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Kapitel 2

EIN ZEITALTER DER UNSCHULD?

Meine allererste Kindheitserinnerung stammt aus der Zeit, als ich noch im Kinderwagen saß: Ich erinnere mich, dass ich große Freude hatte, als meine Mutter eine frisch gestrickte Socke über meinen winzigen Fuß zog, um sie anzuprobieren. Die Wärme und Weichheit der neuen Wolle erzeugte ein so intensives Gefühl, dass es mir all die Jahre erhalten geblieben ist. Später wurde mir gesagt, dass ich lautstark protestierte, als die Socke von meinem Fuß gezogen worden war, um sie fertig zu machen. Ich wollte einfach nicht, dass dieses exquisite Vergnügen ende und anscheinend streckte ich danach tagelang meinen Fuß aus dem Kinderwagen, ohne Zweifel in der Hoffnung, dass sich eine so entzückende, beruhigende Erfahrung wiederholen könnte. Es ist sicherlich seltsam, wie solche kleine, fast unbedeutende Erlebnisse ein Leben lang im Hinterkopf bleiben können und Erinnerungen von viel größerer Bedeutung fast nachlässig verworfen zu sein scheinen.

Ich erinnere mich auch ganz genau an mein erstes Weihnachtsfest – ein loderndes Feuer, ein wunderschön geschmückter Baum, der mit echten Kerzen beleuchtet und mit funkelnden Anhängern und Pralinen in bunte Alufolie gewickelt, geschmückt war. Viele Jahre später verband ich die Magie von Weihnachten mit der Aufregung von Geschenken, einem warmen, komfortablen Zuhause und mit dem Duft von Zimt, Vanille und Orangen. Dieses wundervolle, gemütliche Interieur kontrastierte deutlich mit der unwirtlichen Welt draußen, in der die Luft bissig kalt und der Garten dicht mit Schnee bedeckt war.

Während die Winter in diesem Teil der Tschechoslowakei bitterkalt waren, normalerweise mit großen Schneemengen, waren Frühling und Sommer im Allgemeinen warm und schön. Ich habe eine klare Erinnerung daran, wie ich in einen nahe gelegenen Kiefernwald gebracht wurde, um die Heidelbeeren zu sammeln, die dort in Fülle wuchsen. Für mich sahen die Bäume gigantisch aus und der Geruch von Baumharz und Kiefernnadeln war fast überwältigend. Ich habe einfach die meisten Heidelbeeren gegessen, die ich gesammelt hatte. Ich habe immer noch eine deutliche Erinnerung daran, wie lecker sie waren und wie dramatisch sie meine Lippen und meine Zunge in ein gruseliges Lila färbten. Sie schmeckten mir so gut, dass ich bis heute, wenn ich Heidelbeeren esse, was ziemlich oft vorkommt, mich in sonnige Tage in böhmischen Wäldern zurückversetzt fühle. Leider scheinen die heutigen Heidelbeeren nie so gut zu schmecken wie damals. Zweifellos werden die neu erlebten Geschmäcker und Gerüche der Kindheit mit einer Intensität registriert, die niemals übertroffen werden kann.

Nachdem ich mit dem Krabbeln aufgehört hatte und auf eigenen Beinen unterwegs war, erinnere ich mich, wie ich unser höhlenartiges Haus – so erschien es mir damals – mit seiner breiten, unverzeihlichen Marmortreppe erkundete, die sich für meine kleinen Beine und Knie als grausames Hindernis erwiesen. Ich habe ein klares Bild von der Größe der Bibliothek meines Vaters mit ihren dunklen, schweren Ledermöbeln und den Büchern, die die Wände füllten. Ich erinnere mich auch an sonnige Tage in unserem Garten, einem sicheren Raum voller Bäume und Sträucher. Es war fast unser eigenes Miniatur-Arboretum. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Gartenpavillon im Schatten großer Bäume gespielt habe und dass sich das Leben dort sicher und gut anfühlte – ringsum gab es hohe Mauern mit einem beeindruckenden, schmiedeeisernen Tor um uns vor der Welt zu schützen. Ich wusste noch nicht, dass diese Mauern, Tore und Zäune bald eine ganz andere Funktion bekommen würden, nämlich uns alle eingesperrt zu halten.

In meinen glücklichen Gartenerinnerungen kann ich mir immer noch das große, eingezäunte Grundstück vorstellen, auf dem meine Mutter den größten Teil unseres Obstes und Gemüses anbaute und in dem sie auch Blumen für das Haus kultivierte. Die Sommer waren ziemlich kurz, so dass Erdbeeren, Stachelbeeren und rote Johannisbeeren schnell reiften – natürlich bedeutete der Gusto, den ich mir beim Essen der Heidelbeeren erworben hatte, dass ich mich beherrschen musste, nicht auch die alle aufzuessen! Ich erinnere mich besonders an die Mohnblumenbeete mit ihren hellen, zerbrechlichen Blüten, die sanft im Wind wogten. Ihr Duft war atemberaubend und für mich sahen sie auch sehr schön aus, obwohl meine Mutter sie hauptsächlich wegen der Mohnkörner züchtete, die eine so wichtige Zutat in der traditionellen tschechischen Küche sind. Seit dieser Zeit und während all meiner Jahre habe ich mir immer die Liebe zu Mohnblumen bewahrt.

Die weniger romantischen Leser dieser Memoiren könnten die obigen Beschreibungen als bloße triviale Skizzen aus einer privilegierten, übermütigen, fast märchenhaften Kindheit abtun und sie hätten zumindest teilweise recht. Wie wir Erwachsenen alle wissen, gibt es leider dort, wo Licht ist, auch Schatten und je heller dieses Licht, desto tiefer und dunkler werden die Schatten. Und in diesen Jahren wuchsen überall um uns herum Schatten.

Ich war damals viel zu jung, um die Kämpfe zu verstehen, die meine Eltern zu bewältigen hatten, aber ich hatte definitiv das Gefühl, dass nicht alles in Ordnung war, dass sie eine Art Sturm abwehrten und jeden Tag mit Umständen fertig wurden, die sie beide beunruhigten und sie unglücklich machten. Klarerweise werden gute Eltern immer versuchen, ihre Kinder vor allem zu schützen, was gefährlich, unangenehm oder grauenhaft ist und meine Eltern bemühten sich mit größter Sorgfalt, mich vor ihren Ängsten zu schützen und mir eine möglichst normale Kindheit zu ermöglichen. Aber ich werde die Leute in Uniform nicht vergessen, die unser Haus regelmäßig besuchten und den fast ausnahmslos lauten Wortwechsel zwischen ihnen und meinem Vater. Ein Wortwechsel, der von der Bibliothek ausgehend, fürchterlich durch das ganze Haus hallte. Nach solchen Besuchen war mein Vater fast immer wütend und der trostlose Ausdruck meiner Mutter verriet ihre eigenen tiefen Sorgen. Ich hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was da geschah, aber selbst ich konnte erkennen, dass diese Besucher niemals die Überbringer einer frohen Botschaft waren. Seltsamerweise ist mir besonders in Erinnerung geblieben, dass es nie einen einzigen von ihnen gegeben hatte, der jemals jemanden angelächelt hätte, nicht einmal das süße kleine Ich. In meinen kindlichen Vorstellungen verband ich daher Menschen in Uniform mit schlechten Dingen.

Abgesehen von den Wochenendbesuchen meines erwachsenen Bruders und meiner erwachsenen Schwester – beide waren viel älter als ich und lebten nicht mehr zu Hause – war mein Leben eher einsam. Kaum jemand besuchte jemals unser Haus, außer die bösen Leute in Uniform. Einige Jahre später stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass die meisten Kinder normalerweise mit anderen Kindern spielen. Zu mir kamen niemals Kinder, um mit mir zu spielen. Was ich damals nicht ganz realisierte, war, dass niemand kommen konnte; kein anderes Kind durfte kommen. Aber ich nehme an, dass ich in diesen frühen Jahren nicht vermissen konnte, was ich noch nie erlebt hatte und um ganz ehrlich zu sein, ich gebe zu, dass ich mir nur glückliche Erinnerungen aus dieser Zeit meines Lebens bewahrt habe.

Skizzen aus der Kindheit

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