Читать книгу Der Fluch des Hades - Mina Renard - Страница 6

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Nachdem wir gefühlt Stunden durch den Nebel geirrt sind, der jedes Geräusch verschluckt und mich fast blind laufen lassen hat, stehen wir vor einer Wand. Ich kann sie nicht sehen, dennoch ich weiß instinktiv, dass es hier nicht weitergeht. Ich bleibe stehen und Kerberos schaut zu mir hoch.

»Du musst eine Hand auf meinen Nacken legen und dich festhalten, dann gehen wir einfach weiter.«

»Wir laufen gegen die Wand?«

»Nein, durch sie hindurch.«

Ich lege meine Hand in Kerberos Fell und greife zu, sein Fell ist warm und das Gefühl des Widerstandes vor mir verschwindet. Ich mache den ersten Schritt und gerade, als ich den zweiten machen will, stehen wir schon auf einem U-Bahn-Bahnhof.

Wir sind oben.

Ich atme erleichtert aus. Dass ich die Luft vor Anspannung angehalten habe, bemerke ich erst jetzt. Es riecht nach Abgasen und abgestandenen Urin. Ein Stück von uns entfernt pinkelt ein Mann auf die Gleise. Das Licht flackert in einem unnatürlichen, kalten Gelb.

Meine Ankunft hatte ich mir malerischer vorgestellt.

Herzlich Willkommen auf der Erde, Megaira, Erinnye und verklärte Romantikerin.

»Kerberos, wo müssen wir hingehen. Hast du einen Plan?«

»Abgesehen davon, dass du mich Bero nennen wolltest, kannst du mich hier nicht laut fragen, wo wir hingehen. Das machst du schon die ganze Zeit. Ich bin hier oben ein Hund. Ein Haustier. Und du wirkst verrückt, wenn du so mit mir sprichst. Sowas machen wir in Gedanken, laut kannst du ´Stopp´ oder ´Komm ran´ sagen. Menschen reden nicht mit ihren Haustieren. Doch kein Sitz oder Platz, so viel Hund bin ich nicht.«

»Also soll ich sowas wie das hier in Gedanken machen. Aber ich darf kurze Sätze laut sagen? Ich …« Das geht so nicht. »Bero, das ist mir zu kompliziert. Ich rede so mit dir und werde versuchen, dass in der Öffentlichkeit einzuschränken. Und wer denkt, dass ich verrückt bin, liegt damit ja gar nicht so falsch.« Ich grinse ihn an. »Also, wo müssen wir lang, ich möchte nach oben? Ganz nach oben. Hier stinkt es schlimmer als in der Hölle.«

Oben angekommen, blicke ich die Straße hinunter. Sie ist breit, trotz der parkenden Autos, und die Mietshäuser wirken einladend. Die Bäume auf der linken Seite sind noch kahl und die Wiese dazwischen verlassen, aber ich kann mir vorstellen, wie die Menschen im Frühling hier im Café sitzen und Kinder und Hunde lärmend durch den Park laufen. Die dunklen Äste heben sich leicht vom Nachthimmel ab, wie Krallen greifen sie nach den Sternen. Pechschwarz mit leuchtenden Punkten hängt dieser über unseren Köpfen. Die Luft ist schneidend kalt, es riecht nach Schnee. Ich muss nachher zwingend meine Turnschuhe gegen ein paar Winterstiefel tauschen und brauche einen Mantel.

»Bero, sind in der Wohnung auch Sachen zum Wechseln? Auch wenn ich nicht erfrieren kann, falle ich in dem dünnen Pullover und den Schuhen auf, besonders wenn es schneien sollte.«

»Ja, meine Freunde haben für alles gesorgt, doch deine Größe konnte ich nur schätzen. Wir können zuerst in die Wohnung und dann gehen wir in den Park, um Elias zu treffen. Folge mir einfach, es ist nicht weit.«

Seine Freunde … Noch jemand, über den ich keine Fragen stellen darf. Nachdem ich Kerberos jahrelang bei jedem unserer Treffen voll jammerte, dass ich auf die Erde will, kam er plötzlich mit Charon und sie erzählten von ihrem Plan. Eigentlich redete nur Kerberos, darüber, dass er Hilfe gefunden hat und mich begleiten wird. Keine Fragen, dafür eine Möglichkeit zur Flucht und einen Monat Zeit, bevor Persephone wieder auf die Erde darf. Er kümmerte sich um alles und ich musste einfach nur warten, bis es soweit war.

Es war schrecklich, Warten ist keine meiner Stärken. Ich überlegte damals, ob ich den Schlangen auf meinem Kopf Kunststücke beibringen sollte. Ich war verzweifelt.

Obwohl es Nacht ist, sind vereinzelt Menschen unterwegs. Noch niemals bin ich einem Menschen ohne einen Auftrag begegnet und das auch zum letzten Mal vor mehr als über Hunderten von Jahren. Die Ersten, die ich versuche zu mustern, wechseln die Straßenseite, sobald sie Kerberos und mich bemerken. Ich sehe ihr Unbehagen in den Schatten und schaue weg, damit sie sich nicht weiter bedroht oder unwohl fühlen.

»Warum weichen die Menschen uns aus? Ich kann in ihren Schatten sehen, dass sie sich unwohl fühlen, wenn sie uns wahrnehmen.«

»Ich bin wirklich groß und habe sehr scharfe Zähne.« Er schaut zu mir hoch und, könnte er grinsen, er würde es tun. »Die Menschen verbinden mit mir eher einen Wolf. Sie sehen das, was sie sehen wollen … Außerdem strahle ich noch immer die Aura eines Höllenhundes aus. Das ist unangenehm für feinfühlige Menschen«, erklärt Kerberos.

Er war schon häufiger auf der Erde, denn er konnte sich immer frei bewegen.

Erst jetzt fällt mir auf, dass ein paar Leute mich direkt mustern. Erwidere ich ihre Blicke, sehen sie zu Boden. Mir ist klar, wie meine Präsenz wirkt: göttlich.

Manche können dies offenbar spüren und es löst ein beklemmendes Gefühl aus. Ihre Schatten zeigen es mir. Sie sind immer da. Nur, weil sie in der Dunkelheit unsichtbar sind, verschwinden sie nicht. Bei Angst sind sie dunkelblau und heben sich kaum vom nächtlichen Untergrund ab. Manchmal sind sie neugierig und mustern mich. Ihre Schatten leuchten in Magenta mit einem dunkelblauen Rand. Lächle ich, wird der blaue Rand kleiner, daran sehe ich, wie die Angst schrumpft.

Es ist faszinierend. Noch niemals habe ich das so intensiv wahrnehmen können und auch noch Zeit, mit ihren Emotionen zu spielen. Kein Ziel und kein Auftrag treiben mich in die Welt der Sterblichen. Ich bin nur hier, weil ich es will.

Noch einmal atme ich den Geruch von Schnee und Winter ganz bewusst ein und lächle jedem freundlich zu. Sie brauchen keine Angst vor mir haben. Dieses Mal nicht.

»Wenn du länger hier bist, wird deine Aura blasser. Fühlst du weiterhin so intensiv, wird das schnell gehen, Megaira. Deine Natur war schon immer deutlich menschlicher.«

»Woher weißt du, wie ich mich fühle?«, frage ich ihn und mein Ton ist unbeabsichtigt schnippisch. Meine Gefühle in der Menschengestalt fühlen sich anders an. Explosiver, aber auch zerbrechlicher.

»Ich muss dafür keine Gefühle in Schatten sehen können. Du strahlst über das ganze Gesicht. Alles, was ich in deinem Gesicht sehen kann, sind Freude und Aufregung.«

Ich schaue an den Fassaden der hohen Häuser vorbei hinauf in den schwarzen Nachthimmel.

»Ich existiere schon seit Anbeginn und noch niemals habe ich einfach etwas getan, weil ich neugierig war oder weil es mich interessiert hat. Als wir noch unsere Aufgabe hatten, habe ich nur dafür gelebt. Sie war nicht immer schön, aber sie war wichtig. Ich war wichtig. Wir waren Erinnyen – Rachegöttinnen. Wir waren Gleichgewicht und Gerechtigkeit. Nun sind wir bei Hades und Persephone nichts als gruslige Dekoelemente ihrer Unterwelt.«

Nach meinem Geständnis herrscht bedrückende Stille zwischen uns. Mehr waren wir in der Unterwelt tatsächlich nicht. Wir waren Persephones ausrangiertes Spielzeug.

»Wir sind da.«

Bero bleibt vor einem dreistöckigen Haus stehen.

Hier ist also unser Unterschlupf für den nächsten Monat, ob wir dann bleiben können oder flüchten müssen, ist ungewiss.

»Hm. Und wie kommen wir da nun rein?«

»Die Haustür ist nicht abgeschlossen, wenn du dagegen drückst, kannst du sie aufschieben.«

Ich befolge die Anweisungen und wenig später gehen wir die Treppen hinauf; Bero läuft vor und ich hinterher.

Das Treppenhaus ist deutlich älter, als das Haus von außen aussah. Die Treppen und der geschwungene Handlauf sind aus dunklem Holz. Beros Krallen verursachen darauf ein klackerndes Geräusch. Es riecht nach Wachs und die Stufen knarzen bei jedem unserer Schritte. Wir gehen auf den hellen Schein in den oberen Stockwerken zu, den ich von unten schon erahnen konnte. Im dritten Stock steht eine Wohnungstür offen.

»Herzlich Willkommen, ich hoffe, es gefällt dir. Das unten war die Hölle für dich … Da wollte ich, dass du dich hier wohlfühlen kannst.«

»Boah, war der flach und einstudiert«, lache ich und trete in den Flur.

Die Wände sind weiß, an der Decke hängt eine übergroße nackte Glühbirne und den Boden bedecken alte Holzdielen. Die abgenutzten Spuren zeigen, das hier schon viele Menschen vor uns gelacht, geliebt und gelebt haben. Links geht ein kleines Bad ab, dessen Tür offensteht. Ein Blick reicht aus: Dusche, Waschbecken und Toilette - für mehr reicht der Platz nicht.

Ich gehe weiter nach rechts in ein größeres Zimmer. Dort steht an der linken Wand ein weißer Kühlschrank, daneben eine kleine, rote Küchenzeile mit zwei Herdplatten und Spüle. An der gegenüberliegenden Wand ist eine Platte als Klapptisch an der Wand verschraubt, davor stehen zwei Stühle. Auf dem Tisch steht eine Zimmerpflanze – eine Calla. Ihr lila ist so dunkel, dass es fast schwarz anmutet. Über dem Tisch befindet sich ein Fenster und morgens habe ich bestimmt die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht, während ich dort meinen Kaffee trinke.

Ich gehe ein paar Schritte in den Raum hinein und setze mich auf einen der Stühle.

Die offene Küche geht in den Wohnbereich über, dort steht eine cremefarbene Eckcouch mit vielen bunten Kissen und einer großen gestrickten Decke über der Lehne. Davor ist ein kleiner Tisch auf dem bequem eine Tasse Tee und ein Buch Platz finden könnten. Neben dem Sofa entdeckte ich ein Bücherregal mit unzähligen Büchern. Ich habe noch nie ein Buch gelesen.

Am liebsten würde ich die Kerzen auf dem Regal anzünden, mir einen Tee kochen und mich unter die Decke kuscheln und in einem der Bücher stöbern. Die Vorstellung daran macht mich schon absolut glücklich und etwas tief in mir drin kommt zur Ruhe. Es ist schmucklos, einfach und klein, dennoch gemütlich und meines ganz allein.

Die Beinahe-Entführung auf dem Styx hat mir deutlich stärker zugesetzt, als ich bisher dachte. Hier oben ist es still und warm, da spüre ich die Erschöpfung in jedem Knochen.

Aber wir haben noch eine Aufgabe. Eine letzte.

»Es ist wirklich unglaublich schön. Danke. Ich hatte noch nie etwas Eigenes und auch wenn es klein ist, es ist großartig.«

»Da du hier eine Studentin aus Irland bist, sollte es doch möglichst echt wirken. Wir hätten auch eine Villa zur Auswahl gehabt, aber dazu muss das Lügengespinst größer sein. Je größer dein Auftritt und die Lügen, umso größer die Gefahr, dass du entdeckt wirst.«

»Was soll ich mit einer Villa? Weißt du, wie oft ich mich in der Unterwelt verlaufen habe? Das wäre in einer Villa nicht anders. Es ist großartig, so wie es ist. Ich würde nun gerne einmal ins Bad und dann noch eine Kleinigkeit essen. Wann müssen wir in den Park?«

»Unter dem Waschbecken befindet sich ein kleiner Schrank mit allem, was du benötigst. Hast du den in die Wand eingelassenen Schrank im Flur gegenüber der Haustür gesehen? Da hängt eine Winterjacke und darunter stehen Stiefel. Dort ist auch eine Tasche mit einem Portemonnaie, darin befindet sich Bargeld und ein gefälschter Ausweis. Ach, der Haustürschlüssel natürlich auch. Wir haben noch eine halbe Stunde und nur einen kurzen Weg«, Kerberos klingt aufgeregt und nervös. Das ist so süß.

Ich gehe vom Wohnzimmer in den Flur und nehme zum ersten Mal die weißen Schranktüren auf der rechten Seite wahr mit den kleinen Knäufen, die wie Diamanten aussehen.

Im Bad angekommen, knipse ich das Licht an und schaue in den Spiegel über dem Waschbecken. Dafür muss ich mich sogar etwas auf die Zehenspitzen stellen.

Ich berühre mit meinen eiskalten Fingerspitzen die helle rosige Haut auf den Wangen. Ganz nah am Spiegel kann ich Sommersprossen sehen, dafür muss ich schielen, was lustig aussieht. Eine gerade Nase, die unten etwas zu breit wird, um als Stupsnase zu gelten. Mein Haar, mein Gesicht, meine Lippen. Einzig die schwarze Iris meiner Augen erinnert an meine göttliche Herkunft, das Erbe meiner Mutter.

Hätte ich mehr Zeit, würde ich für Stunden hier stehen und mein neues Ich ansehen.

Noch niemals durfte ich mich so ausgiebig in einem Spiegel betrachten. Wenn wir etwas an der Oberfläche erledigen mussten, habe ich manchmal einen Blick auf mich in einem Schaufenster werfen können. Meine Aufgabe stand an erster Stelle und ich habe keinen Gedanken an mein Aussehen verschwendet. Ich existiere seit Anbeginn und wusste bis eben nichts von meinen Sommersprossen.

In der Unterwelt zwingt Persephone meine Schwestern und mich, schwarze schrumpelige Haut, Fledermausflügel und Schlangenhaar zu tragen. Jeden Tag in einem Kostüm zu leben, und jemand zu sein, der man nicht ist, ist ein schreckliches Gefühl.

Ich bin nicht böse oder grauenvoll. Dieses Äußere entspricht nicht meinem Wesen. Aber es war Persephones Wunsch und sie ist die Königin im Hades. Sie wollte das wir die Gestalt annahmen, mit der wir die Menschen in den Wahnsinn trieben, die sich schuldig machten.

Langsam schaue ich an meinen kupferroten Haaren hinab, die mir bis zu meinem unteren Rücken reichen, und fahre mit der Hand hindurch. Zum ersten Mal kann ich sein, wer ich bin, und tun, was ich möchte. Ich muss keinen Erwartungen genügen und keinen Auftrag erfüllen. Ich atme tief ein, spritze mir etwas Wasser ins Gesicht und gehe wieder ins Wohnzimmer.

Nachdem ich etwas gegessen habe, ziehe ich mir die schwarzen Winterstiefel an, dazu die blaue, dicke Jacke aus dem Schrank und hänge mir die Tasche um. Bero wartet schon an der Tür, ich schaue ihn entschlossen an.

»Eine Aufgabe noch. Nur eine. Dann lass uns mal Elias finden.«

Es ist nicht weit, bis wir eine Wiese mit vereinzelten Baumgruppen und Laternen an den Wegen erreichen.

»Wir sind fast da. Elias wird irgendwo hier sein.«

»Wie ist dein Plan? Hat Charon noch etwas gesagt?«, frage ich, etwas aus der Puste.

»Elias mag Hunde und geht mit einigen aus den Tierheimen spazieren. Ich denke mal, er wird einen Hund bei sich haben, wenn er so spät noch unterwegs ist. Ich werde einfach hinlaufen und mit seinem Hund spielen. Du musst ihn dann nur noch in ein Gespräch verwickeln.«

»Ich habe noch nie mit einem Menschen ein Gespräch geführt! Weißt du noch, wie lange es gedauert hat, bis ich mit dir reden konnte? Und, nichts gegen dich, aber du bist subtil und ehrlich, ohne Zwischentöne. Du bist einfach bei Gesprächen. Wie soll ich das anstellen? Und davon mal abgesehen, weißt du überhaupt, wie Hunde spielen? Nicht, dass du den Hund aus Versehen tötest. Das wäre ein Dilemma und würde unseren Auftrag vermutlich erschweren und …«

»Megaira!«, unterbricht Bero meinen Redeschwall.

Ich muss Luft holen.

»Hey, ganz ruhig. Du bekommst das hin. Zwei Treffen, dann bist du frei. Motiviert dich das? Sei charmant und freundlich, dann schaffen wir das. Und rede möglichst nicht mit mir.«

»Okay, okay … und los.«

Kerberos läuft vor, querfeldein über die Wiese, ich folge dem Weg. Ich kann nicht glauben, dass er weiß, wie ein Hund spielt. Dazu ist er zu riesig. Er wird es nicht schaffen. Zählt das als Ausrede bei Charon, dass ich nicht freundlich sein konnte, weil Kerberos einen Hund tot gespielt hat?

Wenn ich mit Elias reden muss, weil Kerberos seinen Hund getötet hat, sage ich bestimmt etwas Falsches. Bei dem Gedanken wird mir übel.

Da vorn läuft jemand und Kerberos biegt in seine Richtung ab.

»Bero, wo rennst du hin?« Ich laufe ihm nach, aber bin nicht schnell genug, um mit ihm mitzuhalten.

Ich muss dieses Dilemma aufhalten, auf das wir zusteuern, aber nach ein paar Metern kommt Kerberos mir schon wieder entgegen. Schnell.

»Er hat keinen Hund dabei. Es tut mir leid …«, höre ich die Entschuldigung in meinem Kopf. Er bremst nicht ab, während er das sagt.

»Bero, stopp! Halt an.«

Er rennt direkt auf mich zu und springt mit seinen Vorderpfoten auf meine Schultern. Als ich mit dem Hintern auf dem Boden auftreffe, entfährt mir ein Schmerzensschrei.

»Aua! Verdammte Scheiße, was in Hades Namen …!«

»Es tut mir wirklich leid, Megaira. Das eben und das nun auch …«, der Höllenhund klingt, als würde er sich das Lachen verkneifen.

Er leckt mir über das Gesicht.

Ist das widerlich! Er riecht nach faulen Eiern und irgendetwas Totem, gleich muss ich mich übergeben. Ich versuche, ihn von mir runter zu schieben.

»Oh, scheiße, brauchst du Hilfe?«, ruft jemand atemlos.

Bero lässt von mir ab, stellt sich neben mich und wedelt mit seinem Schwanz. Wäre ich nicht sauer, wäre ein schwanzwedelnder Höllenhund durchaus witzig, aber im Moment würde ich ihn am liebsten eigenhändig zurück in die Hölle bringen. Ich wische mir mit dem Ärmel meiner Jacke den Sabber aus dem Gesicht. Es ist so viel, das hört gar nicht auf.

»Oh, wow, sorry. Das sah gerade echt gefährlich aus. Ich dachte, du könntest Hilfe gebrauchen.«

Mein Blick des Todes geht von Bero zu dem jungen Mann, der nun vor uns steht.

Jetzt, jetzt brauche ich wirklich Hilfe …

Er trägt einen Dreitagebart und seine hellen Augen mustern mich. Unter der schwarzen Lederjacke kann ich deutlich seine breiten Arme und die kräftigen Schultern sehen. Jetzt sollte ich etwas sagen. Das ist der Moment für Smalltalk.

Nicht schauen, reden, Megaira!

»Nee«, antworte ich harsch und merke, wie ich immer noch den bösesten Blick habe, den ich zustande bringe.

»Alles klar.« Er hebt beschwichtigend die Arme und wendet sich ab.

»Megaira!!! Das ist Elias. Er geht, er darf nicht gehen.«

»Ja, verdammt!«

Elias dreht sich zu mir um und als er mich wieder ansieht, wird mir klar, dass ich Kerberos gerade laut geantwortet habe.

»Also, ich meine, du hättest sicher helfen können. Deine Arme sehen ja ziemlich kräftig aus. So richtig starke Arme zum Anpacken …«

Stopp!

Elias sieht mich an, als wäre ich verrückt. Super, drei Sätze und ich habe meine beste Seite gezeigt.

»Hast du dir vielleicht den Kopf angeschlagen, als dein Hund dich umgeworfen hat?«, fragt er mit Sorge im Blick.

»Nein, habe ich nicht.«

Langsam weicht der sorgenvolle Ausdruck seiner Augen einem misstrauischen. Er wirkt unsicher, fühlt offenbar meine Präsenz – ganz kann ich sie noch nicht ausblenden.

Okay, dann müssen wir das anders angehen. Erst denken, dann reden.

Ich stehe auf und gehe einen Schritt auf ihn zu, strecke meine Hand aus und lächle ihn an.

»Können wir nochmal anfangen? Hi, ich bin Megs. Es ist wirklich nett von dir, dass du nach mir gesehen hast. Bero, mein Hund, übertreibt es manchmal einfach etwas.«

Das war gut.

Er greift nach meiner Hand. »Hi, ich bin Elias.«

Anschließend stehen wir uns schweigend gegenüber und mustern uns. Keiner lässt die Hand des anderen los. Dieses helle Grau seiner Augen ist so wundervoll. Der Moment fühlt sich richtig an. Absolut durch und durch richtig.

Ich lasse als Erste los.

»Ich habe echt Probleme mit der Erziehung meines Hundes. Er ist sehr stur und widerwillig«, sage ich, um das Schweigen zu brechen.

»Und groß. Dein Hund ist wirklich riesig. Ich arbeite mit Hunden und habe noch niemals so ein riesiges Tier gesehen. Ist das ein Hund oder ein Hybrid?«

Elias antwortet schnell und wirkt so, als hätte auch er mehr gespürt, als da hätte sein dürfen. Oder er spürt nur, dass ich eine Vollmeise habe … Für eine Göttin stelle ich mich wirklich schlecht an. Aber das ist wie mit dem Erwachsen sein, dass sieht auch nur von weitem so aus, als hätte man alles im Griff.

Doch der Moment ist vorbei und ich habe das Gefühl, etwas Wertvolles unterbrochen zu haben. Trotzdem ist Elias Gesicht jetzt viel offener und er wendet sich mir zu.

»Ähm, nein, ich glaube nicht. Er ist nicht reinrassig, weißt du. Ein Bastard quasi. Du arbeitest mit Hunden? Ich weiß, dass das nun aufdringlich klingt, aber könntest du mir helfen, dass Bero etwas mehr Grundgehorsam lernt? Sitz, Platz und solche Kommandos.«

Ich lächle Elias an, aber als ich zu Bero schaue, grinse ich vor lauter Schadendfreude. Ich muss das Bedürfnis unterdrücken, vor meinem Haustier einen Siegestanz aufzuführen, und begnüge mich mit einem gedanklichen »Nä, nä, nä …« in Kerberos Richtung. Dieser legt sich hin und schnauft ins Gras.

Gewonnen.

»Ja, prinzipiell schon«, antwortet Elias, obwohl ich merke, dass er offener ist, scheint er weg zu wollen. »Willst du mir deine Handynummer geben? Und das nennt sich Mischling.«

Sein Tonfall ist harsch und er verschränkt die Arme wieder. Seine Gefühlsschwankungen überfordern mich. Dieses Mal lag es nicht an meiner Art oder daran was ich gesagt habe.

Ich versuche, hinter ihn zu seinem Schatten zu spähen, um herauszufinden, was sein Problem ist.

Was zur Hölle ist das? Gelb und Magenta stehen für Misstrauen und Neugier, aber da sind schwarze Fäden in seinem Schatten verwoben. Sie sind dünn und im Dunkeln schwer auszumachen. Schwarz bedeutet Wut. Aber warum sollte er wütend sein? Das ergibt keinen Sinn. Außerdem ist Wut in einem Schatten geballt und kein Gespinnst.

Ich ignoriere das Schwarz und konzentriere mich auf das Magenta, ich muss die Neugier verstärken, damit wir uns nochmal wiedersehen können. Ich brauche dieses zweite Treffen und weiß schon jetzt, dass er nicht anrufen wird. Ich taste nach seinem Gefühl, um es zu manipulieren, und pralle ab. Zittern die schwarzen Fäden etwa?

»Hast du nun eine Handynummer, oder nicht?«, holt er mich aus den Gedanken.

»Hm, ja, klar, also, nein, habe ich nicht. Was hältst du denn davon, wenn wir uns hier morgen einfach nochmal treffen? Ich habe den ganzen Tag Zeit.«

»Ich bin um siebzehn Uhr hier. Bis dann.« Während er das sagt, dreht er sich um und läuft von mir weg.

Sein Schatten hat sich nicht verändert. Ich bezweifle, dass er wirklich kommen wird. Kommt er morgen nicht, ist mein Auftrag nicht erfüllt und ich habe nicht die geringste Ahnung, was das für Auswirkungen haben wird.

»Bero, was passiert, wenn wir versagen?«

»Ich habe Charon nie gefragt und er hat darüber nicht gesprochen, ich weiß es also auch nicht.«

Schweigend laufen wir in die Richtung der Wohnung los.

Bero liegt im Dunkeln auf den Holzdielen und ich unter der Wolldecke auf der Couch. Im Bettkasten liegen zwar eine richtige Decke und ein Kissen, aber ich bin einfach viel zu müde, um das alles noch umzuräumen. Es erschien mir wie ein Kraftakt höchster Anstrengung. Obwohl ich erschöpft bin, gibt mein Kopf keine Ruhe.

»Ich habe es verbockt«, spreche ich aus, was Bero vermutlich längst denkt.

»Ja, hast du. Wir haben uns so oft darüber unterhalten, wie die meisten Menschen eine Unterhaltung führen. Antworte nicht zu knapp, stelle Fragen, wirke interessiert und vor allem denke nach, bevor du sprichst. Meinst du, er wird kommen? Konntest du etwas in seinem Schatten sehen? Oder gab es ein positives Gefühl, das du verstärken konntest?«

Sein Schatten, seine Gefühle … Ruckartig setze ich mich auf. Wie konnte ich das nur vergessen?

»Bero, in seinem Schatten waren schwarze Fäden. Er wirkte nicht wütend, aber sie waren trotzdem präsent. Sowas habe ich vorher noch nie gesehen. Zorn und Wut sind meine Gefühle, die nehme ich sofort wahr, wenn sie da sind. Sein Schatten war Gelb und Magenta, er war neugierig, aber misstraute uns. Als ich versuchte, die Neugier zu bestärken, kam ich nicht zu ihm durch. Die schwarzen Fäden zitterten nach meinem Gefühlsangriff, ich könnte schwören, dass sie mich abgewehrt haben.«

»Ich kenne mich mit deinen Kräften nicht aus, aber kann es sein, dass du etwas eingerostet bist über die Jahre? Du konntest sie in der Unterwelt wie lange nicht nutzen?«

Ich schüttle den Kopf, obwohl er mich auf dem Sofa nicht sehen kann.

»Nein. Schatten sehen und vorhandene Gefühle verstärken, kann ich. Das ist wie Laufen, das verlerne ich nicht. Und er hat es gespürt. Kurz, nachdem ich nach seinen Gefühlen greifen wollte, ging er.« Ich beiße angespannt auf meine Unterlippe und fingere am Deckenzipfel herum.

»Wir müssen abwarten, ob er morgen kommt. Zu meinem Training … Es ist eine verdiente Rache für meine Aktion vorhin, aber ein bisschen hasse ich dich schon dafür!«

»Platz, du Bastard! Und schlaf gut.«

Der Fluch des Hades

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