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TELEFON

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So ein schnurloses Telefon ist schon eine praktische Sache. Man kann es in jedem Zimmer benutzen und es auch mal mit in den Garten nehmen. Wenn ich bei der Arbeit bin oder Bastian einen Anruf erwartet, könnte er es mit in sein Zimmer nehmen. Also entschloss ich mich beim Einzug in das Haus meiner Eltern, mir ein Funktelefon zuzulegen. Leider waren damals die Funktelefone nicht ganz billig. Bei der Telekom informierte man mich darüber, dass es ungefähr 250 D-Mark kosten sollte. Da mir dies zu teuer war, mietete ich das Telefon. Das hatte zudem den Vorteil, dass das Telefon auf Kosten der Telekom durch ein neues ersetzt werden würde, falls es kaputtgehen sollte.

So benutzten wir lange Zeit das Funkgerät. Im Radio und Fernsehen wurde in der Zeit immer wieder über die Lockerung des Datenschutzes und die Lauschangriffe von Seiten der Regierung berichtet. Mich interessierte das nicht sonderlich, da ich keine Gespräche führte, welche die Regierung nicht mithören durfte.

Basti verfolgte diese Nachrichten, wie auch alle anderen, täglich mit Spannung und erboste sich darüber, dass die Bundesagenten so viele Rechte haben. Doch solange wir keine Anschläge planten, keine Waffen oder Drogen handelten und uns an die Gesetze hielten, würden wir die Regierung sicher nicht besonders interessieren. Wir redeten in der Zeit viel über die Lauschangriffe und Basti fühlte sich nicht mehr sicher beim Telefonieren. Ständig glaubte er sich beobachtet und abgehört.

Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, wartete Bastian bereits auf mich.

»Das Telefon geht nicht mehr.«

Natürlich wollte ich es sofort ausprobieren und nahm den Hörer ans Ohr. Doch anstatt des Freizeichens, vernahm ich nur ein hässliches Knacken und Rauschen in der Leitung. Ich war sehr verärgert, hatte es mir der Herr von der Telekom doch so sehr angepriesen und nun war das Telefon noch keine zwei Jahre alt und sollte schon kaputt sein?

Für Basti war das Telefon meist der einzige Kontakt zu anderen Menschen und ich musste schnell für Ersatz sorgen. Zum Glück hatten wir noch unser altes Telefon, das ich gleich anschloss und damit eine Notlösung schuf.

Sobald es mir meine Zeit in den nächsten Tagen erlaubte, wollte ich mich zur Telekom aufmachen, um das Telefon zu reklamieren. Wozu hatte ich schließlich den Mietvertrag?!

Eines Tages packte ich den gesamten Apparat in eine Stofftasche und machte mich auf zur Telekom. Verärgert erklärte ich dem zuständigen Verkäufer die Sachlage. Er testete das Telefon durch und ersetzte es tatsächlich, wie vereinbart, durch ein neues, als er sich überzeugt hatte, dass es wirklich nicht mehr funktionierte.

Zu Hause angekommen, schloss ich es gleich an und wir hatten ein neues Funktelefon. Leider waren durch den Austausch die gespeicherten Nummern verloren gegangen und ich war ein wenig verstimmt darüber, dass ich nun alle Nummern noch mal heraussuchen und neu einspeichern musste.

»Das Telefon ist kaputt.« Basti brüllte mir die Worte wenige Wochen später ins Ohr, als ich auf der Arbeit nach dem Klingeln den Telefonhörer abgenommen hatte.

»Wie kaputt? Du rufst mich doch an, also geht es doch.«

»Ich benutze ja auch der Oma ihr Telefon. Unseres ist kaputt, dieses SCHEISSDING!«

Oh Mann, war das vielleicht laut. Vor lauter Gebrüll konnte ich ihn kaum verstehen. Ich konnte nur versuchen, mit ihm ein normales Gespräch zu führen: »Geht es denn gar nicht mehr? Wie konnte das passieren?«

Anstatt eine sinnvolle Antwort von sich zu geben, wurde Bastians Tonfall noch eine Spur lauter: »Hörst du schlecht? ES IST KAPUTT, dieses Scheißding! Die von der Telekom gehören alle vergast, jawoll, eine Bombe sollte man da reinwerfen!!!«

»Aber, Bastian, beruhige dich doch endlich mal und schrei nicht so, ich versteh dich ja kaum.«

Doch der Junge war so aufgebracht, es war sinnlos, ihm ein vernünftiges Wort entlocken zu wollen: »Anzünden sollte man den Scheißladen. Eine Atombombe …«

Rasch fiel ich ihm ins Wort und versuchte es mit Humor: »Die Atombomben sind mir ausgegangen. Tut es auch eine einfache Handgranate?«

Endlich wurde er ruhiger. »Wie soll ich jetzt mit meinen Schachfreunden telefonieren? Hä? Wenn dieses Scheißdreckstelefon schon wieder kaputt ist?«

»Jetzt warte erst mal, bis ich zu Hause bin, dann schau ich mal nach.«

»Du brauchst gar nicht nachsehen, das Scheißtelefon ist kaputt, da gibt es nichts nachzusehen, das bekommst du auch nicht wieder hin. Wir brauchen ein neues, aber nicht wieder so ein Drecksding, das immer kaputtgeht.«

»Also gut«, gab ich mich geschlagen, »ich fahr gleich heute Nachmittag zur Telekom und hol ein neues. Und sag nicht immer ›Scheiße‹!«

»Ist gut, dann bis heute Mittag.« Bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte er aufgelegt.

Zuhause angekommen stürmte ich gleich in unsere Wohnung hoch.

»Wo ist das Telefon?« Suchend schaute ich mich um, ich konnte es nirgends finden. Auch Basti verhielt sich merkwürdig still.

»Basti!« Ich versuchte es vor seiner Zimmertür.

»Ja, komm rein, was ist los?«

Ich betrat sein Zimmer. Er saß mit dem Rücken zu mir am Computer und spielte ein PC-Spiel.

»Wo ist das Telefon?«

»Das Drecksding habe ich aus dem Fenster geworfen.« OH-neiiin, das waren zwei Stockwerke. »Warum das denn?«

»Weil dieses Scheißding nur Ärger macht.«

»Wie konntest du es nur aus dem Fenster werfen? Ich wollte es doch zur Telekom bringen.«

»Ganz einfach, ich habe das Fenster aufgemacht und das Telefon hinausgeworfen.«

Hätte ich mir ja auch denken können. Ich hatte wohl mal wieder die falsche Frage gestellt. »Dann hol es wieder hoch.« Ich versuchte, wenigstens ein wenig Autorität erkennen zu lassen, doch vergeblich.

»Hol es gefälligst selbst hoch. Ich rühr das Scheißdreckstelefon nicht mehr an.« Seine Stimme hatte sich schon wieder gehoben und ich sah zu, dass ich in den Garten kam, bevor die Hasstirade auf die Telekom wieder losging.

Da lagen sie also, die traurigen Überreste eines fast neuen Telefons. Ich packte die Einzelteile in eine Tasche und machte mich wieder auf zur Telekom. Diesmal war es mit dem Umtausch nicht so einfach. Der Verkäufer konnte zwar, ohne das Telefon zu testen, erkennen, dass es kaputt war, aber dass dies ein Mangel von Seiten des Herstellers war, konnte ich schlecht nachweisen. Leider hatte ich den Mietvertrag über drei Jahre abgeschlossen und so konnte ich nur wieder ein identisches Telefon mitnehmen – für 250 D-Mark. Schweren Herzens bezahlte ich und brachte den neuen Apparat mit gemischten Gefühlen nach Hause.

»Basti!«, rief ich gleich, nachdem ich die Wohnung betreten hatte, »wenn das Telefon das nächste Mal kaputt ist, dann wirf es bitte nicht wieder in den Garten.« In der Hoffnung, er habe mich verstanden, schloss ich das Gerät an, suchte unsere wichtigsten Rufnummern wieder heraus und programmierte es neu. Ich konnte nur hoffen, dass das Telefon diesmal länger halten würde.

Das Telefon funktionierte einwandfrei. Tage und Wochen vergingen, es lagen keine Beanstandungen vor und ich vergaß den Ärger mit dem Funkgerät langsam wieder. Vielleicht hatten wir ja wirklich das Pech gehabt, zweimal hintereinander einen mangelhaften Apparat zu erhalten.

Bis ich an einem Mittwoch von der Arbeit nach Hause kam. Bereits auf einer der unteren Treppenstufen hörte ich ein verdächtiges Knirschen unter meinen Schuhen. Ich war auf ein schwarzes Plastikteil getreten. Mir schwante nichts Gutes. Ein paar Treppenstufen weiter lag noch ein Stückchen Plastik, eine Batterie war dazwischen gekullert. Oje, das Telefon schien schon wieder kaputt zu sein. Aber vielleicht konnte man es ja wieder reparieren. Doch als ich dann das Gewirr aus Plastik und Kabeln auf dem Treppenabsatz sah, gab ich diese Hoffnung gleich wieder auf.

Langsam ging nun meine Geduld zu Ende.

»Basti!?« Ja, ich kann auch laut werden. »Basti!!!«

»Ja, was ist denn los?« Verschlafen kam er aus seinem Zimmer.

»Waaaaas ist mit dem Telefon passiert?«

»Das habe ich die Treppe runtergeworfen.« Die Rollen schienen sich vertauscht zu haben, ich schrie und Basti antwortete so ruhig, als würde es ihn gar nichts angehen. »Sonst noch was?«, fragte er und wollte sich schon wieder umdrehen, um in sein Bett zurückzugehen.

»Bleib gefälligst da!« Mühsam und hin- und hergerissen vom Bedürfnis nach Schlaf – nachmittags um 13.30 Uhr – und gehorsam mir gegenüber, drehte er sich wieder zu mir um. »Was ist denn los?« Seine Stimme klang so unschuldig und unbeteiligt, ich hätte ihn schütteln mögen.

»Was los ist, willst du wissen? Das Telefon ist kaputt. Und diesmal richtig. Warum hast du es die Treppe runtergeworfen?«

»Mama, deine Stimme klingt so gereizt.«

Hörte er mir überhaupt zu? Ich musste wohl erst noch lauter werden: »Meine Stimme klingt nicht nur gereizt, ICH BIN GEREIZT!«

»Dann setz dich hin und ruh dich erst mal aus.« Er wollte sich wegdrehen, um in seinem Zimmer zu verschwinden.

»Ich will jetzt SOFORT wissen, warum du das Telefon die Treppe hinuntergeworfen hast!«

»Du hast selbst gesagt, dass ich das Telefon nicht aus dem Fenster werfen soll.«

»Damit habe ich aber NICHT gemeint, dass du es die Treppe runterwerfen darfst.«

»Wo soll ich es denn dann hinwerfen?«

Verstand er eigentlich, wovon ich redete? Drückte ich mich etwa missverständlich aus? »Du sollst es nirgends hinwerfen. Hast du mich verstanden? Warum hast du das getan?«

Nun begann auch er zu schreien: »Diese Scheißdrecksding nervt nur! Die von der Telekom gehören alle vergast! Und die von der Regierung auch! Die stecken alle unter einer Decke!!!«

»Willst du damit etwa sagen, die Regierung sei schuld? Hat etwa die Regierung unser Telefon die Treppe runtergeworfen? Oder die Telekom? Ich will jetzt SOFORT wissen, warum du das Telefon kaputt gemacht hast!«

»Dieses Ding nervt nur. Daran ist nur die Regierung schuld. Die stecken mit der Telekom doch unter einer Decke. Atombomben sollte man da reinwerfen! JA! Vernichten sollte man sie alle! Diese Drecksamerikaner, die fangen auch immer nur Krieg an! Die wollen uns alle vernichten!« Seine Stimme war immer lauter geworden und sein Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen.

Ich hatte langsam genug. »Jetzt kann ich schon wieder ein neues Telefon kaufen. Zweihundertfünfzig Mark hat das gekostet. Ich nehme das von deinem Sparbuch. Geh in dein Zimmer.« Diesmal hatte ich ihn getroffen.

»Ich brauche kein neues Telefon. Lass mein Sparbuch in Ruhe. Dieses Dreckstelefon ist eh ein Scheiß!« Damit verschwand er in seinem Zimmer und knallte laut die Tür hinter sich zu.

Ich schloss unser altes Kabeltelefon wieder an und wartete ein paar Tage ab. Meine Wut verrauchte nur langsam und immer, wenn ich das alte hässliche Ding benutzte, kochte der Zorn wieder hoch. Was war nur los mit Bastian? Ich konnte mir keinen Reim auf seine Zerstörungswut machen. Hatte er auch die ersten beiden Male das Telefon zerstört? Lag es etwa gar nicht an dem defekten Apparat? Hatte Basti nur mal wieder seine Wut an etwas auslassen müssen? Warum aber am Telefon?

Es nutzte alles nichts. Meine Fragen blieben unbeantwortet. Aus Basti war kein Wort zu seinem sinnlosen Zorn herauszubekommen. Ich musste wohl wieder zur Telekom gehen und die Einzelteile gegen ein komplettes Fernsprechgerät austauschen.

Schweren Herzens und voller Scham machte ich mich Tage später auf den Weg. Das Geld hatte ich tatsächlich von Bastis Sparbuch genommen. Es sollte ihm eine Lehre sein.

Zum Glück bediente mich bei der Telekom ein anderer Sachbearbeiter. So musste ich wenigstens nicht erklären, warum ich schon wieder da war. Der Mann war, wie auch sein Vorgänger, sehr freundlich und hilfsbereit, aber den neuen Apparat musste ich dennoch bezahlen. Weitere zweihundertfünfzig Mark wechselten den Besitzer. Diesmal speicherte ich gar nicht erst alle Nummern neu ein, wer weiß, wie lange das Telefon heil bleiben würde.

Ein neues Jahr begann. Die gute Deutsche Mark wurde in Euro umgewechselt und die Preise halbierten sich, auch die Preise für neue Telefone. Tolle Sache – doch die Löhne wurden auch halbiert und so blieb im Grunde alles beim Alten, nicht nur der Preis sondern auch der Verschleiß meiner Telefone. Vermutlich war mein Sohn heimlich mit einem Projekt beschäftigt, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Telekom zu sanieren – mit meinen Einkäufen!

Bastian hatte endlich begriffen, dass man Telefone nicht herumwirft, deshalb trampelte er das nächste Mal darauf herum. Nachdem wir mit der Zeit alle Möglichkeiten der Telefonzerstörung durch hatten, machte er sich daran, die Stabilität der Ladestation zu testen und – keiner hätte es vermutet – Ladestationen halten der Wut von Heranwachsenden auch nicht stand. Allerdings war sie nicht ganz kaputt, die Funkvorrichtung funktionierte noch, deshalb brauchte ich nur eine neue Ladevorrichtung und die war billiger als ein Telefon. Das sollte nun allerdings nicht bedeuten, dass ich darüber glücklicher war.

Eines Tages hatte ich Urlaub und war zu Hause. Viele Bekannte nutzten die Gelegenheit, mal wieder mit mir zu telefonieren und ich genoss es, dass mein Telefon mal nicht kaputt war. Zwischendurch kam auch ein Anruf, bei dem sich jemand verwählt hatte, der das große Elektrofachgeschäft in unserem Ort haben wollte.

Nachdem wenige Tage meines Urlaubs verstrichen waren, telefonierte ich mit Jana, meiner Freundin, die auch einen autistischen Sohn hat.

Da wir endlich mal wieder wirklich ausgiebig Zeit zum Telefonieren hatten, kamen wir irgendwann auch auf die Zerbrechlichkeit der modernen Kommunikationsapparate zu sprechen. Jana hatte es schon immer verstanden, durch gezielte Fragen den Dingen auf die Spur zu kommen. Sie war schon so etwas wie eine Fachfrau zum Thema »Autismus« – wie wohl viele Mütter mit einem autistischen Kind. Doch oft sieht man bei anderen die Dinge klarer, weil man objektiver sein kann.

Auf jeden Fall war Jana schon oft ein Segen für mich, so auch diesmal.

»Erinnere dich, hast du in letzter Zeit bedrohliche Anrufe erhalten?«

Ich erinnerte mich noch gut an das schlechte Gefühl, ein paar Jahre zuvor, als ich in den frühen Morgenstunden einen wirklich perversen Anruf bekommen hatte, und dass ich das gar nicht so gleichmütig nehmen konnte, wie ich immer geglaubt hatte, wenn ich so etwas im Fernsehen sah. Aber das war damals ein einmaliges Erlebnis gewesen und so verneinte ich Janas Frage.

»Waren sonst irgendwelche ungewöhnlichen Anrufe?«

Konzentriert dachte ich nach, konnte mich aber nicht erinnern. Ich dachte natürlich an solche Dinge wie Rauschen in der Leitung, hohe Pfeiftöne, unbekannte Tonsignale … kleine grüne Wesen mit Antennen auf den Köpfen … Dabei entschloss ich mich dann, vielleicht doch nicht so oft Mystery-Serien zu sehen.

»N … n … nein«, ich zögerte ein wenig, wer weiß schon, wie Aliens wirklich klingen?

»Hat sich vielleicht jemand verwählt?«

»Ja, aber was hat das damit zu tun?«

»Erzähl mal davon!«

Ich verstand nicht, worauf sie raus wollte. Ich hatte Jana aber als eine besonnene Frau kennengelernt und wusste, dass ihre Fragen einen bestimmten Zweck erfüllen sollten. »Na ja, gerade vor ein paar Tagen hat jemand angerufen und wollte mit der Computerabteilung verbunden werden. Ich dachte zuerst an einen Scherz, den ein Freund von Basti sich mit uns erlaubt, aber der Anrufer wollte wirklich die Computerabteilung vom Elektrogeschäft und nicht meinen computerverrückten Sohn.«

»Und?«

»Nichts ›und‹. Ich hab demjenigen erklärt, dass es sich um ein Missverständnis handelt und er hat sich entschuldigt und aufgelegt.«

»Sag mal«, Jana gab immer noch keine Ruhe, »hast du ein Telefonbuch griffbereit?« Ich ging zur Schublade und nahm das Telefonbuch zur Hand, da hörte ich schon Janas ruhige Stimme wieder: »Schau doch mal nach, was das Geschäft für eine Nummer hat.«

Ich schlug die entsprechende Seite auf und musste nicht lange suchen, denn der Fachhandel hatte eine halbe Seite des Telefonbuches belegt – in Großdruck. Ich starrte erstaunt auf die Anzeige. »Die haben ja genau die gleiche Nummer wie wir. Da ist nur eine 9 vor der Nummer.«

Langsam begriff ich, worauf Jana hinauswollte, da stellte sie auch schon beharrlich die nächste Frage: »Der Falschwähler kürzlich bei dir wird ja wohl nicht der einzige gewesen sein. Du kennst doch deinen Sohn – was passiert, wenn er so einen Anruf bekommt?«

Diesbezüglich konnte ich meinen Sohn wirklich genau einschätzen. Dieses Elektrogeschäft war eins seiner Lieblingsgeschäfte. Man bekam dort alles und was man nicht bekam, bestellten die freundlichen Verkäufer sofort und informierten einen sogar telefonisch, wenn der Artikel geliefert wurde. Zudem behandelten sie dort meinen Sohn höflich und mit Respekt, was nicht überall selbstverständlich ist. Es war eins der wenigen Geschäfte, in die mein Sohn ohne Begleitung ging, weil er sich dort wohl und sicher fühlte. So konnte ich also Janas Frage sehr überzeugt beantworten: »Er würde dem Anrufer höflich erklären, dass er sich verwählt hat und ihm vielleicht sogar die richtige Nummer raussuchen.«

»Und was passiert, wenn der Anrufer gar nicht nachfragt, sondern sofort seinen Irrtum bemerkt und einfach auflegt?«

Endlich begriff ich. Es war so einfach, ich Esel …

»Er würde Panik bekommen …«

»… und in der Panik bekommt er Wutanfälle und das äußert sich dann in Zerstörungswut …«

»… und dann macht er das Telefon kaputt.«

Gemeinsam hatten wir das Szenario zu Ende gesponnen und es war mir, als hätte man mir eine Decke von den Augen gezogen.

Wieder einmal war ich Jana sehr dankbar wegen der Besonnenheit, die sie an den Tag legte und ihrer ruhigen Art, meine Probleme anzugehen. Das sagte ich ihr und auch, wie gut es mir jedes Mal tut, mit jemandem zu reden, der nicht gleich mir die Schuld gibt oder meinen Sohn als bösen Jungen hinstellt, der gewalttätig und gemeingefährlich wirkt.

Wir redeten noch ein wenig über die Denkweisen der Menschen im Allgemeinen und Autisten im Besonderen und beendeten das Gespräch mit dem guten Gefühl, in der jeweils anderen eine Freundin gefunden zu haben, die einen auch mal in die Tiefen der menschlichen Psyche hinein begleitet.

Jana hatte sich schon oft als treue Freundin erwiesen und der Kontakt zu ihr stellte für mich eine der größten Erhörungen meiner Gebete dar, seit ich Christ geworden war, und als lebendiger Beweis für das Handeln Gottes in meinem Leben.

Ich hatte Jana tatsächlich kennengelernt, nachdem ich Christ geworden war und angefangen hatte zu beten, dass der Herr mir einen Menschen zur Seite stellt, der mir nicht nur hilft, sondern mich auch wirklich versteht. Eigentlich hatte ich bei diesen Gebeten an einen Mann gedacht, doch meist weiß der Schöpfer der Welt sehr viel besser als wir, was wirklich gut für uns ist, wenn wir unsere Angelegenheiten vertrauensvoll in Seine Hände legen. Und so hat Er mir in Jana nicht nur einen Menschen geschenkt, der mich versteht und mir hilft, sondern zudem noch ein Christ ist, und selbst Mutter eines Autisten. Wenn man nun bedenkt, dass es in Deutschland maximal fünf Prozent Christen gibt, bei denen Jesus Christus wirklich die Regie im Leben führt, und wenn man dann noch bedenkt, wie verschwindend gering der Prozentsatz der Mütter von Autisten in der deutschen Bevölkerung ist, von denen auch noch die wenigsten sich mit den verschiedenen Formen des Autismus beschäftigen und ihre Kinder fördern und betreuen, dann kann man vielleicht das Ausmaß des Wunders ermessen, das Jana für mein Leben darstellt.

Ich ließ mir unser Gespräch noch etwas durch den Kopf gehen und wartete einen Zeitpunkt ab, an dem keine seiner Lieblingssendungen im Fernsehen liefen und auch sonst keine wichtigen Dinge anstanden, die ihm durch den Kopf gehen konnten, bevor ich Basti darauf ansprach: »Basti, ich möchte dich mal was fragen.«

»Dann frag schon.« Er schlug bewusst einen gelangweilten Tonfall an, aber ich wusste, wie sehr er Fragen und die Beantwortung von Fragen liebt.

»Hat hin und wieder schon mal jemand bei dir fürs Elektroland angerufen?«

»Ja«, an seinem Eifer bemerkte ich, wie gern er sich mir nun mitteilen wollte, ich hatte also den richtigen Zeitpunkt für das Gespräch erwischt, »stell dir vor, die haben doch wirklich gedacht, wir wären das Elektroland.«

»Was hast du dann getan?«

»Na was schon?« Ich meinte ein klein wenig Stolz in seiner monotonen Stimme zu vernehmen. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich wohl verwählt haben und ihnen die richtige Nummer gegeben.«

»Wo hattest du die denn her?«

»Ich musste doch damals, als ich wegen des PC-Spiels fragen wollte, selbst dort anrufen und seitdem weiß ich die Nummer. Stell dir vor«, nun hatte seine Stimme sogar einen leicht belustigten Unterton, »die haben fast die gleiche Nummer wie wir, nur mit einer Neun davor.«

Er schien wirklich gerade mitteilungsbereit und gut aufgelegt, deshalb wagte ich mich gleich weiter vor: »Sag mal, hat auch hin und wieder mal jemand einfach aufgelegt, wenn du dich gemeldet hast?«

Sofort verwandelte sich seine bisher so freundliche Stimme in ein schrill-zorniges Aufbrausen: »Diese Drecksäcke«, keifte er wütend, »diese Drecks-Amis mit ihren Lauschangriffen!!!« Seine Stimme wurde immer lauter, sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske der Wut und sein Kopf wurde knallrot. »Die haben nicht aufgelegt. Die haben sich nur nicht gemeldet und im Hörer geknackt, damit ich meine, sie hätten aufgelegt. Aber ich bin ja nicht blöd. Diese Schweine denken wohl, dass ich auf den Trick reinfalle, aber die wollen mich nur ausspionieren. Und ihr Drecks-Christen steckt mit ihnen unter einer Decke.« Dabei spie er jede Silbe einzeln heraus. Sein ganzer Körper war nun gespannt, sein Oberkörper wie zum Angriff leicht nach vorne gebeugt und seine Hände zu Fäusten geballt. Er war nun in Rage und ließ sich nicht mehr bremsen. Feindbild Nummer zwei – gleich nach den Amerikanern – waren zu der Zeit gläubige Christen.

Ich vermute, er hätte liebend gern mit handlich kleinen Atombömbchen nach mir geworfen, wenn ich ihn nicht wöchentlich mit Nudeln, Milch und all den anderen Dingen versorgen würde, die er mir aufträgt. Ganz zu schweigen von seinem Taschengeld.

»Hast du gesehen, was DEIN Drecks-Bush im Irak wieder macht?« Natürlich war er »MEIN Drecks-Bush«, immerhin ist er Mitglied derselben Kirche, der auch ich angehöre, was mich allerdings zu keinem Zeitpunkt stolz gemacht hat.

Ich war jetzt nicht in der Stimmung, mich über die Weltpolitik zu unterhalten, immerhin hatte er mir schon oft genug klargemacht, dass ich und meine Kirche schuld seien an der weltpolitischen Lage und dass man es nur der Schachelite zu verdanken hätte, wenn die Welt noch nicht völlig zerstört worden ist.

Ich unterbrach also seine Ausführungen und versuchte, mir Gehör zu verschaffen, indem ich nun auch meine Stimme erhob: »Und was hast du mit dem Telefon gemacht, als Bush versucht hat, dich abzuhören?«

»Das war nicht nur Bush …«, seine Stimme fing an sich zu überschlagen und sein Gesicht hatte eine ungesunde lila-rote Farbe angenommen, »unsere Drecksregierung steckt doch mit denen unter einer Decke und du …«, ich wich geschickt dem Zeigefinger aus, der plötzlich mit Wucht auf mich zuschoss, »… hast diese Schweine auch noch gewählt.«

»Ich habe gar nicht …«, wollte ich mich verteidigen, doch seine violett-rote Wut ließ keine andere Stimme zu.

»Jawohl, mit deiner Dreckskirche, IHR …« Diesmal war ich nicht schnell genug und der Zeigefinger traf meine linke Schulter »… IHR, IIIIHHHHHR seid doch alle für diesen Bush mit seiner Drecksregierung und IHR seid auch schuld, dass unser Telefon kaputt ist, anders kann man sich als anständiger Bürger ja schließlich nicht wehren.« Beim letzten Satz hatte er sich umgedreht und mit einem zornigen Knall die Tür hinter sich zugeworfen.

Ich wusste Bescheid. Das Telefonmysterium war endlich geklärt und ich atmete erst mal erleichtert die Luft aus, die ich seit der Zeigefingerattacke unbewusst angehalten hatte.

Am nächsten Tag marschierte ich dann zum hoffentlich letzten Mal zur Telekom. Der Berater war sehr freundlich zu mir und schien sich auch noch gut an mich zu erinnern. Kein Wunder, ich hatte den Laden wohl schon allein mit der Anzahl meiner Telefone saniert und ihm den Arbeitsplatz erhalten.

Ich erklärte ihm die Situation und bat ihn um eine neue Nummer. Ich muss sagen, die Telekom ist wesentlich besser als ihr Ruf, denn ich erhielt bereits am nächsten Tag eine Geheimnummer, die Lauschangriffe von Seiten der Elektrofachgeschäftskunden hörten auf und das Telefon ging nie wieder auf mysteriöse Weise kaputt.

Bastis Welt

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