Читать книгу Wenn ich tanzen will - Monika Herbrand - Страница 5
Vorwort - Nicht nur ein Buch
ОглавлениеDer Abend an dem ich Frau Herbrand kennenlernte ist mir bis heute noch sehr genau vor Augen geblieben. Es war ein anstrengender Tag, der schon einige Jahre zurückliegt. Nachts hatte ich Dienst in einer Wohneinrichtung für autistische Menschen und tagsüber arbeitete ich wissenschaftlich an der RWTH Aachen und abends um ca. 22°° Uhr befand ich mich weit entfernt von Zuhause, mitten in einer Eltern-Gruppe, deren Kinder möglicherweise von Autismus betroffen sind. Dann setzte sich Frau Herbrand zu mir und sprach mich an. Sie erzählte mir, dass es um ihren Sohn ginge, aber vielleicht auch um sie. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt schon sehr, sehr viele autistische Menschen jeden Alters, langweilig wurde mir dies bis jetzt aber nie. Jeder ist und war auf seine Art verblüffend und besonders… aber Frau Herbrand fiel auf, sie wirkte autistisch aber gleichzeitig so kontrolliert und ja – auch zielstrebig. Eine Weile blieb dieses Gespräch für sich stehen, bis Frau Herbrand Kontakt zu mir aufnahm und sich und ihren Sohn mit ihren Schwierigkeiten vorstellte.
Viel später erst wurde ich der Therapeut ihres Sohnes und durch die Elternarbeit lernten auch wir uns besser kennen. Durch ihre eigenen Probleme hat sie die Fähigkeit ihren Sohn nicht nur als Mutter, sondern auch als Mensch mit Autismus verstehen zu können. Dies faszinierte mich sehr. Schon immer suchte ich eher nach einem Weg, Autismus zu verstehen, meine Klienten zu beobachten und ihnen zuzuhören als vermeintliche wissenschaftliche Erklärungen zu sammeln.
Irgendwann, aus der Intuition heraus es wäre richtig, sprach ich es aus: „Sollen wir gemeinsam ein Buch schreiben?“ Ich weiß nicht mal genau warum, denn unsere Gespräche näherten sich dem Thema Autismus nie tief genug, aber ich tat es trotzdem. Frau Herbrand antwortete mir: “Ich kann nicht schreiben, äh, ich habe es in der Schule gelernt, aber ich kann nicht, ich weiß nicht wie. Die Enttäuschung stand mir ins Gesicht geschrieben aber irgendwie trennten wir uns mit dem Vorsatz es zu versuchen.
Also stellte ich ihr beim nächsten Treffen folgende Frage:
Also, erste Frage: Welche Beschäftigung oder Aktivität macht dir am meisten Spaß, bereitet dir die größte Freude, ist dir am aller wichtigsten und warum?
Wir gingen auseinander ohne zu wissen, was jetzt passiert.
Die Antwort auf meine Frage kam per E-Mail, ich kam abends spät nach Hause, mir schwirrten tausend Gedanken durch den Kopf, aber die Aufmerksamkeit bündelte sich fast vollständig auf diese erste Antwort an mich.
Wortgetreu so sollte es beginnen:
Hallo Can, habe handschriftlich 4 Seiten in mein Heft zu dieser Frage geschrieben. Schreibe Dir jetzt erstmal die erste Seite ab. Habe gemerkt, dass ich zu dieser Frage einen Roman schreiben könnte. Alles was ich zu dieser Frage in mein Heft schreibe stelle ich natürlich auch zur Verfügung, nur musst du bitte dir mal anschauen, ob es alles zu dieser Frage passt und vom Inhalt passt.
Das waren die ersten und letzten gewöhnlichen Worte, die ich von Frau Herbrand gelesen habe… alles was sie dann an mich schrieb nahm mich als Leser mit in eine andere Welt, trieb mir und den wichtigsten Menschen in meinem Leben, denen ich die Texte vorlas, regelmäßig Tränen in die Augen. Es ließ mich besser verstehen, was Autismus wirklich bedeuten kann und half mir, einen Menschen mit Autismus mit seiner Gabe durch viele emotionale Krisen hindurch letztlich zu diesem Buch zu führen.
Ich muss beruflich wirklich viel reden und ich gestehe, ich spreche gerne und noch lieber schreibe ich wohl, aber erstmals habe ich die Kraft den Mund zu halten, es bedarf keiner weiteren Worte mehr von mir. Ich möchte es bei diesem Vorwort belassen und in der Folge nur noch jemanden vorsichtig fragend zu dem führen, was schon sehr lange in ihm drin war und nicht heraus fand.
Dipl.-Psych. Can Gercekoglu