Wenn in den folgenden Wochen die Schwestern an unserem Haus vorbeikamen, gaben sie mir immer das gleiche kleine Päckchen Köstlichkeit – sie müssen sie jede Woche frisch gemacht haben. Aber nichts dauert: Eines Tages haben sie ihren üblichen Besuch zu meiner bitteren Enttäuschung nicht gemacht und ich war untröstlich. Ich habe sie nie wieder gesehen. Viele Jahre später erfuhr ich, dass das Kloster vom Staat aufgelöst worden war und wer weiß schon, was mit den Schwestern geschehen war. Ich hoffe, dass sie in Sicherheit waren und dass sie die Vanilkové rohlíčky noch viele Jahre lang backen konnten. Die Religion sollte natürlich keine Rolle beim Aufbau einer brillianten, sozialistischen Zukunft spielen, aber ich werde die Freundlichkeit dieser Nonnen, ihre lächelnden Gesichter und ihre zärtlichen Berührungen durch das Gartentor nie vergessen. Mehr noch, ich werde nie die leckeren Kekse vergessen, die sie mir jede Woche gebracht hatten. War ich nicht ein glücklicher kleiner Junge?

Obwohl mich diese köstlichen Kipferl sehr erfreuten, wurde mir allmählich bewusst, dass meine Eltern Schwierigkeiten hatten, bestimmte Lebensmittel zu bekommen, wobei ich nicht genau wusste, warum. Zum Glück baute meine Mutter den größten Teil unseres Gemüses selbst an, gemeinsam mit etwas Obst. Sie hielt auch Kaninchen im Keller, natürlich nicht als Haustiere, sondern als unsere einzige Quelle für frisches Fleisch. Einmal hatten wir jedoch eines dieser großen, zahmen Kaninchen bei uns im Haus, definitiv als ein Haustier der Familie. Es war groß und schön. Ich liebte es, sein wunderschönes, weiches Fell zu streicheln und ihm Karotten zu füttern, die es mit erstaunlicher Begeisterung verzehrte. Ich glaube, er hieß Bimbo und mein Bruder Mirko verehrte ihn. Immer wenn Mirko ins Haus kam, sprang Bimbo auf seinen Schoß, wo er sich glücklich niederließ und es gelegentlich schaffte einen der Knöpfe an Mirkos Hemd vollständig abzunagen. Wenn Mirko das auch amüsant fand, so war meine Mutter überhaupt nicht erfreut. Bimbo war sicherlich kein Heiliger: Er kaute gern alles durch, was interessant und annähernd essbar aussah, sodass kein Schnürsenkel vor seinem unersättlichen Appetit und seinen zerstörerischen Schneidezähnen sicher war. Seine Untergang kam an dem Tag, an dem es ihm gelang, sich durch ein Elektrokabel zu nagen. Meine Mutter verlor schließlich die Geduld wegen dieser mutwilligen Zerstörung und entschied, dass Bimbos Ende definitiv gekommen war. Sein Schicksal war es, als „Bimbo-Eintopf“ serviert zu werden, ein köstliches, herzerwärmendes Gericht, das alle am Tisch in seliger Unkenntnis der makaberen Zutaten sehr genossen. Einige Zeit später suchte mein Bruder nach Bimbo und entdeckte die schreckliche Wahrheit über das Ende seines geliebten Bimbos. Er weigerte sich noch wochenlang danach mit unserer Mutter zu sprechen. Danach wurde Bimbo nie mehr erwähnt, aber ich glaube nicht, dass mein Bruder meiner Mutter jemals das Schlachten seines Lieblingskaninchens vergeben hat.

Eines Tages, lange nach dem Verkochen von Bimbo, wurden meine Eltern zu einem offiziellen Treffen in der Verwaltungshauptstadt der Region, Liberec, eingeladen und ich durfte auch mitkommen. Da dies meine erste Fahrt mit einem Eisenbahnzug war, war ich sehr aufgeregt. Ich erinnere mich lebhaft an das Einsteigen in den Zug mit seinen vier Waggons, die von einer großen schwarzen Dampfmaschine gezogen wurden, die für mich riesig, laut und ziemlich beängstigend, aber irgendwie auch großartig aussah. Es gab so viel Dampf, so viel Rauch und Ruß, aber auch so viel rohe Kraft. Sobald der Zug aus dem Bahnhof fuhr, bemerkte ich zwei uniformierte Eisenbahnmitarbeiter, die die Türen an jedem Ende unseres Waggons verriegelten. Ich konnte auch bewaffnete Wachen an beiden Enden des Zuges sehen. Wie ich jetzt weiß, hatte dieser Teil der Tschechoslowakei eine gemeinsame Grenze mit Deutschland und Polen. Um nach Liberec zu gelangen, musste der Zug internationale Grenzen überschreiten. Da gab es hohe Stacheldrahtzäune mit Wachtürmen zu sehen, als wir durch DDR-Gebiet fuhren und ich war fasziniert zum ersten Mal in einem fremden Land zu sein. Die Leute in den Bahnhöfen, durch die wir fuhren, waren Ausländer, ich erkannte plötzlich, dass sie doch alle genauso aussahen wie wir. Und sicherlich hätte man sich zu Recht gefragt, wenn dies unsere „freundlichen kommunistischen Nachbarn“ waren, warum es denn so hohe Zäune gab? Seltsamerweise war der Gedanke, der mir tatsächlich in den Sinn kam, ganz anders, etwas, das den Interessen eines Kindes viel mehr entsprach. Ich erinnere mich, wie ich meine Mutter naiv gefragt hatte: „Sicherlich können die Wildtiere diese Zäune nicht mögen. Sie werden nicht in der Lage sein, frei herumzuziehen, oder?“. Erst Jahre später verstand ich, dass diese Zäune nicht dazu da waren um die lokalen Wildtierherden zu beschränken, sondern um die Menschen darin zurück zu halten.

Der Zug hielt erst an, als wir Liberec erreicht hatten und wieder auf tschechoslowakischem Gebiet angekommen waren. Obwohl ich noch immer viele Details von dieser außergewöhnlichen Reise aus meinem Kopf hervorzaubern kann, erinnere ich mich wenig an unser Ziel selbst. Meine Eltern fanden den Weg zu einem riesigen, tristen Gebäude und gingen hinein. Sie warteten scheinbar ewig darauf, in stumpfen, grauen, nicht zu beschreibenden Innenräumen aufgerufen zu werden. Schließlich hatten sie eine Besprechung mit einigen offiziell aussehenden Leuten, die genauso grau waren wie ihre Umgebung. Obwohl nicht in Uniform, empfand ich diese Beamten als feindselig, denn wie jene uniformierten Personen, die zu uns nach Hause gekommen waren, lächelten auch sie kein einziges Mal und ich wusste, dass ich sie nicht mochte. Dies war meine erste Reise mit einem Zug, meine erste Erfahrung mit einer Reise durch ein fremdes Land und meine erste Begegnung mit der Bürokratie, die sehr bald schon mein ganzes Leben verändern würde.

Skizzen aus der Kindheit

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