Читать книгу Partnerschaft und Sexualität - Monika Röder - Страница 17

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2 Blick in Partnerschaften

Nach einem Blick auf die gesellschaftliche Situation fokussieren wir nun unseren Blick auf Partnerschaften. In diesem Kapitel tragen wir für die Themen dieses Buches bedeutsame Studienergebnisse zusammen – wir blicken also durch die Brille der Paarforschung auf die Fragen: Worunter leiden Paare, die in die Beratung oder Paartherapie kommen, was macht sie unglücklich? Und was dagegen macht Paare glücklich?

2.1 Partnerschaftsprobleme

Während Männer bei Partnerschaftsproblemen zunächst still leiden, sind es in 80 % der Fälle die Frauen, die Beziehungsprobleme ansprechen (Gottman & Silver, 2017).

Zu den häufigsten – auch in Paarberatungen präsentierten – Problemen gehören Kommunikationsschwierigkeiten. Viele Paare können nicht mehr miteinander reden, ohne dass es eskaliert, oder sie sind nahezu verstummt.

Eine Schweizer Studie, in der nach Trennungsgründen in langjährigen Ehen gefragt wurde, zeigt, dass viele Frauen sich allein gelassen fühlen und die emotionale Unterstützung des Partners und das gemeinsame Lösen von Problemen vermissen. Die jüngere Männergeneration ist von den Kommunikationsschwierigkeiten allerdings weniger betroffen, sie teilen sich eher mit als ihre Väter (Perrig-Chiello, 2017).

John Gottman beschreibt vier Kommunikationsformen, die Partnerschaften auf Dauer zerstören. Er nennt sie »die schlimmsten Vier« oder die »Apokalyptischen Reiter« (2014):

1. Globale Kritik: Vorwürfe, Anklagen und Verurteilungen, insbesondere Verallgemeinerungen in Bezug auf die Persönlichkeit (z. B. »Du bist schon immer egoistisch gewesen!«)

2. Defensivität: Rechtfertigung, Gegenvorwürfe, Schuldzurückweisung und Beharren auf der eigenen Position (»Du bist doch auch nicht besser! Aber du…«)

3. Verächtlichkeit: zynische Worte, herablassender Tonfall, abfällige Mimik, den anderen lächerlich machen oder verspotten

4. Mauern: den anderen ignorieren, sich verschließen, den anderen »abprallen« lassen, die Kommunikation einseitig abbrechen

Auffällig ist, dass ungünstige Kommunikationsmuster unter Stress häufiger auftreten. Bodenmann hat auf die Bedeutsamkeit des Stresses für Partnerschaften hingewiesen: Stress, der außerhalb der Partnerschaft wie etwa bei der Arbeit entsteht und nicht ausreichend bewältigt wird, kann auf die Beziehung »überschwappen«. Konflikte und eine Verschlechterung der Partnerschaftszufriedenheit sind die Folgen (2015).

Auch die Berner Studie bestätigt diese Zusammenhänge: Menschen, die unter Stress stehen, sind eher unzufrieden mit ihrer Partnerschaft. Häufiger auftretende Konflikte erzeugen dann weiteren Stress, Teufelskreise entstehen. Davon ist auch die Sexualität betroffen: Mit zunehmendem Stress sinkt die Zufriedenheit mit der sexuellen Beziehung (Borgmann et al., 2019).

Besonders belastend sind auch stabile schwierige Persönlichkeitseigenschaften des Partners wie Neurotizismus, also die Tendenz zu Ängsten, Traurigkeit, Schuldgefühlen und Ärger, oder Veränderungen aufgrund von Alkoholproblemen und Depressionen (Karney & Bradbury, 1995; Lee & Sbarra, 2013; Amato & Previti, 2003; Whisman, 2007). Ein konstruktiver Austausch ist kaum noch möglich und es kommt zu andauernden Konflikten. Viele Partner halten es lange in derart schwierigen Beziehungen aus. Im Laufe der Jahre stoßen sie dann aber an ihre Grenzen, bringen die Bereitschaft, ihr Leiden zu ertragen, nicht mehr auf und beenden die Partnerschaft.

Während Frauen die mangelnde Kommunikationsfähigkeit ihrer Männer beklagen, geben mehrheitlich Männer den Aspekt der Entfremdung als Grund für Partnerschaftsunzufriedenheit an. Sie nehmen unterschiedliche Entwicklungen, auseinandergehende Werthaltungen und Lebensstile wahr und erleben ihre Partnerinnen als nicht genügend anpassungs- und veränderungsbereit (Margelisch & Perrig-Chiello, 2016).

Wir fragen uns, welche Rolle die sexuellen Bedürfnisse bei den unterschiedlichen Entwicklungen und auseinandergehenden Lebensstilen spielen. Denn wie wir noch genauer sehen werden, leiden insbesondere Männer unter seltenem oder unbefriedigendem Sex. Für viele Männer hat die Sexualität eine große Bedeutung für ihre Partnerschaftszufriedenheit und eine Auseinanderentwicklung der sexuellen Lust ist daher vermutlich ein erheblicher Faktor für ihr Gefühl der Entfremdung ( Kap. 3.1).

In gut einem Drittel der Paarbeziehungen kommt es zu Außenbeziehungen, wobei Männer und Frauen nahezu gleich häufig fremdgehen. Selbst in Paarbeziehungen, die sich als glücklich beschreiben, wird fremd gegangen (Schmidt et al., 2003; Kröger, 2010).

Die meisten Männer und auch mehr als die Hälfte der Frauen begründen eine Außenbeziehung mit dem »Reiz des Neuen« (Schmidt et al., 2006). Wer dem Reiz erliegt, wird von persönlichen Werthaltungen bestimmt: Eine permissivere Moral und geringere Religiosität begünstigen Außenbeziehungen (Fincham & Beach, 2010).

Verschiedene Studien zeigen eine Kombination unterschiedlicher Faktoren: Neben der Partnerschaftsgeschichte und -qualität spielt die persönliche Biografie eine Rolle. Weiterhin wirken sich Persönlichkeitsfaktoren wie etwa emotionale Instabilität, ein geringes Selbstwertgefühl, Unzufriedenheit, höhere Depressivitätswerte oder eine geringere Gewissenhaftigkeit aus. Begünstigend zeigen sich – vor allem beim Mann – ein höheres Einkommen und beruflicher Status sowie körperliche Attraktivität. Diese Faktoren erleichtern es auch, geeignete Gelegenheiten zu finden (Von Sydow & Seiferth, 2015).

Frauen wie Männer finden eine Liebesbeziehung des Partners belastender als reine sexuelle Untreue (Tagler & Gentry, 2011). Jene führt auch häufiger zu Trennungen als sexuelle Affären.

Ein weiteres Thema, welches es bei einem Blick auf Partnerschaften zu berücksichtigen gilt, ist die häusliche Gewalt., von der insbesondere Frauen betroffen sind. Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens physische und/oder sexualisierte Gewalt. Laut dem Bundeskriminalamt (2020) ist die häusliche Gewalt seit 2014 jährlich angestiegen. Etwa die Hälfte der Opfer von vollendeter und versuchter Partnerschaftsgewalt lebte im gemeinsamen Haushalt mit der tatverdächtigen Person. Von den Opfern waren ca. 80 % weiblich und ca. 20 % männlich.

In der freien Beratungspraxis stellt häusliche Gewalt einen Sonderfall dar. Wenn wir von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft erfahren, ist unsere Haltung systemisch und allparteilich – aber wir beziehen eine unmissverständliche Position: Wir akzeptieren die Person; das gewalttätige Verhalten dagegen ist inakzeptabel und muss beendet werden. Das Paar muss den sofortigen Ausstieg aus der Eskalation lernen ( Kap. 10.2). Ein weiteres wichtiges Element ist das Erlernen von Selbstregulation ( Kap. 11.1) in Einzeltherapien oder Antiaggressionstrainings. Da allerdings schnell gehandelt werden muss, überweisen wir Betroffene häufig an Fachstellen wie Opfer-, Frauen- und Männerberatungsstellen. Sind Kinder in die Gewalt involviert und es droht ihnen Gefahr, so müssen in Deutschland das Jugendamt, in der Schweiz die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) oder die Polizei einbezogen werden.

2.2 Glückliche Partnerschaften

Betrachten wir nun die Paare, die trotz der Herausforderungen des Alltags glücklich oder zufrieden mit ihrer Partnerschaft sind. Was machen diese Paare laut Paarstudien anders? Warum schwappt Stress bei ihnen nicht auf die Partnerschaft über? Wie bewältigen sie die Belastungen des Alltags und wie kommunizieren sie?

Glückliche Paare scheinen etwas Grundlegendes verstanden zu haben: die Wichtigkeit des Perspektivenwechsels, also die Fähigkeit zur Empathie. Sie können sich in den Partner einfühlen und ihn mit seinen Bedürfnissen ernst nehmen (Arriga & Rusbult, 1998). Grundsätzlich geht es in einer Partnerschaft um die Bedürfnisse nach Sicherheit und Stabilität, Verbundenheit und Nähe, Wertschätzung und Akzeptanz sowie nach Zärtlichkeit und Sexualität und nach persönlichem Wachstum. Das Ausmaß eines bestimmten Bedürfnisses ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Damit die Bedürfnisse der beiden Partner möglichst umfassend erfüllt werden und eine Partnerschaft stabil bleibt, braucht es das Commitment beider Partner. Commitment bedeutet hier die Entscheidung, sich für die Beziehung engagieren zu wollen, um sie längerfristig aufrechtzuerhalten (Drigotas, Rusbult & Verette, 1999). Das kann z. B. heißen: »Ich will es mit dir schaffen und mich für unsere Beziehung einsetzen – selbst, wenn es manchmal schwierig ist«.

Auch der Umgang miteinander ist bei glücklichen Paaren anders: Sie gehen grundsätzlich feinfühlig und achtsam miteinander um (Rusbult, Finkel & Kumashiro, 2009). Sie halten mehr Blickkontakt als unglückliche Paare, lächeln einander häufiger an, sprechen mit warmer, zärtlicher Stimme und vermitteln dem Partner, dass sie ihn und seine Äußerungen respektieren (Bradbury & Karney, 2010). Negative Verhaltensweisen werden durch positive ausgeglichen: Einem negativen Kommunikationsereignis, wie etwa einem Vorwurf, Jammern oder einer Provokation, stehen fünf positive Verhaltensweisen, wie etwa ein Lächeln, Interesse oder Zärtlichkeiten, gegenüber (Gottman, 2014).

Bei Belastungen durch den Alltag zeigen glückliche Paare Fähigkeiten zur dyadischen, d. h. partnerschaftlichen, Stressbewältigung: Die Partner tauschen sich regelmäßig persönlich aus, berichten einander von ihren Belastungen und den damit einhergehenden Gefühlen; sie unterstützen sich gegenseitig emotional und auch problembezogen, d. h. durch praktische Hilfe (Kessler, 2015). Die gemeinsame Bewältigung von Stress wirkt sich positiv auf die Partnerschaft – und auch auf die Gesundheit der Partner – aus (Meuwly et al., 2012).

Tiefes Verstehen ist wesentlich, um zu wissen, welche Bedürfnisse der Partner hat, welche Art der Unterstützung er braucht, und auch, um eine Partnerschaft als erfüllend zu erleben (Bradbury & Karney, 2010). Glückliche Paaren zeigen mehr Selbstöffnung – sie sprechen über tiefe Gefühle und Bedürfnisse – hören sich gegenseitig aufmerksamer zu, geben einander weniger Ratschläge und mehr emotionale Unterstützung als unglückliche Paare. Dieses weist auf ein gegenseitiges tieferes Verstehen hin (Kuhn, 2017).

Eine weitere Form der Unterstützung, durch die sich glückliche Paarbeziehungen auszeichnen, ist, dass die Partner auf die Stärken des anderen fokussieren. Sie unterstützen sich gegenseitig in ihrem persönlichen Wachstum, indem sie einander helfen, die jeweiligen Stärken weiterzuentwickeln, sich gegenseitig ermutigen und positive Rückmeldungen geben. Sie machen nicht den Fehler, den Partner nach den eigenen Vorstellungen verändern zu wollen, und sie ermöglichen neue Entwicklungen, ohne den anderen aufgrund eigener Ängste einzuschränken (Rusbult et al., 2009).

Zur Regulation von Gefühlen spielen körperliche Berührungen im Alltag glücklicher Paare eine wichtige Rolle: Nicht nur die Stimmung des Empfangenden wird durch kleine Zärtlichkeiten angehoben, sondern auch die des Gebenden. Gleichzeitig stärkt die Ausschüttung verschiedener Hormone die Bindung, was umgekehrt wieder Auswirkungen auf die partnerschaftliche Nähe und Intimität und damit die Partnerschaftszufriedenheit hat (Debrot et al., 2013)

Im »Haus der Partnerschaft« fassen wir die Erkenntnisse der Paarforschung über glückliche Partnerschaften zusammen ( Abb. 2.1). Die sechs Säulen stellen die beschriebene Haltung der Partner dar und die Ebenen des Daches den Umgang miteinander. Das Gebäude steht auf dem Fundament der psychischen Stabilität beider Partner. Denn Partnerschaften, in denen beide Partner psychisch stabil sind, haben gute Voraussetzungen ( Kap. 2.1).

Der Schornstein des Hauses symbolisiert die angemessenen Erwartungen: Es hat sich als günstig für die Partnerschaftszufriedenheit herausgestellt, keine überzogenen Erwartungen an Liebe, Sexualität und Partnerschaft zu haben, sondern diese den jeweiligen Lebensumständen anpassen zu können. Der Paartherapeut Arnold Retzer bezeichnet diese Fähigkeit als »resignative Reife« (Retzer, 2009). Glückliche Paare verstehen Probleme und Krisen als unvermeidbare Bestandteile der Beziehung, an denen gearbeitet werden muss. »Die besten Karten haben jene, die dies nicht als lästige, störende Übung ansehen, sondern vielmehr als eine spannende Aufgabe, in der man die Chance hat, sich gegenseitig immer wieder neu kennenzulernen und weiterzuentwickeln« (Perrig-Chiello, 2017, S. 176).


Abb. 2.1: Das Haus der Partnerschaft

Partnerschaft und Sexualität

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