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EINLEITUNG

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Für die meisten Menschen ist es schwierig, sich in Autisten hineinzuversetzen oder ihnen Verständnis entgegenzubringen, weil sie einfach so anders sind als andere Menschen und doch keine offensichtliche Behinderung haben. Die meisten sind weder körperlich noch geistig behindert. Oft sind sie uns sogar in Teilbereichen weit überlegen. Sie leben sozusagen in Anderwelt.

Basti ist sehr intelligent, sodass er in Intelligenz-Tests (IQ-Test) in Teilbereichen über den messbaren Werten liegt und man nur schätzen kann. Man hat ihn schon vielen solcher Tests unterzogen, wohl in der Hoffnung, dass er seine Intelligenz eines Tages den Tests anpassen würde.

So musste Basti zum Beispiel ein Bild bewerten, auf dem ein Stuhl dargestellt war. Der Proband sollte erkennen und angeben, dass der Stuhl dreidimensional ist. Er war ja aber nicht dreidimensional, weil man unmöglich auf einem Blatt Papier mehr als zwei Dimensionen darstellen kann. Man kann lediglich eine falsche Wirkung oder eine optische Täuschung erzielen, deshalb ist das Bild aber immer noch zweidimensional und wird es auch so lange bleiben, bis man den Test zusammen mit dem Bild ins Feuer wirft.

Basti hat also festgestellt, dass der Sitz des Stuhles sich in eine Richtung verschmälert und zwei der Stuhlbeine kürzer und dünner sind als die anderen, wodurch er eine Bewertung von unter 60 bekam. Die Grenze von 60 war als sogenannte »Schwachsinnsgrenze« festgelegt. Sowohl in der Sprachbegabung als auch in der Mathematik lag er weit über der messbaren Obergrenze. Er wurde also bereits im Kindesalter als sprachbegabtes, schwachsinniges Mathegenie bewertet, das völlig normal ist und einen IQ von 100 hat. Ich nehme an, der Test selbst wurde nie auf Schwachsinn hin untersucht.

Basti hatte nie ungewöhnliche Verhaltensweisen, die nicht andere – normale – Menschen auch haben und der IQ-Test bestätigte seine Normalität. Alles prima, wenn da nicht »Anderwelt« wäre.

Der Unterschied zwischen Durchschnittsautisten und dem Rest der Durchschnittsmenschheit liegt wohl darin, dass der Autist die Umwelt völlig anders wahrnimmt als der Mensch, der noch durchschnittlicher ist. Ein Großteil der menschlichen Kommunikation läuft nicht über die Sprache ab, obwohl wir das meist denken. Aber das ist ein Irrtum. Der Großteil dessen, was wir den Menschen um uns herum mitteilen, geschieht über Gestik und Mimik, über Sprachmuster und zum Teil auch über andere Sinne, wie z. B. den Geruch. Es gibt viele wissenschaftliche Studien zu diesen Themen und oft vermag uns ein Pantomime mehr zu vermitteln, als der beste Nachrichtensprecher.

Stellen Sie sich doch bitte ein Gesicht vor, das zu lächeln beginnt. Zuerst zaghaft, dann immer mehr, bis das ganze Gesicht erstrahlt und mit Freude erfüllt ist. Am liebsten könnte man einen solchen Menschen doch umarmen und möchte gern in dessen Gesellschaft verweilen.

Nun nehmen wir dasselbe Gesicht, das ärgerlich die Stirn runzelt und dann langsam zur wutverzerrten Fratze wird. Alles in uns wird sich auf Abwehr stellen und wir werden die verschiedensten Reaktionen spüren wie Fluchtgedanke, Aggression oder Widerstand. Niemand möchte diese Person umarmen, obwohl sie immer noch die gleiche ist. Dabei hat die Person die ganze Zeit kein Wort gesprochen, aber wir haben wahrgenommen, was sie uns mitgeteilt hat.

Ein Autist erkennt das oft nicht. Gestik und Mimik sind für ihn wie eine Fremdsprache. Die meisten von uns würden es wohl verstehen, wenn ein Pantomime uns beibringen möchte, dass wir am Telefon zuerst die 3, dann die 5 und zuletzt die 2 wählen sollen. Wenn wir aber eine Bandansage abhören, die uns das Gleiche in Chinesisch erklärt, würden das die meisten von uns nicht verstehen, obwohl die Ansage auf Band sehr viel klarer und exakter ist, aber eben in einer für uns fremden Sprache. So geht es einem Autisten oft mit uns. Wir drücken uns in einer blumigen Sprache aus und benutzen auch noch Gestik und Mimik und der Autist fühlt sich wie in einem Gespräch mit einem Chinesen. In Anderwelt wird eine andere Sprache gefühlt und wahrgenommen.

Ich kenne einen Autisten, der ist verzweifelt aus dem Schulunterricht weggelaufen, weil der Lehrer die Bemerkung machte, die Schüler würden ihn auf die Palme bringen, dabei hatten sie den Lehrer nirgendwo hingebracht und es war auch nirgends eine Palme in der Nähe.

Die größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte basieren vielleicht sogar auf solchen Missverständnissen, weil wir nur Worte wahrnehmen, ohne denjenigen zu kennen, der dahinter steckt und so verstehen wir ihn dann völlig falsch. Ich denke da zum Beispiel an die Bibel. Viele lesen die Worte und haben sicher die ehrbare Absicht, alles zu beherzigen, was da steht. Doch wollen sie sich nie auf den Autoren einlassen, mit ihm reden, ihn in ihr Leben lassen und eine persönliche Beziehung zu ihm herstellen. So kam und kommt es immer wieder zu Glaubenskriegen und zu tiefen zwischenmenschlichen Verletzungen. Viele denken sich einen zornigen, distanzierten oder gelassenen Gott und vergessen, dass er Mensch wurde. Sie sehen nicht sein Lächeln, seine Tränen, seine Freude, seinen übergroßen Humor, seinen Schmerz und diese mächtige Liebe, die nicht gekommen ist, die Menschen in seiner Allmacht zu bevormunden, sondern zu heilen, zu umarmen und zu trösten. Sie lesen von Sünde in der Bibel und davon, dass Gott die Sünde hasst und übersehen dabei sein Lächeln, das die Sünder zu sich ruft und seine Liebe, die schwerer wiegt und stärker ist als alle Sünde der Welt.

Viele Christen lesen die Worte, beten in sich rein oder an die Zimmerdecke und kommen gar nicht auf die Idee, dass man sich auf Jesus einlassen kann, dass man einfach mit ihm reden kann, dass er neben uns steht, ob wir ihn wahrnehmen oder nicht; dann wollen sie gegen die Sünde kämpfen und lassen sich hinreißen und kämpfen auch gegen den Sünder, anstatt ihre eigene Sünde einfach Jesus zu bringen. Oder Gott wird ihnen egal und sie wollen nichts von dem wissen, der das alles zulässt. Manche fangen sogar an, gegen Gott zu kämpfen oder gegen dessen Kinderlein. Die Menschen scheinen die einzigen Hunde zu sein, die die Hand beißen, die sie streichelt und füttert.

So ungefähr ist mein Sohn. Er nimmt nur das wahr, was er hört und liest und denkt nicht daran, dass man es vielleicht gar nicht so meint, weil er unser Lächeln nicht wahrnimmt, so wie viele Menschen das Lächeln Gottes nicht wahrnehmen. Oder er merkt nicht, dass jemand traurig ist und verletzt diesen durch seine scheinbare Gleichgültigkeit. Wenn ihm jemand vom Tod eines geliebten Menschen berichtet und dabei sogar Tränen in den Augen hat, reagiert er genauso monoton, als wenn ihm mit freudestrahlendem Gesicht von einem Lottogewinn erzählt wird. Er nimmt es zur Kenntnis und fängt eventuell augenblicklich einen Monolog z. B. über die weltpolitische Lage im Allgemeinen und Barack Obama im Besondern an. Er denkt nur geradlinig, nimmt alles wörtlich und es darf keine Fehler oder Zweideutigkeiten geben.

Oft ist diese Merkwürdigkeit anstrengend und zehrt an den Nerven. Doch manchmal ist er wirklich amüsant und wirkt bisweilen bizarr und ungewöhnlich. Genau davon handelt meine Geschichte mit dem Jungen aus Anderwelt.

Bastis Welt

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