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3.3 Sexuelle Lustlosigkeit – weit verbreitet
ОглавлениеJahrzehntelang standen sexuelle Funktionsstörungen wie Impotenz oder Vaginismus im Fokus der Sexualforschung und auch der Sexualtherapie. Die Forschung hatte vor allem die Pharmakotherapie der erektilen Dysfunktion mit PDE-5-Hemmern wie Viagra im Visier und in Therapie und Beratung ging es vor allem um eine Behandlung von Symptomen.
Seit einigen Jahren rückt nun aber das sexuelle Erleben stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Körperliche Symptome werden als Hinweis betrachtet, dass eine Unstimmigkeit im Erleben vorliegt. So kann z. B. eine Erektionsstörung oder ein Vaginismus einen Selbstschutz darstellen, wenn die gelebte Sexualität als nicht-stimmig für die eigene Person erlebt wird. Über das Symptom findet der Körper die Möglichkeit, etwas zu zeigen, das sprachlich (noch) nicht ausgedrückt werden kann.
Das große Thema unserer Zeit ist die sexuelle Lustlosigkeit, die ebenfalls Ausdruck von Nicht-Stimmigkeit der gelebten Sexualität sein kann. Fehlendes sexuelles Begehren1 und sexuelle Unlustwerden in der Paartherapie häufig angesprochen: 17 % der Männer und 41 % der Frauen, also einer von sieben Männern und eine von drei Frauen, bezeichnen sich als sexuell lustlos (Mercer et al., 2003). Bei Männern wird angenommen, dass die tatsächliche Zahl höher liegt. Denn auch wenn sie unter sexueller Lustlosigkeit leiden, wagen sie dies häufig nicht zuzugeben, da es dem gesellschaftlich erwarteten Männerbild widerspricht.
Bei den Frauen empfindet nur ein kleiner Teil Leidensdruck (Clement & Eck, 2013). Wenn es um sie allein ginge, bestünde kein Anlass zur Veränderung. Oft realisieren sie jedoch, dass ihr fehlendes Begehren eine Gefahr für die Partnerschaft darstellt, da Unzufriedenheit mit der Sexualität bei Männern häufig Trennungsgedanken auslöst ( Kap. 3.1).
Oft beginnt die Abnahme des sexuellen Begehrens durch körperliche oder individualpsychologische Faktoren wie Ängste, Sorgen, Erschöpfung, Depressionen oder einem schwachen Selbstwertgefühl. Sich selbst als nicht attraktiv zu erleben oder den eigenen Körper nicht zu akzeptieren ist ein verbreitetes Problem vieler Frauen. Ein negatives Körperbild schränkt ihr sexuelles Interesse und den sexuellen Genuss ein (Schönbucher, 2007).
Lust und Scham bei Frauen werden stärker als bei Männern durch Selbstaufmerksamkeit und ein negatives Bild des eigenen Körpers bestimmt (Meana & Nunnink, 2006). Seit einigen Jahren zeigt sich allerdings auch bei Männern häufiger eine Störung des Selbstbildes, Adonis-Komplex genannt.
Erwartungs- und Leistungsängste sind dagegen vor allem ein männliches Thema: Viele Männer verknüpfen die Erektions- und Ejakulationsfähigkeit sowie einen starken Sexualtrieb mit Männlichkeit (Mc Carthy & Mc Carthy, 2013). Entsprechen ihre Funktionen diesen Vorstellungen nicht, werden oftmals Schuld- und Schamgefühle ausgelöst. Der Anspruch, immer bereit sein zu müssen, die Partnerin zum Orgasmus bringen oder selbst kommen zu müssen, behindern Lust und Erregung.
Aber auch bei Frauen hemmt Leistungsdruck die Erregung. Durch die fehlende Lubrikation – dem Feuchtwerden der Vagina – kann der Geschlechtsverkehr unangenehm bis schmerzhaft werden, was die Lust auf weitere sexuelle Begegnungen noch weiter mindert. Ebenso wirkt sich eine hohe körperliche Spannung beim Sex negativ auf den Genuss aus (Bischof, 2016).
Ein weiteres Problem für viele Frauen und Männer sind negative sexuelle Erfahrungen. Insbesondere Erlebnisse sexueller Gewalt, werden häufig traumatisch verarbeitet. Doch auch frühe Erfahrungen wie das Abwerten von Masturbation und Sexualität können Gefühle der Demütigung, Scham- oder Schuldgefühle auslösen, das Selbstbild prägen und ein negatives Bild von Sexualität hinterlassen.
Ein heutzutage sehr verbreiteter »Lustkiller« ist Alltagstress: Vor allem Frauen haben weniger Lust auf Sex, wenn sie gestresst sind (Bodenmann et al., 2010; Bodenmann, Ledermann & Bradbury, 2007). Für viele Männer ist Sex dagegen ein Ventil für Stress und Spannungen; sie haben bei Stress mehr Lust.
Auch häufig sind beziehungsdynamische Faktoren: Ungelöste Partnerschaftskonflikte, eine nicht verarbeitete Nebenbeziehung, negative Gefühle dem Partner gegenüber. Aber auch Kommunikationsprobleme bei sexuellen Themen und Schwierigkeiten mit unterschiedlichen sexuellen Wünschen umzugehen können dazu führen, sich vor dem anderen zu verschließen, und dadurch die sexuelle Lust stören.
Verschiedene Autoren betonen, dass Druck durch den begehrensstärkeren Partner eine der Hauptursachen für die Abnahme des sexuellen Begehrens des Begehrensschwächeren ist (Schnarch, 2019; Mc Carthy & Mc Carthy, 2013). Ausgangssituation ist meistens, dass der begehrensschwächere Partner bestimmt, wie häufig sich das Paar sexuell begegnet. Denn der Partner mit dem schwächeren Verlangen hat nach Schnarch die Kontrolle über den Sex (Schnarch, 2019). Wenn sich etwa der Mann häufigere sexuelle Begegnungen wünscht, die Frau dagegen keine Lust hat, so bestimmt sie die Häufigkeit sexueller Begegnungen.
Mancher Partner kann diese Situation nicht ertragen und versucht Einfluss zu nehmen, oftmals mithilfe von Druck. Je mehr Druck der begehrensstärkere Partner ausübt, je offensiver oder abfälliger er wird, umso weniger Lust verspürt der andere Partner. Das Paar polarisiert immer stärker, oft entstehen Negativspiralen oder Teufelskreise, aus denen Paare nur schwer wieder herausfinden. Das kann so weit gehen, dass der begehrensschwächere Partner das Gefühl bekommt, er brauche überhaupt keinen Sex mehr, wohingegen der Begehrensstärkere es kaum mehr erträgt, seine Bedürfnisse nicht befriedigt zu bekommen.
Einige der Begehrensschwächeren fühlen sich nicht in der Lage »nein« zu sagen. Rücksichtnahme, Schuld-, Pflichtgefühle oder Angst vor Konflikten führen dazu, dass sie sich auf mehr Sex einlassen als sie eigentlich wollen. Über den eigenen »Sättigungspunkt« hinwegzugehen, bedeutet jedoch, dass der Genuss verloren geht und die betroffene Person negative sexuelle Erfahrungen macht (Von Sydow & Seiferth, 2015). Das bestätigt eine Studie mit Frauen, in der gezeigt wurde, dass eine eingeschränkte sexuelle Selbstbestimmung mit der Verminderung des sexuellen Genusses zusammenhängt (Schönbucher, 2007).
Aufgrund dieser Konstellationen kann es zu einem Vermeiden körperlicher Nähe und Zärtlichkeit kommen. Der Körperkontakt »könnte ja zu Sex führen« oder beim anderen den »Wunsch nach mehr« auslösen. Dadurch gehen Momente der Zweisamkeit verloren, die die Möglichkeit bieten, die Bindung zu stärken und sexuelle Lust entstehen zu lassen. Die Sexualität kommt dadurch oftmals völlig zum Erliegen.
Viele Menschen, auch Fachleute, gehen davon aus, dass sich das Begehren von allein wiedereinstellt, sobald die darunterliegenden Probleme gelöst werden. Lustlosigkeit oder sexuelle Abstinenz können jedoch eine sich selbst verstärkende Eigendynamik entwickeln, die z. B. durch das Vermeiden körperlicher Begegnungen bestehen bleibt, auch wenn die Ursachen der Lustlosigkeit beseitigt sind (Schär, 2016). Wichtig ist es hier, sich bewusst in den körperlichen Kontakt zu begeben, um neue, korrigierende Erfahrungen machen zu können und so ein genussvolles sexuelles Erleben wieder zu ermöglichen.