Читать книгу Dark Star - Moritz Ackermann - Страница 8
Erster Teil Prolog
ОглавлениеEs war immer noch dunkel im Hotelzimmer. Balint Utazási stand von der Bettkante auf, ging leise zum Fenster und schob den Vorhang leicht beiseite. Am Horizont war kein Dämmern zu erkennen. Er blickte auf die Dächer der Stadt, die er hasste, in einem Land, das er ebenfalls hasste. So schön hatte ihm sein im anderen Bett schnarchender Freund das Land geschildert … Santa Cruz, ein schöner Name für eine Stadt und dann diese Scheiße, dachte er sich. Nur die Liebe zu Chico hatte ihn hierhergebracht und zum Bleiben bewogen.
Utazási sah, dass die durchgeladene Kalaschnikow an Chicos Seite vom Bett zu rutschen drohte, und legte sie sanft wieder in ihre Position. Mit dem Lauf in Richtung Füße, den Abzug in Hüfthöhe, so wie Chico es immer wollte, auch wenn sie miteinander schliefen. Und unter dem Kopfkissen seine 9-mm-Beretta. Utazási hingegen war kein Waffennarr und kein Soldat, dennoch hatte er in den Balkankriegen mit ihnen umzugehen gelernt, und zwar nicht zu knapp. Aber er war sich bewusst, dass seine besonderen Qualitäten auf anderen Ebenen lagen. Der kommende Krieg in Bolivien würde sein Werk sein, denn er hatte ihn geplant. Er hatte sogar Spanisch gelernt. Nicht zu schlecht, wie Chico ihm bescheinigt hatte. Sprachen zu lernen war ihm schon immer leicht gefallen. Vor allem konnte er sehr schnell akzentfrei sprechen und das jeweilige Lokalidiom assimilieren.
Er ging zurück zum Fenster und linste wieder seitlich am Vorhang vorbei. Bald würde es hell werden. Und heute war der Tag gekommen, auf den sie so lange hingearbeitet hatten. Bisher war alles perfekt gelaufen. Ihre nun bald ein Jahr andauernde Arbeit würde die geplanten Früchte tragen. Es war wie ein Crescendo, das nun ins geplante Finale überging. In Gedanken ging er noch einmal die letzten Tage durch, in denen seine präzise geplante Eskalationsstrategie umgesetzt worden war. Die Aktionen hatten genau nach seinen Vorstellungen stattgefunden. Eigentlich war es erstaunlich, denn Bolivianer waren seiner Meinung nach kaum zu höheren organisatorischen Leistungen fähig.
Vor vier Tagen hatten sie zehn Kilo Plastiksprengstoff in einer Mülltonne vor dem Eingangsportal des Anwesens eines Staatsministers hochgehen lassen. Dass der dabei nicht draufgegangen war, war Nebensache.
Der gewünschte Effekt des Anschlags auf einen präsidententreuen Politiker war nicht ausgeblieben – in den rebellierenden Tiefländern war die Gewaltbereitschaft noch mal zwei Stufen nach oben gerückt.
Dann der Anschlag auf den regierungskritischen Kardinal, ebenfalls eine auf dessen Anwesen platzierte Bombe, nur doppelt so stark. Das Arschloch hatte überlebt, wenn auch schwer verletzt. Auch wenn es in diesem Fall besser gewesen wäre, wenn er draufgegangen wäre! Die Wirkung des Anschlages entsprach trotzdem genau seinen Erwartungen: Die katholische Bevölkerung war empört, dass die kirchenfeindliche Regierung und ihr Indianerpräsident gegen ein kirchliches Oberhaupt einen Terroranschlag verübt haben sollten. Und genau danach sah das Ganze aus: wie eine Replik des Präsidenten an die Tiefländer für den Anschlag gegen ihren Staatsminister. Die Presse, die der Sache der Tiefländer treu ergeben war, leistete das Ihre, damit die Sachverhalte auch genau so dargestellt wurden. Was war das überhaupt für ein Scheißamt, Staatsminister. In diesem Land wimmelt es nur so von Staatsministern…
Utazási ging in Gedanken noch einmal den Plan für den heutigen Tag durch, den entscheidenden Tag, der den Schlusspunkt unter all die Anstrengungen des vergangenen Jahres setzen würde. Um Punkt neun Uhr würden an zuvor festgelegten Stellen in verschiedenen Vierteln von Santa Cruz, in denen die stinkenden Hochländer die Mehrheit stellten, ein paar von denen einfach umgelegt, einfach so, auf offener Straße. Er selber hatte die bezahlten Kopfgeldjäger rekrutiert und ihnen klar gemacht, dass es schwierig werden würde, da rauszukommen, wenn der Lynchmob erstmal richtig in Fahrt kommen würde. Dem Geld hatten sie dann aber nicht widerstehen können. Utazási war's eh recht, wenn sie dabei krepieren würden. Je mehr Blut floss, desto besser.
Idealerweise würden die Schwachköpfe nicht vergessen, dabei hochlandfeindliche Parolen zu brüllen. Dann würden die freiwilligen Scharfmacher dazukommen, um den Mob aufzupeitschen und in Blutstimmung zu versetzen. Überall das Gleiche - saudumme Fanatiker, die ihr Scheitern und ihren Frust durch Fremdenhass zu bewältigen versuchten. Die Bauern im Schach des Bürgerkriegs …
Bald würden die bereitstehenden Tieflandtruppen der örtlichen Kasernen, die unter seinem Kommando standen, in die entsprechenden Viertel einrücken und den vermeintlichen Aufstand der Einwanderer aus dem Hochland blutig niederschlagen. Die geneigte Presse war gebrieft und hatte bereits Stellung bezogen. In den nächsten Tagen würde über den Versuch einer bewaffneten Übernahme der Stadt durch die Highländer berichtet werden; man würde vorbereitete Waffendepots entdecken.
Am Vortag hatten er und Chico sogar schon die mit Fotoshop manipulierten Pressefotos angesehen, welche auf den Titelseiten erscheinen würden. Die Presseheinis hatten irgendwelche unveröffentlichten Archivfotos ausgegraben und Chicos englischem Computerspezialisten zum Bearbeiten überlassen. Richtig perfekt waren die geworden. Die Originale zeigten fäusteschwingende Hochländer bei irgendeiner ihrer zahllosen Demonstrationen; denen waren durch digitale Bildbearbeitung vom Engländer einfach Schusswaffen in die Hände gepflegt worden.
Ähnliche Szenarien würden sich an mehreren politisch und damit strategisch wichtigen Orten im ganzen Tiefland abspielen. Er hatte mit den von ihm inszenierten Aktionen in den vergangenen Monaten erreicht, dass die Stimmung am Überkochen war. Utazási war stolz auf sein Planungswerk. Er war Architekt von Bürgerkriegen.
Im ganzen Land standen mehr als tausend Mann unter schweren Waffen bereit und warteten auf den heutigen Tag. Die Schlüsselpositionen des militärischen Kommandos waren mit Söldnern aus allen Erdteilen besetzt. Die Bewaffnung war gut. Ein Kinderspiel, bei der ganzen Kohle, die bereitstand, dachte er sich und grinste verschmitzt. Über zweihundert Millionen Dollar hatten die Kroaten aus Santa Cruz von den Amerikanern bekommen, damit sie im Tiefland einen separaten Staat ausriefen. Immer zahlen die Amerikaner, die Idioten … Nun ja, die mehr als 1,2 Milliarden, die er seit einem Monat auf seinem und Chicos Konto hatte, hatten die Amerikaner nicht freiwillig rausgerückt. Da hatte er mit seiner Hacker-Truppe schon ein bisschen nachhelfen müssen. Aber das war auch dringend notwendig, denn er kannte die Amerikaner nur zu gut aus den Balkankriegen - wenn die merkten, dass sie am Drücker waren und dass man von ihnen abhing, ließen sie einen nach Lieferung und Leistung auch gerne mal abblitzen, sie zahlten einfach nicht.
Er erinnerte sich genau an Sounders Zusammenbruch, als der gemerkt hatte, dass die ganze Kohle seiner amerikanischen Gauner unter seiner, Utazásis Kontrolle war. Utazási hatte ihm versichert, dass es nur eine Art Pfand sei. Oder besser gesagt, eine Bürgschaft. Und er würde das Geld nach der Separation und seiner ordnungsgemäßen Bezahlung wieder zurückbekommen. Einen Scheißdreck kriegt er zurück, der verdammte Schlappschwanz, dachte sich Utazási. Der Ungar gehorchte seinem Tick, Luft stoßweise durch die Nase auszuatmen.
Sollte der Plan für die Morgenstunden aufgehen - und er war bislang noch jedes Mal aufgegangen, an allen Orten, an denen Utazási Zwietracht gesät hatte - würde der Rest ein Kinderspiel werden. Die Söldnerführer und ihre bolivianischen Freischärler würden die wenigen Kasernen des Tieflandes, die noch unter der Leitung von Hochland-Generälen standen, plattmachen, was weiß Gott eine Leichtigkeit sein würde - die hatten zum Teil noch einschüssige Sturmgewehre! Beim ersten Nachladen beißen die ins Gras!
Anschließend würden der Oberkroate Branko Marinkovich und seine Logen-Wichser aus Santa Cruz ins Parlament der Provinz Santa Cruz spazieren und einen eigenen Staat ausrufen. So einfach ist Separation … Er hatte auf diese Weise den Serben im Balkankrieg einen Landesteil nach dem anderen weggenommen. Er hatte es dort geschafft, dass sich seit Jahrzehnten gut bekannte Nachbarn plötzlich die Köpfe einschlugen. Und er hatte es hier in Bolivien geschafft.
Bald würde die Sonne ihre ersten Strahlen über der Stadt ausbreiten. Er hatte Lust, auf den Balkon zu gehen und eine 'Lider' zu rauchen. Chico hasste Zigarettengeruch und regte sich immer wegen seiner Qualmerei auf. Er fand aber seine Zigaretten nicht, auch nach gründlichem Suchen. Da er sowieso Lust hatte, ein paar Schritte zu machen, beschloss er, zur Rezeption zu gehen und sich einen Vorrat zu besorgen, solange noch Zeit war. Bald würde es zu hektisch werden - sie würden kurz nach Ablauf der für heute geplanten Aktionen die weite Reise zu den alten Nazis in den Busch im Nordosten des Landes antreten, wo die Kommandozentrale lag.
Er trat auf den Gang und schloss leise die Tür hinter sich. In dem Moment, als er sich umdrehte, trat aus dem Aufzug am Ende des Ganges ein Mann und kam auf ihn zu. Utazási musterte ihn misstrauisch und versuchte zu analysieren, ob von dem Fremden eine Gefahr ausging. Der Mann war um die Vierzig, schlank, kurzgeschorenes Haar und wirkte athletisch. Auf seiner rechten Stirnseite befand sich ein Verband, der sich über die Schläfe zum Hinterkopf zog. Unter den Jeans schauten schwere Lederstiefel hervor und er trug ein enganliegendes hellblaues Hemd. Eigentlich unauffällig, aber gerade deswegen stufte Utazásis Gefahrenraster den Mann als verdächtig ein. Der Mann wäre gut als ein Agent irgendwelcher Spezialkräfte durchgegangen.
Utazási schaltete auf Kampfbereitschaft, entsicherte mit einer kurzen Handbewegung die Heckler und Koch unter seinem Jackett und steuerte mit ruhigen Schritten auf den Fremden zu. Der kam ihm lächelnd entgegen, hob den Arm in Brusthöhe, sein Daumen zeigte nach oben. Utazási war verblüfft und erwiderte das Zeichen, ebenfalls lächelnd. Der Mann ging vorbei, Utazási ging weiter zum Fahrstuhl. Innerlich kochte er. Es war mit dem Arschloch von Hotelmanager ausdrücklich besprochen worden, dass die ganze Etage des Hotels ausschließlich für Chico und seine Leute reserviert war! Utazási witterte Gefahr. Der Mann sah nordeuropäisch aus, sicher kein Amerikaner, die hätte Utazási auf hundert Meter erkannt. Beim Einbiegen in den Lift schaute er unauffällig in Richtung des Fremden, um zu sehen, in welches Zimmer er verschwinden würde. An der Biegung des Ganges drehte sich der Fremde zu Utazási um, und fragte ihn, wie viel Uhr es sei. Er tippte dabei auf sein Handgelenk.
Utazási wandte sich dem Fremden zu und schaute den Mann nun unverhohlen an.
»Viertel nach fünf!« rief ihm Utazási zu.
Eine dankende Handbewegung und der Fremde war verschwunden. Utazási betrat den Lift und vergewisserte sich mit einem letzten prüfenden Seitenblick, dass der Mann wirklich verschwunden war.
Beim Hinunterfahren dachte er über mögliche Bedrohungen nach, die von dem Fremden ausgehen könnten. In etwa zwei Stunden würden er und Chicos Truppe wie ganz normale Gäste das Hotel verlassen. Trotzdem witterte er Gefahr, und zwar ganz erhebliche. Er beeilte sich, nach dem Zigarettenkauf an der Rezeption wieder nach oben ins Zimmer zu gelangen. Chico schlief noch immer ruhig. Utazási öffnete leise die Balkontür und trat in die einsetzende Morgendämmerung hinaus. Die Stadt war um halb sechs noch ruhig und nur wenige Autos waren zu hören, vereinzeltes, fernes Hupen. Penner, dachte er sich, in jeder normalen Metropole kocht um diese Uhrzeit schon der Verkehr!
Er blickte hinunter in den Innenhof. Bis zu seiner Etage, dem obersten Stockwerk, befand sich ein Gerüst zum Streichen der Fassade und der Balkone. Der Grundriss des Hotels zog sich ursprünglich U-förmig um den Innenhof mit Pool, doch auf der zum restlichen Häuserblock hin offenen Seite, gegenüber ihrem Zimmer, wurde gerade ein weiteres Gebäude hochgezogen, mit dem das Hotel den Innenhof komplett umschließen würde. Nach dem Ausmaß der Räumlichkeiten war es für Festlichkeiten oder Konferenzen gedacht. Die Wände waren noch nicht eingezogen, jede Etage bestand lediglich aus einem Betonfußboden. Die vorerst oberste Etage des Rohbaus lag ein Stockwerk tiefer als seines. Der Betonboden des darüberliegenden Stockwerks, das auf gleicher Höhe mit dem ihrem liegen würde, war bereits eingezogen. Lediglich Metallteilstrünke für die tragenden Säulen ragten aus dem Estrich. Ansonsten befanden sich dort Baugerätschaften, mehrere Sandhaufen, die mit schwarzen Plastikplanen abgedeckt waren, und ein Dixi-Klo.
Utazási ließ seinen Blick prüfend über den ganzen Innenhof wandern, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Dann schaute er auf die Fensterfront gleicher Etage im Hotelflügel links neben dem ihren. Dort, wohin der Unbekannte eingebogen war.
Im letzten Zimmer, direkt neben dem Rohbau gegenüber, leuchtete Licht. Plötzlich öffnete sich die Balkontür, der Unbekannte trat heraus. Obwohl Utazási sich sicher war, im Dunkeln seines Balkons nicht gesehen werden zu können, verbarg er sich seitlich hinter einem Betonpfeiler. Der Mann zündete sich eine Zigarette an und blies eine Rauchwolke in die Luft. Er wirkte ruhig, schaute in den Hof und dann auf den seitlich angrenzenden Rohbau. Mit einer geschmeidigen Bewegung schwang er sich auf die Brüstung seines Balkons und erreichte mit einem geschickten Schritt das Betondach der obersten Etage des angrenzenden Rohbaus. Dort drehte der Mann sich kurz um, der Blick des Fremden fiel mehr oder weniger direkt auf Utazásis Balkon, wo er ihn verharren ließ, eine Ewigkeit, wie es ihm schien. Zu lange, um ihn nicht gesehen zu haben, zu lange, für einen Zufall. Utazási rührte sich nicht, atmete kaum, er war alarmiert. Er musste sofort ins Zimmer zurück, um Chico und die anderen zu wecken. Endlich drehte der Mann ab und machte ein paar Schritte in Richtung der großen Estrichfläche.
Utazási ging zur Balkontür. Gerade als er das Zimmer betreten wollte, wurde er mit voller Wucht zurück geschleudert. Er lag benommen auf dem Balkonboden, lautes Klirren in seinen Ohren, er hörte fast nichts mehr außer einem grellen Sirren. Die Balkontür war nicht mehr vorhanden, er sah ins rauchschwarze Zimmer, aus dem im nächsten Moment ein greller Blitz zuckte und, wie aus weiter Ferne kommend, setzte ein Konzert aus Maschinengewehrsalven ein. Es wurde offensichtlich in ihr Zimmer gefeuert, denn leise hörte er Projektile, fast im Zeitlupentempo, in die Wand spratzen. Von weit her hörte er Chico irgendetwas schreien, er verstand ihn nicht, sah ihn nicht in all dem Qualm im Zimmer vor sich.
Er rappelte sich auf und sprang geschmeidig wie ein Lemure zum angrenzenden Balkon, von dem zum nächsten, dann zum übernächsten, und so weiter, bis er schließlich an dem Balkon des Fremden angekommen war. Er hechtete auf das Dach des Rohbaus, auf das jener ein paar Minuten zuvor geklettert war. Die Schüsse gingen weiter. Ganz weit entfernt … Er war irgendwie gelandet, rappelte sich auf und fand die Betontreppe nach unten in einem rechteckigen Loch im Boden.
Nach ein paar Treppenstufen hielt er kurz inne. Noch immer halb benommen sah er den rätselhaften Fremden hinter dem Dixi-Klo kauernd. Beide schauten sich in die Augen. Utazási prägte sich dessen besonderes Gesicht in einem Sekundenbruchteil ein und hetzte dann weiter nach unten, den Blick auf die Stufen gerichtet, jeweils vier oder fünf auf einmal nehmend. Als er in einer der unteren Etagen ankam, sah er die Dächer der zweistöckigen Häuser des Häuserblocks auf gleicher Höhe anschließen. Er flüchtete weiter, rannte über Blechdächer, Tonziegeldächer und Holzbalken. Geschmeidig und fast geräuschlos sprang er, hechtete und verschwand schließlich in der Dämmerung am anderen Ende des Häuserblocks.