Читать книгу Sektion 3 I Hanseapolis - Schlangenfutter - Miriam Pharo - Страница 13
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ОглавлениеCedric Dunn war ehrgeizig. Mit knapp 20 hatte er seinen Bachelor gemacht, mit Mitte 20 hatte er einen Umweltskandal bei der Mond-Kolonisation aufgedeckt und dafür den Bob-Woodward-Preis gewonnen. Jetzt mit 30 war er Star-Reporter des weltweit agierenden Yahoogle Investigation Network, kurz YIN genannt. Eigentlich lebte er in New Delhi, doch derzeit war er einer heißen Story auf der Spur und hielt sich deshalb in seiner Heimatstadt Hanseapolis auf.
Seine Eltern hatten niemals verstehen können, warum er seine Berufung darin sah, in der Dreckwäsche anderer Leute zu wühlen. Am Anfang seiner Karriere hatte es daher zu Hause viel Geschrei gegeben. All die Anerkennung, die man Cedric in der Öffentlichkeit entgegenbrachte, blieb ihm in seiner eigenen Familie versagt. So hatte er den Tipp, der ihn am Morgen über InterCom erreichte, nur zu gern als Vorwand genommen, um das Mittagessen bei seinen Eltern abzusagen.
Jetzt stand er vor dem Badezimmerspiegel und zog sich mit seiner Colour Brush fuchsienrote Strähnen nach. Ihm gefiel, was er sah: ein 1,85 Meter großer, 120 Kilo schwerer Typ mittleren Alters in braunen, schmuddeligen Jeans und in eine lange abgewetzte Baumwolljacke gehüllt, die zum Himmel stank! Cedrics Gesicht war aufgedunsen, seine Haut rot und fleckig. Seine dunkelblauen Augen verschwanden hinter unappetitlichen Fettwülsten. Die Nanozellen in der polymeren Gummihaut, die er auf sein Gesicht aufgepinselt hatte, hatten unter dem Deformator ganze Arbeit geleistet, während die umprogrammierten Nanobots in seiner Kleidung ihn glatt 30 Kilo schwerer aussehen ließen. Die billigen roten Haarsträhnen und eine Wollmütze, die er weit über die Ohren zog, machten das Bild perfekt.
Der schlanke, elegante junge Mann hatte sich in weniger als einer Stunde in eine dieser bedauernswerten Kreaturen verwandelt, die unterhalb von Zone 1 hausten. In 20 Minuten würde er sich mit einem Informanten in einem Laden mit dem blumigen Namen Café Oriental treffen und ging in Gedanken noch einmal durch, was er wusste. Es ging um Korruption und illegale Prostitution. Cedric lächelte sein Spiegelbild freudlos an. Eine explosive Kombination! Der Informant hatte angedeutet, dass die Affäre bis ganz nach oben reichte, was immer das zu bedeuten hatte. Sollte an der Story etwas dran sein, würde das Cedrics neuer großer Coup werden. Die Vorfreude jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Er steckte sich sein InterCom ins Ohr, erteilte über GCS den Befehl „save“, um das Treffen aufzunehmen, und verließ das Hotelzimmer.
Das Café Oriental befand sich im zehnten Level eines heruntergekommenen Office-Towers im Osten der Stadt. Auch wenn ihm sein verändertes Aussehen eine perfekte Tarnung verschaffte, hatte Cedric für den Notfall den Stunner, eine flache Laserwaffe, in seiner linken Jackentasche versteckt. Ziviler Waffenbesitz war zwar illegal, doch seine Sicherheit ging hier eindeutig vor.
Cedric ließ sich von einem Lufttaxi auf das Dach des Towers befördern und fuhr mit dem Expresslift hinunter. Als er das Café Oriental betrat, war der Laden leer. Gut ... so wird’s einfach werden, den Kontakt herzustellen, dachte er. Andererseits würden sie auffallen wie bunte Hunde! Etwas nervös schaute er sich um. Das hier war die reinste Absteige. Trotz des schummrigen Lichtes machte er einige Stühle und Tische aus, die wahllos im Raum verteilt waren. Die flackernde Neonröhre über dem dreckigen Tresen ließ in unregelmäßigen Abständen Flecken unterschiedlicher Farben und Formen auf dem selbigen aufblitzen. Thermotrop-Technologie war hier unten Mangelware, daher waren die Fenster notdürftig mit Pappe verdunkelt.
Im Raum herrschte eine Höllenhitze und Cedric begann unter seiner zweiten Haut unangenehm zu schwitzen. Kaum hatte er sich hingesetzt, trat ein kleinwüchsiger Mann hinter dem Tresen hervor und kam langsam näher. Cedric rutschte das Herz in die Hose. Wo war der Typ hergekommen?
„Bist du Cedric?“, fragte der Zwerg. Dabei schaute er leicht unverschämt.
Cedric runzelte die Stirn und ließ die Hand unauffällig in seine Jackentasche gleiten. Verdammt, was wird hier gespielt?
„Wer …?“
„Das hier wurde für dich abgegeben“, fiel ihm der Mann ins Wort und drückte ihm etwas in die Hand.
Cedric starrte auf den MiniCube und spürte, wie Ärger seine Furcht verdrängte. All die Mühe für nichts! Aus Erfahrung wusste er, wie gut man aus den Mimiken eines Menschen Zusatzinformationen ziehen konnte. Deshalb hatte er seinem Informanten direkt in die Augen sehen wollen.
„Wer hat dir das gegeben? Und wie sah er oder sie aus?“, blaffte er den kleinen Mann frustriert an.
„Keine Ahnung. Das hat ein Expressbote vorbeigebracht“, antwortete der ungerührt und zuckte mit den Schultern.
„Fuck!“ Cedric ballte die Fäuste.
Der Mistkerl von Informant hält mich zum Narren!
Da besann sich der Kellner, oder wer auch immer der Typ war, auf seine eigentliche Aufgabe.
„Willst du trotzdem was trinken?“, fragte er ihn mit einem leisen Lachen, doch Cedric war schon von seinem Stuhl aufgesprungen. Ohne den Kerl eines weiteren Blickes zu würdigen, flüchtete er aus dem Café.
Sein Augenlid zitterte leicht, als er knapp 15 Minuten später per Netzhaut-Scan die Tür seines Hotelzimmers öffnete. Er stürzte zur GCS-Konsole und steckte den MiniCube auf die dafür vorgesehene Vertiefung. Seine Finger huschten über die Sensoren und ein holografisches Gesicht baute sich hinter ihm auf; ein Cybergesicht, um genau zu sein, mit kantigem Kinn und glitzernden Augen. Unverkennbar männlich.
„Guten Tag, Mister Dunn. Ich möchte mich zunächst für diese kleine Charade entschuldigen, aber ich durfte kein Risiko eingehen. Das werden Sie sicher verstehen.“ Die Wortwahl klang distinguiert. Ein Mensch mit sprachlicher Bildung, wie es schien. Cedric war empört, hinters Licht geführt worden zu sein. Er war für seine Integrität bekannt und gab seine Quellen niemals preis. Punktum.
„Wie Sie wissen, geht es um illegale Prostitution“, sprach die kalte Cyberstimme weiter. „Internationale Syndikate zahlen eine Menge Geld dafür, dass ein paar Leute im Europäischen Verwaltungsrat beide Augen zudrücken. Ein blindes, besonders gieriges Exemplar hält sich zurzeit hier in Hanseapolis auf. Ich werde Ihnen den Namen natürlich nicht nennen.“ Das Cybergesicht lächelte. „Schließlich sollen Sie Ihr hübsches Köpfchen anstrengen. Nur so viel: ein Nummernkonto in Singapur – IBA100258791-L. Viel Glück! Ach und übrigens, rote Strähnen stehen Ihnen gar nicht, mein Lieber.“
Fassungslos starrte Cedric in die flirrende Leere, wo noch vor einer Sekunde das kantige Kinn gesprochen hatte. Woher wusste er, dass ich meine Haare gefärbt habe? Er trat unbewusst einen Schritt zurück, dann ließ er seinen Blick panisch durch das fremde Zimmer schnellen. Er stürzte sich auf den nächstbesten Gegenstand und untersuchte ihn von allen Seiten. Danach war die Lampe dran, dann das Bett! Ein sinnloses Unterfangen. Hightech-Technologie zur Personenüberwachung bewegte sich in mikroskopisch kleinen Dimensionen, das wusste Cedric. Ohne Raupe, ein semi-organisches Ortungsgerät von der Größe eines Mittelfingers, war eine Suche mit dem bloßen Auge schier hoffnungslos. Trotzdem stellte er in den nächsten zwei Stunden das gesamte Hotelzimmer auf den Kopf.
Am Ende ließ sich Cedric erschöpft auf das Bett fallen. Er rief über InterCom die Rezeption und bat um ein neues Zimmer. Dort, in vermeintlicher Sicherheit, spielte er den Cube noch einige Male ab und suchte nach verborgenen Anhaltspunkten. Doch Fehlanzeige! Er fluchte. Diese verdammten Cyber-Identities! Dummerweise blieb ihm nur bis zum Ende der Woche Zeit, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Der Mann rieb sich die Hände. Es lief alles wie am Schnürchen. Der tote Läufer hatte die Bauern auf den Plan gebracht und heute hatte er seine weiße Dame positioniert. Er schloss die Augen und lächelte zufrieden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der schwarze Turm fiel!