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Sieben Schritte zur Innovation

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Leonardo da Vinci: Prototyp des Innovators

Das Geheimnis all derer, die Erfindungen machen,

ist, nichts für unmöglich anzusehen.

Julius von liebig

Als Leonardo in dem kleinen toskanischen Dorf Vinci 1452 das Licht der Welt erblickt, befindet sich diese Welt gerade mitten in einem gigantischen Umbruch:

 In sein Jahrhundert fallen bedeutende Entdeckungen anderer Erdteile, die Erfindung des Buchdrucks oder die Saat zu einer zweiten christlichen Religion.

 In seinem Geburtsland findet im Rahmen des italienischen Frühhumanismus eine ausgedehnte Diskussion über das Wesen der Wissenschaften und ihr Verhältnis untereinander statt; besonders die Geisteswissenschaften erregen großes Interesse.

 In unmittelbarer Nähe seines Geburtsortes hinterlassen die Medici ihre Spuren im boomenden Florenz. Aber auch Mailand und Rom, Mantua oder Urbino haben in Bezug auf Kunst, Architektur und intellektuelles Klima einiges zu bieten.

 In seinem Geburtsjahr schließlich wird mit Friedrich III. zum letzten Mal ein Deutscher in Rom zum Kaiser gekrönt, wird der spätere Florentiner Bußprediger Savonarola geboren, der gegen Ende des Jahrhunderts verbrannt wird, und wird Ghibertis berühmte Paradiestür am Baptisterium in Florenz installiert.

 Ein Jahr nach seiner Geburt erobern die Türken das byzantinische Reich mit Konstantinopel als Hauptstadt; zwanzig Jahre nach seiner Geburt wird zum ersten Mal ein medizinisches Werk eines zeitgenössischen Arztes gedruckt, und weitere zwanzig Jahre danach entdeckt Kolumbus einen anderen Kontinent.

Es ist eine aufregende Zeit in einem der aufregendsten Jahrhunderte, und sie wird uns in der Erinnerung noch aufregender erscheinen, weil am 15. April 1452 ein Knabe geboren wird, von dem man später sagen wird, er sei das vielleicht größte Genie der Weltgeschichte. Er wird den größten Teil der zweiten Jahrhunderthälfte in Bezug auf Geistesgröße mitprägen, und wenn er 1519 im Alter von 67 Jahren stirbt, wird die Epoche, die wir als Renaissance kennen und schätzen, in voller Blüte sein.

Leonardo kommt mit dem Makel der unehelichen Geburt zur Welt: Er ist die Frucht einer Beziehung seines Vaters Ser Piero mit Caterina, einer Bauerntochter aus der Umgebung. Die Affäre des 25-jährigen wohlhabenden Notars und Treuhänders wird wohl eine Mesalliance gewesen sein, was den Großvater jedoch nicht hindert, sich über seinen Enkel «Lionardo» zu freuen und ihn eine Zeit lang mit zu erziehen. Noch im selben Jahr heiratet der Vater eine Sechzehnjährige (die erste von drei Eheschließungen) und im Jahr darauf die Mutter einen Töpfereibesitzer, mit dem sie in einem Nachbardorf wohnt. 1454 wird sie Mutter einer Tochter und beschert damit Leonardo das erste von fünf Geschwistern mütterlicherseits. Sein Vater wird diese Zahl mit den dreizehn Kindern, die er ab 1477 mit seiner dritten Ehefrau haben wird, um einiges übertreffen.

Leonardo pendelt in den ersten paar Jahren zwischen den Häusern seines Großvaters und seines Vaters, wo er den größten Teil seiner ersten siebzehn Jahre verbringt: ein wissbegieriger Junge, der durch die toskanische Landschaft streift, alles hochinteressant und untersuchungswürdig findet und vieles mit nach Hause bringt. Er legt sich – Albtraum jeder Mutter – eine Sammlung furchterregender Tiere zu, aus denen er später in seiner Fantasie das furchterregendste Tier kreieren und damit den Schild eines Auftraggebers schmücken wird. Sein Vater wird den dann für hundert Dukaten verkaufen – und zwar nicht an den ursprünglichen Auftraggeber, dem er einen anderen Schild anfertigen lässt, sondern an eine Gruppe von Kunstkennern, die ihn später für ein Dreifaches an den Herzog weiterverkaufen wird. Das furchterregendste aller Tiere ist also die erste Honorararbeit des jungen Künstlers.

Auch der Großvater ist Notar, und «normalerweise» hätte Leonardo denselben Beruf ergriffen. Doch unehelich geborene Kinder sind von der Mitgliedschaft in der entsprechenden Zunft ausgeschlossen – und so muss das Kind halt das Genie aller Zeiten werden statt der vielleicht intelligenteste Notar der Toskana!

Bedingt durch die Arbeit des Vaters, der für Cosimo de’ Medici und andere florentinische Klienten tätig ist, zieht die Familie 1469 nach Florenz. Leonardo wird dort in der «Werkstatt» von Andrea del Verrochio arbeiten, in der auch Größen wie Perugino , Botticelli oder Ghirlandaio aktiv sind. Leonardos erster Aufenthalt in der Stadt, mit der wir ihn wohl am meisten assoziieren, wird bis 1482 dauern, sein zweiter von 1500 bis 1508.

Der Zwanzigjährige wird in die Zunft der Maler aufgenommen und damit beschäftigt, an den Bildern Verrochios mitzumalen. Das Hauptquartier der Zunft befindet sich im Ospedale Santa Maria Nuova, und Leonardo nutzt diese ungewöhnliche Umgebung für seine Studien in Anatomie. Das wird fast zu einer Obsession: Als er erfährt, dass ein Hundertjähriger im Spital liegt, wartet er mit größtem Interesse auf dessen Tod, um dann sofort, nachdem der Greis seinen letzten Atemzug getan hat, eine Obduktion vorzunehmen, die ihm unschätzbare Einblicke gibt, wie sich der Körper im hohen Alter verändert. 1478 datieren die ersten Blätter im Codex Atlanticus. Im Codex enthalten sind über 1700 mehrheitlich eigenhändige Blätter und Fragmente mit Texten und Zeichnungen technisch-wissenschaftlicher Art. Bereits hier gibt es geographische und mathematische Aufzeichnungen, Notizen zu Malerei- und Architektur-Projekten sowie Anekdoten und anatomische Studien.

Es sind die berühmten Notizbücher Leonardos, die uns so viele wertvolle Details über die immense Bandbreite seiner Schaffenskraft wie auch über seinen Tagesablauf und seine Arbeitsdisziplin Aufschluss geben. Er hat darin fast alles aufgezeichnet – fast immer übrigens in Spiegelschrift! – und uns damit eine unschätzbare Quelle von Informationen über sein Leben und Schaffen geschenkt. So erfahren wir zum Beispiel, dass er 1479 anfängt, Maschinen zu bauen, 1480 für Lorenzo de Medici , genannt «II Magnifico», Hauptauftraggeber Verrochios , im Garten von S. Marco arbeitet und im selben Jahr Waffen, Kriegsmaschinen, Brennspiegel und eine Ölpresse entwirft oder 1481 einen Auftrag der Mönche von S. Danato in Scopeto für eine Altartafel zum Thema «Anbetung der Könige» annimmt. Bereits in diesem Jahr entstehen auch Studien zu Wasser und Hydraulik, Flug- und Tauchgeräten.

Leonardo wird am Hofe Lorenzos in einen Kreis von Philosophen, Mathematikern und Künstlern eingeführt. Es gibt sogar Hinweise, dass er für einige Zeit im Medici-Palast gewohnt haben soll. Er saugt Wissen, Ideen und Spekulationen auf wie ein Schwamm, und vielleicht liegen hier auch die Wurzeln seines Talents, Geschichten und Anekdoten zu erzählen.

Wir haben fast keine biographischen Angaben über Leonardo von seinen Zeitgenossen; die ersten Aufzeichnungen seines Lebens kommen von dem Mann, der unsere Basisquelle für die meisten Renaissancekünstler ist: von Giorgio Vasari, selbst Maler, Architekt, Geschäftsmann und Höfling. Ihm verdanken wir den Begriff Rinascimento, und er hat uns mit seinem Klassiker «Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten» 7 Einblick in die künstlerische Dynamik des 15. und 16. Jahrhunderts, eine der aufregendsten Epochen, gegeben; allerdings hat er das ungefähr dreißig Jahre nach Leonardos Tod getan. Also wissen wir das, was wir über Leonardo wissen, hauptsächlich aus zweiter Hand. Die ihm nachfolgenden Biographen stützen sich dann weitgehend auf Vasari als ihre Hauptquelle.

In Florenz lässt es sich gut leben, wenn jemand so gut aussieht wie Leonardo, exzellente Manieren hat, charmant ist und wohlgelitten am Hofe der Medici. Vasari überschlägt sich fast: «Leonardo da Vinci, dessen Schönheit nie genug gerühmt werden kann, dessen Grazie bei allem, was er tat, unermesslich schien und dessen Talent so groß und so geartet war, dass sich sein Geist allen schwierigen Dingen zuzuwenden und sie mit Leichtigkeit zu lösen vermochte.»

Kurz vor seinem 24. Geburtstag erfährt sein Leben eine Zäsur: Er wird wegen Sodomie angeklagt und ins Gefängnis geworfen. Vielleicht hat er sich mit den ersten eigenen Werken aus dem Vorjahr – einem Wandteppich für den König von Portugal sowie verschiedenen Gemälden – schon einen gewissen Ruf erworben, vielleicht ist es aber auch das Renommee des einflussreichen Vaters, das ihn rettet; jedenfalls wird er wegen Mangel an Beweisen freigesprochen und auf Bewährung aus der Haft entlassen. Er darf zwar weiterhin in der Werkstatt Verrochios arbeiten und bekommt in den nächsten Jahren sogar eine Reihe von eigenen Aufträgen, aber in dem vom Florentiner Stadtrat, der Signoria, angestrengten Verfahren liegt der Keim zu seinen Plänen, diese Stadt zu verlassen. Und das tut er dann auch: Der Dreißigjährige zieht nach Mailand, zwar entsandt von Lorenzo de’ Medici, aber von jetzt an in den Diensten von Ludovico Sforza , dem er das Bewerbungsschreiben aller Bewerbungsschreiben schickt. Darin bietet er u. a. folgende Dienste an:

 Konstruktion sehr leichter, aber starker Brücken

 Lösung des Wasserversorgungsproblems bei Belagerung

 Wie zerstöre ich eine Zitadelle?

 Konstruktion einer Kanone, die Steinchen wie Hagel ausspeit

 Sicherheitsvorkehrungen für Schiffe, die in eine Seeschlacht geraten

 Untertunnelung von Gebäuden

 Überdachte Wagen, die man, mit Munition beladen, in die Reihe der Feinde schicken kann

Die Kriegsmaschinerie wird noch vervollständigt durch allerlei Geräte und Munitionen, von denen er schreibt, dass sie schöner und nützlicher geformt seien als alles, was bisher so in Gebrauch war. Und was würde er in Zeiten des Friedens tun können?

 So gut wie jeder andere sei er, was die Architektur betrifft, und das im öffentlichen wie im privaten Bereich.

 Wasser könne er von einem Ort zum anderen leiten.

 Skulpturen in Marmor, Bronze oder Ton – was darf’s denn sein? – oder, wenn nicht Bildhauerei, dann könne er sagen, dass seine Malerei jeden Vergleich mit egal wem aushalten könne.

 Schließlich werde er das Monumentalprojekt, das bronzene Pferd zur Glorie des Hauses Sforza, an die Hand nehmen und damit Ludovicos Vater ehren.

Nicht schlecht für eine Liste von Qualifikationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem einzelnen Menschen, der noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens erreicht hat! Vielleicht ist es der letzte Punkt gewesen, der Sforza veranlasst, Leonardo in Mailand aufzunehmen (Vasari allerdings glaubt, dass es der höfische Charme des Bewerbers war, zusammen mit seinen Talenten als Musikant und Festveranstalter, der als ausschlaggebender Faktor angesehen werden kann): Sforza ist geradezu besessen von der Kreation dieses Pferdes. Wäre es auch zu diesem neuen Auftragsverhältnis gekommen, wenn er gewusst hätte, dass sich Leonardo zwar für den Rest seines Lebens mit diesem Pferd beschäftigen, es aber nie vollenden wird?

Nun ist es nicht so, dass Leonardo untätig herumsitzt. «Unter anderem» kreiert er in seinem ersten Mailänder Aufenthalt, in den drei Jahren von 1495 bis 1498, eines der berühmtesten Fresken der Kunstgeschichte: das «Abendmahl», dessen Ruhm wohl in erster Linie auf der bis dahin nicht da gewesenen räumlichen Aufteilung beruht. Mit dem Auge des Künstlers wie mit dem des Wissenschaftlers arrangiert er die zwölf Apostel in vier Gruppen zu je drei Männern, mit Jesus in der Mitte, der – souverän in seiner Gefasstheit und Einsamkeit – kurz davor zu sein scheint, die berühmte Vorhersage zu machen: «Einer unter euch wird mich verraten.»

Interessant übrigens, dass Malen durchaus nicht Leonardos Lieblingsbeschäftigung ist; oft beschränkt er sich darauf, mit ein paar sicheren Pinselstrichen die Grundidee vorzugeben oder korrigierend einzugreifen, und beim Malen eines Bildes für Isabella d’Este heißt es, dass er «sehr ungeduldig mit dem Pinsel» gewesen sei. Es war durchaus normal in den großen Ateliers berühmter Künstler, dass Schüler einen guten Teil der Arbeit an großen Werken ausführten, unter den wachsamen Augen der Meister natürlich. Ebenso zeigt er in diesem Fall nur ein begrenztes Interesse an technischen Fragen, die für das Bestehen dieses Werkes überlebenswichtig sein sollten: Offenbar waren die Maßnahmen zur Erhaltung des Freskos ungenügend und haben seine langsame Zerstörung nicht verhindern können.

Wenn Leonardo nicht malt, intensive Recherchen zu Pferdekörpern macht oder den Hof mit seinem Charme bezaubert, beschäftigt er sich mit Studien der Anatomie, Astronomie, Botanik, Geographie oder Geologie. Der bedeutendste Auftrag jedoch ist und bleibt das Pferd («am 23. April 1490 fing ich dieses Buch an und begann das Pferd»), von dem Kunstkritiker sagen, wenn sie die Entwürfe sehen, dass es Teil der großartigsten Reiterstatue aller Zeiten geworden wäre. Wenn nicht die großartigste, so sicher doch die größte: Die Statue war auf fast acht Meter angelegt!

Es hat nicht sollen sein: Als er endlich ausreichend recherchiert hat und ans Umsetzen der Entwürfe gehen kann, kommt die versprochene Bronze nicht – es wären, nach Leonardos Berechnungen, ungefähr achtzig Tonnen geschmolzener Bronze nötig gewesen: Sforza braucht sie dringender für Kriegsmaterial, um die Franzosen aus seinem Territorium zu drängen. Das scheint ihnen allerdings wenig Eindruck gemacht zu haben: 1499 erobern sie trotzdem Mailand und schicken den Herzog ins Exil. Französische Bogenschützen zerstören das Modellpferd, indem sie es als Zielscheibe benutzen – und sein Schöpfer verliert aufs Mal Arbeitgeber und Wohnsitz. Er muss sich nach anderen Lebensunterhaltsmöglichkeiten umsehen – und aus der Distanz von fast zwei Jahrzehnten erscheint Florenz dann doch wieder sehr attraktiv: 1500 zieht es ihn dorthin zurück, wo gleich sein erstes Werk, Auftragswerk eines religiösen Ordens, obwohl nur als vorbereitende Zeichnung zu sehen, ein echter Publikumsmagnet wird. Das Bild wird nie fertig werden, dient aber als Vorlage für ein späteres, das im Louvre hängt: «Madonna mit Kind und der Heiligen Anna».

1502 bringt ihm einen interessanten Auftrag von einer der berüchtigtsten, aber faszinierendsten Persönlichkeiten der Renaissance: Cesare Borgia , der ihn als Oberingenieur beschäftigt. In seinem Auftrag unternimmt Leonardo ausgedehnte Reisen; das Ergebnis sind sechs Landkarten von Mittelitalien, die von einer frappierenden Genauigkeit sind. Das konnte er also auch noch!

Nicht dass sie Borgia viel nützen: Sein Kriegsglück hat ihn verlassen. Obwohl die Signoria in Florenz noch Niccolö Machiavelli an die Seite Borgias delegiert, kann auch dieser große Stratege nicht mehr viel ausrichten. Jedoch begegnet er Leonardo am Hof, und aus dieser Begegnung entsteht eine Freundschaft, die sich für Leonardo auszahlt: Nachdem er 1503 wieder festen Wohnsitz in Florenz nimmt, erteilt ihm die Signoria einen wichtigen Auftrag.

Im selben Jahr malt er für Giuliano de’ Medici sein wohl berühmtestes Werk, das als großes Rätsel in die Kunstgeschichte eingehen wird. Wer war sie nun wirklich, die Dame mit dem angedeuteten Lächeln: Madonna Elisabetta, dritte Frau des Florentiner Adligen Francesco del Giocondo, die den Spitznamen Mona Lisa hatte und mit «La Gioconda» dem Gemälde einen schönen Namen verleiht?

Offenbar hat er bei diesem Bild alles richtig gemacht, denn immerhin lächelt die Dame schon seit fünfhundert Jahren mysteriös. Jetzt aber zeigt auch sie Alterserscheinungen: Das dünne Pappelholz der Bildtafel zeigt sich deformiert. Nun scheint die gut 500-Jährige – die «unbestrittene Diva des Louvre» (Tages-Anzeiger, 6. Mai 2004), die jährlich 5,5 Millionen Besucher anzieht – Falten zu bekommen. Vielleicht bekommt ihr die klimatisierte Einzelhaft, in der sie sich seit dreißig Jahren befindet, nicht so gut; vielleicht hat sie aber auch keine Lust auf den Umzug, der ihr in absehbarer Zeit bevorsteht, wenn sie in ein eigenes 200 Quadratmeter großes Logis transferiert werden soll. Ein ExpertInnen-Team ist einberufen worden, um herauszufinden, ob und wie man das Gemälde retten kann.

Leonardo selbst muss ein besonderes Verhältnis zu diesem Bild gehabt haben, denn er nimmt es mit nach Mailand, als er 1506 zum zweiten Mal dorthin zieht, diesmal in Diensten des französischen Vizekönigs Charles d’ Amboise; er wird dort bis 1513 bleiben.

Eigentlich wird er von Florenz nur ausgeliehen und muss sich verpflichten, die dort begonnenen Arbeiten zu beenden. Aber in Mailand schätzt man ihn auch, und die beiden Städte streiten sich um ihn. 1507 informiert der Florentiner Botschafter am französischen Hof in Blois, dass König Louis XII. die Absicht habe, Leonardo in seine Dienste zu nehmen; er betrachte ihn als «den teuren und geschätzten Maler und Ingenieur unseres Vertrauens». Das Gerangel um Leonardo zieht sich durch das ganze Jahr, während er in Francesco Melzi einen neuen Favoriten kennen lernt, einen schematischen Plan von Mailand aus der Vogelperspektive zeichnet und immer wieder anatomische Studien macht, diesmal auch über Pferde.

Es scheint, als ob er endlose Kapazität, Kraft und Zeit hat: Die folgenden Jahre verzeichnen Studien zu Wasserleitungen, Hydraulik und Mechanik, zu Geologie und Anatomie, zu Optik, Perspektive und Schattentheorie oder Vogelflug. Sie werden ab 1511 mit Landschaftsstudien, gezeichnet mit Rötel auf rot gefärbtem Papier, und Studien zu Flüssen und Kanälen in der Lombardei ergänzt.

Die ungemütliche politische Entwicklung (Massimiliano Sforza , Sohn von Ludovico, hat versucht, das Herzogtum zurückzuerobern, was ihm jedoch nur für eine sehr kurze Zeit gelingt, bevor auch er abgesetzt wird) veranlasst ihn 1513, nach Rom zu fliehen, wo er aufgrund seiner Beziehungen im Vatikan Unterkunft und ein Atelier sowie finanzielle Zuwendungen erhält.

Und wieder interessieren ihn neue Dinge: Als er im letzten Jahr seines Römer Aufenthalts mit der Qualität des Weines, den ihm sein Gutsverwalter in Fiesole geschickt hat, nicht zufrieden ist, gibt er ihm Anweisungen für eine Qualitätsverbesserung. Oder er zeichnet mechanische Uhren und Kompasse, erstellt Pläne für die Stallungen von Giuliano de’ Medici , inzwischen der Medici-Papst Leo X., wie auch für einen neuen Palast für dessen Familie in Florenz. Noch immer besteht eine Beziehung zu dieser Dynastie, aber als der Papst im März 1516 stirbt und damit Schutz und Einkommen in Rom von heute auf morgen aufhören, bemerkt Leonardo bitter: «Die Medici haben mich groß werden lassen, aber auch vernichtet.» Es kostet ihn keine Abschiedsträne, als er kurz darauf nach Frankreich auswandert, Melzi und Salai, seinen letzten und seinen ersten Günstling, im Schlepptau, um in die Dienste von Franz I. am Hof von Blois zu treten.

Im Gegensatz zur lauwarmen Reaktion in Rom erfährt der Künstler am Ende seines Lebens in Frankreich noch einmal die Anerkennung, die ihm gebührt. Die offizielle Bezeichnung ist «Maler, Ingenieur und Architekt des Königs». Aber eigentlich besteht seine Hauptaufgabe darin, sich mit seinem Patron zu unterhalten und mit ihm zu philosophieren. Benvenuto Cellini zitiert Franz I. mit der Feststellung, noch nie habe es auf der Welt einen Mann gegeben, der so viel wusste wie Leonardo, und das nicht nur in Bildhauerei, Malerei und Architektur; darüber hinaus sei er auch ein großer Philosoph gewesen.

1517 erleidet der 65-Jährige einen Schlaganfall, der zur Lähmung der rechten Hand führt; als jemand, der sowohl Rechts- als auch Linkshänder ist, kann er jedoch weiterhin zeichnen und sogar noch unterrichten. Das Ereignis hindert ihn auch nicht, die Idealstadt Romorantin zu entwerfen oder, 1518, anlässlich eines Besuchs von Piero de’Medici in Amboise, Entwürfe für einen Medici-Ring zu zeichnen. Zu Ehren des französischen Königs Franz I. und anlässlich der Hochzeit von dessen Nichte mit einem Medici-Spross finden Feierlichkeiten in großem Rahmen statt. Leonardos «Paradiesfest», ursprünglich um 1490 entworfen, erfährt in Amboise eine Wiederaufführung. Und der Hof erweist sich dankbar: Eine «Pension» von 2000 Scudi alle zwei Jahre wird für Leonardo festgesetzt, für den «Edelmann Melzi» gibt es 800 und für den ehemaligen Günstling Salai, der sich wahrscheinlich auch am französischen Hof von seiner bekannt schlechten Seite gezeigt hatte, nur 100.

Am 23. April 1519 verfasst Leonardo sein Testament; Melzi wird Testamentsvollstrecker, und er erbt alle Manuskripte, die Werkzeuge und «die Werke des Malers». Von den Geschwistern werden nur die auf der väterlichen Seite erwähnt. Der große Künstler und Wissenschaftler stirbt am 2. Mai 1519 in Cloux. Vasari und die Legende wollen es, dass er sein Leben in den Armen des Königs ausgehaucht habe. Andere Historiker behaupten, dass der König zu der Zeit gar nicht da gewesen sei, und relegieren das schöne Bild damit zu einer Fälschung. Verbrieft ist aber, dass Leonardo bis zuletzt an allem, was sich um ihn herum abspielte, wie auch an allem, was mit seinem bevorstehenden Tod zu tun hatte, interessiert war. Der Forscher ist sich bis zuletzt treu geblieben.

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