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II
ОглавлениеAls ich am nächsten Morgen aufwachte, war Odile definitiv verschwunden, Wilson war auch nicht da. Meine Anrufe beantwortete sie nicht. Ich war traurig und ratlos. Ich ging zum Rathaus und ließ die Begrüßungszeremonie über mich ergehen, die unter anderen Umständen sicher lustig gewesen wäre. Der Bürgermeister Erwin Mendez war zurück in der Stadt und hielt eine Rede, die meine Tat am gestrigen Tag wortreich lobte. Gleichzeitig machte er immer wieder schlüpfrige Witze.
Alle Mitarbeiter des Rathauses begrüßten mich und gratulierten mir. Es gab Coca-Cola zu trinken und Teigtaschen zu essen. Alle waren extrem freundlich. Der Bürgermeister lud mich anschließend zum Mittagessen in sein Haus ein, das direkt gegenüber dem Rathaus an der Plaza Mayor lag, seine Hofschranzen durften mitkommen. Bei Tisch wurde viel erzählt, ich kriegte wenig mit, denn in Gedanken war ich nur bei Odile, meinem Liebeskummer und ihrer mir unerklärlichen Abreise. Denn dass sie abgereist war, wurde beiläufig bei Tisch erwähnt. Die Französin sei mit dem Bus um sechs Uhr morgens abgefahren, hieß es, als die wichtigen Ereignisse des Vormittags weitergereicht wurden. Ein Bande Holzdiebe war dingfest gemacht worden, die Brasilianer kriegten den nagelneuen Schlachthof nicht fertig und die Anzahl Hochlandindianer in der Stadt, die erwähnten Collas, schien ihnen ins Unermessliche zu wachsen, man müsse was tun, endlich. Der gerettete Polizist war nach Santa Cruz geflogen worden, er schien außer Gefahr, man würde ihn anhören, sobald er dazu in der Lage war.
Ich verabredete mit Erwin, mich in den kommenden Tagen mit ihm in seinem Büro zu treffen, um meine Arbeit in San Ignacio mal so grob zu umreißen und gemeinsam die Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung zu eruieren. Ich könne kommen, wann ich wolle, ich sei stets willkommen.
Anschließend ging ich nach Hause, auf dem Weg trank ich zwei Dosen Bier. Ich hatte den Blues, war am Ende der Welt angekommen und fühlte mich unendlich einsam. Wie viel schöner wäre es mit Odile jetzt gewesen? Ich vermisste sie, weniger wegen dem, was zwischen uns am Vorabend angestanden hatte, als vielmehr ihre Nähe. Die Fahrt nach San Ignacio, trotz des schrecklichen Intermezzos mit den ermordeten Polizisten (oder vielleicht war es gerade das?), hatte uns, so schien mir zumindest, eng zueinander geführt. Ich versuchte erneut, sie anzurufen, aber sie antwortete nicht.
Am späten Nachmittag kam Wilson nach Hause, er hatte den Tag mit irgendwelchen Interviews mit Indianern in zwei Comunidades verbracht. Ich hörte ihm nur halb zu, er rief mir seinen Kurzbericht laut aus der Küche auf die Terrasse zu, wo ich rauchend und Rum trinkend der Sonne beim Untergehen zusah. Er setzte sich schließlich zu mir und textete mich weiter zu. Ich antwortete zwischendurch höflich, fragte sogar manchmal nach, ohne wirkliches Interesse. Diese selbstverliebten Typen merkten nie, ob es die anderen interessierte, was sie so von sich gaben. Das war eine Stärke, denn Selbstzweifel konnten da erst gar nicht aufkommen. Ich ging schließlich halbvoll ins Bett und schlief ein, ohne Odile noch einmal anzurufen.
Die kommenden Wochen und Monate vergingen schnell und ich begann, mich mit meiner emotionalen Lage abzufinden. Ich dachte zwar noch oft an Odile, aber der Schmerz ließ nach. Sie schien mir unerreichbar. Ich lernte einen Angestellten des Rathauses kennen, der mir die Stadt und deren Umgebung zeigte. Er erklärte mir netterweise, wer in San Ignacio wer war, nannte mir Namen und Funktionen. Sein Name war Juán Romero, ein Colla, der schon lange in San Ignacio lebte. Er war einen Kopf kürzer als ich und hatte fast schwarze Haut, sah aus wie Zwerg Nase. Er erleichterte mir den Anfang erheblich.
Ich hatte das Gefühl, dass mich der Deutsche Entwicklungsdienst voll auflaufen ließ. Von meinem Vorgesetzten Peter Dijkstra hörte ich die ganze Woche nach meiner Ankunft nichts. Die Sache mit den Polizisten hatten die noch gar nicht mitbekommen, hatte ich den Eindruck, obwohl ich einen Bericht geschickt hatte. Ich hatte auch ein Büro zugeteilt bekommen, es befand sich in einem langgezogenen Bau mit den unvermeidlichen Säulengängen. Von außen ganz schön, von innen total beschissen. Auf den Möbeln und auf dem Boden lag eine massive, rote Staubschicht. Die eine Wand bestand aus einem Aktenregal, auf dem sich irgendwelche Akten und lose Papiere völlig durcheinander stapelten - der Staubschicht nach zu schätzen, seit Ewigkeiten nicht angerührt. Der Ort deprimierte mich. Ich beschloss, zu Hause zu arbeiten und betrat das Büro in meiner gesamten Zeit in San Ignacio nicht mehr.
Bald lernte ich auch meine Kollegen kennen. Markus Treffer aus dem Schwarzwald war ein Riese, der, wie mir Tomás Echeverría bereits erklärt hatte, im Holzbereich arbeitete. Er war mit einer dicken Bolivianerin verheiratet, die immer lächelte. Markus schien sehr nett, introvertiert, das war mir immer sympathisch, und er war hochgebildet. Rosemary Camacho war hübsch, leicht negroid mit großem Busen, allerdings schwanger und wohl deswegen am Heiraten, ihr Typ kam aus San Ignacio. Thomas Hahn arbeitete im Wasserbereich, ebenfalls ein Riese, er kam aus Hessen und redete auch so. Und schließlich Wolfgang Blatter, der die Kaffee-Kooperative unterstütze. Alle waren sehr in Ordnung, wie mir schien, außer David van der Waahn, der junge Esoteriker, der hinten bei uns im Angestelltenhaus wohnte. Man bekam nicht so viel von ihm mit, aber das wenige reichte mir. Er behauptete Aids und Krebs heilen zu können und hatte auch schon ein paar alte Fürze aus San Ignacio in der Mangel. Er behandelte sie mit so einem chlorhaltigen Trunk, der sie zum Kotzen brachte. Er aß nur rohes Gemüse, Früchte, Körner und selbstgemachte Puddinge.
Nur zur Essenszubereitung tauchte er im Haus auf und war sonst immer in seiner Bude oder sonst wo außerhalb. Arbeiten war bei ihm nicht angesagt, so schien es. Markus, dem er eigentlich zugeordnet war, bestätigte seine permanente Abwesenheit. Ihm schien das aber recht zu sein.
Wilson lernte ich schließlich durch das Zusammenleben besser kennen. Einen Tag nach seiner Ankunft kam er auf mich zu und meinte, dass er mit Peter gesprochen hätte. Da er schon länger als ich hier sei und viel größere Distanzen als ich fahren müsste, hätte Peter Dijkstra entschieden, dass er den neuen Prado bekommen sollte. Ich würde mit seinem alten Toyota Hilux vorlieb nehmen müssen. Das klang ziemlich definitiv. Ich hatte keine Lust mit Peter darüber zu streiten und reichte Wilson die Schlüssel wortlos.
Nach anfänglicher Wut war ich eigentlich ganz froh, nicht mit dem affigen Prado, der immer noch nach einer Mischung aus vertrocknetem Polizistenblut und nagelneuem Plastik stank, durch die Gegend zu fahren. Die alte Hilux war irgendwie mehr Understatement. Außerdem fand ich Pickups sowieso besser als Jeeps.
Ansonsten gingen wir ein paar Mal zusammen laufen und spielten auch ein paar Partien Racketball. Da ich meist schon am späten Nachmittag mit dem Rum anfing, war ich beim Spielen abends in der Regel schon reaktionsschwächer. Aber für Wilson reichte es noch, was ihn zur Weißglut brachte, er war von Ehrgeiz zerfressen und konnte nicht ertragen, dass ich halbvoll mit Fahne gegen ihn gewann. Wenn wir zusammen Laufen gingen, wollte er immer, dass ich auf ihn wartete, weil er Schiss vor den streunenden Hunden hatte. Die verbellten aber auch immer nur ihn.
Im Haus spielte er weiter den Chef. Nach zwei Wochen kam auch Marcela zurück. Sie war nicht besonders hübsch, aber sehr nett, ein prima Kumpel. Sie ließ sich von Wilson vögeln, was ich ihr nach einiger Zeit und besserem Kennenlernen vorhielt. Sie meinte, dass ich es ja nicht mit ihr wolle und sie deshalb mit dem Idioten, wie sie ihn meistens nannte, vorlieb nehmen müsse. Sie arbeitete mit ihrem Chef Rafael Rojas an der Erstellung des Fünfjahresplanes des Munizips San Ignacio, sie war also - wie ich - dem Bürgermeister zugeordnet.
Bei meiner Arbeit gab ich ziemlich Gas, um selber den Takt vorzugeben und möglichst meine Ruhe zu haben. Ich hielt vor dem Bürgermeister und seinem Gefolge mehrere Präsentationen, in denen ich strukturelle Veränderungen der Bürgermeisterei vorschlug. Es sollte darauf hinauslaufen, dass die Bürger, als Souverän, mehr Zugang zu ihrer lokalen Regierung bekommen sollten. Ich hatte nämlich beobachtet, dass Erwin Mendez sich immer exklusiv um alle Anliegen selbst kümmern wollte. Das lief dann so ab, dass irgendwelche Delegationen aus den umliegenden Dörfern und Comunidades anrückten und stundenlang auf eine Audienz bei Erwin warteten, um ihm schließlich ihre Anliegen vorzutragen. Es ging meist um völlig banale Angelegenheiten auf Dorfebene, vor allem um Grenzstreitigkeiten oder versprochene Infrastrukturmaßnahmen, die immer noch nicht durchgeführt worden waren - wie zum Beispiel das Scheiβhaus des Dorfes zu reparieren.
Erwin war sehr eloquent und hatte großen Charme, so dass eigentlich jeder sein Büro zufrieden verließ, auch, wenn gar nichts erreicht wurde. Man hatte ja schließlich mit dem Chef gesprochen. Diese Art der Führung ermöglichte es Erwin, nach Gutdünken zu walten, öffentliche und kooperative Gelder hin und her und schließlich in seine Tasche zu schieben; und vor allem seine spektrale Macht weiter zu konsolidieren.
Mir wurde klar, dass er nicht im Geringsten an irgendwelchen strukturellen Veränderungen interessiert war, wie ich sie in jener Anfangszeit mehrfach vorschlug. Dies umso mehr, als ein paar Monate nach meiner Ankunft bereits Neuwahlen anstanden und Erwin bereits jetzt auf informeller Ebene Wahlkampf betrieb, obwohl dieser offiziell noch gar nicht eröffnet war. So resignierte ich ziemlich bald und integrierte mich einfach in die Arbeit am Fünfjahresplan mit Marcela und ihrem Chef Rafael Rojas, wobei ich eine ziemlich ruhige Kugel schob. Ich versuchte lediglich, meine strukturellen Ziele fürs Munizip, wie ich sie bereits Erwin vorgeschlagen hatte, ohne viel Tamtam im Fünfjahresplan zu verankern.
Nach einem Monat erschien dann auch Peter Dijkstra. Im Gespräch mit ihm bei uns im Haus schilderte ich ihm die Sachlage. Ich erläuterte ihm mein Strukturprogramm und kommentierte die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung. Ich erklärte ihm, dass ich, um nicht untätig zu sein, am Fünfjahresplan mitarbeiten würde und auf diese Weise versuchte, die Entwicklungsziele des DED im Munizip zu verankern. Er war mit allem sehr einverstanden, gab mir noch ein paar idiotische Tipps und zog sich dann mit Wilson zurück, es ging offensichtlich um ihr Buch.
Das Zusammenleben im Haus wurde durch Marcelas Anwesenheit angenehmer und entspannter. Wir saßen abends oft auf der Terrasse, hörten Musik, unterhielten uns und lachten auch viel. Wilson wurde mir wieder sympathischer und manchmal schien es mir, als mochte ich ihn sogar. Er erzählte, seinem Naturell entsprechend, immer viel von seiner wichtigen Arbeit. Er arbeitete mit einer Nichtregierungsorganisation namens ›Fundación Tierra Libre‹, die sich um die Landrechte der Indianer kümmerte. Man versuchte, diese gegen die weißen Großgrundbesitzer zu verteidigen, welche auf illegale Weise versuchten, sich indianischen Landbesitz anzueignen. Ein durchaus ehrenwertes Ansinnen.
Immer öfter gesellten sich abends die Kollegen zu uns, vor allem Thomas, der in einem Hotel wohnte und dem dort um jene Zeit zunehmend die Decke auf den Kopf fiel. Markus kam auch öfters, wenn er seine Alte nicht mehr ertragen konnte. Rosemary kam ab und zu, wenn wir grillten, und brachte ihren Verlobten mit, der eher langweilig war. Sie war wirklich hübsch aber eben schwanger und scheinbar echt in ihren Waldschrat verliebt.
Ich fuhr in jener Anfangszeit öfter mit Delegationen des Munizips raus aufs Land in die Comunidades. Das war einerseits recht interessant, denn ich konnte auf diese Weise die nähere und weitere Umgebung von San Ignacio kennenlernen. Andererseits war es aber auch öde, wenn nicht sogar unheimlich, diese völlige Abgeschiedenheit, das laute Sirren der Zikaden in mammuthaft großen Bäumen über Lehm- und Strohhütten, die die Mittagshitze in ihrem würgenden Schwitzkasten hielt.
Die Kollegen vom Munizip hatten dort in der Regel Schulungsaufgaben wahrzunehmen. Zum Beispiel, wie mit den geliehenen Viehherden umzugehen sei. Das Munizip lieh nämlich den Indianergemeinschaften eine Viehherde so lange, bis diese sich reproduziert hatte. Dann gaben die Indianer dem Munizip dieselbe Kopfzahl an Rindern zurück. Klingt eigentlich ganz vernünftig, war aber natürlich von vorne bis hinten so konstruiert, dass die politische Elite in San Ignacio kräftig daran verdienen konnte. Das merkte ich aber erst später, als ich mir den örtlichen Bischof genauer anschaute.
Überhaupt bekamen die Indianer alles entweder geliehen oder geschenkt. Wenn die Indianer Rodungen durchzuführen hatten, karrte das Munizip schweres Arbeitsgerät in Form von Planierraupen und Ähnlichem herbei und rodete für sie. Wollten die Indianer Zitrusfrüchte pflanzen, bekamen sie die Pflanzen vom Munizip und eben die erwähnte dazugehörige technische Ausbildung. Wollten sie Hühner züchten, bekamen sie eine Hühnerzucht.
Manche Comunidades hatten schon etliche Disziplinen durchprobiert und befanden sich bereits im sechsten oder siebten Anlauf, etwas Produktives auf die Beine zu stellen. Es war in solchen Fällen immer ein Problem der beteiligten Indianer. Wenn der Cacique10 entschied, eine der geliehenen Kühe zu schlachten, dann konnte die eben nicht mehr zur Reproduktion der Herde beitragen. In manchen Fällen war die ganze Herde innerhalb eines Jahres aufgegessen worden. Konsequenzen hatte ein solches Verhalten kaum. Es wurde einfach noch ein Kurs über nachhaltige Viehwirtschaft gehalten. Interessant waren die Indianer für Erwin Mendez vor allem vor dem Hintergrund, dass sie seit jeher treue Anhänger seiner konservativen Partei PRE waren und in Anbetracht seiner Großzügigkeit auch stets für ihn stimmten. Die Bevölkerung der Comunidades machte immerhin mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft San Ignacios aus.
10 Dorfvorsteher, Häuptling
Am Anfang kapierte ich freilich wenig und staunte vor allem über die totale Einfachheit des Lebens in den indianischen Dorfgemeinschaften. Keine Handys, keine Fernseher, keine Autos, keine Werbung, vereinzelt schepperte ein batteriebetriebenes Radio, Staub, Dürre, Lehmhütten, Holzbänke unter Bäumen für gemeinsames Dasitzen, frei lebende Schweine im Schlammbad, Hühner, Esel.
In einem der vielen Momente des einsamen Sinnierens, während die Munizip-Leute ihre Binsenweisheiten an die Indianer weiterreichten, wurde mir klar, wie absurd es war, hier Entwicklungshilfe zu leisten. Okay, vielleicht ein bisschen mehr Bildung und politische Beteiligung, aber wirtschaftliche Entwicklung? Für was, wenn diese Menschen alles hatten, was sie brauchten? Warum denen erklären, dass sie mehr Geld brauchen, um sich Sachen zu beschaffen, die sie nicht brauchten? Also, man darf sich die Indianer nicht als halbnackte, befiederte Wilde vorstellen. Sie waren immer in weißes Leinen gekleidet, die Männer mit Hut, die Frauen ohne, dafür mit Zopf. Man konnte auch nicht sagen, dass sie nicht im Einklang mit der Natur lebten. Ihre Öko-Bilanz war ja geradezu vorbildlich, alles wurde verwendet. Nur die Plastiktüten waren ein Problem. Alles, was man heutzutage kaufte, wurde aus einer Zwangshandlung heraus immer in eine schwarze Plastiktüte gesteckt. Diese wurde dann nach Gebrauch, entsprechend dem gewohnten Umgang mit organischem Müll, eben weggeschmissen und wehte dann durch die Gegend, bis sie sich in irgendetwas verfing und dann wie ein zerfetzter, apokalyptischer Wimpel im ewigen heißen Staubwind flatterte. Oder einer Kuh den Magen verrenkte.
Wilson fuhr auch öfters in die Comunidades. Er idealisierte das Leben dort und sich selbst seinem Naturell entsprechend gleich mit: Er gefiel sich in der Rolle des Intellektuellen, des linken Sozialhelden, der mit seinem dicken Prado in die Indianergemeinschaft kommt und wichtige Themen mit ihnen bespricht. Um sich dann mit dem Laptop in die Hängematte zu hauen und irgendwelche extrem sinnvollen Gedanken zu verewigen. Er kündigte zuhause öfters an: »Wenn ich heute Abend nicht aus der Comunidad soundso zurück bin, macht euch keine Sorgen, ich penne dann da!« Das fand freilich nie statt, er kam immer noch vor Sonnenuntergang zurück. Ich nehme an, dass ihm das einfache Leben gegen Abend ähnlich das Gemüt eintrübte, wie mir, er das aber nicht zugeben oder sehen wollte. Er kam einfach zurück, Punkt. Andererseits wurde mir schon klar, dass er da schon irgendwie etwas tat. Dieses etwas sollte sich mir, wie so vieles, erst im Zeitablauf erschließen. In seinem Fall allerdings dauerte das länger, weil ich ihn zunächst einfach zu wenig ernst nahm.
Auch im Zuge der Erstellung des Fünf-Jahres-Planes waren etliche Reisen in die Comunidades vorgesehen, genau genommen in jede einzelne der über sechzig. Es wurden drei Teams gebildet, jedes für sich hatte knapp zwanzig Comunidades abzuklappern. Vor Ort wurden die Indianer dann gefragt, was sie denn gerne so an Infrastrukturmaßnahmen für die kommenden fünf Jahre hätten. Die Angebotspalette war aber begrenzt: Viehtränken ausheben, Volleyballplätze bauen, die seit ihrem ersten Gebrauch kaputte Wasserpumpe reparieren, das Schulgebäude streichen, ein neues Dorfklo bauen oder eben irgendein produktives Projekt, wie Viehherden oder Hühnerzucht. Dann gab es noch Schulungen: ›Tortenbacken‹, ›Rechte der Frauen‹ und ›Waldbrände vermeiden‹. Letztere Schulung war völlig daneben, weil die Indianer die Natur ja jedes Jahr aus vollem Willen und Bewusstsein absichtlich in Brand steckten, so aus Gewöhnung. Denen dann in Kursen zu erklären, dass man sich im furztrockenen Winterwald keine Zigarette anzünden und ähnliche Scherze unterlassen soll, grenzt an Schwachsinn. Aber bitte, so war das nun mal. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich das Gefühl gehabt hätte, ich würde an der Verbesserung der Welt mitarbeiten.
Zum Glück war Marcela in meinem Team, die hatte immer einen Thermobehälter mit Bierdosen dabei. Die Sitzungen dauerten manchmal ewig, weil das indianische Gemüt eben eher behutsam denkt und vor allem äußerst demokratisch: Bis nicht jeder seinen Senf dazugegeben hatte, war an Abstimmung nicht zu denken.
Diesen Umstand kritisiere ich aber keinesfalls. Ich bin bis heute neidisch auf deren Art, die Zeit wahrzunehmen: als würde sie gar nicht existieren. Ich denke, dass das mit dem großen Ausmaß an Jenseitigkeit zu tun hat, mit dem diese Menschen dort immer noch leben. Die Reduzierung des Lebens auf das Diesseits hat doch den ganzen Zeitdruck bei uns erst in Gang gebracht - alles muss in diesem Leben geschafft werden!
Also, wurden die Sitzungen zu lang, ging ich mit Marcela zum Auto und wir gossen uns eins hinter die Binde. Die leichte Benebeltheit durch das Bier und dessen köstliche Kühle in der flirrenden Hitze machten mir das Sitzungs-Szenario, das ja eigentlich komplett stressfrei war, erträglicher. Zwischendurch lästerte ich mit Marcela und wir lachten viel. Wäre sie hübscher gewesen … Vielleicht konnte sie sich gar nicht verlieben. Aber ihre harte, zynische Schale ließ auf einen sehr verletzlichen Kern schließen. Ich mochte sie sehr und sie brachte mich oft zum Lachen, besonders, wenn sie über die Munizipler herzog, sie konnte die Typen perfekt nachäffen. Hermann Rhön, irgendwie der Leader dieser Truppe, war ihr beliebtestes Ziel - ein blonder Zwei-Meter-Typ mit Nazi-Haarschnitt und notorisch knallroter Fresse. Der machte die ganze Zeit den Oberwichtigen und Marcela gegenüber Annäherungsversuche. Wenn ich allein mit ihm war, also ohne Marcela, aber immer gerne mit seinen Kumpels, versuchte er mir Details zu entlocken, ob ich Marcela denn schon gefickt hätte und ob sie was im Bett könne und so weiter.
Mit der Belegschaft des Munizips unternahm ich zwischendurch auch zwei längere Reisen. Die eine führte uns tief in den Norden der riesigen Gebietskörperschaft von San Ignacio, in den Nationalpark ›Noël Kempff‹. Der Name rührte von einem Franko-Bolivianer der sich durch seine nachhaltige Arbeit in dem Gebiet, etwa so groß, wie das Saarland, hervorgetan hatte. Ich wurde von Erwin mitgenommen, weil ich ein Auto hatte, nicht etwa, weil er mich unbedingt dabei haben wollte.
Die Reise gestaltete sich so, wie man sich die Camel-Trophy vorstellt - durch Flüsse und Schlammtümpel, über baufällige Brücken und teilweise direkt durchs Unterholz, die Wege wucherten in der Regenzeit immer wieder zu. Oder man musste Kolonien von steckengebliebenen Holztransportern umfahren, was nicht einfach war, denn erst blieb einer stecken, dann versuchten die anderen diesen durchs Unterholz zu umfahren und blieben ebenfalls stecken. Die alte Hilux machte aber tapfer alles mit und erwies sich als geländetauglicher als die anderen beiden, moderneren Versionen des Modells, die noch dabei waren.
Ich hatte Lorgio Añez als Beifahrer, den Stadtratsvorsitzenden sowie einen sexsüchtigen spanischen Entwicklungshelfer, der mit seinem permanenten Gelaber über seine Bettgeschichten nervte. Lorgio Añez hingegen war ein witziger Kerl, der mich während der zweitägigen Anreise mit seinen Erzählungen über die Munizipmitarbeiter oft zum Lachen brachte.
Als wir am Ziel der Reise, einem Kaff namens Piso Firme, ankamen, dachte ich wirklich, ich wäre am Ende der Welt angekommen. Das Dorf bestand aus bunten Holzhütten mit kleinen Gärten davor, richtig nett. Strom gab es keinen, es wurde nachts noch mit Öllampen gearbeitet. Kurios waren die riesigen, vor sich hinrostenden Kessel und Maschinen der Kautschuk-Barone, die an jenem Ort vor hundert Jahren stinkreich geworden waren. Eine rostete in dem großen, breiten Fluss vor sich hin, der am Dorf vorbeiführte - weiß der Teufel, wie das tonnenschwere Teil da reingekommen war.
Die anderen standen einfach irgendwo auf dem Rasen herum, der die weiten Flächen um das Dorf umgab. Erfreulicherweise gab es Bier. Abends aßen wir Fisch, der sehr gut schmeckte. Ich fragte Lorgio Añez, mit dem ich die meiste Zeit im Dorf verbrachte, wo der Fluss hinführen würde. Der meinte, dass er in etwa achthundert bis tausend Kilometern in den Amazonas mündet. Fünfzig Kilometer flussabwärts lebte angeblich ein Deutscher, keiner kannte ihn, und dieser sei auch mehr nach Brasilien orientiert. In San Ignacio sei er praktisch noch nie aufgetaucht. Aber der Ort, wo er wohnte, sei noch bolivianisches Territorium.
In der zweitätigen Veranstaltung ging es um Fragen der Instandhaltung des Naturparks und der Bekämpfung der Wilderei und der illegalen Abholzung. Schöne Ziele, aber ich hatte den Glauben an die Effektivität der Arbeit Erwins zu diesem Zeitpunkt schon längst verloren.
Die Heimreise gestaltete sich ebenso wie die Hinreise, aber wir waren nicht mehr so gut drauf. Auch Lorgios Zoten brachten mich nicht mehr zum Lachen. Die Ankunft in San Ignacio war dann richtig triste, es regnete, kalte Südwinde hatten das Klima auf unter zehn Grad abgekühlt.
Die zweite Reise führte nach Brasilien, ebenfalls mit Erwin, der von seinen brasilianischen Bürgermeister-Kumpels Geldspenden für seinen Wahlkampf einsammeln wollte. Außerdem ging es um Grenzhandel mit Bohnen und vor allem Holz. Letzteres war für die Brasilianer von großem Interesse, weil der Mato Grosso, das Department auf der anderen Seite der Grenze, fast völlig abgeholzt und in Ackerland für Zuckerrohr umgewandelt worden war. Auch hier war die Anreise interessant, weil sie durch den Pantanal führte, ein gigantisches Sumpfgebiet, das noch relativ intakt zu sein schien. Jedenfalls liefen dauernd Krokodile über die Straße, zweimal sahen wir Exemplare der Riesenschlange Anakonda. Alles war voller verschiedenster Vogelarten und die Landschaft endlos und flach bis zum Horizont.
In Brasilien besuchten wir mehrere Dörfer, die alle ziemlich malerisch waren. Die ursprünglichen Teile der Dörfer befanden sich noch im Fluss auf Pfahlbauten. Dort wohnten wir auch und aßen gutes brasilianisches Essen. In der Abenddämmerung grüßten Süßwasserdelfine aus dem Fluss mit Fontänen, die sie in die Luft bliesen. Diese Tiere wurden zum Glück nicht gejagt, weil sie als Verbündete des Menschen angesehen wurden. Als Erwin am dritten Tag seinen Säckel zu seiner Zufriedenheit gefüllt hatte, natürlich jeweils mit dem Versprechen von großzügigen Holzgeschenken im Falle seiner Wiederwahl, fuhren wir wieder zurück.
Ich war diesmal besser gelaunt. Unter anderem, weil ich vom DED keine Erlaubnis hatte, selber, geschweige denn mit dem Auto, nach Brasilien zu reisen und froh war, ohne Zwischenfälle zurückzukommen.
An der Grenze hielten wir uns eine Weile bei einem brasilianischen Grenzposten auf. Wir tranken erhebliche Mengen an Bier, ich war in Topstimmung und brachte mit meinen Zoten alle zum Lachen. Ich verbrüderte mich mit dem brasilianischen Chefgrenzer und gegen Abend fuhren wir weiter, ziemlich betrunken alle, und kamen gegen Mitternacht in San Ignacio an. Ich war glücklich, in unser Haus zurückzukehren, damals bereits eine Heimat für mich, in Deutschland hatte ich ja nicht mal mehr eine Wohnung.
Mit der Organisation MINGA, mit der Wolfgang Blatter arbeitete, fuhr ich auch ein paar Mal los, zu den Comunidades, die den Kaffee für die Vermarktung unter dem Dach der Organisation anbauten. Es war eine Kooperative, die aus etwa zweihundertfünfzig Kaffeebauern bestand. MINGA lieferte das technische Know-how und der Gewinn wurde in gleichen Teilen unter den Anteilseignern, den Indianern, verteilt. So zumindest die Idee. Klingt schön, wie so oft in der Entwicklungshilfe, aber die Realität war eine andere. Die ganze Region war nicht geeignet für den Kaffeeanbau. Das Klima war zu wechselhaft, die Temperaturen im Winter zu extrem, als dass eine lohnende Ernte - auch unter optimalen technischen Bedingungen - hätte eingefahren werden können.
Dann die Mingueros selbst, die Belegschaft von MINGA: Die Jungs waren alle prima, aber sie hatten sich an ihre von allen Seiten bewunderte und viel geförderte Nische gewöhnt - und daran, sich an MINGA hemmungslos freizuhalten. Die Fördergelder flossen zeitweise so scheinbar unversiegbar, dass sie sich gar keine Mühe mehr gaben, ihren Sonderschleif zu verbergen. Im notorisch benzinknappen San Ignacio halfen sie mir oft mit ein paar Litern aus, aber wenn ich zahlen wollte, winkten sie nur ab. Ich beließ es dabei.
MINGA bekam auch immer die ganzen ausrangierten Altfahrzeuge des Deutschen Entwicklungsdienstes geschenkt - die in der Regel gleich weiterverkauft wurden, für Spottgeld, das dann unter den fünf führenden Köpfen aufgeteilt wurde. Das Geld floss trotzdem weiter, der Gedanke, dass arme Indianerbauern organischen Kaffee für gewissensbeflissene Europäer anbauten, war einfach zu schön. Der DED konnte sich in Broschüren mit Hochglanzfotos als Superentwicklungshilfeorganisation profilieren, die Indianer posierten dann mit dem zuständigen Entwicklungshelfer und der Belegschaft von MINGA und alle strahlten.
Was tatsächlich an die Indianer an Geldern verteilt wurde, waren nicht die Gewinne aus ihrem Kaffeeanbau, sondern das Nötigste, was die Belegschaft von MINGA von den Fördergeldern übrig ließ, um die Kaffee-Jungs halbwegs bei der Stange zu halten.
Als ich das erste Mal mit Wolfgang Blatter zu einem der Kaffeebauern kam, staunte ich nicht schlecht. Das war wie Kraut und Rüben. Hier ein Kaffeebusch, dort ein Bananenbaum, eine Papaya dort, Yucca war auch irgendwo vorhanden. Alles sah eher aus wie ein verzweifelter Versuch, die gerodete Natur wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Mit tropischer Agrarwirtschaft hatte das nichts zu tun.
Und dann die Verpflichtung der Indianer zum organischen Anbau! Dieser Umstand ließ die Kaffeeernte auf ein völlig unbedeutendes Maß schrumpfen. Wäre denen der begrenzte Einsatz von Fungiziden und Pestiziden erlaubt worden, hätten sie womöglich tatsächlich etwas produziert. Zu organischen Anbauern hätten sie später werden können, wenn erst mal Einkommen erzielt worden wäre. Aber so krebsten sie irgendwie ziellos dahin.
Allerdings schien sich die Lage von MINGA zuletzt ziemlich zu verdüstern - etliche Fair-Trade-Abnehmer aus Europa waren abgesprungen, nachdem die Ernte im vergangenen Jahr nicht einmal für einen Container gereicht hatte und MINGA nicht liefern konnte. In Bolivien gab es keinen Markt für organischen Kaffee, keinen interessierte das.
»Wolfgang, was soll denn diese Mäusescheiße?!« meinte ich zu ihm.
»Ja, das wird nichts mehr.«
Wir standen schwitzend inmitten eines buschigen Gestrüpps, in dem irgendwo verstreut Kaffeebüsche standen, mehr recht als schlecht.
»Das ist halt das, was der DED fördern will - diversifizierte organische Landwirtschaft.«
»Sind sie Politiker?« unterbrach der Cacique der Comunidad Wolfgang, er kannte ihn noch nicht.
»Nein, warum?« Wolfgang war ein guter Mensch und sehr naiv. Sein Spanisch fand tief in seiner rheinischen Kehle statt - auf der entgegengesetzten Seite des Mundes, an der das Spanische normalerweise gesprochen wurde: Lippen, Schneidezähne und Zungenspitze. Kaum einer der Nativen verstand ihn.
»Ich brauch 'nen Traktor, ich krieg das sonst hier nicht mehr hin. Könntet Ihr nicht mal einen entbehren?« meinte der Cacique.
Ich musste lachen. Die ganzen sechsundsechzig Einwohner der Comunidad hatten weniger als einen Hektar zu bestellen und alles sah aus wie Arsch. Ich wandte mich an einen der Mingueros, die dabei waren.
»Habt Ihr eigentlich mal diese Terrassensysteme für den Reisanbau in Asien gesehen? Das ist alles Handarbeit, da gibt's keine Traktoren, die machen alles per Hand. Und wisst Ihr, warum es denen gelingt? Weil sie fleißig sind, weil sie Liebe und Herzblut in jede einzelne Terrasse stecken.«
Keiner hatte diese Fotos je gesehen und ich beließ es dabei. Es interessierte eh keinen. Es ging um Umverteilung der Fördergelder. Auch Wolfgang war es eigentlich egal. Er war vor allem damit beschäftigt, seinen Auftrag zu erfüllen, nämlich die Buchhaltung und die internen Prozesse von MINGA zu ordnen. Sein Posten war entstanden, weil sogar der DED Verdacht geschöpft hatte, ob denn alles wirklich so schön war, wie gedacht. Insofern teilte er meine Meinung, fühlte sich aber als alte Beamtenseele wenig bemüht, die absurden Zustände vor Ort in irgendeiner Weise zu bearbeiten.
Mit Markus Treffer, dem Kollegen aus dem Schwarzwald, der den Indianern bei ihrer Holzwirtschaft helfen sollte, war es ähnlich, nur war er insistenter und legte sich dauernd mit den Caciques der Comunidades an, die ihr Holz heimlich billig verscheuerten. Das fand ich mutig und richtig. Er versuchte ernsthaft, den ganzen Betrug zu unterbinden, suchte nach Lösungen gegen den illegalen Holzverkauf. Er verhandelte mit der bolivianischen Elektrizätskooperative, um das Hartholz für die Strommasten bestmöglich zu verkaufen. Es kam kein Geschäft zustande. Keiner hatte Interesse daran, dass die Indianer wirklich vorankamen, sie kauften lieber illegal geholzte Stämme für billiges Geld. Und die Indianer selbst hatten auch kein wirklich kommerzielles Interesse, was ich gar nicht so schlecht fand, sie lebten eh sehr viel mehr im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt als wir oder die Kreolen, die wir aus einer verrückten Konsumwelt kommen.
Häufig diskutierten wir diese Themen an den vielen gemeinsamen Abenden in der Casa de los Cooperantes. Und immer lief es darauf raus, dass man ja eigentlich nichts machen könne, die Hände seien ja gebunden, es waren die Auflagen, man dürfe sich politisch nicht engagieren.
Meine Tagesabläufe in jenen ersten Monaten waren immer gleich. Ich wachte morgens so um sechs Uhr auf, machte zwei Stunden Hardcore-Sudokus im Bett, um dann aufzustehen.
Ich schaute jeden Tag im Munizip vorbei und alle paar Tage bat ich um eine Audienz bei Erwin Mendez. Es war immer nett mit ihm, aber es kam nie was dabei heraus.
Am späten Vormittag ging ich eine Teigtasche bei Doña Pabla essen, einer alten Hexe, die aber Essen zubereitete, das mir keinen Schaden zufügte.
Um die Mittagszeit ging ich wieder nach Hause, nie ohne auf dem Weg ein kleines Bier im Laden zu kaufen. Man muss dazu sagen, dass in der Jahreszeit, in der ich angekommen war, auf der südlichen Hemisphäre Winter herrscht. Furztrocken und irre heiß. 40°C morgens um zehn waren keine Seltenheit. Das ging nicht ohne kaltes Bier. Nur manchmal, so alle zwei bis drei Wochen, kamen eiskalte Südwinde aus dem winterlichen Argentinien und aus Paraguay. Wenn die tagsüber hereinbliesen, konnte man beobachten, wie die Temperatur innerhalb von einer Stunde von 40°C auf 10°C abfiel, immer von starken, kalten Winden begleitet. San Ignacio war dann menschenleer und triste. Die Wolkendecke hing tief, zum Anfassen nahe. Immer nieselte es. Ich legte mich dann ins Bett und las den ganzen Tag oder schaute schwachsinnige Hollywood-Produktionen auf dem Laptop an. Nach ein paar Tagen war es dann vorbei und alles ging wieder seinen gewohnten Gang.
Die Nachmittage waren meist noch entspannter als der Vormittag. Ich hing manchmal im Munizip rum und blödelte mit den Angestellten oder fuhr einfach mit dem Auto rum und versuchte, den kleinen, verborgenen Zauber zu finden, den keiner der Ortsansässigen wahrnahm: Häuserruinen in der Peripherie, antike Autowracks, überwuchert mit Schlingpflanzen, Kinder der Ärmsten, die mit leeren Joghurtflaschen Puppenfamilie spielten und ähnliche in der Regel unbeachtete Phänomene.
Oft, wenn ich am späten Nachmittag nach Hause lief, kam ich an der Musikschule vorbei, die vom Bischof gesponsort wurde. Das einzig wirklich Sinnvolle, was der Idiot vollbrachte. Die Kurse waren nach Altersklassen zusammengefasst. In jedem der zahlreichen Klassenzimmer befand sich jeweils ein komplettes Kammerorchester, in der Regel mit Gesangsstimmen, ausgewählte Mädchen mit wunderschöner Altstimme. Sie spielten in erster Linie Barockmusik aus Deutschland, aber auch lokale Kompositionen der Jesuiten. Die Klasse der Fortgeschrittenen übte seit längerer Zeit Klassik ein, das C-Dur-Streichquintett von Schubert. Es holperte allerdings noch erheblich.
Langsam verstand ich auch die sozio-politische Lage im Land besser. Die Hochlandindianer, deren größte ethnische Untergruppe die Quechua- und Aymara-Indianer bildeten, hatten durch die Präsidentschaft von Evo Morales erheblichen Machtgewinn zu verbuchen, was ja auch angesichts ihrer totalen Unterdrückung in den vergangenen fünfhundert Jahren irgendwie an der Zeit war. Sie waren die Collas, abgeleitet vom Collasuyo, dem südlichen Inkareich unter Hauscar Capac, dem letzten Inkaführer des Südens bei Ankunft der spanischen Conquista. Dieser hatte sich einen jahrelangen Krieg mit seinem Halbbruder Atahualpa geliefert, letzterer herrschte über das nördliche Inkareich Tauantinsuyo, das in etwa dem heutigen Ecuador und Kolumbien entspricht.
Als dann erhebliche Teile der zivilen und waffenfähigen Bevölkerung in beiden Reichen im Bruderkrieg gefallen waren, gab es Friedensgespräche. Beim ersten Gespräch nutzte Atahualpa die Gunst der Stunde, nahm seinen Halbbruder gefangen und war damit, termingerecht zur Ankunft der Spanier, Alleinherrscher im gesamten Inkareich geworden, das zu jener Zeit riesig war und von Feuerland bis Panama das ganze andine Rückgrat des Kontinents umfasste.
Allerdings gab es kaum noch Krieger, die den Spaniern hätten Widerstand leisten können. Und so ging alles dann ganz schnell, Atahualpa wurde schließlich vom goldgeilen Pizarro, einem Schweinehirten aus der spanischen Estremadura, ermordet. Danach folgten Jahrhunderte unangenehmer Leibeigenschaft für die Collas unter spanischer Knute. Das änderte sich auch nicht mit der Befreiung von den Spaniern 1825. Die weißen Siedler und Minenbesitzer machten da weiter, wo die Spanier aufgehört hatten: Ausbeutung von Land und Leuten. Damals war das gesamte Tiefland Boliviens kaum erschlossen, die Musik spielte im Hochland, wo die Bodenschätze lagen.
Erst in den 1950er Jahren änderte sich das mit dem massiven ökonomischen Aufstieg von Santa Cruz. Das Tiefland, bislang nur ein kleiner Agrarproduzent, entwickelte sich unter den Kreolen, den weißen Eliten, zu einem agrarischen und industriellen Schwerpunkt, der sich mehr an den Nachbarländern Argentinien, Paraguay und Brasilien orientierte denn am logistisch nur schwer zu erreichenden eigenen Hochland. Dies aber in erster Linie im weiteren Umkreis von Santa Cruz. Der Osten, also die weitere Umgebung von San Ignacio, blieb verschlafen. Die erstarkenden Lowländer nannten sich Cambas. Ebenso wie der Terminus Colla für die Highländer, bezieht sich Camba auf beide Teile der Bevölkerung: Indianer und Weiße.
Die Gegenden im östlichen Tiefland, die Gegend, in der San Ignacio lag, wurde im siebzehnten Jahrhundert von mutigen Jesuiten kolonisiert. Die Jesuiten brachten Frieden unter die kriegerischen Indianerstämme, gründeten Städte, sogenannte Jesuiten-Reduktionen, etablierten einen eigenen klerikalen Kunststil und lehrten die Indianer das Instrumentespielen und das Komponieren von Barockmusik. In der Endphase der spanischen Herrschaft wurden die Jesuiten dann allerdings vom spanischen König wieder wegbeordert, sie waren im tiefen Kern des Kontinents auf wirtschaftlicher Ebene einfach zu mächtig geworden. Neben dem östlichen Tiefland von Bolivien hatten sie auch Teile von Paraguay und Brasilien bekehrt.
Aus der Zeit der Jesuiten stammen die ganzen Namensgebungen der Städte in der Chiquitania, dem östlichen Tiefland … Santa Rosa, San Miguel, Concepción, San Javier, San Ignacio, San Teodoro und so weiter.
Im Zuge der Befreiung seiner Stammesgenossen betrieb der Präsident Evo Morales Ayma eine Art Lebensraumpolitik für die Collas. Die Bodenschätze waren versiegt, das karge Hochland war landwirtschaftlich kaum zu bearbeiten, das östliche Tiefland hingegen, mit scheinbar endloser Landfläche, bot für die seit jeher fleißigen und arbeitsamen Collas ideale Anbaubedingungen. Die Collas kamen in LKW-Ladungen an, blieben und bauten erfolgreich an. Die Bräuche brachten sie aus dem Hochland mit, zum Beispiel ihre dicke Kleidung, die sie auch in der Hitze des Tieflandes nicht aufgaben. Die Frauen hatten stets mehrere Röcke übereinander an und so dürfte – vergegenwärtigt man sich ihre äußerst spärliche Körperhygiene, die sie aus dem kalten Hochland mitgebracht hatten – bei 40°C unter jenen Kleidungsstücken eine knockende Atmosphäre herrschen.
Die Camba-Indianer kamen allerdings gar nicht mit den Colla-Indianern klar. Deren Fleiß und ihre Fähigkeit, unter Aufgabe jeden Luxus zu sparen und Reichtum anzuhäufen, war den Hängematten-Indianern des Tieflandes fremd und unheimlich. Die Collas vereinten die Eigenschaften der Zwerge des Fantasy-Genres. Die Cambas hingegen lebten von der Hand in den Mund und arbeiteten lieber ein halbes Jahr unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Haziendas der weißen Cambas, legten dann den Rest des Jahres die Füße hoch und lebten von dem, was die immer noch riesigen Waldflächen an Wild und Sonstigem hergaben.
Die Einwohnerzahl von Santa Cruz war in den vergangenen sechzig Jahren von sechzigtausend auf 2,3 Millionen angestiegen, ein Zeichen der wirtschaftlichen Blüte. Im Hochland hingegen waren alle traditionellen Bodenschätze versiegt und Evo Morales schaute begierig auf den wachsenden Wohlstand und die Dynamik von Santa Cruz und den anderen wirtschaftlichen Zentren des Tieflandes. Die weißen Cambas von Santa Cruz allerdings waren, aus der Geschichte des Tieflandes und aus der traditionell stiefmütterlichen Behandlung durch die weißen Collas des Hochlandes heraus, nicht mehr geneigt, den gegenwärtigen und zukünftigen Reichtum ihrer Region mit den neu entstehenden Indianer-Eliten des Hochlandes zu teilen.
Die zur Zeit meiner Ankunft noch latente Antwort des Tieflandes auf dieses Dilemma war jetzt omnipräsent spürbar, in den Medien, in den Mündern der Cambas: Separation, eine Nación Camba sollte entstehen.
Die nötigen Unterschriften für ein landesweites Referendum waren schnell zusammengekommen, zeitgleich mit der Wahl der Bürgermeister und des Präsidenten sollte nun auch über eine vom Hochland unabhängige Nación Camba abgestimmt werden, welche die ›Media Luna‹ - Halbmond - genannten Departments des Tieflandes umfassen sollte und die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung stellte. Ein explosives Szenario, denn es war klar, dass der Präsident Evo Morales, im Falle eines positiven Ergebnisses des Referendums, die Cambas nicht einfach in einen eigenen Staat entlassen würde.
In emotionaler Hinsicht war meine Lage im ersten halben Jahr verwirrend. Ich habe davon noch nicht so viel geredet, aber die Trennung von meiner Ex-Ehefrau machte mir schwer zu schaffen. Klar war da alles im Eimer, aber einfach war es trotzdem nicht. Und dann meine Kinder - ich meldete mich bei ihnen so etwa alle zwei bis drei Tage. Und schließlich Odile. Ich war ihr gegenüber souverän in der Hinsicht, dass ich mich nicht mehr meldete, auch nicht indirekt über das Büro in Santa Cruz oder über Christina. Unsouverän von mir war, dass sie mir nicht aus dem Kopf ging. Ich hatte mich in eine Art verzweifelte Romantik gerettet, eine Art Minne, wie im Mittelalter. Dass sich die Spannung zwischen uns nicht durch den fast unvermeidlich scheinenden Beischlaf gelöst hatte, führte zu einer emotionalen und mentalen Dauerbeschäftiggung damit.
Tomás Echeverría war bis zu jenem Zeitpunkt zweimal in San Ignacio aufgetaucht. Er hatte sich von mir erhofft, dass ich ihm ein wenig aus dem Konfliktbereich erzählen würde. Ich musste zu jenem Zeitpunkt noch passen. Er verstand, dass man die Sachlage als Neuankömmling erst mal verinnerlichen musste. Aber die Paramilitärs und all das, was er in Santa Cruz angedeutet hatte, interessierte ihn eben in allererster Linie. Ich konnte ihm nur nichts Bedeutendes dazu sagen, es war ja außer dem Polizistenmord, den ich mit Odile bei der Anfahrt erlebt hatte, nichts passiert - dachte ich. Er fragte mich, ob ich auf meinen Ausflügen in die Comunidades irgendwelche Fremden gesehen hätte, Ausländer, Tarnuniformen, Autos. Vom Polizistenmord wollte er alles diesbezügliche wissen, also, ob ich irgendwelche Paramilitärs gesehen hätte. Nichts dergleichen hatte ich gesehen. Unser Gespräch endete kameradschaftlich, wir landeten an beiden Abenden seiner Besuche im Dorfpuff - allerdings ohne Einkauf, es war einfach der einzige Ort, der nach ein Uhr morgens unter der Woche noch geöffnet hatte. Ich nahm mir vor, meinen Blick infolge von Tomás' Besuchen mehr zu schärfen und versuchte, sein Thema stärker in meinem Bewusstsein zu halten, um auch in alltäglichen Situationen stets ein Auge nach seinen ausländischen Söldnern offenzuhalten.
Natürlich fragte ich ihn nach Odile. Bei seinem ersten Besuch, etwa drei Wochen nach meiner Ankunft in San Ignacio, meinte er, er hätte nichts von ihr gehört. Er dachte, sie sei immer noch bei mir in San Ignacio. Das wunderte mich und machte mir auch Sorgen, ihr Handy war stets abgeschaltet, mit Anrufbeantworter. Bei seinem zweiten Besuch, zwei Monate später, wusste er mehr: Sie war nach ihrer Abreise aus San Ignacio direkt nach La Paz geflogen und dort längere Zeit geblieben. Er meinte, sie habe ihn angerufen, um ihm ein paar Fragen zu stellen, sie arbeitete dort intensiv an ihrem Buch. Sie hätte nicht nach mir gefragt, meinte er.
»Was war denn zwischen euch? Dass ihr beide eine besondere Verbindung hattet, war mir schon im Los Hierros klar. Ist irgendwas passiert? Habt ihr gestritten?«
»Nein, alles lief bestens, nur dann kam Wilson plötzlich heim und hat alles Magische zwischen uns zerstört. Mit seiner lauten Stimme und seinem blöden Lachen kam das Ende unserer Romanze. Odile war von einem Augenblick auf den anderen verschwunden.«
»Ach du Scheiße, das kann ich mir vorstellen. Die beiden hatten sich schon in Santa Cruz kennengelernt. Wilson hat sie ein paar Mal ausgeführt, waren tanzen und so.«
»Sagtest du gerade ›und so‹?«
Rasende Eifersucht und Wut stiegen in mir auf, als er mir das eher beiläufig erzählte. Das Unangenehme für mich war, dass ich überrascht war. Ich wusste davon nichts. Auch Wilsons Frage, ob ich Odile denn schon flach gelegt hätte, erschien mir in einem anderen Licht - hatten die beiden was miteinander gehabt? Ich wünschte mir sehnlich, dass dies nicht der Fall gewesen sein möge. Tomás klopfte mir auf die Schulter und meinte:
»Das wird schon, Baby, nur Geduld. Das Mädchen ist verliebt in dich. Und du scheinst auch ganz schön verknallt.« Ich wusste gar nichts mehr.
Mit Peter Dijkstra hatte sich irgendwann eine Regelmäßigkeit in der Absprache eingestellt, was mich wunderte, denn er schien ja zunächst vor allem auf seine Buchaktivitäten mit Wilson konzentriert. Aber er wollte dann schon genau wissen, wo die Reise bei mir denn so hingehen würde. Ich stellte ihm die Sachlage dar: In San Ignacio standen Wahlen an und auf institutioneller Ebene konnte ich eigentlich nichts mehr erreichen, zumindest die kommenden drei Monate - alle Amtsinhaber in Bolivien, die zur Wiederwahl anstanden, mussten drei Monate vor der Wahl ihr Amt ruhen lassen und wurden von ihrem Vize ersetzt. In San Ignacio war es Don Belvis, der mich und Odile in der Polizeistation kurz nach unserer Ankunft abgeholt hatte.
Die drei Monate vor der Wahl also war Erwin nicht im Amt und voll in der Wahlkampfschlacht. Mit Don Belvis als kurzzeitigem Vertreter hätte ich keine bedeutenden Fortschritte erzielen können. Der war vor allem damit beschäftigt, in den kurzen drei Monaten seiner Amtszeit als Interimsbürgermeister möglichst viel Geld beiseitezuschaffen. Dies gelang ihm insbesondere im Rahmen der Renovierung des Strandbades, in dem die dunkelhäutige Unterschicht gerne planschte. Er gestaltete das Ganze richtig schön, es wurde Sand aufgeschüttet, so dass ein echter Sandstrand entstand, Nachtbeleuchtung, Grillinseln, Holzstege, die in den See führten, ein Fußballplatz und zwei Beachvolleyballfelder. Tatsächlich aber waren es eher kosmetische Arbeiten, die Baumaßnahmen kamen, außer den Transportern, die den Sand herbeischafften, fast ohne schweres Gerät aus. Trotzdem kostete die ganze Maßnahme das Munizip alles in allem knapp zweihunderttausend Dollar.
Und in den drei Monaten nach der Wahl würde es im Munizip ebenfalls nichts für mich zu tun geben, denn mein Gegenpart Erwin Mendez würde - im Falle seiner sehr wahrscheinlichen Wiederwahl - mit der Bildung seiner neuen Regierung beschäftigt sein und mit seinen in jener Phase besonders intensiven Auseinandersetzungen mit dem Stadtrat. Letzterer konnte ihm gewogen sein, dann lief alles einfach für ihn, oder auch nicht, in dem Falle würde es dann schwieriger für ihn. Weniger die Amtsgeschäfte, als das Kohlebeiseite-Schaffen.
An strukturelle Änderungen im munizipalen Organigramm war da nicht zu denken. Für Peter war das okay. Ich erklärte ihm erneut, dass ich in dieser Zeit mit Rafael Rojas und Marcela am Fünfjahresplan weiterarbeiten würde und so zumindest garantiert wäre, dass dort alle von mir angestrebten Veränderungen im Munizip zumindest konzeptionell festgeschrieben würden. Außerdem unterbreitete ich ihm die Möglichkeiten meiner Arbeit mit Juán, der Leiter der städtischen Baumschule war, wo das ganze Ziermaterial für die städtischen Anlagen und die Frucht- und Gemüsepflanzen für die produktiven Projekte der Comunidades gezogen wurde. Man könnte Schulungen für die Landbevölkerung im korrekten Gartenbau abhalten und überhaupt neue Gewürze, Gemüse und Blumen anbauen und so aus der Baumschule eine Art Profit-Center machen. Ich hasste dieses Wort, aber Peter fand die Idee riesig. Er war jetzt netter und aufgeschlossener mir gegenüber und redete manchmal sogar deutsch mit mir.
Neben den Trips in die Peripherie der Indianergemeinschaften erkundete ich auch das nächtliche San Ignacio. Zunächst mit der Belegschaft des Hauses. Ich möchte nicht leugnen, dass wir zu dritt, also Marcela, Wilson und ich, ein paar echt gelungene Ausflüge in das lokale Nachtleben unternommen hatten. Es gab nur zwei Diskotheken, in denen fifty-fifty getanzt und Karaoke gesungen wurde. Trotzdem gelang es uns als - zu jener Zeit - eingeschworenem Trio, richtig einen draufzumachen. Später wohnte ich mit Marcela alleine im Haus. Wilson war kurz danach für zwei Monate nach Santa Cruz gezogen, wohnte bei einer Freundin und hatte extrem Wichtiges zu erledigen. Marcela und ich stürzten ein paar Mal zusammen gewaltig ab, wir tranken einfach zu viel, so dass ich den ganz bitteren Katzenjammer bekam. Irgendwann, eines Nachts, saß ich dann auf der Bettkante meines Bettes und schrie heulend nach meiner Mutter. Danach blieb ich erst mal eine ganze Zeit abstinent. Wenn man nicht aufpasst, macht der Alkohol einen fix und fertig. Nach dieser unangenehmen Erfahrung fing ich an, verstärkt Gras zu rauchen, das war weniger schädlich, günstiger und wurde per Telefonanruf von einem Mototaxista ins Haus geliefert.
In meiner Arbeit widmete ich mich vor allem der Baumschule, deren Leiter Juán Romero war. Wir teilten die Anbaufläche in vier Bereiche: zwei große Bereiche, in den einen wurden nach wie vor die Pflanzen für die städtischen Anlagen und Parks sowie die Kulturpflanzen für die produktiven Projekte der Comunidades gezogen, im anderen großen Teil wurden alle gängigen Gemüsesorten angebaut: Tomaten, Salate, Broccoli, Gurken, Kürbisse und so weiter. In den beiden kleineren Teilen zogen wir die Standardgewürze: Pfeffer, Rosmarin, Thymian, Oregano, Majoran und Petersilie. Im anderen bauten wir bekannte lokale und überregionale Heilpflanzen an. Ein Medizinmann aus einer nahegelegenen Comunidad unterstützte uns bei der Auswahl des Angebotes. Der verlor aber bald wieder die Lust, weil er sich nicht genügend respektiert fühlte.
Ich investierte das gesamte mir zur Verfügung stehende Jahresbudget in die Erneuerung der Baumschule. Das Geld reichte sogar, um die neben der Baumschule gelegene völlig zugewachsene Fischzuchtanlage aus den Siebzigern zu restaurieren. Mehrere tennisplatzgroße Zuchtbecken wurden neu ausgehoben und die Kanäle zur Wasserspeisung aus dem knapp oberhalb gelegenen Stausee ausgebessert. Es wurden Fischeier aus Partnerprojekten im amazonischen Norden des Landes herbeigeschafft, welsartige Knorpelfische mit wenigen Gräten.
Als die ersten Pflanzen sichtbar Gestalt annahmen, fingen wir an, Kurse zu halten, die sich an die Landbevölkerung richteten. Es ging vor allem darum, den Indianern klar zu machen, dass man mit Mühe und Sorgfalt sehr wohl gute Ernteergebnisse erzielen konnte. Es entstand sogar eine Art Koalition der Willigen, die sich auf die von Juán gecoachten Anfangsversuche einließ. Auch die Stadtbewohner hätten besser daran teilgenommen, denn alles Obst und Gemüse im Ort wurde teuer aus Santa Cruz importiert, anstatt es vor Ort selber zu produzieren. Aber die hatten keine Lust dazu.
In der immer noch üppigen Freizeit unternahm ich mit Juán viele Motorradtrips in die nähere Umgebung der Stadt. Ein paar Mal fuhren wir zu seiner nahegelegenen Finca, einem kleinen Haus mit drei Hektar Zitrusanpflanzung. Das Ganze war sehr idyllisch auf einem Hügel über einem See gelegen.
Außerhalb der Stadt, an der Ausfallstraße nach Santa Cruz, lag ein größeres Sägewerk, das einem Brasilianer gehörte. Der hatte ein ärztliches Attest auf Kokain, er hatte es amtlich verbrieft, dass er ohne sein Dope nicht leben konnte. Don Fafafa hieß er und er soff auch die ganze Zeit, aber nur Erlesenstes. Er hatte einen Privatkoch aus Peru, der ihm nach seinen Angaben leichte und gesunde, asiatisch beeinflusste Gerichte bereitete. Denn wenn man so lebte wie er, müsse man zumindest auf der Ernährungsseite Acht geben, meinte Don Fafafa. Der Grund, warum wir zu ihm fuhren war, dass er von den Gewürzen gehört hatte. Er wollte auch welche davon in seinem privaten Gemüsegarten haben, der gut in Schuss war.
Kaum waren wir in seinem Wohnzimmer, hatten wir auch schon jeder einen Eimer Whisky in der Hand, irgendwas mit Black Label. Don Fafafa bat Juán, dass er ihm doch bitte von jeder Gewürzart zwei Stecklinge schenken möge, er, Don Fafafa, würde sich auch in anderer Sicht erkenntlich zeigen. Er war ein hagerer, dunkler Typ mit Halbglatze und Nerdbrille. Sein brauner Anzug war Maßarbeit. Er wurde einen Moment still, wir schlürften an unserem Whisky.
»Und sonst, Juancito? Kann ich euch was vom Guten anbieten?« Er machte eine joviale Bewegung und war schon ziemlich unsicher auf den Beinen. »Wir sind ja hier an der Quelle. Mit jeder Station, die das gute Pulver von hier aus macht, sinkt die Qualität. Ein Jammer, also - wollt Ihr? Ich jedenfalls leg mal kurz nach.« Er setzte sich an seinen überdimensionalen Schreibtisch, löffelte mit einem Silberlöffelchen den Koks aus einer Silberdose auf die gläserne Schreibunterlage und zog dann mit einem Silberplättchen mehrere Linien. Nachdem er zugelangt hatte, sprang er auf und lief, immer noch schniffelnd, durch das Büro; dabei deutete er beiläufig mit einer ausladenden Bewegung auf die verbliebenen Koks-Linien. Ich dachte mir was soll's, ging hin und zog mir zwei rein, mit seinem Silber-Röhrchen. Das Ganze kam mir vor wie ein englisches Teeservice aus Silber, nur eben zum Koksen gemacht. Juán war unsicher und fragte, wie lange die Wirkung dauern würde, ob er danach noch Motorrad fahren könne.
»Dauert leider immer viel zu kurz. Mach dir keine Gedanken, wirst vor allem nüchtern. Sehr nüchtern.« Daraufhin kippte sich Don Fafafa ein ganzes Glas Whisky rein und redete weiter - mit sich selber, es wurde komplett unverständlich.
»Lass uns gehen,« meinte Juán leise, »der ist jetzt auf Autopilot, ich kenn das schon.«
»So breit oder was?«
»Ja, der wird dann ganz komisch, fängt an rumzuschwulen und so.«
Wir gingen, ich suchte Don Fafafas Blick, um nicht unhöflich einfach abzuhauen, aber Juán zog mich am Ärmel weiter. Der Koks war natürlich erlesen. Er tat nicht weh in der Nase, wirkte deutlich, aber leicht und hatte einen nicht so unangenehmen Geschmack, wie die gestreckte Ware. That's life, dachte ich mir, aber ich wusste auch, dass der Anfang beim Koksen immer das Beste war. Danach wurde der Rhythmus immer schneller, dauernd war man am Nachlegen, bis das Umfeld immer mehr verschwand und man wie in einer Einzelzelle mit der Kackdroge sitzt und immer nur noch mehr will.
Trotzdem waren wir gerade gut intoniert und fuhren in irgendeine der Holzhütten am Stadteingang, um ein paar Bier zu zischen. Das musste immer versteckt passieren, denn Juán hatte Angst, gesehen zu werden und dass dann im Munizip getuschelt würde oder gar Erwin Mendez ihn zur Belehrung einbestellen würde. Eine lächerliche Befürchtung eigentlich, denn die halbe Belegschaft des Munizips war ab Donnerstagmittag nicht mehr ansprechbar. Alle verschwanden dann heimlich, in irgendwelche Hinterhöfe, Spelunken oder Holzschuppen. Dort wurde dann knallhart gesoffen, manchmal bis Montag oder Dienstag. Sitzgelegenheiten an der Straße waren verpönt, da hätte man ja beim Komasaufen gesehen werden können. Marcelo Figueroa, der PR-Chef des Munizips und Moderator beim munizipeigenen Radiosender, verschwand manchmal wochenweise unentschuldigt und wurde nie entlassen. Erwin Mendez hatte also auch so seine menschlichen Seiten, seine Schützlinge schienen unberührbar. Juán war sich nicht so sicher, ob er bereits zu den Schützlingen gehörte, aber da er von Natur aus sozial unsicher war - seine Colla-Herkunft war hier eben wenig angesagt - wollte er kein Risiko eingehen und wir tranken unser Bier heimlich im Hinterzimmer. Allerdings war Juán auch von seinem Naturell her kein Drogen- oder Sauf-Typ.
Marcelo Figueroa und der Touristenführer, Jesús Rivero, hingegen waren das Drogenduo der Stadt. Die beiden hatten eine ganze Gefolgschaft, mit der sie zum Base-Rauchen und Zuckerrohrschnaps-Saufen irgendwo in die Natur fuhren. Das Ganze nannte sich ›Angler-Club‹. Die fuhren dann nächtens raus an irgendwelche Seen und föhnten sich dort das Hirn raus, geangelt wurde nie. Das Rausfahren hatte mit dem starken Gestank der Base beim Rauchen zu tun, ein Vorprodukt der Kokainherstellung - im Dorf wäre der Geruch sicher aufgefallen.
Oft fuhr ich mit Juán auch einfach nur durch die Peripherie von San Ignacio. Die Stadt war im kolonialen Schachbrettmuster angelegt. Sie wuchs sehr schnell, wie ein runder Tintenklecks, der sich im Löschpapier ausbreitet. Ihre Straßen waren alle rechtwinklig angeordnet, aber ihre Form war rund. Und so gab es in der Peripherie auch eine Umgehungsstraße, einen City-Ring, wenn man so will. Alles aus roter Erde, versteht sich.
Wir fuhren viel zusammen rum, denn zu tun gab es wenig, aber man musste immer aktiv erscheinen. Da machte sich das Herumfahren auf dem Motorrad immer gut, denn man hatte offensichtlich ein Ziel, wenn es auch nur so schien. Tatsächlich fuhren wir oft einfach nur irgendwohin, um ungestört abzuhängen. Wir hatten immer ein paar Dosen Bier dabei. Gerne gingen wir zur nördlichen Seite des Stausees, der sich am Fuße des leicht abschüssig gelegenen San Ignacio befand. Dort war eine große Christusstatue mit einem Altar darunter. Der Ort war nur nachts bevölkert, vor allem von Jugendlichen, die dort Sauf-Partys veranstalteten. Manchmal fand ein Kleinwagen-Fick statt. Nachmittags fuhren wir oft dorthin und schauten dem Sonnenuntergang zu, der fast jeden Abend spektakulär war.
Ein anderes unserer Ziele auf dem City-Ring war der neue Schlachthof, der jenseits des Sees auf seiner nördlichen Seite von brasilianischen Investoren auf der grünen Wiese gebaut worden war. Finanziert natürlich mit Geld aus dem Drogenhandel, das die Brasilianer dort, kurz hinter ihrer Grenze, lukrativ und ohne lästige Kontrollen waschen konnten. Mir fiel sofort Tomás Echeverría ein mit seinen Erzählungen von den riesigen Latifundien, welche die Brüder von jenseits der Grenze im Munizip San Ignacio bereits erworben hatten. Der Schlachthof war modern gestaltet, mit Ruhezonen für die Rinder, die sollten sich sogar per Schnauzendruck duschen können, bevor ihnen die letzte Stunde schlug. Alles deutete auf den technisch neuesten Stand hin, wie die Brasilianer es gerne hatten: vollautomatisiert, mit rostfreier Stahlinstallation und Computersteuerung, wie sie es mir und Juán eines Tages stolz vorführten. Sie hatten bereits riesige Sickergruben für die Schlachtabfälle eingerichtet. Was allerdings bedenklich war: Der felsige Untergrund unterhalb des Schlachthofes war zum Stausee hin geneigt. In ein paar Jahren würde das Sickerwasser der Schlachtabfälle in den See gelangen und dann würde San Ignacio auch sein hausgemachtes Trinkwasserproblem haben.
Die Stadt lag auf der südlichen Seite des Stausees auf ebenfalls leicht geneigtem Terrain. Der See selber sah gar nicht so sehr aus wie ein Stausee. Außer dem Damm, über den ein Teil des City-Rings führte, deutete fast nichts auf seine Eigenschaft als Stausee hin, die Ufer wirkten natürlich. Nur zu seinem fernen östlichen Ende hin ragten noch viele alte Baumstrünke aus dem dort seichter werdenden Wasser. Das gesamte abgelegene östliche Ufer mäanderte in einem riesige Schilfmeer aus. Dort lebten noch Kaimane und Anakondas.
An der Stelle, wo das Ufer des Sees an städtisches Gebiet grenzte, gab es sogar Sandstrände. Dort planschte die indianische Bevölkerung, niemand schwamm. Die Leute vom Munizip meinten aber, dass es nicht so gut wäre, wenn die da immer badeten, weil ja dann die Säfte der ganzen ungewaschenen Mösen, Schwänze und Ärsche ins Trinkwasser kämen. Das Gegenargument, dass nämlich am Dammende eine Kläranlage für relativ sauberes Wasser sorgte, war den meisten kaum zugänglich - der Gedanke an auch nur molekülartig vorhandene Genitalresiduen der Indianer im Trinkwasser machte die weiße Elite nervös.
Boote gab es auf den ersten Blick gar keine. Dabei war der Stausee gut zum Segeln geeignet, von seiner Größe und auch von den Winden her. Juán meinte, die Leute hätten Angst, weil niemand schwimmen könne und Boote ja untergehen könnten. Später fand ich mit ihm eine einsam gelegene Fischerhütte zum östlichen, schilfigen Ende hin, wo ein alter Indianer mehrere kleine Einbäume hatte. Die waren allerdings recht wacklig und definitiv für Leute geringer Größe und Gewichts gemacht. Die Reling seiner Boote war so knapp über dem Wasserspiegel, dass ich mich da nicht hineingesetzt hätte. Der alte Mann aber manövrierte mit ruhiger Geschicklichkeit sein Boot und brachte immer guten Fisch heim. Im besten Falle Pirañas, im Schlechteren kleinere, hechtartige Fische. Die kaufte ich oft morgens bei ihm. Die Pirañas waren gut, umso größer desto besser, am liebsten gebraten, da konnte man die knusprigen Flossen mitessen.
Die Pirañas waren auch der eigentliche Grund dafür, dass niemand schwamm. Erst lachte ich darüber, aber dem Kollegen Markus Treffer hatten die kleinen Teufel ganze Stücke Fleisch aus dem Oberschenkel gerissen. Er war bei dem Angriff nur zehn Meter weit rausgeschwommen und dann gerade noch so an die Uferzone gekommen, weil diese Viecher bei Blutgeruch in Schwärmen angreifen. Die Narbe war daumengroß und hässlich, in Schwanz- und Arterien-Nähe. Klar, dass da keiner schwimmen wollte. Die kleinen Monster hatten so eine Art ausfahrbares, zweites Gebiss im Maul, so wie das Monster aus Alien.
Direkt am zentralen Platz der Stadt lag der Bischofspalast mit seiner dazugehörigen Kirche. Er nahm die ganze nördliche, also seeseitige Stirn des Platzes ein und war einen Häuserblock groß. Säulengänge und jesuitische Fresken zierten den Komplex. Von dort zum See hin waren es noch mehrere Planquadrate, die alle der Diözese gehörten, bis zu einem Seegrundstück. Die Planquadrate waren zur Seeseite des Palastes hin spärlich bebaut und in erster Linie noch Weideland oder einfach mit hohem Schilfgras bewachsen, staubige Wege markierten die unbebauten Parzellen. Erst viel weiter östlich, auf einer Halbinsel, war das Seegrundstück wieder bebaut, es war von einer weit in den See reichenden Ziegelmauer umgeben, so dass man hätte schwimmen müssen, um seeseitig hineinzugelangen. Die Mauer war etwa drei Meter hoch und mit eingemörtelten Glassplittern gekrönt. Sie war in schlechtem Zustand, aber an keiner Stelle passierbar. Es gab ein großes Tor und eine kleine Tür daneben. Das große Tor war zugemauert, die kleine Tür war aus Massivholz, das kaum verwitterte. Das schwere Vorhängeschloss war voller Spinnweben. Wenn man sich in einigem Abstand auf eine kleine Anhöhe stellte, zu der man sich den Weg durchs Dickicht mit einer Machete bahnen musste, konnte man zwischen den riesigen Mangobäumen, die das Grundstück dominierten, eine große Villa im italienischen Stil mit Säulenvorbau und Eingangstreppe erahnen. Ansonsten war das Anwesen von keiner Seite einsehbar. Das alles hatte ich bereits zuvor ausgekundschaftet.
»Kann man das besichtigen? Wem gehört das?« fragte ich Juán, als ich ihn eines Tages überredet hatte, dorthin zu fahren.
»Gehört der Diözese. Oder dem Bischof. Der hat das vor dreißig Jahren von einem Deutschen gekauft, der da wohnte. Aber gemacht wurde da nie was. Da ist nicht mal ein Aufpasser.« Wir hatten uns gerade durchs Dickicht auf den kleinen Hügel hochgekämpft und standen schwitzend in der schwülen Hitze des Schilfgrases, das uns umgab. Mücken und Fliegen machten uns zu schaffen, in Abständen zog Aasgeruch vorbei.
»Man könnte da reinschwimmen, um die Mauer rum.«
»Und dann? Da geht keiner rein, nicht mal der Bischof und das will was heißen. Das ist kein guter Ort, keiner traut sich da rein.«
»Komm, wir gehen baden, es ist heiß!« meinte ich und ging zurück durchs Dickicht zu dem schmalen Uferpfad, auf dem Juáns Motorrad stand. Er folgte mir nörgelnd.
Ich ging in Unterhose ins Wasser, Juán wollte nichts vom Mitkommen wissen. Die ersten Meter waren nicht einfach, weil der schlammige Sand voll von Schilfstrünken war, die sich in meine Fußsohlen bohrten. Als ich hüfttief stand, war das seeseitige Mauerende immer noch zwanzig Meter entfernt und das Wasser wurde tiefer. Ich schwamm eng an der Mauer entlang. Schließlich konnte ich nicht mehr stehen, aber meine Füße berührten Algen. Das Wasser war sumpfig und gab nur ein paar Handbreit an Durchsichtigkeit her. Ich dachte an die Pirañas und schnellte mit einem kräftigen Zug hin zum seeseitigen Mauerende. Ich hockte mich auf den ins Wasser abfallenden Mauerrücken.
Was ich im Inneren des Geländes von dort aus erblicken konnte, war reine Wildnis, noch wilder als außerhalb der Mauer, dort, wo Juán stand und mir zurief, ich sollte zurückkommen. Das ganze von meinem Standort aus einsehbare Ufer des Geländes war mit hohem Schilf bewachsen. Aber an einer hervorstehenden Mini-Halbinsel war ein großes metallenes Ruderboot vertäut; am Heck befand sich ein leichter Elektromotor. Hinter dem Boot war ein Trampelpfad zu erahnen, der durch das Schilf in Richtung des Inneren des Grundstücks führte. Ich zögerte kurz, machte Juán ein Zeichen, er solle warten, ich würde nur ganz schnell reinschauen. Juán legte sich die flache Hand auf Stirn und Augen und drehte sich ab.
Jenseits der Mauer ans Ufer zu gelangen war deutlich einfacher, da das Wasser weniger tief war und außerdem sandigen Untergrund bot. Ich watete entlang der hohen Mauer aus dem Wasser und konnte nun hinter das Boot sehen, wo der kleine, aber offensichtlich viel benutzte Pfad durchs hohe Schilfgras ins Innere des Anwesens führte. Das Ganze in Unterhose. Ich bewegte mich in Richtung Pfad und warf einen Blick ins Boot. Drin lagen mehrere professionell aussehende Angelruten und eine verschlossene Stahlkiste in grüner Armeefarbe. Ich betrat den Pfad und bemühte mich geräuschlos zu gehen. Aber das Kreischen der Zikaden übertönte sowieso fast alles.
Das Seewasser auf meiner Haut mischte sich mit meinem Schweiß, er lief mir die Stirn herunter in die Augen und brannte. Der Weg schlängelte sich durchs Schilf und nach dreißig Metern folgte hüfthohes Wiesengras. Die Moskitos nervten und ich wurde bereits böse gestochen. Ich stand unter den Ausläufern eines riesigen Mangobaumes im Schatten. Etwa in diesem Moment nahm ich Männerstimmen wahr, lautes Lachen und ich roch Grillfleisch. Eine Bierflasche wurde laut entkorkt. Die Villa war wegen des Mangobaums nicht zu sehen, dessen unterste Äste niedrig, vielleicht mannshoch breit und ausladend um diesen Giganten in die Horizontale wuchsen. Ich zögerte, ob ich mich nach links ins Gras schlagen sollte, um von dort einen Blick zu erhaschen. Das Haus zog mich magisch an.
Im Gras hockend dachte ich über die möglichen Gefahren in Form von Vogelspinnen und Schlangen nach, als ich rechts, in Richtung der Mauer plötzlich einen Typen in Tarnuniform sah, der auf einem anderen Pfad in meine Richtung kam. Er drehte sich plötzlich um, rief in einer fremden Sprache Wortfetzen zurück, gestikulierte laut lachend und machte eine obszöne Geste. Geduckt huschte ich wieder zurück ins Schilf und rannte dem Pfad zum Ufer zurück. Die Angst, die plötzlich in mir aufkam, verlieh mir Flügel und geschärfte Sinne. Zurück ans Ufer war ich rasend schnell gelangt, schlich nun aber langsam ins Wasser, um nicht zu viele Wellen aufzuwühlen. Als ich zum seeseitigen Mauerende gelangte, war der Typ aber bereits am Ufer angekommen - ein hässlicher Glatzkopf mit Vollbart und Narbe auf der Backe.
Ich machte gerade eine Wende, um auf die andere Seite zu gelangen und ans jenseitige Ufer zurückzuschwimmen. Ich sah ihn auftauchen und tauchte im selben Moment unter, bis ich auf die schützende Außenseite des Anwesens gelangte. Er musste mich gesehen haben. In kräftigen Zügen schwamm ich ans Ufer, von Juán war keine Spur zu sehen. Meine Kleider waren auch weg. Ich kletterte die Böschung hinauf, gelangte auf den Uferweg und rannte in die vom Anwesen wegführende Richtung, vermutlich in Rekordzeit, meine Füße waren blutig. Das bemerkte ich aber erst später.
Als ich keuchend bei einer am Weg gelegenen Baumgruppe ankam, rannte ich immer noch, hörte aber plötzlich hinter mir ein Rufen, es war Juán, der sein Motorrad mit meinen Sachen in den Schatten gebracht hatte.
»Fuck, da sind Leute drin!« meinte ich atemlos, nur unter Schwierigkeiten schaffte ich es stolpernd in die Jeans, warf mir das Hemd über.
»Wir müssen hier weg!«
»Wie? Wer soll denn da sein?«
Ich schnappte mir meine Stiefel und Socken. »Juán, ich hab doch keine Ahnung. Mir waren die Typen unheimlich. Lass uns starten.«
Er warf sein Motorrad an, ich schwang mich barfuß drauf, die Stiefel in der Hand, und weg waren wir. Wir fuhren wieder mal in eine der Holzhütten am Stadteingang und tranken ein heimliches Bier. Durst hatte ich jetzt wirklich, mein Mund war strohtrocken. Im Gespräch zeigte sich Juán tatsächlich unwissend. Zunächst wollte ich ihm das mit dem Nicht-Bewohnt-Sein nicht so recht abnehmen, Juán war ein Primakerl, aber die lokale Bevölkerung hütete so manche Geheimnisse, die den Fremden stets vorbehalten blieben. Es gab ganz einfach Themen und Dinge, die mit den Zugereisten nicht geteilt wurden und wenn überhaupt, dann erst nach sehr langer Zeit. In diesem Falle aber glaubte ich ihm. Er hatte keine Ahnung, wer die Haudegen auf dem gespenstischen Anwesen des Bischofs sein hätten können.
Den Bischof selber lernte ich zu dieser Zeit auch kennen. Weiter westlich am See, in Richtung des Staudamms, hatte er gleich nach seiner Ankunft vor dreißig Jahren ein kleines Seegrundstück gekauft und darauf ein Schwimmbad errichtet. Eine soziale Tat der Kirche, dachte ich mir zunächst, denn das Schwimmbad wurde von der jungen Bevölkerung intensiv genutzt. Es war fast jeden Nachmittag voll. Aber es war vor allem der Nachwuchs der weißen Kreolen in der Stadt, die es ausgiebig besuchten, denn nur diese konnten sich den Eintritt von einem Dollar an fast jedem Tag der Woche leisten, zuzüglich Speiseeis, gebratenen Spießchen und extrem süßen Brausegetränken. Letztere waren die Pest. Die Jugend soff das Zeug am Tag literweise rein. Zusammen mit der halben Tonne Reis, die jeder im Dorf am Tag verdrückte, hatte der Zucker in den Getränken verheerende Wirkungen - die Hälfte der Dorfbevölkerung über fünfzig hatte Diabetes.
Ich hatte Juán schon über den Bischof ausgefragt, vor allem, weil mich die Frage der Rinderherden sehr interessierte, die den Comunidades übergeben wurden, wenn letztere sich für einen solchen Schritt entschieden hatten. Nach etlichen Nachforschungen hatte ich verstanden, dass die Rinder allesamt vom Bischof kamen, die Verwaltung und Kontrolle leistete das Munizip. Wenn denn mal eine Comunidad dazu kam, tatsächlich die Rinder nach erfolgreicher Reproduktion zurückzugeben, landeten diese erst mal auf den verschiedenen Anwesen der Beteiligten. Der Trick war, dass die Rinder in deren gewogenem Gewicht übergeben wurden, aber eine wesentlich höhere Kopfzahl zurückgegeben wurde, in der Regel männliche Kälber mit geringem Gewicht - ein Jungtier wiegt ein Viertel einer ausgewachsenen Kuh. Die Jungkühe wurden von den Indianern einbehalten, denn die produzierten ja Milch, an der Stiermast hatten sie kein Interesse. Dafür der Bischof und die Truppe vom Munizip umso mehr: Sie brachten die Jungbullen nach der Rückgabe auf ihre Haziendas und mästeten sie dort. Da die Abrechnung mit dem Munizip und dem Bischof über das Gewicht der geliehenen Tiere ging, mussten sie, nach einem Jahr Einbehalt der Tiere, nur einen kleinen Teil der Jungstiere tatsächlich an den Bischof abliefern. Denn nach erfolgreicher Mast hatten diese das Gewicht der zuvor übergebenen Herde bei Weitem überschritten und der Überschuss an Gewicht konnte auf eigene Rechnung sehr gewinnträchtig verkauft werden. Damit keiner dabei schlecht wegkam und der Bischof auch mitverdienen konnte, hatten die beteiligten Akteure eine Art Pool gebildet: Die Einkünfte wurden, egal, auf wessen Hazienda die Mast gerade stattgefunden hatte, zu gleichen Teilen verteilt. Klar, dass die sich auch untereinander beschissen, wie es grad so ging.
Irgendwann fuhr ich mit Juán per Motorrad zum Schwimmbad, er wollte mir den Bischof vorstellen. Karl Ritter, ein Rosenheimer, wie ich rausgefunden hatte. Es war das erste und letzte Mal, dass ich das Schwimmbad betrat. Ritter saß auf einer Bank und schraubte an einem elektrischen Bauteil herum. Er schaute uns bei unserer Ankunft nicht mal an, grüßte beiläufig Juán und schraubte weiter, ohne aufzuschauen. In etwa zehn Meter Entfernung von ihm tummelten sich zwei riesenhafte Indios, fett und etwa zwei Meter lang.
»Monseñor, ich wollte Ihnen einen Freund und neuen Mitarbeiter des Munizips vorstellen, Robert Spreng, er kommt aus Deutschland, wie Sie auch.«
»Ach ja?« Er schaute auf zu uns, dann fokussierte er mich durch seine Nerdbrille, kurzer grauer Vollbart und zusammengekniffene Augen. Er war ziemlich fett. »Und? Für was sind Sie gut?« Er studierte mich kurz und wandte sich dann wieder gebückt seinem elektrischen Bauteil zu.
»Wer will das wissen?« fragte ich und zündete mir eine Zigarette an.
»Robert hilft mir sehr in der Baumschule, wir haben schon viele neue Gewürze angepflanzt und ansonsten unterstützt er vor allem den Bürgermeister in der lokalen Wirtschaftsförderung.« Juán litt, er hätte ahnen müssen, dass ich den Typ nicht würde ausstehen können.
»Die kommen und gehen. Wie viele von der Sorte hatten wir schon hier? Was haben sie letztendlich hier gemacht? Was haben sie hinterlassen?« Ritter schraubte weiter. »Ich habe ihn in der Messe noch nicht gesehen. Ist er katholisch?« Sein Spanisch klang sehr bayrisch.
»Du gehst scheißen!« murmelte ich leise auf Deutsch, er musste es gehört haben.
Er drehte seinen Blick zu Juán und meinte:
»Bring mir ein paar Setzlinge der Gewürze, welche sind es denn? Habt ihr Majoran?«
»Ja auch, aber wir haben auch Oregano und Thymian.«
»Interessiert mich nicht, ich will deutsche Gewürze. Habt Ihr Pimpernelle? Bohnenkraut?«
»Bald, Monseñor, wir arbeiten dran.« Juán schaute mich fragend an, ich wandte mich paffend ab.
»Na dann! Kann ich sonst noch was für dich tun, Juáncito?«
»Nein, Monseñor, ich danke Ihnen für die Zeit und die Aufmerksamkeit.«
»Ja, schon recht.« Ritter hatte sich wieder voll seinem elektronischen Bauteil gewidmet und beachtete uns nicht weiter. Wir verließen ihn, seine Riesenindios und sein Schwimmbad. Wieder auf Juáns Motorrad meinte ich:
»Wahnsinn, ist das ein Arschloch, Juán! Und du duckmäuserst so vor dem rum, ich glaub es nicht!«
»Ja, aber er ist der Vertreter Gottes hier in San Ignacio. Außerdem hat er Macht. Er kann sich wahlweise in einen Schimmel oder einen Rappen verwandeln, je nachdem, wie er drauf ist. Ich habe ihn letzthin in Schimmelgestalt am Ufer des Sees gesehen, wir fuhren grad raus nach San Rafael, es war um 05.30 Uhr, ich weiß es noch genau.«
»Ach, und das war der Bischof?«
»Ja, es gibt keinen Schimmel hier in San Ignacio, niemand besitzt einen. Es kann nur er gewesen sein.«
»Klar, dann kann es nur er gewesen sein.«
»Genau.«
Zu jenem Zeitpunkt hatte ich bereits etwa zehn Monate in San Ignacio verbracht. Die Lage im Haus schien stabil, auch wenn wir jetzt weniger Zeit zusammen verbrachten. Wilson war irgendwie sehr beschäftigt und blieb nun tatsächlich öfters mal über Nacht weg, ich fragte ihn nie, was er machte. Marcela war auch sehr beschäftigt, weil sie mit ihrem Chef Rafael an der endgültigen Formulierung des Fünfjahresplanes arbeitete, manchmal auch die Nacht durch. Ich achtete nur darauf, dass in dem Plan meine Vorschläge zur institutionellen Umstrukturierung des Munizips nicht zu knapp vorkamen.
Manuel war längst ausgezogen, er hatte San Ignacio bereits einen Monat nach meiner Ankunft verlassen. Er war mit einer Delegation des Munizips in den riesigen, abgelegenen Nationalpark im Norden gereist, wo ihn die Jungs reichlich verarscht hatten. Er war von Anfang an vom Dünnschiss geplagt gewesen und das Ganze hatte sich nach seiner Reise in den Norden noch verschlimmert. Die Typen vom Munizip hatten ihm dort geraten, einfach Flusswasser zu trinken, das sei schon okay.
Ergebnis war ein zweiwöchiger Aufenthalt im örtlichen Krankenhaus, er hatte sich die Amöbenruhr eingefangen. Er schiss sich in jenen zwei Wochen dort quasi die eigene Substanz aus seinem eh schon ausgeleierten Arschloch. Als er einigermaßen darüber hinweg war, reiste er ganz schnell ab. Er hatte sich nicht mal verabschiedet, er war einfach irgendwann nicht mehr da. Dafür kam wenig später eine neue Mitbewohnerin: Sandra, eine lesbische Spanierin. Etwas spröde, aber sehr nett und äußerst arbeitsbeflissen. Sie fiel mir erst gar nicht weiter auf.
David van der Waahn, der esoterische Jungspund im Angestelltenhaus, tauchte in jener Zeit wieder öfter auf. Er hatte Stress mit den Angehörigen eines seiner Patienten. Dieser war während eines jener Kotzkrämpfe, die David mit seinen Chlortrünken induzierte, am Gehirnschlag gestorben. Jetzt versteckte er sich im Haus. Er bat mich, ihn an der Tür zu verleugnen, was ich dann auch regelmäßig tat, wenn die Delegation der Angehörigen in Abständen wutentbrannt auftauchte. Ich sagte ihnen immer das, was ich vorher auch gesagt hätte: keine Ahnung, wo der sei.
Dafür war jetzt vor allem ich mit ihm konfrontiert, ich war ja der Einzige, der tagsüber zuhause war. Der Junge war zweiunddreißig Jahre alt, einsfünfundneunzig lang und auf dem geistigen Stand eines Siebzehnjährigen. Seine Gegenwart nervte, weil er immer und überall seine Spuren hinterließ. Die Küche sah nach seiner Benutzung aus wie ein Schweinestall. Seine Dusche im Angestelltenhaus funktionierte nicht mehr, also duschte er im Haupthaus und hinterließ dort regelmäßig sandigen Schlamm auf dem Boden.
Als ich mit ihm einmal in der Küche werkelte, benutzte er meinen Quirlstab, der in jenem Moment seinen Geist aufgab - die Kräuter-Körner-Masse, die er in der Mangel hatte, war einfach zu zähflüssig. Er schaute das qualmende Teil kurz an und schmiss es dann wortlos in den Mülleimer mitsamt Kabel.
»Sag mal, hast du Scheiße im Hirn?« meinte ich. »Ich habe den Rührstab für fünfzig Dollar in Santa Cruz gekauft, in einer Woche hast du einen neuen gekauft. Wenn nicht, gibt's Druck!«
»Ey, mach dich mal locker, das Ding war eh schon am abkacken …«
Weiter kam David nicht, ich drosch ihm voll eine Rechte nach oben in die Fresse. Die langen Heinis brachte ich immer zu Fall, Gleichgroße bereiteten mir hingegen Probleme. Er fiel rückwärts um und riss im Fallen den Zehnliter-Trinkwassertank vom Sockel, der zerschellte am Boden und alles war voller Wasser. Er wälzte sich stöhnend am Boden, ich beugte mich runter, packte ihn am Langhaarschopf und schrie ihm spuckesprühend ins Gesicht:
»Ich geh jetzt da raus ein Bier trinken, und wenn ich zurückkomme, ist das hier alles aufgewischt und wenn nicht, dann kommt der zweite Teil der Abreibung, ist das verstanden?« Ich ging raus und knallte die Haustür zu.
Nichts war gemacht, als ich nach einer Stunde zurückkam. David war aber verschwunden. Erst nach drei Wochen tauchte er wieder auf. Er sei in Santa Cruz gewesen, meinte er später. Seine Abwesenheit sorgte aber beim DED für Nervosität, keiner wusste, wo er war. Mir war's recht, ich protokollierte, dass er plötzlich nicht mehr da gewesen sei.
Die eingeschaltete Polizei wurde mit einem landesweiten Suchauftrag versehen. Als er dann wieder auftauchte, reportierte er dem Landeschef Hans Radeberger, dass ich ihn völlig grundlos zusammengeprügelt und aus dem Haus geworfen hätte. Er hätte ein schweres Trauma erlitten und legte sogar mehrere Atteste von Nervenärzten in Santa Cruz vor, die ihm Gewalttraumata bescheinigten. Ich wurde nach La Paz einbestellt, aber das Gespräch wurde glücklicherweise nach Santa Cruz verlegt, weil Hans Radeberger eh grad dort war. Das Ganze lief für mich glimpflich ab, weil Hans einerseits schon seine Pappenheimer kannte und ich ihm andererseits in ruhiger Weise von den Problemen vor Ort mit David erzählte. Insbesondere seine Heilaktivitäten - mit zuletzt letalen Ergebnissen - und seine berufliche Abstinenz stimmten ihn nachdenklich. Das alles war für ihn neu. Die DED-Zentrale in La Paz war von uns, den Mitarbeitern in San Ignacio, Lichtjahre entfernt. David kam danach wieder nach San Ignacio zurück, führte sein eher heimliches Leben im Angestelltenhaus noch einen Monat weiter und verschwand dann unbemerkt in die Heimat, sein Vertrag war gottseidank abgelaufen.
Ich kehrte noch mehrmals zu dem Anwesen mit der Villa am See zurück, allerdings alleine. Juán war nicht mehr zu bewegen, dort noch einmal hinzufahren. So spazierte ich öfters am See entlang und manchmal ergab es sich einfach, dort zu landen, auch wenn in der einsetzenden Regenzeit der Weg dorthin immer mehr zuwucherte. Zu dem kleinen Aussichtshügel, der zuvor mit Juán noch halbwegs zugängig war, gab es gar kein Durchkommen mehr. Trotzdem versuchte ich immer, aus den noch möglichen Perspektiven einen Blick auf das Haus zu erhaschen. Es ergaben sich allerdings kaum neue Eindrücke. Als ich mich bei einem jener Spaziergänge wieder dem Anwesen näherte, beobachtete ich am großen zugemauerten Tor des Anwesens eine Frau mit langen blonden Haaren und großem Strohhut, die dort kniete und am Boden herumfummelte. Ich näherte mich ihr langsam, blieb aber dann in einiger Entfernung auf dem kaum noch erkennbaren Weg stehen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und tat unbeteiligt, starrte in verschiedene Richtungen und zwischendurch immer wieder kurz zu ihr. Der Wind am späten Nachmittag schickte Teppiche von sich kräuselnden kleinen Wellen über den See. Die Luft war trotzdem schwer und roch nach einer faulig riechenden Blumenart, die in jener Jahreszeit überall blühte. Der Ort atmete eine tiefe Einsamkeit. Als ich mich erneut zu der Frau umdrehen wollte, stand sie plötzlich vor mir und musterte mich. Ich war erschrocken und fühlte mich irgendwie ertappt. Ich sagte nichts, so vergingen ein paar Sekunden.
»Es ist nicht gut hierherzukommen.« sagte sie schließlich auf Deutsch mit süddeutschem Akzent.
»Ist das Privatbesitz hier? Ich habe beim Herkommen vielleicht die Umzäunung übersehen … tut mir leid.«
»Kein Privatbesitz hier. Das Anwesen dort ist ein unguter, dunkler Ort.«
Ihr Gesicht hatte Klasse, ihre Augen waren fast schwarz. Ich hatte noch nie eine naturblonde Frau mit so dunklen Augen gesehen. Ihre Iris war schwarzbraun, was ihrem Gesicht zusammen mit ihrem ernsten Blick einen dämonenhaften Touch gab. Ich konnte nicht vermeiden, ihre Figur zu mustern, sie war sehr schlank, fast ohne Busen. Ich schätzte sie auf Ende zwanzig. In der linken Hand hatte sie eine Machete und um ihre Schulter hing eine Indiotasche.
»Woher wissen Sie, dass ich Deutscher bin?«
»Bolivianer sind Sie bestimmt keiner. Sie sind garantiert vom DED, deutsche Entwicklungshelfer sind die einzigen Nicht-Bolivianer hier in San Ignacio.«
»Stimmt, ich arbeite mit dem Bürgermeister in der lokalen Wirtschaftsförderung. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Was haben Sie am Tor gemacht? Das Haus gehört dem Bischof, dachte ich.«
»Der Bürgermeister …« Sie ging nicht auf meine Frage ein, rotzte neben sich auf den Boden und drehte sich zum See.
»Der Bürgermeister … der Bischof …« Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Zwei interessante Figuren, die eng miteinander verbunden sind. Ich bin Anna Ertl.« Sie streckte ihre Hand aus, ich ergriff sie zum Gruß. Sie war rauh und trocken. Unsere Blicke trafen sich und ein leichter Schauder durchlief mich. Diese Augen waren wie tiefe schwarze Brunnen.
»Ich bin Robert Spreng.«
Sie lächelte mich geheimnisvoll an. »Gut, Robert Spreng, hast du Lust, was trinken zu gehen?« Sie hatte offensichtlich beschlossen, mich zu duzen.
»Klar, wir können ja in eine der vielen Strandbars hier gehen.« Ich hatte sie zum Lachen gebracht.
»Ich mag Zyniker. Mein Haus ist einen Kilometer das Ufer runter, komm mit.«
Sie ging voraus, schlug mit ihrer Machete das seitlich in den Weg wuchernde Schilfgras ab. Das tat sie für mich, da sie selber ja ohne Kahlschlag hergekommen war. Ich wollte sagen, dass ich auch so durchkäme, ließ es dann aber.
So ging es den ganzen Weg. Wir redeten nichts. Irgendwann überquerten wir eine wackelige Holzbrücke über einen langen, schmalen Arm des Stausees. Ich wollte immer wieder mal ansetzen, etwas zu sagen, aber irgendetwas an ihrer Gegenwart unterdrückte meine Worte. Ihr Hintern in der engen Jeans sah toll aus.
Nach einer halben Stunde kamen wir zu einem kleinen einstöckigen, aber hohen Haus aus Lehmziegeln und Säulengang mit festgetretener Erde. Es sah aus, als würde es aus nur einem großen, hohen Zimmer bestehen. Es stand, schwer zugänglich und absolut nicht einsehbar, mitten in einem Schilfmeer, fast direkt am Ufer. Eine kleine Bucht mit Sandstrand, in die ein weidenartiger großer Baum hineinragte und seine Lianen ins stille, schwarze Wasser tauchte, der ganze Ort war wunderschön. Wie ein naturalistisches Ölgemälde des ländlichen Tieflandes aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Vor dem Haus befand sich eine weitläufige, glattgefegte Erdfläche mit Holzstühlen verschiedener Bauart und Farbe sowie ein großer, langer, wackeliger Holztisch. Vier kleine blonde Mädchen zwischen schätzungsweise drei und zehn Jahren beschäftigten sich mit verschiedenen Spielaktivitäten und beachteten uns nicht. Am Tisch saß ein dunkelhäutiger drahtiger Wurzelsepp mit zottigem braunen Haar und Teufelshärchen am Kinn.
»Das ist Ronaldo Lasser, mein Mann. Ronaldo, das ist Robert Spreng.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Seavas!« sagte er in breitestem Österreichisch und zerquetschte mir fast die Hand. »Wüüst a Bier?« Er hatte selber schon eins vor sich am Laufen. Er war einen halben Kopf kleiner als sie und einen ganzen kürzer als ich, seine Stimme klang irgendwie kehlig, gequetscht. Ich setzte mich mit Anna an den Tisch, er verschwand im Haus, kam mit zwei Flaschen kaltem Bier zu uns zurück und setzte sich wieder.
»Ich hab ihn bei der Villa Stein getroffen. Ich hab Kerzen angezündet. Sind die anderen schon zurück?« Er wog den Kopf verneinend, ihr fielen die Kinder um den Hals. Dann nestelte sie eine Packung Zigaretten aus ihrem Indio-Beutel und hielt mir die Packung hin. Wir fingen zu dritt an, zu qualmen. Die beiden waren mir sympathisch, die Stimmung war angenehm gelockert, wir plauderten über dies und das. Sie besaß eine größere Hazienda in der Nähe von Concepción. Diese war bis auf ein paar Rinder und Schweine allerdings unbewirtschaftet. Daher musste Ronaldo immer wieder als Tagelöhner in einer Truppe von Waldarbeitern schuften, die Holz schnitten und es anschließend in einem Sägewerk klein machten. Dieser Knochenjob musste ihm seine gewaltigen Kräfte beschert haben.
Das Haus hatte Anna von ihrem Großvater geerbt, ebenso wie die Hazienda. Sie kümmerte sich vornehmlich um Haus und Kinder und malte nebenbei, nicht unbedeutend, wie ich später unter anderen Umständen feststellen sollte. Sie waren ein sympathisches Paar, das sich gut verstand und liebevoll anfrotzelte. Ich erzählte die Geschichte meiner Ankunft in Bolivien, die gescheiterte Ehe, meine Kinder und so weiter.
»Kerzen vorm zugemauerten Tor?« fragte ich schließlich in einem Moment des Schweigens.
Beide wurden ernst und schwiegen zunächst. Anna stand schließlich auf und meinte im Stehen:
»Meine Mutter ist da drin umgebracht worden.« Sie drehte uns den Rücken zu, ging langsam in Richtung Seeufer und setzte sich dort auf einen alten Baumstamm.
Ich war ziemlich geschockt und schwieg erst mal, wie Ronaldo auch, der ruhig weiterpaffte. Ich suchte seinen Blick, er schaute aber in eine andere Richtung. Mit der gelockerten guten Stimmung war es zuerst einmal vorbei. Mein Blick fand schließlich die immer noch spielenden Mädchen. Die beiden Älteren hatten ein altes Fass auf den Platz vor dem Haus gerollt und versuchten, darauf zu balancieren, während die zwei jüngeren sich die Gesichter mit Lehm aus roter Erde im Indianer-Look bemalten.
Als ich wieder in Richtung Anna blickte, hörte ich das tiefe Knattern eines alten Dieselfahrzeugs näher kommen. Ich sah Anna aufstehen und zu einem abseits liegenden Eisentor am Schilfgürtel hinterm Haus schauen. Das Tor stand offen, die verrosteten Gitterflügel hingen von den Pfosten schräg nach unten und waren bereits fest mit der Vegetation verwachsen. Kurz darauf holperte ein großer uralter MAN-Laster mit hohen Holzwänden rund um die Ladefläche durch die Einfahrt.
Auf den Oberkanten des Holzaufbaus saßen etwa zwanzig Männer und ein paar Frauen und schwenkten johlend und pfeifend ihre Mützen und Strohhüte. Alle sahen verstaubt und zerzaust aus und trugen schlapprigen Military-Look. Der Laster kam mit einem lauten Knacken aus der Bremsengegend zum Stehen und die Mannschaft sprang ab. Anna wirkte erleichtert. Wie ausgewechselt lief sie voller Freude zu den Ankömmlingen und umarmte jeden. Ronaldo war aufgestanden, hatte sich ein paar breite Holzplanken geschnappt und ging zum Laster, wo er sie krachend in den Staub schmiss. Er kletterte flott auf die hohe Kante der hölzernen Ladefläche, blickte hinein und pfiff laute Anerkennung.
»Wo habt ihr denn den her?«
»Rhöns Hazienda, ziemlich weit drinnen, er hatte sich irgendwie von der Herde getrennt.« meinte der dickliche Fahrer, der eben auf die Seitenwände der Ladefläche geklettert war. Ronaldo lachte zufrieden. »Na, wenn's beim Rhön war, dann brauchen wir ja kein schlechtes Gewissen zu haben …«
Er winkte mir zu. »Komm hoch und schau, der ist prächtig!«
Ich kletterte ungeschickt an der Seitenwand hoch und grüßte die neben mir an der Ladefläche hängenden Zausel mit Handschlag, während ich mich mit einer Hand festhielt. Im Inneren des Holzaufbaus befand sich ein kräftiger Zebu-Jungbulle, die mit dem Höcker auf der Schulter. Ronaldo und ein Kollege, der ihm gegenüber auf der anderen Bordkante saß, warfen jeweils zwei Lassos um seinen Hals. Beide sprangen ab und liefen zum Mangobaum, der am Rande der freigefegten Hoffläche stand und wickelten ihr Seil jeweils von der entgegensetzten Seite zweimal um den Stamm. Dann krachten die Ladetüren auf und der Bulle sprang raus.
Da das Ding recht hoch war, knickten ihm bei der Landung die Vorderläufe ein und seine Schnauze krachte in den Staub. Blind vor Wut rappelte er sich auf. Ich blieb auf der Oberkante des Holzaufbaus auf dem Laster stehen, ebenso wie die Frauen. Die Männer fingen an, den Bullen johlend und pfeifend zu reizen, ihn immer näher an den Mangobaum zu treiben, wo Ronaldo mit seinem Kollegen ihre Seile jedes Mal bei einer Annäherung des Stiers wieder straff zogen. So kam er immer näher an den Stamm. Schließlich hatten sie seinen Kopf mit den Hörnern frontal ganz eng am Stamm, so dass er ihn nicht mehr rühren konnte und nur noch wild nach hinten ausschlug.
»Mach schnell, sonst wird das Fleisch hart!« rief einer feixend Ronaldo zu. Der ließ sich am Seil ablösen und näherte sich dem tobenden Bullen seitlich. Er zog ein kurzes aber breites Messer aus einer Lederscheide an seinem Gürtel und suchte die beste Position über dessen Kopf. Der Staub in der Luft schien zu beben. Die Mannschaft wurde stiller. Ronaldo sagte zu den beiden Lassohaltern, dass sie Leine lassen sollten, damit sich der Kopf des Bullen weiter nach links bewegen könne. Als dies geschehen war, hielt der Bulle schnaubend kurz inne und Ronaldo versenkte mit einem perfekt gezielten Hieb das Messer genau hinter dem Schädelansatz im Nacken des Stiers. Der zuckte kurz auf und sackte dann zusammen, ganz plötzlich und lautlos, wie eine Marionette, der alle Schnüre auf einmal abgeschnitten wurden.
Sofort eilten zwei aus der Menge und schnitten zwei Löcher durch die hinteren Fersen des Stiers, zogen je zwei Seile durch und verknoteten sie. Dann wurden die Seile über einen höheren Ast gezogen und die ganze Truppe fing ächzend an, den Bullen an seinen Hinterläufen in die Höhe zu ziehen, bis sein Kopf einen halben Meter über dem Boden hing. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, er war mausetot. Alles ging rasend schnell und jeder Beteiligte schien zu wissen, was er zu tun hatte. Zwei der Frauen kamen, eine mit einer Riesenschüssel, die andere mit einem langen Messer, das sie ohne zu Zögern in der Halsschlagader des Bullen versenkte. Das Blut kam so kräftig rausgeschossen, dass es ihr voll auf die Brust spritzte, alle lachten derb. Ich konnte kaum fassen, wie viel Blut da raus kam. Als der Blutstrom versiegte, wurde der Bulle abgelassen und auf die drei Holzplanken gezogen, die Ronaldo vorher angeschleppt hatte. Zwei fingen sofort an, dem Tier mit gezielten Schnitten die Haut abzuziehen. Vorder- und Hinterkeulen wurden abgetrennt, dann der Kopf, dann kam einer mit einer Säge und trennte schwitzend die Rippen von der Wirbelsäule. Ein paar Meter weiter brannte bereits ein großes Feuer.
»Kann ich irgendwie helfen?« fragte ich Anna hilflos, als sie hochkonzentriert an mir vorbeilief. Sie lachte kurz.
»Lass nur, gleich wird's ruhiger.« Sie verschwand kurz im Haus und zerrte mit einer der Frauen einen Zentnersack grobes Salz auf die Terrasse. Die Zerleger brachten die Beine und Vorderläufe des Tieres und hängten sie an Haken im Schatten des Säulenganges auf. Die Frauen rieben sie großzügig mit Salz ein, so dass das Rot des Fleisches fast völlig von einer weißen Kruste bedeckt war. Die beiden Rippen wurden nochmals durchgesägt und dann gewellt auf angespitzte Holzpfähle gesteckt, ebenfalls eingesalzen und mit etwa einem Meter Abstand am Feuer aufgestellt. Aus der übriggebliebenen Wirbelsäule und Hüfte wurden die guten Stücke gelöst und in dicke, große Steaks geschnitten. Ronaldo schleppte den Kühlergrill eines ausrangierten Uraltlasters herbei und lehnte ihn schräg übers Feuer. Irgendwoher kamen zwei Zentnersäcke voll Zwiebeln und Tomaten. Vier Jungs gruben abseits im hohen Schilfgras ein tiefes Loch und warfen Kopf und Gedärme des Tieres hinein. Das mittlerweile zu Pudding verklumpte Blut wurde drüber gekippt, das Loch wieder zugeschüttet.
Jetzt wurde es ruhiger und die Stimmung wurde gelöster. Es dämmerte bereits und die ersten Flaschen Zuckerrohrschnaps und Rotwein machten die Runde, ich wurde allen vorgestellt. Ich konnte mir wieder mal kaum einen Namen merken, fühlte mich aber wohl. Gerne hätte ich mitgewerkelt und mich als Teil dieser perfekt ineinandergreifenden Truppe gefühlt. Ich war glücklich. Das war das alte Lateinamerika, das ich immer entdecken wollte.
Anna stellte sich neben mich, legte den Arm um meine Schulter und rief, gelöst von den ersten Schlucken Schnaps, in die Menge:
»Das hier ist Robert, der uns ganz bestimmt nicht verpfeifen wird! Oder?« Sie drehte ihr Gesicht meinem zu und schaute mir theatralisch tief in die Augen. Alle lachten, auch ich musste lachen. Die Fleischstücke mit viel Fett wurden aufs Feuer geschmissen und ein fantastischer Geruch breitete sich aus. Die ganzen Zwiebeln und Tomaten waren auch schon auf dem Grill. Von irgendwoher war ein großer Packpapiersack mit frischem Weißbrot gekommen. Die Frauen deckten den langen Tisch, es war aber bei Weitem nicht Platz für die schätzungsweise dreißig Leute. Es musste in zwei Schichten gegessen werden.
Ich wurde langsam betrunken und hatte Riesenhunger. Die Sonne senkte sich, es war nur eine Stunde seit der Ankunft der Truppe vergangen. Anna setzte mich seitlich ans Kopfende des Tisches gegenüber von Ronaldo. Auf jedem Teller landete eine geröstete große Zwiebel, eine Tomate, ein großes Stück Brot und ein Riesensteak von deutlich mehr als einem halben Kilo Gewicht. Noch fing niemand an zu essen. Dann kam Anna, baute sich am Kopfende der Tafel zwischen mir und Ronaldo auf und fing an zu sprechen.
»Liebe Compañeros, geliebte Revolutionäre. Ihr alle wisst, warum wir heute hier zusammengetroffen sind.« Alle schauten plötzlich sehr ernst und manche hatten ihre Köpfe gesenkt. »Es ist der vermutlich fünfunddreißigste Jahrestag der Folterung und Ermordung meiner Mutter, unserer Wegbereiterin im Geiste, in unseren Gedanken und in unseren Idealen.« Sie war deutlich angesäuselt, ihr liefen ein paar Tränen die Wange hinunter. Die Mannschaft war betroffen, einige der Älteren wischten sich die wässrigen Augen. Alle machten ernste Mienen. Ich ließ meinen Blick durch die Runde wandern und traf plötzlich die Augen einer sehr hübschen, schlanken Brünetten mit großen Augen und guter Figur. Sie hatte langes, ziemlich verfilztes Haar. Sie schaute mich ernst an und dann in eine andere Richtung. Ich versuchte mehrmals ihren Blick wiederzufinden, aber das schien es erst mal gewesen zu sein. Anna fuhr fort:
»Ihr kennt den Feind, er ist mehr denn je gegenwärtig und baut gerade seine abgrundböse Macht aus. Mag auch unser Kampf ein einsamer sein, wir haben Kraft, wir haben Macht, denn wir sind auf Seiten des Volkes, wir sind das Volk. Wir werden zu verhindern wissen, dass der Krake seine Arme erneut um uns schlingen und uns zerbrechen will. Und wenn wir vereint stehen, werden wir widerstehen.«
Die Umstehenden und Sitzenden setzten mit verhaltenem Beifall ein. Eine der Frauen schenkte in die matten, ganz verschiedenen Gläser der Sitzenden reichlich Schnaps ein, eine andere tat dasselbe mit Rotwein. Neue Flaschen wurden von den Umstehenden in der Nähe des Feuers geöffnet und herumgereicht. Anna machte eine kurze Pause. Dann fuhr sie fort.
»Ich bin angetrunken und habe verteufelt Hunger. Insofern stoße ich mit euch an, geliebte Compañeros und Revolutionäre, auf den Sieg …«, das Gejohle wurde lauter, »… auf unsere Sache …«, noch lauteres Gejohle und Beifall, »… und auf meine Mutter, der dieses Festmahl gewidmet ist, Hasta la victoria siempre!« schrie Anna, nun mit schriller Stimme.
Jetzt standen alle auf, grölten und hielten die Gläser hoch. Ronaldo umarmte Anna innig, beiden hatten Tränen in den Augen. Dann setzten sie sich augenwischend, und die erste Schicht fing an zu essen. Wie nach einer Beerdigung wurde die Stimmung mit dem Essen plötzlich gelöst und fröhlich. Wenn ich mich heute an den Geschmack des gegrillten Fleisches, der Zwiebeln, des Brots, an den Geruch der Natur und des Schilfgrases erinnere, vergeht mir jede Lust, noch einmal nach europäischen Maßstäben zu grillen. Es war das beste Fleisch, das ich jemals in meinem Leben gegessen habe - obwohl es schlachtfrisch war.
Als die erste Schicht mit dem Essen fertig war, kam die zweite dran. Das Geschirr blieb stehen, die Nachfolger am Platz entsorgten die Essensreste ihres Vorgängers in eine große schwarze Plastiktüte und benutzten es dann einfach weiter, Besteck und Teller. Die erste Schicht begab sich zum Feuer, zwei der Männer kamen mit Gitarren an und fingen leise an zu zupfen, bis einer anfing, ein romantisches Lied über die Chiquitania zu singen. Es ging um unterdrückte Liebe, unterdrücktes Leben und die Befreiung. Irgendwann setzte sich Anna neben mich.
»Warum darf ich mit euch sein? Woher das Vertrauen?« fragte ich sie.
»Wir kennen die Menschen und wir kennen dich. Wir wissen, dass du einen der hingemetzelten Polizisten vor Santa Rosa gerettet hast, vor einem Dreivierteljahr. Wir haben außerdem mit Wilson gesprochen, der hat gut von dir gesprochen.« Ich war überrascht.
»Wilson ist ein eitler Idiot.«
»Ja, aber er hat als einer der wenigen von euch sogenannten Entwicklungshelfern kapiert, was hier tatsächlich abläuft.«
»Woher kennst du ihn? Ich denke, der spinnt sich alles zusammen.«
»Im Gegenteil, er kennt die Akteure hier im Tiefland, auch die, die im Dunkeln agieren. Nur ist er ein unsicherer Kantor. Er ist psychisch labil. Deswegen darf er nicht mit uns sein. Du bist zwar ein schlaksiger Typ, aber du hast Salz.«
»Ach ja? Was meinst du mit den Akteuren, die im Dunkeln agieren?«
»Hat Wilson dir nichts erzählt?«
»Nein, nicht direkt. Ich glaube, er meint, hier wäre so was wie eine Konterrevolution zu der von Evo Morales im Gange, mit Paramilitärs und so weiter.«
»Da hat er verdammt recht. Die wollen hier einen Bürgerkrieg anzetteln und dadurch die Autonomie des Tieflandes erreichen. Unter der politischen Führung von denen, die das Ganze organisiert haben - die faschokonservativen Kroaten aus Santa Cruz und die Altnazis hier in der Chiquitania und im Pantanal.«
»Das Referendum …«
»Vergiss das Referendum. Die wollen es gar nicht dazu kommen lassen. Das würde ihre Pläne eher behindern, die wollen ja keine demokratische Separation. Die haben sich ehemalige kroatische Balkankrieger importiert, die hier dasselbe anstellen sollen wie am Anfang des Bürgerkrieges dort: die Akteure gegeneinander aufzuhetzen und zu Gewalttaten zu bringen, bis das Ganze eine Eigendynamik erreicht, die das ganze Tiefland ins Chaos und Bürgerkrieg führt. Sie haben sich für ihre Aktionen Schwerpunkte ausgesucht, die strategisch für das Erreichen ihrer Ziele günstig sind - San Ignacio, Santa Rosa, San José in der Chiquitania, San Mathias im Pantanal, andere Orte im Pando und in Tarija - und vor allem natürlich Santa Cruz. Von dort aus wird die Initialzündung ausgehen.«
»Das ist bereits im Gange?«
»Klar. Von vielen dieser Aktionen kriegt man gar nichts mit, weil sie eben nicht gewaltsam ablaufen, sondern sublim, durch Streuung von Gerüchten oder durch Verstärkung der vorhandenen Spannungen. Vor allem diejenigen zwischen Cambas und Collas. Das mit deinen Polizisten damals war eine Ausnahme, da wäre nämlich fast ihr Anführer festgenommen worden. An der Art und Weise, wie die Balkan-Soldateska die ganze Polizeitruppe gleich erschossen hat, siehst du, aus welchem Holz die sind.«
»Wer ist dieser Anführer?«
»Eduardo Rózsa Flores. Der ist vor fünfunddreißig Jahren aus Bolivien in die Länder des sozialistischen Ostblocks emigriert und hat dort im Balkankrieg auf kroatischer Seite gekämpft. Mehrfach mit Tapferkeitsorden ausgezeichnet, mehrfach schwer verwundet, ist er aber immer wieder auf die Beine gekommen. Er ist der Exekutor der ganzen Aktionen und wohnt mit seinen Balkan-Kumpels in der Villa Stein, wo wir uns eben getroffen haben.«
Mir wurde schlecht. Das war der Typ mit der Glatze und der Riesennarbe im Gesicht, vor dem ich damals auf dem Gelände der Villa in Unterhose geflohen war. »Den habe ich schon gesehen, als ich …«
»Ja, ich weiß, als du vor ein paar Monaten aufs Gelände der Villa geschwommen bist, hat er dich gesehen.«
»Sag mal, weißt du eigentlich alles?«
»Ja!« lachte sie sympathisch. »Juán Romero hat's mir erzählt.« Mir fiel nichts mehr ein.
Der Rest der Truppe, es waren jetzt alle am Feuer versammelt, wurde langsam wirklich voll. Die Musik wurde rhythmischer, einige fingen an zu tanzen.
»Komm, wir gehen ein paar Schritte ans Wasser.« meinte Anna, stand auf und reichte mir die Hand, um mich hochzuziehen. Beim Aufstehen schaute ich plötzlich wieder in die ernsten, großen Augen der hübschen Brünetten, die auf der anderen Seite des Feuers im Schneidersitz saß. Anna hatte es gesehen, lachte wieder und zog mich sanft fort. Ich folgte ihr, wieso auch nicht. Schon als wir losschlenderten, begann sie zu erzählen.
»Ich habe meine Mutter nie wirklich kennengelernt. Sie starb in eben dieser Villa durch die Hände von Klaus Altmann und seinen Schergen. Du hast von ihm vielleicht gehört, er hieß in Deutschland Klaus Barbie. Erst nach seiner Ankunft hier in Bolivien nannte er sich Klaus Altmann.« Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Weinflasche, zündete sich eine Zigarette an und hielt mir die Schachtel hin. Wir setzten uns wieder auf den Baumstamm am Ufer.
»Wir kommen hier selten her. Und auch erst, seit vor acht Jahren mein Großvater gestorben ist. Er hatte mir immer verboten, herzukommen. Vielleicht hast du von ihm gehört, Hans Ertl. Er war ein bekannter Kameramann im Dritten Reich, unter Leni Riefenstahl und hat dann später hier in Bolivien Filme gemacht. Er hat mich großgezogen. Er war aber keiner von den ganzen alten Nazis, die hier rumspringen. Das Häuschen hier hat er gekauft, weil ihm der Ort so gefallen hat. Er war aber nur zweimal hier - einmal beim Kauf und einmal zum Angeln. Das war kurz vor dem Tod meiner Mutter, danach ist er nicht mehr hergekommen, weil die Villa Stein so nahe gelegen ist.« Der Name Hans Ertl sagte mir nichts.
»Warum hat Altmann deine Mutter umgebracht?«
»Das erzähl ich dir ein anderes Mal. Auf jeden Fall gehörte ihm die Villa Stein. Als er Anfang der Achtziger nach Frankreich ausgeliefert wurde, übernahm der Bischof das Gebäude. Dort wohnt niemand mehr. Dort kann niemand mehr wohnen, nach all dem Grauen, das dort geschehen ist.«
»Und die Balkan-Typen?«
»Klar, die schon. Die fühlen sich an solchen Orten wohl.«
»Die kennen mich jetzt. Wissen die, wer ich bin?«
»Klar, alles wissen sie über dich, nehme ich an. Deswegen dürften sie aber auch wissen, dass du für sie unbedeutend bist. Aber nachdem du ihr Polizisten-Massaker aufgeräumt hast, mussten sie sich ja vergewissern, wer du bist.«
»Ich komme mir vor wie der Vollidiot. Wilson, der Depp, weiß Bescheid und ich krieg von allem überhaupt nichts mit.«
»Vielleicht ist es besser so. Ich bin mir auch nicht sicher, warum ich dir das erzähle und warum ich dich hierher geholt habe. Ich hatte das Gefühl, dass du für unsere Sache bedeutsam bist, oder sein könntest. Ich bin ein intuitiver Mensch, ich entscheide fast nur nach Gefühlslage. Das heißt aber nicht irrational. Ich wäge ab und entscheide dann nach meiner Intuition.«
Nach ihrer feurigen Rede vor dem Essen war sogar mir klar geworden, dass Anna und ihre Kumpels irgendwelche politischen Ziele verfolgten.
»Eure Sache?«
»Ich will dich nicht langweilen.« Sie überging meine Frage. »Vielleicht sollten wir zurück zum Feuer gehen.« Sie stand auf und ging ein paar Schritte in Richtung Haus. Ich folgte ihr. Warum musste ich nach Bolivien reisen, um die interessantesten Frauen kennen zu lernen? Ich fasste sie an der Hand und zog sie zurück zu mir. Unsere Bauchnabel berührten sich.
»Warum so schweigsam plötzlich?« Unsere Gesichter näherten sich, dann wandte sie sich lächelnd ab.
»Naa, lassen wir das besser. Es ist nur so, als ob ich manchmal innerlich zerfressen würde. Ich vermisse meine Mutter so. Ich habe meinen Großvater über alles geliebt, aber ich hatte nie meine Mutter. Meine Mutter war eine Heldin.« Ihr lief eine einsame Träne die Backe runter. »Aber warum erzähl ich dir das überhaupt …«
»Was ist passiert?«
»Vergiss es.« Sie trat einen Schritt zurück. »Warte hier unten am Ufer, okay? Du wirst nicht lange alleine sein.« Sie wandte sich ab und stakste davon, ich blieb zurück. Ich schaute ihr einen Moment nach und dachte, dass mein Ansinnen mit ihr eh blöd war, sie liebte ihren Mann ja offensichtlich und ich mochte ihn auch.
Meine Augen hatten sich einigermaßen an die völlige Dunkelheit gewöhnt, ich ging die paar Meter runter zum Strand der Bucht und legte mich in den Sand. Der Himmel hatte sich bewölkt und es war Neumond, stockdunkle Nacht. Das Wasser roch man mehr, als dass man es sah. Mücken waren komischerweise kaum unterwegs. Seltsam, dachte ich mir, so nah am Wasser? Später erfuhr ich, dass die Pirañas zu jener Zeit gerade Laichzeit hatten und die Brut die ganzen Mückenlarven in Ufernähe auffraßen.
Ich war betrunken, nicht nur vom Schnaps, sondern auch von dem magischen Nachmittag, den ich erlebt hatte. Ich legte mich in den Sand und fing an, die erlebten Szenen an mir vorbeiziehen zu lassen. Gerne wäre ich ein Teil dieser rauen, authentischen Truppe gewesen. Und als ich so die Bilder des Nachmittags an mir vorbeiziehen ließ, legten sich mir von hinten zwei Hände zärtlich auf die Schultern. Sie liebkosten mir den Hals, wanderten über meine Wangen und streichelten mir dann zärtlich die Haare.
»Anna?« meinte ich leise. Es kam keine Antwort. Sie wechselte auf Knien die Position und setzte sich rittlings auf meine Hüften. Ihre Lippen trafen meine und wir küssten uns. Erst langsam, dann immer heftiger. Als ich ihre Bluse öffnete, war klar, dass es nicht Anna war, denn sie war zwar auch schmal gebaut, hatte aber große Titten. Es musste die Brünette mit den großen Augen sein. Glücksritter der großen Glocken!, dachte ich mir. Sie breitete eine Decke aus, die sie mitgebracht hatte, und rollte mich drauf. Ich musste lachen über die Bestimmtheit, mit der sie das tat. Dann zog sie sich die Hose aus, riss meine auf und setzte sich auf meinen knallharten Schwanz. Sie nahm komischerweise zunächst eine Position auf mir ein, wie Frauen beim Pinkeln in der Natur, irgendwie hockend. Und so hatte ich endlich, endlich meinen ersten, großartigen Fick in Bolivien, das erste Mal seit einem Jahrzehnt konnte ich meinen Schwanz in einer Frau versenken, die darauf absolut scharf war. Ernst, vollkommen tonlos und doch mit absoluter Leidenschaft ritt sie mir für ein paar Stunden den Verstand aus dem Hirn. Erst noch halbangezogen, dann beide nackt im Ufersand. Am Anfang nahm ich noch die Musik und das Gelächter vom nahen Lagerfeuer wahr, später nicht mehr, versunken in den Akt mit der schönen, namenlosen Unbekannten.
Ich wachte am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf, alleine, nackt eingerollt in die Decke. Der Kopf war mir schwer und ich hatte Mühe, mich zurechtzufinden. Meine Kleider lagen zusammengelegt neben mir. Meine Kehle war staubtrocken, der Brand war entsetzlich. In meinem Hintern war Sand, im Mund auch. Mein Schwanz verbreitete den angenehmen Geruch von frischem Geschlechtsverkehr.
Ich rappelte mich auf und zog mich an. Anna, die Mädchen und Ronaldo waren noch da und waren gerade damit fertig geworden, aufzuräumen. Der Rest der Truppe war verschwunden.
»Guten Morgen, Robert. Gut geschlafen?« rief Anna und lächelte verschwörerisch. »Wir müssen jetzt zurück zur Dolorida, komm uns doch mal besuchen.« sagte sie weiter lächelnd, während sie irgendwelche Gegenstände im Säulengang rumwuchtete. Ronaldo fummelte am Motor seines Uralt-Pickups rum. Ich erinnerte mich plötzlich an das halbverfallene Eingangsportal der Hazienda, die ich bei der Anreise mit Odile hinter Concepción gesehen hatte.
»Ist das die Hazienda mit dem runterhängenden Namensschild hinter Concepción?« Trotz Annas Freundlichkeit fühlte ich mich fehl am Platz, plötzlich fremd.
»Genau, La Dolorida.« Sie verschwand im Hauseingang. Ronaldo lud die Taschen ins Auto, die Mädchen waren bereits auf die Taschen und wuchtigen Pakete auf der Ladefläche geklettert und lachten albern. »Wir können dich mit ins Dorf nehmen.« rief mir Ronaldo aus dem Auto zu. Ich ging zu ihm an die Autotür.
»Ist alles in Ordnung?« fragte ich.
»Claro.«
Anna kam aus dem Haus. »Komm, wir fahren dich ins Dorf.« Ich lehnte erneut ab.
»Okay.« Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, was mich einigermaßen überraschte. Es war kein Wange-an-Wange-in-die-Luft-Kuss, sondern ein zärtlicher, volllippiger Kuss. Bei dem Kuss zuckten meine Lenden. Ihr Gesicht roch angenehm nach Staub, Schweiß und frischer Luft. Ich schaute zu Ronaldo, ob er es gesehen hätte, der kauerte aber hinterm Lenkrad und versuchte das Auto mit losen Drähten zu zünden, die unter der Konsole hervorquollen. Schließlich sprang der Motor an.
»Willst du wirklich nicht mitfahren ins Dorf?« fragte Ronaldo, als ich ums Auto ging, um mir erneut die Hand von ihm zerquetschen zu lassen. »Es ist weit von hier aus.«
»Danke euch, Laufen tut meinem Höllenkater gut.«
»Am Eingang steht das Wasserfass.«
Sie schepperten und knatterten davon. Die Kinder winkten, ich winkte zurück. Ich hielt noch einen Moment inne und staunte über das gerade Erlebte. Dann schlurfte ich zum Wasserfass, steckte meinen Kopf ins Wasser und trank dann gierige Schlucke. Der Durst war so schlimm, dass es mir egal war, welche Qualität das Wasser hatte. Es schmeckte brackig.
Ich ging zur Toreinfahrt, warf noch einen letzten Blick auf das idyllische Haus und setzte mich dann in Richtung San Ignacio in Bewegung. Die Sonne stand noch tief und brannte trotzdem schon erbarmungslos. Es sollte nicht lange dauern, bis ich Anna und ihre Truppe wiedersehen würde.
Am folgenden Tag erfuhr ich, dass Peter Dijkstra nach Hause geschickt worden war. Er hatte sich in der Nachbargemeinde San Miguel auf die Spielchen des linksgerichteten Bürgermeisters Pedro Dorado eingelassen. Die Kollegin vor Ort, eine Italienerin, tat in etwa dasselbe, wie ich - den Bürgermeister ihres Kaffs bei der lokalen Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen. Sie lieferte sich einen erbitterten Kleinkrieg mit Peter Dijkstra, der ebenfalls ihr Vorgesetzter war. Als sie entdeckt hatte, dass Peter Dijkstra in ihrem Kooperationsvertrag mit dem Bürgermeister eine Klausel eingearbeitet hatte, die ihr die ›Unterstützung der sozialistischen Bewegung der indigenen Chiquitania unter der Führung des Bürgermeisters‹ zur Teilaufgabe ihrer Tätigkeit machte, wandte sie sich an Hans Radeberger, der für mich überraschend hart durchgriff und Peter Dijkstra direkt entließ. Ich sah ihn nie wieder, Wilson allerdings war sehr verstört, da sein großer Fürsprecher und Protegé plötzlich weg war. Das mit seinem Buch würde ohne Peter Dijkstra wahrscheinlich nichts mehr werden.
Ich dachte in den Tagen nach dem Treffen mit Annas Truppe natürlich viel nach. Wilson hatte offensichtlich nicht nur Scheiße im Hirn. Ich beschloss, ihn auf die Zusammenhänge anzusprechen, denn die Sache fing definitiv an, mich zu interessieren. Und dann Anna … Ihre Offenheit und Herzlichkeit ließen mich ebenso wenig los wie die unbekannte Schöne, die mir einen der besten Ficks meines Lebens geschenkt hatte. Fragen über Fragen. Ich beschloss, bei Wilson anzufangen, was gar nicht so einfach werden sollte.