Читать книгу Partnerschaft und Sexualität - Monika Röder - Страница 28
4.3 Frühe Prägungen und Auswirkungen auf das Beziehungsverhalten
ОглавлениеAus der Säuglingsforschung wissen wir, dass das Gehirn seine neuronale Struktur über Spiegelprozesse in der frühen Kommunikation mit den Eltern bildet. Für die Bedürfnisregulation des Säuglings braucht es die Responsivität der Eltern und deren Fähigkeit, die Bedürfnisse des Kindes zu versorgen (Schore & Schore, 2008). Werden beispielsweise kindliche Bedürfnisse aufgrund einer depressiven Bezugsperson nicht gestillt, so reagiert der Säugling zunächst mit Regulationsversuchen und schließlich mit Rückzug. Die entstandenen Gefühle wie Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Verlassenheit verursachen Bindungsverletzungen und werden im limbischen System wie körperlicher Schmerz verarbeitet und dauerhaft gespeichert (Eisenberger & Lieberman, 2004).
Die frühen Interaktionsmuster des Säuglings werden als affektiv-motorische Programme im limbischen System gespeichert. Sie bilden den Prototyp internaler, handlungsleitender und in neuronalen Netzwerken gespeicherter Strukturen heraus und bilden somit die Vorlage für spätere Beziehungen (Trevarthen & Aitken, 2001). Nachfolgende Lebens- und Beziehungserfahrungen werden in die vorhandenen Strukturen einsortiert. Gibt es in den frühen Bindungserfahrungen beispielsweise keine angelegte Struktur für Wertschätzung, Liebenswürdigkeit oder Gesehenwerden, so kann ein unstillbarer Hunger danach entstehen. Positive Rückmeldungen können aber aufgrund der fehlenden Struktur nicht gehalten werden. So kann ein Mensch, der als Kind beispielsweise schlimme Erfahrungen aufgrund seines Aussehens gemacht hat, auch später Komplimente kaum annehmen. Die wohlwollenden Rückmeldungen fallen durch wie bei einem Fass ohne Boden.
Reinszenierungen in der Partnerschaft: In Paarinteraktionen werden sowohl positiv-fürsorgliche Gefühle als auch bedrohliche Erfahrungen reaktualisiert und deren Erfüllung vom Partner ersehnt (Kachler, 2015). Das Nervensystem ist mit seiner Neurozeption ständig auf der Suche nach potenziellen Gefahren. Wird am Partner ein Verhalten wahrgenommen, das im sekundenschnellen Abgleich mit den gespeicherten Erfahrungen als Bedrohung erkannt wird, so schlägt das System Alarm. Auch wenn es sich dabei um Über- oder Fehlinterpretationen des partnerschaftlichen Verhaltens handelt, ist es evolutionsbiologisch sinnvoll sich zu schützen: Die Amygdala meldet lieber zehnmal falsch positiven Alarm, bevor sie eine gefährliche Situation übersieht. In der Paardynamik können so aber Missverständnisse und Streit entstehen.
Die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung helfen, die Dynamik zwischenmenschlicher Kommunikation besser zu verstehen: Wenn ein Partner die Augenbrauen hebt, mit gereizter Stimme spricht oder eine Abwertung formuliert, so kommt diese Information per Neurozeption über die Sinnesorgane doppelt so schnell im limbischen System des anderen an als in dessen Großhirnrinde. Sind beispielsweise entsprechende Erinnerungen an Ohnmacht, Abwertung oder Verlassenwerden im emotionalen Gedächtnis vorhanden, so intensiviert sich die als bedrohlich wahrgenommene Reaktion und die körperliche Abwehrreaktion setzt automatisch ein. Kortikale Funktionen mit logischen Analysen haben dann nur noch begrenzte Möglichkeit, beruhigend auf das System einzuwirken.
In chronischen Paarstreitsituationen ist die sympathische Aktivierung ein Automatismus, da zu oft die Erfahrung gemacht wurde, dass Diskutieren nichts bringt. Noch bevor eine bewusste Analyse zur Verfügung steht, wird das Kampf-/Flucht-System aktiviert bzw. ist daueraktiviert. Das Soziale Kontaktsystem, das zur Empathie befähigt, wird deaktiviert. Der Blick und das Denken werden eng; Klienten sprechen oft vom »Tunnelblick«. In einer Bedrohungssituation braucht es schnelle Entscheidungen, ob etwas richtig oder falsch ist, gut oder schlecht, bedrohlich oder nicht bedrohlich. Wurde mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Kämpfen nichts nutzt und es kein Entkommen gibt, beispielsweise weil gemeinsame Kinder, ein Haus oder andere Abhängigkeiten vorhanden sind, so wird der dorsale Vagus aktiv. Es kommt zur Immobilitätsreaktion und Klienten berichten dann: »Mein Gehirn ist leer.«; Muskeltonus und Affekt flachen ab und es kommt zu Resignation, Dissoziation oder Depression.
Die Neurobiologie liefert die biologische Verständnisgrundlage dafür, weshalb es in solchen Situationen notwendig ist, zuerst das Nervensystem zu beruhigen und damit eine Wende zu bewirken. Erst dann ist es wieder möglich, höhere Hirnareale zu aktivieren und in einen wirklichen Austausch miteinander zu kommen.