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Abkürzung

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Dunkel erstreckt sich die enge Gasse hinter dem Bürogebäude. Würde man mit ausgestreckten Armen hindurchgehen, könnten die Fingerspitzen an den Mauern entlangfahren, so dicht beieinander stehen die Häuser. Ein Weg, von einer einzelnen Laterne beleuchtet. Eine jener Abkürzungen, die man sogar tagsüber nur mit einer leichten Gänsehaut und mulmigem Gefühl in der Magengegend passiert. Sie führt quer durch das Viertel, in dem sich Großraumbüros angesiedelt haben, bis hin zum Parkhaus am Stadtpark. Von dort aus gelangt man in die Lerchenstraße, in der Silvia wohnt. Immer öfter nimmt sie diesen Weg, der ihren Heimweg von der Arbeit um zwanzig Minuten verkürzt. Seit einem Jahr ist sie schon im Büro des Innenarchitekten Melz, wo sie hart für ihr Geld arbeitet. Die vielen Überstunden machen ihr nichts aus. Zu Hause wartet schon lange niemand mehr auf sie. Silvia könnte außen herum laufen. Ein schöner Spaziergang, für den sie heute zu müde ist.

In das Dunkel tretend, gewöhnen sich ihre Augen rasch an das wenige Licht. Die Laterne steht malerisch bei den Müllcontainern, die halb, in einer eigens dafür vorgesehenen Nische ruhen. Ein Lächeln gleitet über ihre Mundwinkel, als sie die Szenerie betrachtet. Wie das Gemälde eines extrovertierten Malers. Ein Bild, welches mahnend den Finger gegen die Zivilisation erhebt, indem es das Unschöne der Welt offenbart.

"Sieh, was aus uns geworden ist."

Es wäre ein passender Titel für die Beweislast der heutigen Wegwerfgesellschaft.

Silvia hat die Mülltonnen hinter sich gelassen und mit der zunehmenden Düsternis wächst das bekannte Gefühl. Beklemmend steigt es in ihr hoch. Es ist nicht direkt als Angst zu bezeichnen, mehr als Unsicherheit, was als nächstes passieren könnte. Ein Knall lässt sie erschrocken herumfahren, als die Lichtquelle hinter ihr explodiert.

Funkenregen springt auf die regennasse Straße und Glassplitter regnen mit ihnen herab und prasseln auf den Teer. Sie meint einen Schatten im erlöschenden Licht zu erkennen. Nicht mehr, als ein Huschen hinter die Container. Angespannt starrt sie in die Dunkelheit. Lichtpunkte, schon längst verglimmter Feuerfunken, tanzen vor ihren Augen. Eine Nachwirkung, von der Blendung der Explosion. Der Gedanke, nicht mehr alleine in der Gasse zu sein, macht sich in ihr breit. Ihre Finger greifen in der Manteltasche um das Pfefferspray. Sie hat es noch nicht lange. Erst, seit sich die Überfälle in der Stadt häuften. Minutenlang steht sie da und wartet auf eine Bewegung, ein Geräusch hinter den Tonnen. Nichts. Keine Anzeichen, nicht einmal der Straßenlärm dringt bis an diese Stelle der Gasse. Langsam dreht sie sich um. Von hier aus kann sie das Parkhaus schon schemenhaft erkennen. Die Lichter der Neonröhren dringen durch die Nacht und weisen ihr den Weg. Silvia schätzt die Entfernung auf hundertfünfzig Meter. Sie lauscht, während sie sich dem Licht nähert. Ihre eigenen Schritte sind alles, was sie hört.

Vielleicht habe ich mich geirrt, denkt sie.

Eine optische Täuschung, durch den Funkenregen vielleicht.

Ihre Schritte werden sicherer, je näher sie an das helle Parkhaus kommt. Die Neonröhren knistern in der Kälte, als sie es betritt. Ein menschenleerer Raum, in dem nur noch wenige Autos parken. Kalter, toter Beton, der wie ein Mahnmal hinter der grünen Oase des kleinen Stadtparks steht. Das Klacken ihrer Stöckelschuhe hallt von den kahlen Wänden wider.

Seltsam, sonst ist hier um diese Zeit mehr los, schießt ihr durch den Kopf.

Es gab immer jemanden, der seinen Wagen aufschloss, abschloss, oder gerade parkte, oder wegfuhr. Ein Flackern zieht durch die Beleuchtung und mit einem leisen Klaklack fällt eine der Röhren hinter ihr aus. Silvia friert auf einmal. Es kommt ihr kälter vor, als noch vor wenigen Augenblicken. Fröstelnd zieht sie den Mantel enger um sich zusammen und geht etwas schneller. Das Gefühl in der Magengegend ist plötzlich wieder da. Sie schüttelt den Kopf über ihre eigene Dummheit.

Ein hallender Schlag reißt sie aus dem Takt ihrer Schritte. Wie versteinert steht sie mitten auf der Fahrspur durch das Parkhaus. Dann sieht sie die Quelle, des lauten Geräusches. Ein Mann lächelt sie an, während er sein Auto abschließt. Erleichtert sieht Silvia wie er sich umdreht und das Parkhaus in die Richtung verlässt, aus der sie es betreten hatte. Sie setzt ihren Weg fort, verwundert über das eigene Kopfkino, welches ihr unfassbare Gedanken über Kobolde, Vampire und andere Monster vorzugaukeln versucht.

"Silvia", flüstert eine Stimme. Ruckartig bleibt sie stehen, dreht sch um. Ihre Hand verschwindet in der Manteltasche und umschließt krampfhaft das Pfefferspray. Ihr Blick gleitet durch den hallenartigen, leeren Raum des Parkhauses. Außer ihr scheint keine Menschenseele hier zu sein. Aber sie hat es gehört. Ihr Puls rast. War das auch eine Einbildung? So wie der Schatten hinter den Müllcontainern?

Reiß dich zusammen, ermahnt sie sich selbst. "Bestimmt war es nur der Wind", redet sie sich ein. Ihr Atem zeichnet kleine Wölkchen in die Luft. Es ist noch kälter geworden und sie steht zitternd zwischen zwei der wuchtigen Pfeiler. Langsam dreht sie sich in die richtige Richtung und setzt ihren Weg fort. Immer noch klammern sich ihre Finger um die Sprühdose in ihrer Manteltasche. Sie muss sich zusammenreißen, um nicht einfach panisch los zu laufen.

Da ist nichts. Das hast du dir alles nur eingebildet, versucht sie sich selbst zu beruhigen.

Ein Surren ertönt hinter ihr und mit einem weiteren Klacken erlischt wieder eine der Neonröhren.

"Silvia", flüstert es erneut. Silvias erzwungene Ruhe ist dahin. Sie fängt an zu laufen, so schnell sie es mit ihren Absätzen vermag. Hallendes Lachen ertönt hinter ihr und sie wirbelt panisch einmal um ihre eigene Achse. Stolpert und fängt sich an einem der Stützpfosten, hinter den sie sich presst. Vorsichtig lugt sie um die Ecke aus gegossenem Beton. Nichts. Ein leeres Parkhaus. Ein Raum, den sie im Grunde schon längst hätte hinter sich lassen sollen. Vielleicht waren es fünfzig Meter, doch irgendwie schien sie nicht vorwärts zu kommen. Ihr Blick gleitet in Richtung Ausgang.

Noch zwanzig Meter, denkt sie und läuft zu der schweren Tür, die sie noch vom Park trennt. Hinter ihr erlischt eine Neonröhre nach der anderen. Es ist ein Wettlauf, den sie gewinnen muss. Wenn sie verliert, dann… ja, was dann? Sie will den Gedanken nicht zu Ende führen. Ein trügerisches Gefühl, mit dem Erreichen des Parks in Sicherheit zu sein, treibt sie an. Sie rennt und stürzt regelrecht, die Ausgangstür hart aufstoßend, in die Grünanlage. Auf einer weiten Rasenfläche bleibt sie schwer atmend unter einer Laterne stehen. Ihr Blick gleitet durch die sich langsam schließende Parkhaustür. Der hell erleuchtete Raum verschwindet wie in Zeitlupe. Nicht eine der Neonröhren scheint defekt zu sein. Silvia sieht sich um. Menschen laufen durch den Park. Einige sehen sie etwas seltsam an, wie sie völlig außer Atem an der Laterne lehnt. Doch das ist ihr egal. Ihr Herz macht einen Sprung vor Erleichterung die belebten Wege zu sehen. Langsam beruhigt sich ihr Puls und Silvia will nur noch nach Hause.

Nie wieder, schwört sie sich, nehme ich diese Abkürzung. Egal wie viele Minuten ich mir damit spare.

Rote Augen beobachten sie aus dem Gebüsch am Parkhaus. Sie schleichen lautlos auf dem weichen Boden hinter ihr her. Wartend, auf eine passende Gelegenheit. Einen Moment, in dem sie alleine ist. Fünf Minuten und sie hätte die Lerchenstraße erreicht. Tief blicken die Augen in ihre eigenen, die ihm weit aufgerissen vor Entsetzten entgegenstarren. Sein Kuss unterdrückt ihren letzten Schrei. Kräftige Arme fangen sie auf, als sie das Bewusstsein verliert. Wenn sie erwacht, wird sie zuhause sein. Nicht hier in der Menschenwelt.

"Wer war das?", fragt Marco seinen Kollegen.

"Tanja Kern, vermisst ihre Freundin seit vier Tagen", lautet die Antwort.

"Ich habe die Aussage aufgenommen. Willst du sie lesen?"

Marco nimmt die Akte Silvia Schön entgegen. Das Foto einer jungen Frau, mit roten, langen Haaren und grünen Augen, das dem Nachnamen gerecht wird, wird von einer Büroklammer an der Kartonecke gehalten. Das frisch hinzugefügte Blatt verrät ihm, Silvia ist fünfundzwanzig, ledig und kinderlos.

"Vor zwei Tagen hat ihr Arbeitgeber sie schon als vermisst gemeldet. Sie sei einfach nicht zur Arbeit erschienen und da sie keinerlei Verwandtschaft zu besitzen scheint, dachte er, es wäre angebracht, uns diesen Umstand zu melden", informiert ihn sein Kollege.

In diesem Moment weiß Marco, dass sie auch diese Frau nicht finden werden.

Nicht lebendig.

Und auch nicht tot.

Zauberbesen Hexenkessel

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