Читать книгу Die Kunst, Beziehungen in den Sand zu setzen - Mohsen Charifi - Страница 7
2.
Die Reise nach Italien
ОглавлениеDu kannst dir selbst und vielen anderen Menschen die Frage stellen: „In welche Richtung muss man gehen, wenn man nach Italien will?“ Fast immer ist die Antwort: „Nach Süden.“ Diese Antwort ist natürlich nicht immer richtig, denn wenn sich jemand in Nordafrika befindet und nach Süden wendet, um Italien zu erreichen, muss er sehr, sehr weit laufen und sehr, sehr lange schwimmen, um nach Italien zu kommen. Wie lautet jedoch eine Antwort, die immer richtig und gültig ist? – „Es kommt darauf an, wo man steht.“
Welche Absicht steckt hinter dieser Frage? Italien steht für eine glückliche, stabile und bereichernde Partnerschaft: Das ist der „Soll-Zustand“, also das, was wir erreichen wollen. Aber in welche Richtung müssen wir uns bewegen, um dies zu erlangen? Wir kennen nun die richtige Antwort: Es kommt darauf an, wo wir jetzt stehen, also auf unseren „Ist-Zustand“. Bevor wir also ein Ziel anstreben, müssen wir zuerst einmal unseren Standpunkt kennen. Wenn diese beiden Punkte klar sind, dann ist auch die Richtung klar. Anders als bei einer Reise ist bei einer Partnerschaft der Standpunkt, also der „Ist-Zustand“, oft aber ganz und gar nicht einfach zu erkennen und nicht offensichtlich.
Das hängt damit zusammen, dass der „Ist-Zustand“ eines Paares, also eines Wir, die Summe des „Ist-Zustandes“ eines Ich und des „Ist-Zustandes“ eines Du ist, mit all ihren sich ergänzenden und einander widersprechenden Facetten. Jeder hat seine eigene Geschichte, sein eigenes Leben und seine eigenen Erwartungen, Ziele, Stärken und Schwächen –und nicht zuletzt seine eigenen Gebote und Verbote, sein eigenes Wertesystem. Hinzu kommt, dass die Aspekte, die uns bewusst sind, einen sehr geringen Teil von dem darstellen, was uns treibt. Und was uns wirklich treibt, ist tief in den dunklen Höhlen des Unbewussten verborgen. Die Fülle von all dem Bewussten und Unbewussten ist unser „Ist-Zustand“, der in jedem Augenblick neu entsteht, aber in diesem komplexen Wirrwarr erkennen wir ihn nicht. Der Schlüssel, der eine Tür zu einer harmonischen Beziehung öffnet, ist das Erkennen dieser „Ist-Zustände“. Es macht uns bewusst, an welcher Tür, wie und warum wir klopfen, welche Sehnsüchte in der Frage „Wer ist da?“ und welche Einstellungen in der Antwort „Ich bin da“ beziehungsweise „Wir sind da“ schlummern. Die Klarheit über all diese „Ist-Zustände“ ist die Fahrkarte für die Reise nach Italien.
Der Beginn einer Beziehung ist in Wirklichkeit der Beginn zweier Reisen, deiner Reise und der Reise deines Begleiters. Man geht zwar Schritt für Schritt den gleichen Weg und kommt so von einem „Ist-Zustand“ zum nächsten, doch jeder erlebt diesen Weg anders. Und dieses unterschiedliche Erleben führt meistens dazu, dass die Wege sich trennen, weshalb nur wenige gemeinsam Italien erreichen.
Dieses Buch ist nicht nur eine Lektion über „Ist-Zustände“, über die ewig neue Front und die Grabenkämpfe zwischen einem Ich und einem Du, sondern auch eine Landkarte, die begehbare Wege vom „Ist-Zustand“ zum „Soll-Zustand“ aufzeigt und uns auf die Brücken, Tunnel, Engpässe, Aussichtspunkte, Abgründe und Raststätten auf diesem Weg hinweist. Zwar gibt es unzählig viele Beziehungen und jede hat ihre individuelle Färbung, Dynamik und Entwicklung. Dennoch haben sie alle einiges gemeinsam und folgen gewissen Mustern. Wie wir im vorigen Kapitel erfahren haben, scheitern die meisten Beziehungen. Deshalb widmet sich dieses Buch dem Anliegen, die häufigsten Ursachen des Scheiterns von Beziehungen aufzudecken. Daraus ergeben sich gleichzeitig Hinweise darauf, wie man selbst zum Gelingen seiner Beziehungen beitragen kann. Konkret geht es um den ersten Fehler, den man bereits vor dem Anfang jeder Beziehung begeht, um den Zauber der Verliebtheit und ihre Tücken und den Einfluss, den unsere Einstellungen, Grundbedürfnisse und unsere Persönlichkeit auf unsere Beziehungen haben. Im Weiteren geht es darum, was überhaupt eine Beziehung ist, wie schicksalhaft Beziehungen sind, wie viel „Du“ ein „Ich“ verträgt, welche Rolle recht behalten wird, welche Rolle Wünsche und Hoffnungen und so weiter spielen und welche Beziehung zwischen Verstehen und Verständnis besteht. Schließlich werfen wir einen Blick auf die wichtigste Beziehung in unserem Leben. Im Verlauf dieses Buches wird immer wieder an konkreten Beispielen gezeigt, wie die erwähnten Themen einmal unmerklich, aber nachhaltig ihre Schatten auf unsere Beziehung werfen und wie sie ein andermal als Fackel unseren Weg zu einer erfüllten Beziehung erleuchten.
Auf den Punkt gebracht:
Jede Phase und jeder Augenblick in einer Beziehung vollzieht sich durch eine Auseinandersetzung zwischen einem Ich und einem Du. Aus diesem Augenblick, aus diesem „Ist-Zustand“ entsteht der nächste und daraus der nächste und so weiter. Erst das Erkennen dieser „Ist-Zustände“ ermöglicht es, die in ihnen verborgenen Defizite zu beheben und die vorhandenen Potentiale zu entfalten. Das ist der kürzeste, schönste und im Grunde vielleicht auch der einzige Weg nach Italien.
Das nächste Kapitel gibt die Antwort auf die Frage: Was ist der erste Fehler, der eine Beziehung beeinflusst, bevor sie überhaupt begonnen hat?