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SCHACH MATT!
ОглавлениеEines Tages entdeckte Basti durch einen Bekannten seine Leidenschaft für das Schachspiel. Er war damals gerade sechs Jahre alt und wollte in seiner Freizeit am liebsten nur noch Schach spielen.
Ich hatte das Schachspiel mit ihm zusammen erlernt und meinte, noch nicht mal ganz schlecht zu spielen, doch bald schon konnte ich mit meinem Dreikäsehoch nicht mehr mithalten.
Also suchte ich nach einem Verein. Da jeder Verein sich bei seiner Gründung im Handelsregister beim Amtsgericht eintragen muss, rief ich dort an, um mich zu erkundigen. Ich erfuhr so nicht nur, dass es einen Schachklub in Heidenheim gibt sondern auch den Namen, die Adresse und Telefonnummer des Vorstands, Herr Lay, und rief gleich dort an. Dieser teilte mir mit, dass jeden Freitagabend Trainingsstunden für Kinder und Jugendliche in einer renommierten Gaststätte unserer Stadt stattfinden.
Ich ging mit Basti zusammen zu seinem ersten Trainingsabend und bereits nach diesem ersten Abend war klar, dass Basti von nun an regelmäßig den Verein besuchen wollte. Herr Lay gab mir allerdings den Rat, ihn vorerst noch nicht anzumelden, sondern abzuwarten, ob er es sich vielleicht doch noch anders überlegt, es könne sich ja bei seiner neuentdeckten Liebe zu dieser Kampfsportart mit der geringsten Verletzungsgefahr auch nur um ein kurzzeitiges Interesse handeln.
Als er dann jedoch als Gastspieler bereits kurze Zeit später die Vereinsmeisterschaft gewann, musste ich ihn anmelden, damit er an der Kreismeisterschaft teilnehmen durfte. Er gewann nicht nur diese ungeschlagen, sondern auch die Bezirksmeisterschaft. In den kommenden Jahren gewann Bastian beständig und qualifizierte sich mehrfach zu den Landesmeisterschaften.
In seinem zweiten Jahr als Mitglied fand die Bezirksmeisterschaft in einer Jugendherberge statt. Die Kinder und Jugendlichen übernachteten dort auch, weil diese Schachmeisterschaft über zwei Tage andauerte.
Herr Lay erzählte mir einige Tage später, was sich in dieser Nacht zugetragen hatte. Die Kinder schliefen meist in Vierbettzimmern, so auch Basti. Um 20 Uhr sollten alle zu Bett gehen, sie durften sich noch unterhalten oder lesen und ab 21 Uhr war Bettruhe vorgesehen. Diese Regelung wurde den Kindern bereits zu Beginn des Turniers mitgeteilt.
Wie bei Kindern so üblich, hielten sich die meisten nicht an diese Anordnung. So herrschte bis nach 22 Uhr ein Lärmen und Kichern in den Schlafräumen und den Gängen der Herberge.
Nicht so in Bastis Zimmer. Pünktlich auf die Minute um 21 Uhr sorgte Basti für Ruhe. Er stand auf, löschte das Licht, legte sich wieder ins Bett und befahl den Zimmergenossen: »Es ist nun 21 Uhr, jetzt wird geschlafen.«
Da Basti durch seine Spielstärke und Souveränität ein gewisses Ansehen bei den Kindern gewonnen hatte, akzeptierten sie ihn sofort als Autoritätsperson und waren auf der Stelle mucksmäuschenstill, trotz des Lärms, der aus Flur und Zimmern der anderen Kinder zu vernehmen war.
Am Sonntag, dem zweiten und letzten Spieltag, fuhr ich nach der Kirche zu der Jugendherberge, um mir die letzten Spiele anzuschauen und Basti dann mit nach Hause zu nehmen. Ich mag die Atmosphäre eines Schachturniers sehr. Meist herrscht absolute Stille. Es ist noch nicht mal ein »Schach« zu hören, wenn ein gegnerischer König bedroht wird, wie das oft so in Filmen dargestellt wird. Ein Spieler weiß meist, wenn sein König angegriffen wird, auch ohne, dass es ihm gesagt wird. Übersieht er das dennoch einmal, was sehr selten vorkommt, und möchte einen anderen Zug machen, der den König in der Bedrohung stehen lässt, sagt der Angreifer: »Unmöglicher Zug.«
Ist eine Partie beendet, geben sich die beiden Spieler die Hand, um zum einen dem Gewinner zu gratulieren und zum anderen gegenseitigen Respekt auszudrücken.
Die meisten Anwesenden, auch Basti und ich, wurden beim vorletzten Spiel Zeugen einer etwas beängstigenden Szene.
Bereits bei so jungen Spielern war es nicht ungewöhnlich, dass ihnen persönliche Trainer zur Seite standen. So auch bei einem Jungen, der in derselben Altersstufe spielte wie Basti. Der Junge machte im Laufe seines vorletzten Spiels einen gravierenden Fehler und verlor diese Partie. Eigentlich nicht schlimm in einer so niederen Altersgruppe und selbst Schachgroßmeister machen Fehler. Der Junge war am Boden zerstört. Doch anstatt ihn zu trösten, kochte sein Trainer vor Wut und fing an, den Spieler aufs Übelste zu beschimpfen, was in etwa so klang: »Du bist doch zu blöd zum Schachspielen mit deinem Spatzenhirn. So einen Fehler macht doch noch nicht mal ein Anfänger. Schalt gefälligst in Zukunft dein Gehirn ein! Aus dir wird nie ein guter Schachspieler!«
Alle Anwesenden hatten diese Szene mitbekommen, aber keiner wagte es, dem wütenden Trainer ins Wort zu fallen. Der Junge, der nun im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand, hatte einen knallroten Kopf bekommen und Tränen standen ihm in den Augen.
Kein Wort fiel, die Köpfe der anderen Spieler senkten sich wieder und die Spiele gingen ruhig weiter.
Ich hatte schon zu Beginn des Wutanfalls des Trainers meinen Sohn beobachtet, doch er zuckte mit keiner Wimper, blieb über sein Schachspiel gebeugt und es war unmöglich zu beurteilen, ob er diese Szene überhaupt mitbekommen hatte, obwohl er ja in unmittelbarer Nähe saß. Basti ging in seiner Altersgruppe als Sieger hervor und verteidigte so seinen Titel als Bezirksmeister.
Als die Spiele beendet waren, erfolgte nach einer kurzen Pause die Siegerehrung im Eingangsbereich der Jugendherberge. Alle Spieler waren versammelt, dazu viele Elternteile und einige Trainer, und wurden Zeugen, als Basti und die anderen Sieger ihre Medaillen und Urkunden entgegennahmen.
Ein Zeitungsreporter war gekommen und schoss einige Fotos. Damit war das Turnier offiziell beendet.
Es war immer noch relativ ruhig in der Aula, als Bastis Stimme zu vernehmen war, der sich dem cholerischen Trainer zugewandt hatte: »Ich fordere Sie zu einer Partie Schach heraus.« Dabei hatte er ruhig und sachlich gesprochen, fast schon ein wenig beiläufig.
Der Trainer nahm die Herausforderung an und schnell wurden ein Tisch und zwei Stühle in die Aula getragen und ein Schachbrett aufgebaut. Basti und sein Kontrahent setzten sich. Im Saal herrschte vollkommene Ruhe, trotz der vielen Menschen, die sich um den Tisch und die beiden Spieler versammelt hatten.
Es dauerte nicht sehr lange, da hatte Basti den Trainer matt gesetzt. Der Trainer streckte Basti dem Ritual zufolge die rechte Hand entgegen, welche Basti ergriff. Immer noch herrschte Stille, als der Trainer anfing zu sprechen: »Ich habe dich unterschätzt und erbitte eine Revanche.«
Basti antwortete in ebenso ruhigem Ton: »Gewährt.«
Schnell stellten die beiden ihre Figuren wieder auf und eine zweite Partie begann.
Man hätte eine Wanze husten hören können, so still war es auch diesmal im Saal, als sich alle Augenpaare auf das Schachbrett richteten, um den beiden ungleichen Spielern ein zweites Mal zuzusehen.
Auch diesmal verging nicht allzu viel Zeit, da hatte Basti die Partie gewonnen. Das Gesicht des Trainers war purpurrot angelaufen, ob vor Wut oder Scham war nicht auszumachen. Dennoch erhob er sich wieder von seinem Platz und bot Basti die Hand an. Immer noch hatten der gestandene Mann und der kleine Junge die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden.
Bastian stand nun ebenfalls auf, ganz ruhig, als hätte Zeit keine Bedeutung in seinem Leben. Er ignorierte die dargebotene Hand des Gegenübers, sah ihm gelassen in die Augen und sagte in belanglosem, aber festem Ton: »Sie können gar nicht Schach spielen.«
Damit drehte er sich um und ließ den Mann, der seine Rechte langsam sinken ließ, einfach stehen.
Es folgte ein weiterer Moment völliger Geräuschlosigkeit, dann brandete tosender Applaus auf, der anhielt, bis der Trainer das Gebäude verlassen hatte.
Basti hatte in jeglicher Hinsicht gewonnen: Das Spiel und die Hochachtung der Umstehenden.
Ich war sehr stolz auf meinen geliebten Jungen, der diesen Choleriker souverän in seine Schranken verwiesen hatte. Wir sahen den Trainer nie wieder bei einem Turnier.