Читать книгу Das Leben kommt auf sanften Pfoten - Monica Armstrong - Страница 5
Kapitel 3: Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen!
ОглавлениеWieder wird in der Nacht herumgeballert. Die Schüsse sind überall in der Stadt zu hören und es dauert nicht lange, bis das Telefon bei uns läutet. Ich höre Dads Stimme und Moms Gekeife, dass die Bullen Ruhe geben sollen, dann ist Dad auch schon weg.
Ich springe aus dem Bett und eile zum Fenster, um gerade noch zu sehen, wie Dad ins Auto einsteigt und abrauscht.
Irgendetwas ist passiert, das ist klar.
Ich fahre das Notebook hoch und hänge mich ins Netz, aber außer dummen Gerüchten und schlimmen Halbwahrheiten ist nichts Nennenswertes über die aktuelle Löwendiskussion zu finden.
Nach einem guten Weilchen überfraut mich die Müdigkeit und ich krieche in mein gemütliches Körbchen. Bin ich müde. Miau!
Halb acht Uhr früh. Lasst euch das bitte auf der Zunge zergehen, oh meine Schwestern und Brüder. Halb acht Uhr früh!
Nicht einmal einen Hund jagt man so früh vor die Tür, nur ich arme kleine Katze kann seit zwölf Jahren in aller Herrgottfrüh aus dem Haus schleichen.
Na ja, bald hat die verdammte Frühaufsteherei ein Ende und im nächsten Herbst, das sag ich euch, spielt sich nichts mehr vor neun Uhr morgens ab! Kapiert?
Okay, ich bin also zeitlich auf den Beinen und radle wie immer durch die Stadt zum Gymnasium, auch um auf dem Laufenden zu sein, was für Gaunereien unseren Ort über Nacht heimgesucht haben.
Bingo!
Auf der Hauptstraße tut sich was.
Eine Menschenmenge hat sich zusammengerottet. Ich steige ab, verschließe sorgfältig mein Fahrrad und versuche näher an den Ort des Geschehens heran zu kommen.
Gerüchte machen die Runde.
In der Nacht soll der Löwe eine Kuh gerissen haben. Im Morgengrauen ist der ausgeweidete Kadaver von den Bauern gefunden worden, dabei ist es zu dem Jagdunfall gekommen. Der Löwe ist aus dem Unterholz losgestürmt und hat einen der Bauern angefallen, der ihm die Beute streitig machen wollte, dabei ist auf den Löwen geschossen worden.
Der verletzte Bauer wird abtransportiert. Der Kuhkadaver liegt auf der Hauptstrasse, eine Tierärztin ist bei dem Kadaver, daneben liegt ein kleiner Löwe, der ebenfalls erschossen wurde.
Mir dreht es fast den Magen um. Bei all dem was schon passiert ist, gibt es wohl gar keinen Grund einen kleinen Löwen zu erschießen!
Der kalte Schauer rennt mir über den Rücken. Was sind das für Leute, die so einen kleinen Kerl umbringen?
Endlich werden die tote Kuh und der tote Junglöwe, der wirklich noch sehr klein ist, abtransportiert.
Ich blicke in die Gesichter der Leute, außer mir und ein paar Kindern scheint niemand den kleinen Löwen zu bedauern oder auch nur einen Funken von Mitleid für den kleinen Kerl zu empfinden. Es ist einfach scheußlich. Mit einer Mordswut im Bauch ziehe ich in die Schule ab.
Niemand schnauzt mich an, dass ich zu spät dran bin, es setzt zwar eine Klassenbucheintragung, aber die ist mir auch so etwas von wurscht. Ich sehe aus dem Fenster zu den Feldern und dem Wald hinüber. Irgendwo da draußen ist jetzt der verwundete Löwe, respektive die Löwin, denn die Jungen sind bekanntlich immer bei der Löwenmama, hoffentlich kann sie entkommen.
Und was ist, wenn die gute Löwendame noch ein, zwei, drei andere Junge im Schlepptau hatte?
Ich nütze die große Pause um mich im Netz über die Gewohnheiten der Löwen zu informieren.
Tatsächlich!
Eine Löwin bekommt meistens mehrere Junge.
Gut so. Nach Adam Riese, müsste also mindestens noch ein kleiner Löwe irgendwo da draußen herumirren, denn für mich ist klar, dass die umsichtige Löwenmama ihre Kleinen gut versteckt hat, während sie die Gegend nach Futter auskundschaftet.
Ich spreche mit Bernadette und Sarah über den Fall, sofort pflichten sie mir bei, dass man/frau etwas tun müsste, nur was, das ist noch nicht klar.
In der siebenten Stunde kommen wieder die Feuerwehrleute vorbei, um nach Treibern zu suchen und wieder finden sich genug Jugendliche, die ganz Feuer und Flamme an der Treibjagd mitmachen wollen, denn jetzt suchen sie einen Mörder auf vier Pfoten, den man ganz brutal erschlagen kann.
Die Mordlust in den Augen rennen die Schülerinnen und Schüler mit Stöcken bewaffnet in den Wald hinaus. Ich muss an den schrecklichen Film im Kino 2 denken. Berichtet der „letzte Ungerechte“ nicht auch von solchen Auswüchsen?
Na wartet ihr Halunken, euch werde ich bei nächster Gelegenheit schon die Leviten lesen. Zum nächsten Schulfilm sperre ich euch ins Kino und zeige „den Letzten der Ungerechten“. Da hilft kein Fluchen und kein Beten, erst nach der 227zigsten Minute, wird wieder geöffnet!
Und wer mich kennt, der weiß, dass das keine leere Drohung ist.
Bernadette, Sarah und ich nehmen auch an der Treibjagd teil, doch eher, weil wir meinen, dass jemand noch alle Latten im Zaun haben soll, wenn der Löwe wirklich gefunden wird.
Mein Dad ist auch vor Ort und spricht mit allen Irren ein ernstes Wörtchen. „Wer meint hier den Löwen erschlagen zu können, kann gleich wieder nach Hause gehen“, donnert mein Dad, in seiner Eigenschaft als Kommissar los, und sorgt für betretenes Schweigen.
„Wer den Löwen sieht ruft die Jagdaufseher, die Feuerwehr oder die Polizei. Auf keinen Fall wird etwas auf eigene Faust unternommen, was den Löwen in Panik versetzen und wieder angreifen lässt.“ Dad weiß was und wie man spricht.
Die Vögel am Himmel ziehen ihre Kreise und weisen uns den Weg. Knapp vor Kinobeginn wird die tote Löwin gefunden, die von einer Kugel getroffen worden und verblutet ist, zuvor hat sie ihr Junges getötet.
Alle Jugendlichen, auch die, die vorhin noch ganz groß das Maul aufgerissen haben, was sie mit dem Löwen alles machen würden, sollten sie ihn stellen, lassen Angesichts der Tragödie den Kopf hängen. Tränen fließen. Viele streicheln noch einmal die große und die kleine Raubkatze, bevor die toten Tiere abtransportiert werden.
Was für ein verfluchter Start in mein letztes Schuljahr. Schlimmer kann es wohl nicht kommen.
Fix und fertig kommen Bernadette, Sarah und ich ins Kino zurück. Dort herrscht Stunk.
Der Verrückte will wissen, welcher Blindgänger die Wurstsemmeln geklaut hat?
Nein, wir waren es nicht.
Hm?
Der Verrückte, der nicht von gestern ist, steht vor einem Rätsel.
Wir stehen vor einem Rätsel. Der Wurstsemmelteller ist geplündert. Genau genommen liegt die Wurst noch da, nur die Semmeln und die Paprika- und Tomatenbelegung sind verschwunden.
Wer oder was kann das gemacht haben? Der Semmeldieb muss jedenfalls total verblödet sein, dass er/sie das Beste zurücklässt und mit dem Gemüse abhaut. Der Intelligenzquotient der örtlichen Ganoven lässt schwer zu wünschen übrig.
Sarah geht nach Hause.
Bernadette verkauft wie immer ihre Eintrittskarten und etwas Saft und Kuchen und ich kümmere mich um die Filmvorführungen.
Na gut. Der schlimme Tag soll endlich zu Ende gehen. Aber wer hat wirklich die Wurstsemmeln geklaut? Das sind immerhin zehn Stück, die so an einem Wochentag weggehen, falls mal eine übrig bleibt, wird sie von uns Mädels oder vom Verrückten weggefuttert, aber hier war jemand schon sehr hungrig.
Hm?
Ich gieße wieder unsere schönen Blumen.
Hm?
Irgendein Vogel hat die Erde im Blumentopf von „Dagobert“ und „Daisy“ umgewühlt. Also, wenn ich den Schwachsinnigen erwische, der dem schönen „Dagobert“ und der feschen „Daisy“ die Erde aus dem Topf klaut, der kann etwas erleben!
Hm?
War da nicht wieder dieses Rascheln unter dem großen „Gustav“?
Ich sehe genauer hin.
Tatsächlich. Unser „Gustav“ wächst zwar wie der Riese, aber normaler Weise bewegen sich die langen Triebe und die schönen Blüten nur im Wind, doch hier sorgt irgendetwas für Bewegung unter den Blüten.
Ich rufe Bernadette, die kommt auch sofort angetrabt.
Ich zeige auf „Gustav“, sie nimmt die große Blume aufs Korn.
Nichts.
Bernadette zuckt mit den Schultern. „Cool bleiben, Baby, das wird schon wieder“, säuselt sie, dass ich ihr am liebsten eine kleben möchte.
Bernadette schwirrt wieder ab und übt fleißig mit ihrer Gitarre.
„Piccola Città!“ rufe ich.
Erfreulicher Weise werde ich von Bernadette erhört und sie spielt den großen Guccini.
Wir beide singen. Bernadette im Foyer, ich im Hof. Alles ist so wie immer. Vertrauen heischend fülle noch einmal die Gieskanne. Mit der aller höchsten Scheinheiligkeit schleiche ich mich an und schütte das Wasser auf die verdächtige Stelle von vorhin.
Ein herzzerreißendes Gejaule ist zu hören.
Jetzt reicht es! Ich greife zu und zack! Ich habe den Übeltäter.
Ich ziehe einen kleinen Löwen unter dem „Gustav“ heraus.
Der kleine Racker faucht und kratzt und beißt und ich bin zunächst so überrumpelt, dass ich das Kerlchen gleich wieder fallen lasse und laut schreie.
„Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiih!“
Mein Schrei bleibt nicht ungehört.
Bernadette schießt aus dem Kino.
„Was ist los? Was ist passiert?“ ruft sie und bleibt wie angewurzelt stehen.
Der kleine Löwe sitzt ganz verdattert auf seinem Hinterteil und zittert, er schüttelt das Wasser aus dem Fell und versucht wieder unter den „Gustav“ zu entkommen.
Sofort sind wir Mädchen bei ihm.
„Hier geblieben!“
„So ein kleiner Kerl kann ja unmöglich in der Nacht draußen bleiben!“
Der kleine Löwe wird erst einmal ganz zärtlich gestreichelt. Zuckersüße, echte Kärntner Schmusekatzenmädchenstimmen sorgen für Vertrauen. Der kleine Kerl schnurrt.
Oh meine Schwestern und Brüder, ihr könnt euch nicht vorstellen wie süß so ein kleiner Löwe ist …
Irgendwie wird der kleine Kerl noch zutraulicher, dann wird er wieder von der Angst gepackt. Der kleine Löwe kratzt und faucht und lässt ein komisches Miauen hören, was aber, ehrlich gesagt bei unserer Kostgängerin, der Nachbarskatze „Susi“, einfach besser klingt, als bei dem König der Tiere.
Was hat er denn?
Bernadette und ich klatschen uns die Hand vor die Stirn. Was sind wir denn für dumme Gänse!
Hungrig wird er sein!
Wer weiß wie lange er schon nichts mehr zu futtern bekommen hat? So ohne Löwenmama, die ihn wohl auf der Flucht verloren haben muss.
Was so gesehen ein Glück ist, denn sonst wäre der kleine Löwe, so wie seine Geschwisterchen, jetzt in der ewigen Savanne.
Schnell, schnell, schnell. Gute Milch muss her und etwas Holundersaft, aber Dalli!
Mit Lichtgeschwindigkeit saust Bernadette ins Kinobuffet um gutes Futter zusammenzusuchen, während ich den kleinen Liebling zu bändigen versuche. Ob der kleine Löwe die Wurstsemmeln geklaut hat?
Hm?
Irgendwie kommt er mir doch noch recht klein vor, so klein, als würde er eher auf Milch, als auf Fleisch stehen. Aber wer weiß, der Instinkt wird ihn mangels Milch zum Fleisch geführt haben, auch wenn so ein salziges österreichisches Würstchen nicht unbedingt das gesündeste für einen Löwenwelpen ist. Vielleicht hat er deshalb die Wurst verschmäht und sich mit dem guten Gemüse aus dem Kinogarten und den Semmeln begnügt?
Ein kleiner Test genügt, um zu ermitteln, dass der Winzling nie und nimmer der Wurstsemmeldieb sein kann, denn er schafft es nicht einmal über die niedere Mauer in „Gustavs“ Blumenbeet zu klettern, da muss ich schon etwas nachhelfen.
Wer kann also dann die Wurstsemmeln geklaut haben, der außerdem so wählerisch ist und die Wurst zurücklässt, und sich mit den Tomaten und dem Paprika des Verrückten begnügt?
Alles sehr mysteriös.
Bernadette rauscht mit einem gut gepackten Korb voll Teller, einer Milchflasche, einem Krug Holundersaft und ein paar Stücken Marillenkuchen wieder an, die Gläser für uns beide sind auch dabei, natürlich werden wir Mädchen bei dieser komplizierten Arbeit sehr schnell durstig, außerdem haben wir Mitte September und es ist noch recht warm im Freien.
Alles wird abgestellt und aufgebaut. Der kleine Löwe kann es kaum erwarten die Teller gefüllt mit Milch und Saft hingestellt zu bekommen. Vorsichtig schnuppert er an der Milch und am Holundersaft und schlabbert alles in Windeseile weg, so hungrig ist der arme Kerl.
Wir Mädels füttern ihn auch mit zwei Stücken guten Kuchen, den der Verrückte immer selber macht. Und was uns kleinen Katzen so gut schmeckt, mag der Herr Löwe auch.
Peng. Plötzlich fällt der kleine Löwe um. Weg ist er.
Bernadette und ich erschrecken. Wir sehen uns an und haben keinen blassen Schimmer was wohl passiert sein könnte. Wir kleinen Katzen knien uns zu ihm nieder und spitzen die Ohren.
Immerhin, der Löwe atmet noch.
Der kleine Kerl muss so erschöpft sein, dass er sofort eingeschlafen ist.
Was tun?
Bernadette nimmt den kleinen Löwen hoch, der nicht viel wiegt, der Wonnebrocken wird höchstens ein Kilo auf die Waage bringen. Wir tragen den Löwen in die Vorführkabine, ich nehme den Deckel einer Filmschachtel und polstere den Karton mit zwei Handtüchern, dann legen wir den kleinen Löwen hinein.
Mit leuchtenden Augen sehen wir auf den kleinen Löwen hinunter, der friedlich in seinem neuen Nestchen schläft.
Eines steht fest, das liebe Tierchen werden wir Mädels nicht kampflos hergeben, da kann kommen wer will!
Doch wohin mit dem Kleinen? Vorerst können wir ihn kaum über Nacht in der Kinokabine zurücklassen.
Mit nach Hause nehmen?
Zu riskant, das muss erst mit der Obrigkeit abgeklärt werden, besonders, wenn Mom und Dad zwei ausgefuchste Bürokraten sind.
Bernadettes Mom fällt vorerst aus, sie ist alleinerziehende Mutter und sowieso schon gestresst genug.
Sarahs Eltern gehören zur diskreten Bourgeoisie und haben sicher keine Freude, wenn sich ein Löwe auf ihrem teuren Orientteppich breit macht.
Also muss der kleine Löwe vorerst im Kino bleiben, da hilft nichts.
Bernadette und ich entscheiden uns für ein ruhiges Plätzchen hinter der Kinoleinwand, wir lassen die Notausgangstür einen Spaltbreit offen, damit der kleine Kerl auch ins Freie kann, wann immer er will oder ihm womöglich die Blase drückt, was ja durchaus tierisch wäre, um im Milieu zu bleiben.
Die kleinen Katzen werfen einen letzten Blick auf unseren Cousin und verlassen schweren Herzens zehn Minuten nach Filmende das Kino, so als wäre überhaupt nichts geschähen.