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3 In einer neuen Rolle: Als Religionslehrperson im Praxissemester

Der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule ist Bestandteil und Ausdruck einer positiven Religionsfreiheit. Er wird im Rahmen des Grundrechts auf Religionsfreiheit (Art. 4,1 und 2 GG) in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften (Art. 7,3 GG) erteilt, da der Staat sich nach der geltenden Lesart des Verfassungsrechts weltanschauliche und religiöse Neutralität zuschreibt und deshalb auf die Einrichtung eines staatlichen ‚Weltanschauungs- oder Religionsunterrichts‘ verzichtet. Der Religionsunterricht ist somit selbst kein neutrales Fach. Das Ziel des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts ist vielmehr, Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu „religiöser Bildung“ als Teil allgemeiner Bildung zu eröffnen. Im Religionsunterricht geht es darum, zu „zeigen, was es heißt, als Christ in einer pluralen Welt zu leben.“1 Die Religionslehrkraft erfüllt ihre Aufgabe also nicht darin, „über“ Religion im Sinne einer Religionskunde zu reden, sondern es geht um eine bekenntnisorientierte Auseinandersetzung. So führt der Religionsunterricht Kinder und Jugendliche in religiöse, insbesondere in christliche Welt- und Lebensdeutungen ein, hilft ihnen, sich zu orientieren, in religiös-ethischen Situationen urteilsfähig zu werden und regt zu eigenem theologisch reflektierten Handeln an.2

Diskutiert man mit Religionslehrern und Religionslehrerinnen, welche Rolle sie bei dieser Aufgabe einnehmen, sind die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Während eigentlich Konsens herrscht, dass man „authentisch und pädagogisch verantwortet“3 agieren wolle, wird engagiert diskutiert, ob man sich als Zeuge bzw. Glaubensvorbild4, als (Dialog-)Partner5, als Bildungs- und Traditionsagent6, als Repräsentant christlicher Religion7, Orientierungshelfer, Theologe, Reiseführer8, Brückenbauer9, Fels in der Brandung10, Hebamme o.Ä. versteht.

Sicherlich ist es interessant, die vorliegenden Studien zum Selbstverständnis von Religionslehrkräften zu rezipieren, diese sollten aber mit den eigenen Vorstellungen und mit denen von Kolleginnen und Kollegen konfrontiert werden, die im Gespräch bzw. im Interview gewonnen werden können.

Eine solche Reflexion des Selbstverständnisses anzuleiten und Hilfen zu geben, qualifiziert die Meinung des Religionskollegen bzw. der Religionskollegin zu erheben und darüber ins Gespräch zu kommen, ist Aufgabe dieses Kapitels.

3.1 Wer möchte ich sein? Was bringe ich mit? Was erwarte ich? Was ist mir wichtig? – Eine kleine Anleitung zur Selbstreflexion

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Evangelische Kirche in ihrem zen tralen Text zu den beruflichen Kompetenzen von Religionslehrkräften die „religionspädagogische Reflexionsfähigkeit“ an die erste Stelle gesetzt und sie als „Schlüsselkompetenz“11 bezeichnet hat. Diese Kompetenz wird in Teilkompetenz 1 folgendermaßen beschrieben:

„Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Religiosität und der Berufsrolle: Ein berufliches Selbstkonzept als Religionslehrerin und Religionslehrer in Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität, der Berufsrolle und der religionspädagogischen Theorie entwickeln und darüber auskunftsfähig sein.“12

Warum ist diese Kompetenz so wichtig, dass sie geradezu als Grundlage professionellen Handelns gelten kann?

2006 haben die Bildungsforscher Jürgen Baumert und Mareike Kunter13 ein theoretisches Modell für „Professionelle Handlungskompetenz“ vorgelegt, das vor allem auf den Untersuchungen von Shulman zur Wissensbasis von Lehrpersonen beruht. Danach entsteht professionelle Handlungsfähigkeit aus dem „Zusammenspiel von

•spezifischem erfahrungsgesättigten deklarativen und prozeduralen Wissen (Kompetenzen im engeren Sinne: Wissen und Können);

•professionellen Werten, Überzeugungen, subjektiven Theorien, normativen Präferenzen und Zielen;

•motivationalen Orientierungen sowie

•metakognitiven Fähigkeiten und Fähigkeiten professioneller Selbstregulation.“14


Abb. 2: Modell professioneller Handlungskompetenz – Professionswissen; Kunter/Baumert, 2006, 481

Während das spezifische Professionswissen (Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, pädagogisches Wissen) im Studium und im Vorbereitungsdienst sowie in den weiteren Phasen beruflicher Tätigkeit erworben wird und die notwendige Voraussetzung für die Ausübung des Berufs darstellt, haben angehende Lehrkräfte grundlegende Orientierungen bereits in ihrer Biografie erworben, oft ohne dass diese ihnen bewusst sind. Dazu gehören etwa die Motive, die einen Abiturienten bewegen, den Lehrerberuf zu ergreifen und dabei das Fach Religionslehre als Studienfach zu wählen. Diese wiederum können unterschiedlichste Kontexte haben, z.B. das Aufwachsen in einem christlich geprägten Elternhaus, Mitarbeit in kirchlicher Jugendarbeit oder dem CVJM, persönliche Glaubenserfahrungen oder auch ein anspruchsvoller Religionsunterricht, der das Interesse an theologischen Fragen geweckt hat, nicht zu vergessen natürlich auch sehr vordergründige Beweggründe wie bessere Berufschancen. Je nach Ausprägung der motivationalen Orientierung wird das spätere Engagement im Beruf, aber auch die Zielrichtung der eigenen Tätigkeit davon beeinflusst.

Von mindestens ebenso großer Relevanz sind „Wertbindungen (value commitments), epistemologische Überzeugungen (epistemological beliefs, world views), subjektive Theorien über Lehren und Lernen sowie Zielsysteme“15. Wertbindungen beziehen sich auf das berufliche Ethos, mit dem Lehrkräfte ihren Beruf wahrnehmen. Bei Religionslehrkräften könnten z.B. die evangelische Tradition der Hochschätzung der Bildung, das biblische Liebesgebot, die neutestamentliche Hochachtung vor Kindern, das Streben nach Gerechtigkeit in sozialen Strukturen oder auch die Fürsorge für benachteiligte Menschen zu den Werten gehören, die eine Art Koordinatensystem für die eigene berufliche Tätigkeit darstellen. Auch solche Wertbindungen reichen in ihrem Ursprung weit in die eigene Kindheit und Jugendzeit zurück und verändern sich in der Biografie nur langsam.

Damit verknüpft sind intuitive, nicht wissenschaftlich begründete Vorstellungen über Wissen und Wissenserwerb, sowie allgemeiner gefasst über ‚Weltbilder‘, die „Denken und Schlussfolgern, Informationsverarbeitung, Lernen und Motivation“16 beeinflussen und deshalb für die Wahrnehmung von Unterrichtsprozessen und das eigene berufliche Handeln bedeutsam sind. So dürfte es einen erheblichen Unterschied ausmachen, wenn eine Religionslehrkraft ihre Schülerinnen und Schüler unter den Kategorien ‚Gläubige‘ und ‚Ungläubige‘ einordnet oder eine andere davon überzeugt ist, dass es im RU überhaupt nicht um Glauben oder Unglauben, sondern um eine Reflexion von Religion schlechthin geht. Auch ist es etwas anderes, wenn eine Lehrperson davon ausgeht, dass die Grundlage jedes Redens über Religion die eigene religiöse Erfahrung sei, oder eine andere darauf setzt, Religiosität unterrichtlich zu zeigen und zu veranschaulichen, um auf diese Weise eine reflexive Auseinandersetzung mit Religion zu ermöglichen.

Schließlich sind es die subjektiven Theorien der Lehrkräfte17 über Lehren und Lernen, die „ihre allgemeinen Zielvorstellungen, die sie im Unterricht verfolgen, die Wahrnehmung und Deutung von Unterrichtssituationen, die an Schüler gerichteten Erwartungen und letztlich auch das professionelle Handeln beeinflussen.“18 Der Begriff steht in einer Spannung zu wissenschaftlich fundierten Theorien, da subjektive Theorien ihre Genese in persönlichen Erfahrungen haben. Gemeinsam ist den beiden Theoriearten, dass sie Phänomene durch die Annahme einer „Wenn-Dann-Beziehung“ einordnen. Subjektive Theorien entwickeln sich im Laufe der Biografie, sind tief in der Psyche des Einzelnen verankert, wirken häufig untergründig und unbewusst, sie gelten dem Individuum als unwiderlegliche Wahrheiten und sind deshalb schwer aufzubrechen. Sie helfen, die Welt zu erklären, sich in ihr zurechtzufinden und üben einen großen Einfluss auf das eigene Handeln aus. Subjektive Theorien können etwa bedingt sein durch das Vorbild oder Negativbild eigener Lehrkräfte in der Schulbiografie, durch positiv oder negativ erlebten Unterricht, durch kritische Episoden der Schulzeit oder die Erinnerung an bestimmte Unterrichtsmethoden. Eine nicht auszurottende subjektive Theorie, die bei vielen Gesprächen im Lehrerzimmer anzutreffen ist, lautet: „Dieser oder jener Schüler bringt schlechte Leistungen. Dann ist er entweder dumm oder faul.“ Für einen Studierenden mag die Person eines für die persönliche Situation und die Probleme von Schülern aufgeschlossenen Religionslehrers so überzeugend gewesen sein, dass er unbewusst dieses Lehrermodell verinnerlicht und als Leitbild für das eigene Handeln auswählt. Oder der RU der Oberstufe hat die Zweifel, Unsicherheiten, kritischen Fragen von Schülern explizit aufgenommen und Raum für ausführliche Diskurse gelassen, ohne auf Leistungsnachweise zu drängen – auch dies könnte die Konzeption des eigenen RU maßgeblich bestimmen.

Wie geht man mit all diesen Orientierungen im Praxissemester um? Kein Zweifel: Sie alle bestimmen unbewusst und untergründig die Wahrnehmung, Reflexion und das eigene Handeln. Und sie treten oft genug in eine Spannung zu oder gar in einen Konflikt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Umso wichtiger ist es, die eigenen Einstellungen und Vorstellungen – soweit das möglich ist – ins Bewusstsein zu heben und sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Hier möchten wir Sie anregen, „1. Ihre Vorstellungen von Unterricht zu beschreiben zu versuchen und 2. darüber Rechenschaft abzugeben, welche subjektiven Theorien diesen Unterrichtsvorstellungen zugrunde liegen mögen; dies kann 3. zur Konfrontierung mit inkompatiblen Prämissen führen, die schließlich 4. in eine mögliche Rekonstruktion eben dieser Theorien ausmünden.“19 Die folgenden Vorschläge setzen jeweils eine Einzelarbeit voraus, deren Ergebnisse sollten aber in einer Gruppe (etwa in einem universitären Begleitseminar) vorgestellt und diskutiert werden.

1.Welchen der Begriffe von Zeuge bis Hebamme (s.o.) würden Sie als repräsentativ für Ihr Selbstverständnis wählen? Begründen Sie Ihre Rollenwahl in der Form einer Selbstreflexion im Essaystil.

2.„Eine gute/eine schlechte Religionslehrkraft war für mich …“

•An welche/n RU-Lehrer/RU-Lehrerin erinnern Sie sich besonders?

•Mit welchen Verhaltensweisen und Erlebnissen verbinden Sie diese Persönlichkeit?

•Was an ihm/ihr halten Sie für Kennzeichen einer ‚guten‘, einer ‚schlechten‘ Religionslehrkraft?

Verfahren: Kugellager

Die Gruppe wird halbiert. Die erste Gruppe bildet einen Innenkreis, die zweite einen Außenkreis. Die Teilnehmer sitzen sich gegenüber und sind einander zugewandt. Die Teilnehmer bekommen eine Fragestellung, die sie mit dem Gegenüber austauschen. Zuerst berichtet die Person im Innenkreis und der Außenkreis hört zu. Nach einem Signal vom Moderator berichtet der Außenkreis und das Gegenüber hört zu. Dann rutscht der Außen- oder der Innenkreis um ein oder mehrere Plätze weiter, so dass neue Kombinationen entstehen. Das Verfahren kann mehrfach durchgeführt werden.

3.Metaphernübung: „Guter Religionsunterricht ist für mich wie …“

Verfahren:

•Schritt 1: Einzelarbeit: Jede/r überlegt sich drei Metaphern, die seine Vorstellung von gutem RU beschreiben und malt sie auf ein A4-Papier.

•Schritt 2: Partnerarbeit. Zeigen Sie sich gegenseitig Ihre Bilder. Einer hat das erste Wort und deutet die Metaphern des anderen (Was entdecke ich in den Bildern über Unterricht? Übereinstimmungen/Differenzen – Gründe dafür?)

•Schritt 3: Gruppenbildung, je vier: Clustern der Metaphern nach Ähnlichkeit – Welche Vorstellungen vom Unterricht kommen darin zum Ausdruck?

•Schritt 4: Einvernehmliche Auswahl eines Bildes in der Gruppe, das möglichst viele gemeinsame Vorstelllungen vom Unterricht umfasst – auf Plakat DIN A2 malen – Vorstellung des Bildes im Plenum.

•Schritt 5: Plenum: Analyse und Diskussion der Bilder

–Welches Bild von der Lehrerrolle, der Schülerrolle, des Lehr-/Lernprozesses wird erkennbar?

–Welche subjektiven Theorien, ‚beliefs‘ und Wertbindungen liegen diesen Vorstellungen zugrunde?

–Welche dieser Orientierungen sollten vor dem Hintergrund religionspädagogischer Erkenntnisse und Theorien diskutiert, geprüft und ggf. modifiziert werden?


Abb. 3: Beispiel für eine Metaphernübung; Studienseminar Paderborn

Bei der Gruppenarbeit und im Plenum ist grundsätzlich zu beachten, dass mit allen Bildern wertschätzend umgegangen wird. Ein ‚Richtig‘ oder ‚Falsch‘ kann es hier nicht geben, denn alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind gemeinsam auf dem Weg professioneller Entwicklung und bemühen sich um Klärung und Rekonstruktion ihrer Voreinstellungen.


Abb. 4: Beispiel für eine Metaphernübung; Studienseminar Paderborn

4.Was ich schon mitbringe, was ich erwarte – mein Profil als Studierender im Praxissemester

Dies ist eine Anregung, die Sie am besten nur für sich wahrnehmen. Sie können z.B. Ihr Kopfprofil in Umrissen auf ein Plakat zeichnen (Lichtquelle – Schatten) und Ihre Überlegungen zu den vier Kästchen dort eintragen, ggf. auch in bildlichsymbolischer Form. Sie können aber auch einen Brief an sich selbst schreiben, ihn versiegeln und am Ende des Praxissemesters wieder hervorholen und mit Ihren Erfahrungen, Fortschritten, aber auch Konflikten und Misserfolgen vergleichen.


Abb. 5: Mein Profil – Anregungen zur Selbstreflexion

3.2 Interview mit einem Religionslehrer bzw. einer Religionslehrerin der Praxissemesterschule

Exemplarisch schreibt ein langjähriger Religionslehrer zu seinem Selbstverständnis:

Warum sind Sie Lehrer und gerade Religionslehrer geworden?

Ich bin da gewiss ‚erblich‘ vorbelastet, meine Eltern unterrichteten Sprachen am Gymnasium und haben den Beruf des Lehrers durchaus als Berufung verstanden. Insofern sind sie mir in ihrer Freude, junge Menschen zu unterrichten, zum Vorbild geworden – ich habe von ihnen nie Klagen über ihren Beruf gehört!

Mit der Wahl meiner Fächer Evangelische Religionslehre und Geschichte verband ich als damals 18-jähriger Abiturient die Hoffnung, Schülerinnen und Schülern existenziell bedeutsame Einsichten und orientierende Erfahrungen zu ermöglichen und noch näher an den Fragestellungen von Jugendlichen zu sein, als dies bei anderen Fächern mitunter der Fall sein kann. Diese Hoffnung hat sich in über 30 Berufsjahren bewahrheitet und ist bis zum heutigen Tag nicht enttäuscht worden! Ich selbst kann insgesamt von einer ‚geglückten‘ religiösen Sozialisation sprechen – so führten wir nicht nur im Elternhaus anregende Diskussionen, z.B. über Predigten, die wir sonntags gemeinsam gehört hatten. Ich durfte einen mich sehr ansprechenden und interessant gestalteten Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht erleben und auch eine aktive Gemeinde. So war z.B. die Begegnung mit den Werken Johann Sebastian Bachs und anderen Komponisten im Kirchenchor für mich eine ‚Offenbarung‘ – und es war gut, dass ich diese Erfahrung dort auch mit gleichgesinnten Jugendlichen teilen durfte.

Auch in der Schule traf ich mehrheitlich auf Pastoren und Religionslehrer, die motiviert waren, uns zu unterrichten und für die so wichtige didaktische Prinzipien wie die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung einer Thematik oder die notwendige Problemorientierung auch Mitte der 70er-Jahre keine Fremdwörter waren. Im Religionsunterricht der Oberstufe lasen wir z.B. als Ganzschrift Ernst Blochs „Atheismus im Christentum“ und diskutierten uns die Köpfe heiß.

Geprägt von solch positiven Erfahrungen war für mich daher das Studium der Evangelischen Religionslehre naheliegend. Die Erkenntnis, welche Bedeutung Praxisbezüge im Rahmen des Studiums haben könnten, war damals noch sehr wenig entwickelt; auf freiwilliger Basis durften wir allerdings unterrichtspraktische Seminare besuchen, die ich als besonders gewinnbringend in Erinnerung habe.

Das, was ich als wesentliches Ziel von Unterricht insgesamt und daher auch als Ziel von Religionsunterricht ansehe, ist der Erwerb eines vernetzten Wissens. Im Studium, so hatte ich den Eindruck, hatten längst nicht alle Dozenten dieses Lehrziel vor Augen, das Nebeneinander von Disziplinen war und ist gerade in der Theologie mitunter geradezu ärgerlich. Auch wenn ich während des Studiums versucht habe, eigene Wissenslücken zu schließen, so würde ich dies von heutiger Warte aus betrachtet noch viel intensiver tun und kann dies jedem Studierenden auch nur dringend raten. Dieser Einsatz ist nicht nur für einen selbst außerordentlich gewinnbringend, sondern er zahlt sich auch im Referendariat und in den ersten Berufsjahren in besonderer Weise aus, wenn man mit genügend anderen Herausforderungen professionellen Handelns als Berufsanfänger konfrontiert ist. Gerade auch das Nachdenken über klassische dogmatische Fragen, wie z.B. die der Christologie, gerät erstaunlicherweise im Lehrangebot im Studium oftmals zu kurz; Referendare und junge Kolleginnen klagen immer wieder beredt darüber, dass solche Fragen im Rahmen des Studiums nie oder viel zu selten thematisiert worden seien. Dieser bedauernswerte Mangel enthebt einen gleichwohl nicht der Verpflichtung zur Eigeninitiative; geeignete Literatur gibt es dazu jedenfalls durchaus.

Wann beurteilen Sie Religionsstunden als „gelungen“?

Entscheidend ist hier zunächst einmal, das haben die Hattie-Studien nachdrücklich belegt, die Person des Lehrers bzw. der Lehrerin, ganz unabhängig vom jeweils vertretenen Fach. Die Lehrperson muss auf alle Fälle eine sich in Haltung, Gestik und Mimik dokumentierende Präsenz zeigen, die sie von Schülerinnen und Schülern ebenso wie im Kollegium als Autorität und glaubwürdige Sachwalterin ihres Faches anerkannt sein lässt.

Darüber hinaus zeigt sich guter Religionsunterricht dann, wenn es den Lehrern gelingt, diesen strukturiert zu planen, durchzuführen und zu reflektieren. Dabei kommt der Fähigkeit, sinnstiftende Unterrichtsgespräche anleiten und führen zu können, gerade auch im Fach Religionslehre eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr, als der Religionsunterricht die Erziehung zu religiöser Mündigkeit und Urteilsfähigkeit als wichtiges Erziehungsziel stets im Blick haben sollte.

Hierzu gehören zentral z.B. das Wachhalten der Frage nach Gott als unverwechselbares Proprium des Faches und der selbstständige und kritische Umgang mit den überlieferten Quellen, insbesondere der Bibel, nicht zuletzt auch, um religiösem Fanatismus und Fundamentalismus vorzubeugen. Eine Religionsstunde, die sich von einer Politik- oder Geschichtsstunde nicht unterscheiden würde, weil nicht zumindest anklingt, worin die religiöse Dimension des Unterrichtsgegenstandes liegt, wäre keine gelungene Stunde.

Dabei kommt der Lehrperson auch die Rolle des in der Lerngruppe anerkannten Garanten von Meinungsfreiheit zu, der in der Lage ist, die Balance von Schüler-, Wissenschafts- und Problemorientierung so gekonnt auszutarieren, dass die Religionsstunden sich durch einen Spannungsbogen auszeichnen, der inhaltlich – und nicht etwa nur methodisch – begründet ist.

Durch eine entsprechende Flexibilität und Offenheit sollte es das Ziel der Lehrperson sein, immer wieder die Chance für existenziell bedeutsame Einsichten und Erfahrungen zu eröffnen.

Zudem sollte gemeinsam mit der Lerngruppe erörtert werden, wie diese Erkenntnisse im Sinne der Nachhaltigkeit von Unterricht gesichert werden können. Hier ist die Wahrnehmungskompetenz der Lehrenden besonders gefragt, um religiöse Sprachund Auskunftsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Somit geht es um die Fähigkeit, Erfahrungen des eigenen Lebens religiös deuten und diese Deutungen in die Gestaltung des eigenen Lebens einfließen lassen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder und Jugendliche gleich welchen Alters offen sind für religiöse Fragen. Es gilt, dieses Interesse zu nutzen, indem sie z.B. an der Planung von Unterrichtsreihen und -stunden aktiv beteiligt werden und teilweise auch die Verantwortung für das Gelingen von Unterricht übernehmen, indem sie z.B. durch Präsentationen mit in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden und nicht zuletzt durch eine entsprechende Feedbackkultur dazu in die Lage versetzt werden, den Unterricht gemeinsam mit der Lerngruppe kriteriengeleitet zu reflektieren. Wenn Lernende so den Religionsunterricht erfahren, stellt sich die Frage nach eventuellen Schwierigkeiten des Faches kaum noch; auch durch institutionell veränderte Rahmenbedingungen wie die verpflichtende Wahl von Ersatzfächern ist die Stellung des Faches im Vergleich zu früheren Jahrzehnten aufgewertet worden.

Gibt es für Sie eine ideale Organisationsform des RUs?

Zunächst einmal ist es sehr zu begrüßen, dass es in NRW seit dem Schuljahr 2013/2014 islamischen Religionsunterricht gibt, der sich verbindlichen Standards stellt und den zunehmend Lehrende erteilen werden, die Ausbildungen an deutschen Universitäten erhalten haben, auch wenn der Weg dorthin insgesamt noch lang und steinig ist. Trotz der zunehmenden Pluralisierung unserer Gesellschaft sollte ein als „ökumenisch“ bezeichneter Religionsunterricht für alle im Klassenverband die Ausnahme bleiben. Wenn wir es ernst meinen, religiöse Sprach- und Urteilsfähigkeit zu fördern, dann könnte ein Angebot für alle Schülerinnen und Schüler im Klassenverband diesem Ziel und dem jeweiligen konfessionell bzw. religiös geprägten Profil nicht gerecht werden. Die Frage nach dem „protestantischen Profil“ des evangelischen Religionsunterrichts etwa wird aber viel zu selten gestellt, obwohl die Beantwortung lohnenswert auch im Sinn der Stiftung von Orientierung und Identität für die Schülerinnen und Schüler – und mitunter sogar für deren Eltern – ist.

Zu bedenken ist außerdem die Frage: Welches Interesse sollten die Kirchen noch daran haben, einen allgemeinen „Unterricht über Religion“ durch die entsprechenden Schulreferate, Mediatheken bzw. Schulabteilungen zu unterstützen? Dieses Engagement der Kirchen muss gerade auch kirchlich weniger stark sozialisierten Berufsanfängerinnen und -anfängern vor Augen geführt werden – kein Fach wird durch ein solch breites Fortbildungsangebot unterstützt wie die Religionslehre beider Konfessionen! Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollten bestehende Ansätze eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts weiterentwickelt werden.

Sollten vom Fach Religionslehre aus Impulse für die Schule über den Unterricht hinaus ausgehen?

Jede Schule hat ihr eigenes Profil und so ist es eine interessante Aufgabe für jeden „Neuankömmling“ im System Schule, gleich ob er Praktikant, Referendar oder neue Lehrkraft ist, sich seinen Platz und seine Aufgabe im Kollegium zu suchen. Dabei wird dem Praktikanten zunächst einmal vornehmlich die Rolle des Beobachtenden zukommen, der sich reflektierend die Frage stellen wird, welche der gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse er in eine zukünftige Tätigkeit gewinnbringend einbringen möchte. Eine engagierte Religionsfachschaft wird immer darum bemüht sein, ihren Beitrag zur Schulkultur zu leisten – sei es z.B. durch die Ein- bzw. Weiterführung von Einschulungs- oder Abiturgottesdiensten, von religiösen Studientagen, einer Streitschlichtungskultur, von Sozialpraktika oder auch von ganz einfachen Regeln für das Miteinander im Klassenraum, die eine Schulkultur wesentlich prägen können. Gerade auch vor dem Hintergrund der immer stärker werdenden Ganztagsschulentwicklung sollten sich Schulen die Frage stellen, welche Aufgabe hier der Religionsunterricht, etwa in Form von AG-Angeboten, wahrnehmen kann. Schulleitungen sollten das Potenzial, das in Religionsfachschaften vorhanden sein kann, erkennen und für eine profilbildende Schulentwicklung nutzen. Angesichts des Generationswechsels in den Kollegien bleibt es eine spannende Herausforderung, diesen Wechsel in Respekt vor dem Gewachsenen wie der Anerkennung bewährter Traditionen und der Lebensleistung erfahrener Kolleginnen und Kollegen einerseits und der Bereitschaft zu notwendigen und pädagogisch sinnvollen Veränderungen andererseits zu vollziehen.

Anregungen zur Weiterarbeit

In dem Selbstbericht werden der Religionslehrkraft bereits einige Fragen zu ihrer Tätigkeit gestellt. Benennen Sie weitere Aspekte, nach denen Sie eine Kollegin oder einen Kollegen bzw. sogar zwei unterschiedlichen Alters in einem Interview befragen können.

1.Formulieren Sie Leitfragen für dieses Interview, indem Sie auch Aspekte, die im Interview angesprochen werden, in Fragen umformulieren.

2.Führen Sie das Interview durch, nehmen Sie es auf und werten Sie die Angaben aus.

3.Vergleichen Sie die Einschätzung der Kollegen mit ihren eigenen. Wo finden Sie Ähnlichkeiten, wo Unterschiede zur Position im Interview z.B. zu folgenden Themen: Gelungener Religionsunterricht, wichtigstes Erziehungsziel im RU, ideale Organisationsform des RUs u.a.?

4.Vergleichen Sie die gefundene(n) Position(en) mit den zentralen Ergebnissen einer der unten aufgeführten Studien oder mit den kirchlichen Vorgaben:

a) „Vorgaben“ aufseiten der Kirchen: Kirchenamt der EKD (Hg.), Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Gütersloh 1994 bzw. Die deutschen Bischöfe, Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts. Hg. vom Sekretariat deutschen Bischofskonferenz. Bonn 1996.

b) empirischen Untersuchungen wie z.B.

•Feige, Andreas/Dressler, Bernhard/Lukatis, Wolfgang/Schöll, Albrecht (Hg.), „Religion“ bei ReligionslehrerInnen. Religionspädagogische Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis in empirisch-soziologischen Zugängen. Münster 2000.

•Lück, Christhard, Beruf Religionslehrer. Selbstverständnis – Kirchenbindung – Zielorientierung. Leipzig 2003.

•Gramzow, Christoph, Gottesvorstellungen von Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Eine empirische Untersuchung zu subjektiven Gottesbildern und Gottesbeziehungen von Lehrenden sowie zum Umgang mit der Gottesthematik im Religionsunterricht. Hamburg 2004.

•Liebold, Heide, Religions- und Ethiklehrkräfte in Ostdeutschland. Eine empirische Studie zum beruflichen Selbstverständnis. Münster 2004.

•Ziebertz, Hans Georg/Riegel, Ulrich (Hg.), How Teachers in Europe teach Religion. An international empirical Study in 16 countries. Münster 2009.

Literatur zur Weiterarbeit

Kirchenamt der EKD (Hg.), Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums. EKD-Texte 96. Hannover 2009 (Online unter: http://www.ekd.de/download/ekd_texte_96.pdf; Zugriff am 12.08.2014)

Obst, Gabriele, Religion zeigen – eine Aufgabe des evangelischen Religionsunterrichts? Zwischenruf zu einem aktuellen religionspädagogischen Paradigma. Theo-Web 6 (2007), Heft 2, 104-123.

1Vgl. Obst, 2007, 116.

2Vgl. die Denkschriften der EKD zum RU und zum Bildungsverständnis: Kirchenamt, 1994, 2003, 2014.

3Vgl. Burrichter, 2012, 52.

4Davon abgrenzend Kraft, 2011.

5Vgl. Zimmermann, 2012b, 123.

6Vgl. Feige/Dressler/Lukatis/Schöll, 2001, 34.

7Leonhard/Klie, 2006; 14f.; Rupp, 2011.

8Link-Wieczorek, 2003, 132ff.

9Burrichter, 2012, 56 in Bezug auf die Schrift „Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen“; Die deutschen Bischöfe, 2005.

10Burrichter, 2012, 58.

11Kirchenamt der EKD, 2009, 24.

12Kirchenamt der EKD, 2009, 28.

13Baumert/Kunter, 2006, Abb. 482.

14Kunter/Baumert, 2006, 481.

15Baumert/Kunter, 2006, 497.

16Baumert/Kunter, 2006, 498.

17Zum Begriff vgl. Groeben/Wahl/Schlee/Scheele, 1988.

18Baumert/Kunter, 2006, 499.

19Dick, 2000, 237.

Praxissemester Religion

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