Читать книгу Der Fluch des Hades - Mina Renard - Страница 8

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Es ist kurz vor Mitternacht, als wir wieder in unserer kleinen Wohnung ankommen. Jetzt kann ich ein Buch lesen, einen Tee trinken, die Beine hochlegen und mich entspannen.

»Bero, ich möchte noch weggehen. So als Studentin ein Bier trinken. Macht man das heute? Als ich zum letzten Mal länger oben war, durfte ich in der Öffentlichkeit nichts trin-ken. Eigentlich durften wir das nie bei unseren Aufgaben, aber, ach, du kennst uns ja.« Ich grinse ihn an und beginne, meine Sachen zusammen zu suchen.

Mit dem Kopf hänge ich schon halb im Kleiderschrank im Flur, als ich den Höllenhund hinter mir höre, wie er sich schnaubend in den Flur legt. Das werte ich als Zustimmung.

Eine enge, dunkle Jeans und ein dunkelblaues Shirt soll-ten reichen. Im Bad flechte ich mir die Haare zu einem lan-gen Zopf. Als wäre ich meine eigene Puppe, ich könnte mir stundenlang verschiedene Zöpfe flechten, schon immer woll-te ich das machen.

Es war nur nie genug Zeit, wenn meine Schwestern und ich oben waren. Vermutlich werde ich das trotzdem nicht machen, aber allein die Vorstellung reicht mir, dass ich es könnte. Nie konnte ich machen, was ich wollte, dass hier ist meine Zeit.

Mantel, Tasche, Schuhe und Schlüssel. Als ich die Trep-pen nach unten gehe, drehe ich noch einmal um. Der Hund. Ich mache die Haustür wieder auf.

»Bero, komm.«

»Megaira, hätte ich nicht geschlafen, würde ich denken, du hättest mich vergessen …«

»Habe ich. Tut mir leid. Wo müssen wir lang?«

»Zur U-Bahn.«

Auf dem Weg zur U-Bahn kommen mir Leute entgegen, die nicht wie gestern auf den Boden schauen. Manche beach-ten mich kaum, andere lächeln zurück und ich glaube, zwei haben mir hinterrücks einen Vogel gezeigt.

Einige Menschen können mit Freundlichkeit nicht um-gehen. Ich lächle trotzdem jeden an, der mir entgegen kommt, vielleicht kann ich ein paar Leute damit anstecken.

In der U-Bahn besprechen Bero und ich, dass er seines Weges geht und ich eine Stunde für ein Getränk in einer Bar habe. Kurz, bevor ich den Laden betrete, rennt Bero los.

»Bis in einer Stunde«, rufe ich ihm hinterher und winke.

Vor der Tür bleibe ich kurz stehen. Ich höre viele ver-schiedene Stimmen und Musik.

Ich liebe Musik und tanzen, das sind die einzigen Freu-den, für die ich in den vergangenen Jahren Augenblicke gestohlen habe. Meist hatte Persephone die Zeitspanne unse-rer Aufgaben sehr großzügig geplant, so dass meine Schwes-tern und ich noch etwas Zeit übrighatten. Jede von uns hat eine Vorliebe bei den Menschen, so konnten wir uns gegen-seitig decken, wenn wir diese Zeit nutzten.

Musik und Tanz sind Euphorie, Leidenschaft, Loslassen und Hingabe. Für mich ist es das, was Liebe am nächsten kommt. Ich tanze nicht, aber ich sehe und spüre die Emoti-onen. Musik ist pure Emotion. Musik ist eine Sprache, die wir alle sprechen und wir können sie alle fühlen.

Ich stoße die Tür auf und betrete die Bar. Hitze schlägt mir entgegen und ich ziehe die Jacke aus, während ich auf die Theke zusteuere. Eine freundliche Bedienung kommt sofort auf mich zu, das Glas noch in der Hand, das sie selbstvergessen weiter abtrocknet.

„Hey, was kann ich für dich tun?“, fragt sie locker.

Ich bestelle mir ein Bier und drehe meinen Barhocker in Richtung Tanzfläche. Mein Fuß wippt im Takt, noch bevor ich ganz sitze. Die Bar ist nicht so groß und da überall Men-schen sind, kann ich nicht viel von der Ausstattung erkennen. Viel Holz, das gemütlich wirkt. Auf der kleinen Tanzfläche im hinteren Teil des Raumes tanzen die Menschen zu Pop-musik.

Am Rand der Tanzfläche steht Elias.

Ist das nun Zufall oder war das geplant? Die schwarzen Fäden pulsieren stark in seinem Schatten, Gelb für Misstrau-en und es schimmert grün, das ist Freude. Da ist auch rosa. Das letzte Mal, als rosa in seinem Schatten aufflackerte, schaute er mich im Park an.

Elias trägt ein schwarzes Shirt. Mir stockt der Atem, als ich an seinen Armen hinuntersehe. Sie sind bis zu den Hand-gelenken tätowiert. Es überrascht mich, denn er wirkte nicht wie ein Typ mit Tattoos.

Aber wer wirkt heutzutage schon so?

Früher waren die alten Seefahrer tätowiert, heute ist das fast schon normal. Die Haare trägt er zurückgekämmt. Ich habe ja nun noch nicht so viele Männer genauer begutachten können, aber ich vermute, dass er schon ein ziemlich umwer-fendes Exemplar ist.

Wohin schaut er so intensiv? Er starrt regelrecht auf die Tanzfläche. Ich folge seinem Blick, sehe aber nichts, was seine Aufmerksamkeit derart fesseln könnte.

Aber meine Flasche ist auch außerordentlich interessant. Ich sollte nun einfach gehen, er hat mich sicher noch nicht gesehen. Morgen gehe ich nicht zum Treffen. Zwei Mal war die Voraussetzung und die habe ich erfüllt. Gehe ich nicht, werde ich ihn nie wiedersehen. Die Erde ist groß, ich kann die Stadt auch einfach verlassen. Und doch bewege ich mich keinen Zentimeter.

»Verrückt«, spricht er mich in dem Moment an und reißt mich damit jäh aus meinen Gedanken. »Ich kann mir schwer vorstellen, dass das jetzt ein Zufall ist. Das ist eher wie dein Lächeln vorhin. Irre bis furchteinflößend. Verfolgst du mich, hübsches, fremdes Mädchen?«

Er steht genau neben mir und er riecht nach Whiskey. Grandios. Der Plan von eben ist gescheitert. Jetzt brauche ich einen neuen. Vom Thema ablenken, das Gespräch auf etwas anderes bringen. Ich glaube ja selbst nicht, dass das nur ein Zufall ist.

»Hi Elias. Deine Arme sind wirklich … also, ich meine, deine Tattoos.« Ich trinke die halbe Flasche aus, nur um irgendwas zutun. »Nett ähm hier. Die Bar wurde mir emp-fohlen, genauso wie der Park. Also, was machst du hier?«

Halbwahrheit. Vermutlich.

Zufall ist das hier definitiv nicht.

Das Schwarz in seinem Schatten wird stärker, schwächt aber sofort wieder ab. Dieses Mal ist es aber geballt unter den Fäden. Elias sieht angestrengt aus. Wut. Er ist wütend. Die-ses Mal kann ich es in seinem Gesicht sehen, es ist nicht nur sein Schatten. Die Wut strengt ihn an. Es ist echte Wut und ich kann nicht nachvollziehen, was ihn wütend macht. Ich lächle ihn freundlich an. Aber vielleicht passt es ihm nicht, dass ich hier bin?

»Es tut mir wirklich leid, ich kann auch gehen. Ich wollte nicht lange bleiben und kann das nächste Mal einfach woan-ders hingehen.«

Bei Wut entschuldigt man sich, bevor der andere sich hineinsteigert, so umschiffe ich schon immer schwierige Situ-ationen. Beschwichtigend versuche ich nach seinen Gefühlen zu tasten und pralle ab. Er ballt seine Hände zu Fäusten und sein Kopf schnellt in meine Richtung, er kann mich spüren und ich komme gar nicht an ihn heran.

Das ist unmöglich!

»Okay, Megs. Bis dann.« Er dreht sich um und geht wie-der Richtung Tanzfläche.

Ernsthaft? Das war es nun? Was stimmt denn nicht mit dem?

Ich stelle meine Flasche ab und gehe ihm nach. Fast kann ich nach seiner Hand greifen, da kommt ein Mädchen von der Tanzfläche gestürmt und fällt ihm um den Hals. Nun weiß ich, wohin er vorhin geschaut hat. Wem das Rosa in seinem Schatten galt.

Sie greift ihm in die Haare und zieht seinen Kopf zu sich hinunter, dabei stellt sie sich auf Zehenspitzen und drückt ihr Becken gegen ihn. Das ist ekelerregend, abscheulich, widerlich … Ich wäre gern an ihrer Stelle.

»Ich will zu dir nach Hause«, haucht sie ihm entgegen, dann treffen ihre Lippen hart und voller Leidenschaft auf seine.

In ihrem Schatten sind überall kleine Wirbel aus Lila, Pink und Rot. Ist das nur ihrer oder auch seiner?

Ein scharfes Stechen irgendwo in meiner Körpermitte holt mich aus dieser Zeitlupenszene in die Gegenwart. Es bricht aus mir heraus, bevor ich es fassen kann.

Was war das?

»Du scheiß Mistkerl«, höre ich das Mädchen noch rufen, bevor sie ausholt und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlägt.

Meine Fingernägel drücken sich schmerzhaft in meine Handflächen, während ich geschockt die Szene beobachte. Elias schaut das Mädchen ungläubig an. Ich auch. Aber sie war das nicht, das war ich.

Ich renne aus dem Laden an die frische Luft.

Draußen ist es kalt und riesige Flocken fallen vom Him-mel. Die Straßen sind leer und trotzdem gehe ich um die Ecke in die Seitenstraße hinter der Bar. Ich würde mich gern unsichtbar machen.

Meine Hände … Ungläubig drehe ich die Handflächen nach oben und starre Löcher hinein. Die Flocken fallen auf meine Hände und verschwinden direkt, anders als das ima-ginäre Brennen meiner Haut. Es war nicht meine Hand, aber mein Gefühl, das Elias geschlagen hat.

Ich kann nicht einmal sagen, ob sich die junge Frau drinnen gerade um Kopf und Kragen redet, um ihm zu er-klären, was sie selbst nicht versteht oder ob es Nachwirkun-gen hat und sie ihm gerade die Szene seines Lebens macht.

»Du hast deine Jacke vergessen«, holt mich Elias' Stimme aus meinen Gedanken in die dunkle Seitenstraße zurück.

Ich denke an ihn und er taucht auf.

Gruslig.

Er hält meine Jacke in mein Blickfeld und schiebt sie damit über meine Hände. Als hätte ich ihn nicht gehört.

»Danke, aber hast du nichts Besseres zu tun?« Da ist ein Unterton in meiner Stimme, der mir gar nicht gefällt.

Was ist denn los mit mir?

Tief einatmen.

»Es ist kalt und du siehst nicht aus, als würdest du gleich nach Hause gehen.« Er legt seine Hand unter mein Kinn und hebt meinen Kopf an, bis ich ihn ansehen muss.

Seine Wange leuchtet regelrecht. So viel Kraft habe ich ihr gar nicht zugetraut, aber sie hat ordentlich zugeschlagen.

Nein, das war ich. Und das Gefühl, das mich nun über-kommt, kenne ich sehr gut: Ich habe ein schlechtes Gewissen. Wie soll ich mich denn dafür entschuldigen?

Hey, tut mir echt leid, aber ich kann Gefühle verstärken und manipulieren. Das war sie gar nicht, sondern ich.

Wohl kaum …

»Ja, es tut schon etwas weh, falls du das fragen wolltest. Und, nein, ich hatte das nicht verdient. Tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du das siehst.«

Jetzt hat er sich bei mir entschuldigt. Wie groß kann ein schlechtes Gewissen werden? Hallo Grand Canyon, ich bin Megaira.

Was bitte sollte ich nicht sehen? Dass sie ihn fast auf der Tanzfläche gevögelt hat?

Nun reiß dich mal zusammen …

»Elias, du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß nicht, was da bei euch vorgefallen ist, aber ihr tut es sicher sehr leid und morgen wird sie sich bestimmt bei dir entschuldigen. So, wie die sich an dich rangeworfen hat.« Ich habe den Satz freundlich angefangen und dann wurde alles, was ich sage, giftig.

»Megs, es ist nichts vorgefallen und sie wird sich morgen nicht entschuldigen können. Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt. Ich sehe sie wahrscheinlich nie wieder. Ich meine das, was davor passiert ist. Das solltest du nicht sehen.« Er sieht mich an, aber ich kann sehen, wie schwer ihm das fällt, weil ihm die Situation unangenehm ist.

Verdient, mein Freund! Denn ich habe es gesehen. Alles.

»Elias, auch dafür musst du dich nicht entschuldigen. Wir haben uns zwei Mal gesehen. Alles ist gut. Mich geht es gar nichts an, wie du deine Abende verbringst.«

Meine Hände greifen so fest in die Jacke, wäre sie zer-brechlich, würde sie in eine Million Teile zerspringen. Lügen sind so abstoßend. In meinem Hals bildet sich ein Kloß und ich versuche, den verräterischen Druck hinunter zu schlu-cken. Es stimmt, wir kennen uns kaum und ich hatte kein Recht, ihn zu schlagen, dafür, dass eine andere ihn küsst oder anfasst.

In diesem Moment entschließe ich mich dazu nicht mehr in den Park zu gehen. Vorhin habe ich mich vielleicht selbst belogen, um mir eine Möglichkeit offen zu halten. Vielleicht gehe ich in eine andere Stadt. In ein anderes Land. Auf einen anderen Kontinent!

Ich weiß nicht, was das alles bedeutet, aber es riecht nach Ärger. Einmal kurz Luft holen und dann die Gedanken laut aussprechen, damit es feststeht und wahr wird. Bekomme ich hin. Dann kann ich mir keine Möglichkeit mehr offenhalten, doch noch zu gehen.

Als ich Elias wieder ansehe, schaut er gedankenverloren auf einen Punkt an der Hauswand hinter mir.

Ich öffne meinen Mund …

»Nein, Megs, warte«, kommt er mir zuvor. »Du hast recht. Es geht dich gar nichts an. Ich habe gerade darüber nachgedacht, warum mich das aber sehr wohl stört, dass du das gesehen hast, und kann es dir nicht erklären. Ich mag dich, du bist anders. Und du machst irgendwas mit meinen Gefühlen.«

Er schaut mich bei den Worten an. Seine Augen sehen fest in meine und lassen mich nicht los. Er stützt eine Hand neben meinen Kopf, die andere spielt mit dem Ende meines Zopfes.

Scheiße. Zwei Tage als Göttin auf der Erde und schon aufgeflogen. Wie konnte das denn passieren?

»Ich will dich nicht in eine Ecke drängen und das war kein Liebesgeständnis, kein Grund, wie ein Reh im Schein-werferlicht zu schauen. Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich wirklich gerne näher kennenlernen möchte und nun nicht mehr weiß, ob du morgen noch kommst.« Er wickelt sich meine Haare um den Finger und zieht leicht an meinem Zopf.

»Heute …«

Und der Preis geht an Megaira für die schlagfertigste und klügste Antwort, Gratulation.

Seine Nähe löst eine intensive Gänsehaut aus, die sich langsam von meinem Nacken über meine Schultern auf meinen Armen ausbreitet. Mein Herz schlägt schneller und Elias ist mir so nah, dass ich glaube, er kann es hören.

»Nein, solange ich nicht geschlafen habe, ist nicht Mor-gen. Sag mir nur, ob du kommst.«

Ene, mene, miste

Was rappelt in der Kiste

Ene, mene, meck

Und Du bist weg.

Weg bist du noch lange nicht

Sag mir erst wie alt du bist

Das lasse ich aus, sonst antworte ich heute nicht mehr …

Das ist keine schöne Zahl

Sag mir erst dein Liebgemahl

Darüber denke ich nicht einmal nach …

Wenn man sich selbst beim Abzählreim beschummelt, macht das gar keinen Sinn mehr, stelle ich fest.

»Nein, aber das hat nichts mit eben zu tun. Ich hatte mich vorhin schon dazu entschieden, morgen nicht zu kommen. Ich werde übermorgen die Stadt verlassen und brauche die Zeit zum Packen.«

Ich verlasse was? Das war eine blöde Ausrede und zudem gelogen! Lügen sind dumm, Lügen tun nur Angsthasen.

Ich habe Angst.

Doch wovor?

Ich muss mit jemandem reden, ich brauche Kerberos. Die Stunde ist längst um. Ich suche die Straße mit den Bli-cken ab, entdecke ihn aber nicht.

»Suchst du jemanden? Ich wusste nicht, dass du gehen wirst. Das ist wirklich schade.«

»Ja …«

»Wen denn?«

»Was?«

»Megs, wen suchst du?«

»Ach. Bero. Er wollte mich abholen und nach Hause bringen. Ich kenne den Weg nicht, also die Adresse habe ich, aber ich bin absolut orientierungslos. Bero hat mich hergebracht.«

Ha, und der Hund dachte, sie würden mich für verrückt befinden, wenn ich mit ihm rede. Er hat mich ja auch noch nie über ihn reden hören.

»Natürlich. Was auch sonst. Ich habe drinnen noch ei-nen Freund, der wartet, dem sage ich schnell Bescheid und dann bringe ich dich nach Hause.«

Bevor ich antworten kann, dreht er sich um und geht um die Ecke zu der Bar zurück. Einen Freund. Ich habe nie-manden gesehen. Am liebsten würde ich ihm sagen können, dass ich seine Hilfe nicht brauche.

Aber ich würde den Weg niemals allein finden. Eine Göttin hat sich verlaufen, wie ein kleines Schulmädchen. Meine Mutter wäre so stolz auf mich. Ich bin nicht zum ersten Mal froh, dass ich allein gegangen bin und niemand Zeuge meines Versagens wird. Ich laufe vor einem Menschen davon.

Wo ist Bero?!

Erst bringt er mich hierher, um dann … dieser Verräter! Bestimmt hat er Elias gerochen, wusste, dass er hier ist und wusste auch, dass ich mit meiner nicht vorhandenen Orien-tierung niemals allein zurückfinde.

Elias kommt wieder heraus und trägt eine Mütze und seine Jacke.

»Frierst du nicht? Dein Shirt ist vom Schnee schon ganz nass«, sagt er.

Während ich kommentarlos meine Jacke anziehe, damit ich nicht schon wieder lügen muss, sage ich ihm die Adresse.

Wir laufen los. Bis zur U-Bahn verliert keiner von uns auch nur ein Wort. Es ist das unangenehmste Schweigen meines Le-bens. Und es wird das letzte Schweigen sein, das ich mit Elias verbringen werde, dabei gibt es so viel zu sagen.

Ich wollte dich nicht schlagen. Ich gehe nicht, ich habe nur Angst. Ich komme morgen. Ich habe gelogen. Und ich mag dich auch.

»Hallo? Erde an Megs, die U-Bahn kommt in 5 Minuten, danach musst du fast nur geradeaus. Schaffst du den Weg von der Station bis zu dir nach Hause?«

Er will gehen. Sage ich nun ja, ist er weg.

Keine Lügen mehr.

»Ich …« Hinter Elias taucht ein Schatten auf. Er ist schwarz und er gehört niemandem.

Schatten könnten sich nachts von ihren Menschen tren-nen, bloß tut das keiner, da niemand weiß, dass sie auch im Dunkeln existieren. Dann sind sie schwach und unsichtbar für die Menschen. Ich taste vorsichtig mit meinen Gefühlen nach der Schwärze, die absolut still an der Wand hinter Elias verharrt. Die Präsenz ist göttlich. Göttlich und wütend. Sie hat mich gefunden.

»Was ist denn los mit dir?« Bei der Frage dreht er sich zur Wand um.

Entweder hat mein Blick etwas verraten oder er spürt es auch. Die dunklen Linien in seinem Schatten pulsieren heftig. Fühlt er das schwarze Gebilde an der Wand hinter sich oder spürt nur sein Schatten etwas? Wie sind die Fäden mit ihm verbunden?

Ich nehme Elias bei der Hand und renne los. »Wir müs-sen hier weg, sofort!«

Wir laufen das Gleis hinab. Die U-Bahn fährt ein und wird neben uns immer langsamer, bis sie ganz hält. Ich laufe zur nächsten Tür, drücke den Knopf und stürme hinein. Elias habe ich mitgezogen. Die Tür schließt sich und ich drehe mich um, schaue durch die Scheibe nach draußen. Der Schatten steht an der gleichen Stelle wie zuvor, aber er schwankt.

Es sieht aus, als würde er lachen.

Als die Bahn längst losgefahren ist, halte ich noch immer Elias' Hand und lasse nicht los. Er sieht ebenfalls aus dem Fenster, obwohl wir schon durch den ersten Tunnel fahren.

»Du hast es gefühlt, oder? Ich habe gesehen, dass du et-was gespürt hast.«

Keine Lügen mehr, schwöre ich mir. Wenn er mich jetzt fragt, antworte ich ehrlich.

Frag nach. Jetzt hier im Dunkeln.

»Ja …«, antwortet er langsam, danach erfüllt sein Schweigen das ganze Abteil.

Keine Frage und eigentlich auch keine Antworten.

»Ja, aber nicht zum ersten Mal, Megs. Ich weiß nicht, was es war. Es ist schon drei Mal passiert in den letzten zwei Wochen, aber sobald ich mich umdrehe, ist da nichts. Dennoch war ich mir sicher, dass etwas hinter mir war. Bis eben dachte ich, dass ich spinne und mir alles einbilde. Bis du losgelaufen bist. Was hast du gesehen und warum bist du weggerannt?«, fragt er, aber er klingt eher misstrauisch als panisch.

Sie hat mich nicht gefunden. Etwas hat Elias gefunden. Ich kann ihm nun nicht alles erzählen, dann wird er denken, dass ich absolut irre bin. Also das schlechte irre und nicht das, was Elias mag. Er braucht Hilfe. Ich kann jetzt nicht verschwinden. Ich habe Angst, aber ich muss bleiben.

»Einen Schatten, da war etwas Dunkles hinter dir und es wirkte nicht natürlich. Bis du dich umgedreht hast, dachte ich noch, ich würde es mir einbilden und dann bin ich losge-laufen.«

»Also weißt du nicht, was das war oder ob da wirklich etwas hinter mir war?« Sein Blick drängt nach einer Antwort. Nach einer Wahrheit. Er zieht mich dichter zu sich heran. Es wirkt nicht bedrohlich, eher verzweifelt.

»Nein.« Ich weiß es nicht.

Die Präsenz war definitiv göttlich, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass es sich um einen Gott oder eine Göttin han-delt, sondern nur, dass es entweder aus dem Hades oder dem Olymp stammen muss.

Ich muss herausfinden, was es war. Dafür werde ich bleiben.

Immer noch halte ich seine Hand. Ich verschränke meine Finger mit seinen, halte ihn fest. Unsere Blicke treffen sich und er drückt einmal fest zu.

Sein Schutz ist die perfekte Ausrede, da ich ohnehin nie hatte gehen wollen.

Oh, beim Hades, wie konnte ich nur so blind sein?!

»Es war Eifersucht … Wir müssen hier aussteigen.«

Und ich drücke den Knopf.

Der Fluch des Hades

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