Читать книгу Der kleine Eheretter - Monika Röder - Страница 22
Wenn sich das Gehirn schrittweise abschaltet
ОглавлениеWas passiert bei dieser Deaktivierung? Auf der somatischen Ebene wird im Kampf- oder Fluchtmodus beispielsweise die Verdauungstätigkeit runtergefahren. Auch die Sinnesaktivitäten werden stufenweise eingestellt, damit wir nicht durch die Blümchen auf der Wiese von der wahrgenommenen Gefahr abgelenkt werden.
So bewirkt das Umschalten auf den Kampf- oder Fluchtmodus, dass wir nicht mehr alles mit weitem Blick sehen, sondern fokussiert auf die Gefahr schauen und andere Dinge übersehen. Auch das Hörvermögen ist nachweislich so verändert, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes Dinge überhören. Das bedeutet, dass wir im getriggerten Modus freundliche Worte oder Gesten des Partners bzw. der Partnerin nicht wahrnehmen, sondern dass unser Sinnessystem suchend darauf ausgerichtet ist, den nächsten Angriff, die nächste Gemeinheit oder die nächste Bestätigung für unsere Bedrohungshypothese zu finden.
Doch es geht noch weiter. Wir haben gehört, dass unsere menschlichen Fähigkeiten der Selbstreflexion und Kreativität, unser Humor und auch unsere Empathiefähigkeit maßgeblich im Bereich des Neokortex vernetzt sind. Dieser Bereich wird im Angriffsstress zuerst deaktiviert. Wir können heute einen Menschen mit massivem Stress in den Hirnscanner schieben und über bildgebende Verfahren sehen, wie dort beispielsweise im Bereich, in dem die Empathiefähigkeit oder das Sprachzentrum vernetzt sind, aufgrund nachlassender Aktivität weiße Stellen sichtbar werden.
Unser aufs Überleben ausgerichtetes System fokussiert sich im vermeintlichen Angriffsfall auf seine Selbstverteidigungs- bzw. Selbstschutzfähigkeiten. Überflüssiger kognitiver Luxus wird deaktiviert. So bitter es klingt: Das bedeutet, dass unser Gehirn nicht mehr vollständig funktioniert. Wir sind nicht mehr im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte.