Читать книгу Novembereis - Monika Rösinger - Страница 5
ОглавлениеDer Bub lag auf den staubigen Brettern des Dachbodens. Durch die Scheibe der Dachluke linsten Strahlen der späten Abendsonne, die jetzt schon langsam über den Hügeln der Laad unterging. Mit einem Wisch Heu hatte er die Scheibe sauber gerieben. Er mochte es, wenn die Sonne die Staubkörnchen in der Luft zum Tanzen brachte oder die Regentropfen Schlieren in die Scheiben zogen. Niemand wusste, dass er oft hier oben in den Tag hinein träumte. Wenn er zu einer Arbeit gerufen wurde, hielt er den Atem an und bewegte sich nicht. Die Frauen im Haus, die Alten im Webkeller oder der Armenvater gaben das Rufen jeweils bald auf. Manchmal setzte es später eine Ohrfeige, aber die war es wert. Die meisten Arbeiten, zu denen er aufgefordert wurde, waren ihm verhasst. Jeder konnte ihm befehlen, alle konnten ihn herumkommandieren. Die Arbeit mit den Tieren im Stall, die er gern getan hätte, war ihm verwehrt; da arbeitete der Koni und der Meisterknecht wollte nicht zwei Buben im Stall.
So verbrachte er seine Zeit neben dem ungeliebten Schulunterricht oft träumend und ohne Ziel. Auch den Konfirmandenunterricht mochte er nicht. Die Buben rückten in der Kirchenbank von ihm weg, sie verachteten ihn, den Armenhäusler. Die Mädchen rümpften die Nasen und kicherten über seine geflickten Kleider und seine borstigen Haare. Der Pfarrer rief ihn nie auf, er blickte ihn nur hin und wieder sorgenvoll an. Gehänselt wurde er nicht, dafür war er zu stark. Er würde es ihnen schon noch zeigen, den Bubis und den blöden Weibern. Ja, das würde er. Seit ein paar Wochen wusste er mehr als sie alle; die hatten ja keine Ahnung. Sein besonderes Wissen hatte er durch ein Astloch im Boden in seinem geheimen Horst erworben. Unter dem Dachboden lag die Mägdekammer und was er da hin und wieder erspähte und hörte, machte ihn trotzig stolz und gleichzeitig unsicher. Manchmal war es einer der Knechte, manchmal einer der jüngeren Armenhäusler, mit denen sich Rosa auf dem Bett wälzte. Er sah weisse Schenkel und rundes, bleiches Fleisch; er hörte zotiges Gemurmel, grobe, unflätige Kraftausdrücke, heiseres Lachen, Stöhnen und unterdrückte Schreie. Auch grobe Schläge fielen auf weisse, dralle Schenkel. All das weckte etwas in ihm, was er nicht beschreiben konnte. Sein Geschlecht regte sich. Es gefiel ihm und gleichzeitig fühlte er sich abgestossen. Er sprach mit niemandem darüber.