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Kapitel 4: Wie man/frau zum „Herkules“ ernannt wird.
ОглавлениеAn Schlaf ist nicht zu denken, oh meine Schwestern und Brüder. Hin und her gerissen zwischen den ganz großen Gefühlen liege ich in meinem Bett und starre auf ein Poster von „Große Vögel, kleine Vögel“, das an der Zimmerdecke hängt.
Nun habe ich keinen Vogel, sondern einen kleinen Löwen und schon gar keine großen und kleine Vögel im Gehirn, wie vielleicht mein Dad sofort schlussfolgern würde, aber die Sache kann, bei näherer Betrachtung durchaus kompliziert werden, auch für ein Schulmädchen in der zwölften Klasse, das bekanntlich in Bälde staatlich beglaubigt „reif“ sein wird.
Hm? Was tun?
Den Fall „kleiner Löwe in einem österreichischen Kino“ muss man/frau listig dialektisch angehen, das ist klar.
These: cool bleiben.
Antithese: nichts überstürzen.
Synthese: morgen noch vor der Schule im Kino vorbeischauen, ob eh nichts aus dem Ruder läuft.
Merke: Schlag nach bei Hegel, dann bist du niemals am „Holzweg“.
Also ist der deutsche Idealismus doch für etwas zu gebrauchen. Wenn ihr mir einen Gefallen machen wollt, dann schreibt demnächst einen Brief an den hochwohllöblichen Gottseibeiuns in Brüssel und bindet den hohen Damen und Herren an die Nase, dass die Philosophie für etwas nützlich ist, auch wenn man/frau sie nicht gleich kapitalisieren kann.
Die Zeit schleicht dahin. Manchmal sind wir in der Penne, auch ohne Hegel, ganz schön auf dem Holzweg.
Sarah platzt vor Neugier. Sie will endlich den kleinen Löwen sehen, außerdem ist sie fuchsteufelswild auf uns beide, weil wir sie gestern nicht sofort angerufen haben.
Selbstverständlich wäre sie sofort ins Kino geeilt, um das kleine Raubtier zu besuchen, stattdessen hat sie sich den ganzen Abend von ihrem Freund die Hucke volllabern lassen müssen, wie geil er ist und wie wichtig ein wenig Abwechslung für ihr Liebesleben wäre.
Die Jungs, also wirklich …
Die Zeit schleicht dahin. Mist, wenn man Verantwortung für einen kleinen Löwen übernommen hat, ist man/frau nicht recht bei der öden Mathematik zu Hause. Bekomme ich überhaupt noch irgendwas mit, oder bin ich schon ganz von mütterlichen Instinkten infiziert? Dieser gefährliche Bazillus ist natürlich unheilbar und das ist gut so, auch, wenn für Mütter und Kinder nicht gerade viel von der Politik gemacht wird.
Ihr meint das stimmt nicht? Doch. Doch. Lest mal die Zeitung, wie der Großwesir im Finanzministerium mit dem Pfennig fuchst, wenn es um die kleinen Kröten geht.
Schwamm drüber über die schnöde Politik, wenden wir uns Wichtigerem zu, von der höheren Mathematik habe ich zumindest schon einmal gehört.
Mittags. Ich rase auf dem Fahrrad los und sause ins Kino, um nach dem kleinen Löwen zu sehen.
Nichts.
Überhaupt nichts. Er ist einfach weg. Ich durchkämme den Kinosaal und die unmittelbare Umgebung des Kinos, doch nirgends ist der kleine Racker zu finden. Wo der sich wieder herumtreibt?
Ich bin total verzweifelt, doch ich weiß nicht einmal wie ich ihn rufen soll. „Löwe! Lieber Löwe, wo steckst du?“, das klingt doch wirklich albern.
Ein Name für den kleinen Kerl muss her und zwar dringend.
Das Handy scheppert ununterbrochen, Bernadette und Sarah wollen am Laufenden gehalten werden und selbstverständlich die neuesten Fotos und wenn möglich auch ein Video von unserem Löwen sehen, aber außer dem verlassenen Filmkartonkistchen mit den beiden zerknüllten Handtüchern ist nichts von dem kleinen Besucher vom Planeten der Löwen übrig geblieben.
Mir bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass er in der Zwischenzeit mit den Schmetterlingen spielt, und muss schleunigst ins Gymnasium zurückzukehren.
Kaum angekommen, der nächst Schock. Mein Ex-Freund Gerry schmust mit dieser dummen Zicke Sandra ungeniert herum. Was die wohl hat? Einen scharfen Busen und einen extra strammen Po habe ich auch und ganz tolle Beine, aber glaubt ihr wirklich, dass auch nur ein netter Junge Stielaugen bekommt?
Nein, nicht einer! Alle blinden Eulen nisten in der Schule. So ein Gymnasium ist ein einziger Hymnus an die Enthaltsamkeit, das kann ich euch flüstern, oh meine Schwestern und Brüder.
Mit einer Mordswut im Bauch spule ich den Nachmittagsunterricht hinunter. Endlich hat das entbehrliche Gelaber ein Ende und wir Mädels schwirren ab nach Hause.
Ganz schnell futtern und das Nötigste, aber wirklich auch nur das Allernötigste erledigen, damit niemand Verdacht schöpft, Mütter sind da sehr innovativ, was mentale Veränderungen bei einer Tochter angeht, daher ist äußerste Vorsicht geboten.
Um sechs bin ich im Kino. Alles läuft wie geplant, ein schwaches halbes Dutzend Leute sind da um sich den „Herkules“ reinzuziehen, ein paar weniger sind gekommen um den „letzten der Ungerechten“ zu sehen.
Karten verkauft. Kuchen und Saft ausgegeben, Bier gezapft, Popcorn gibt es keines, alle rein in den Saal.
Uff. Film ab!
Der Verrückte kommt auf den Plan. „Wie viele Wurstsemmeln sind verkauft?“ bellt er los.
Äh? Was?
„Na, wie viele Wurstsemmeln sind schon weg?“
„Äh, weiß nicht“, antworte ich.
„Keine“, sagt Bernadette.
„Und wieso ist der Teller leer?“ fragt der Verrückte. Ein großer Holzteller steht verwaist auf der Theke.
Großer Megaseufzer. Der kleine Löwe ist ganz in der Nähe.
Der Verrückte sieht uns Gören skeptisch an.
„Kann mir eine verraten was hier los ist? Wenn ihr hungrig seid, könnt ihr ruhig zuschlagen, ist doch gar kein Problem.“
Jetzt wird es brenzlig, liebe Leute.
„Übrigens ich habe Rattenköder ausgelegt, untertags raschelt es seit Neuestem verdächtig. Das sind sicher wieder die Nager, die letztes Jahr auch schon hier waren.“
Um Gottes Willen!
Bernadette und ich rasen los. Nur das nicht! Rattengift, das fehlte gerade noch.
Wir beide sausen wie die Verrückten aus dem Kino in den Garten.
Bei allen Löwenteufeln in der Hölle! Hier ist er! Der kleine Löwe beschnuppert die blauen Körner die zu Füßen unseres „Dagoberts“ ausgelegt sind.
Ich schnappe mir den kleinen Kerl und reiße ihn zurück.
Oh mein Gott! Hiergeblieben! Das darf doch alles nicht wahr sein.
Bernadette kommt mit einem nassen Lappen angerannt, sofort wird der Löwe von oben bin unten abgerubbelt und das Schnäuzchen geputzt.
Der kleine Löwe freut sich riesig uns zu sehen und will Bernadette und mich abschlecken, doch vorerst geht es um die Hygiene.
Schnell noch etwas Milch zum Schlappern, die Milch entgiftet.
Der Verrückte kommt in den Garten und zeigt uns den Vogel, dann sieht er den Löwen.
„Hey, wer ist denn das? Bernadette! Monica! Wo kommt der her?“
Bernadette und ich wechseln die Hautfarbe. Jetzt heißt es Farbe bekennen, oh meine Schwestern und Brüder.
Mein Blick fällt auf das Kinoplakat von „Herkules“ in der Auslage.
„Dieser junge Mann heißt „Herkules“ und kommt vom Planeten der Löwen. Du hast sicher von dem Tiertransport gehört, der vor ein paar Tagen verunglückt ist. Wie auch immer hat es der kleine Herkules hier her ins Kino geschafft und jetzt ist er hier“, argumentiere ich.
„Hm? Das ist ein gutes Argument. Kommt mal rein mit ihm, so ein Herkules braucht sicher Futter“, sagt der Verrückte.
Der aller größte Megaseufzer der Erleichterung verlässt uns nicht.
Total erleichtert folgen Bernadette und ich mit unserem lieben kleinen Löwen dem Verrückten ins Kino.