Читать книгу Die Legende von Ascardia - Morpheus - Страница 5
Die Ratsmitgliederversammlung
ОглавлениеEs war kalt an diesem Morgen.
Cathrina saß im feuchten Gras und hatte einen guten Blick auf die
Stadt, die ganz langsam aus einem tiefen Schlaf zu erwachen
schien. Sie konnte die Pferde wiehern hören, die in ihren Ställen
ungeduldig auf ihr frisches Heu warteten.
Wenn sie den Blick wandte, sah sie den Rauch, der aus der
Backstube emporstieg.
Sie warf einen Blick in den Himmel. Am Horizont war gerade die
erste Sonne aufgegangen und färbte den Himmel in zartes, kühles
Blau. In fünfzehn Minuten würde die zweite Sonne der ersten
folgen. Und wenn man weitere fünfzehn Minuten wartete, folgte
die dritte.
Eine unabänderliche Tatsache.
So wie der Regen nach unten fällt oder auch der Schmied
Gerbodo sogleich nach seinem faulen Gehilfen brüllen würde.
Einige Dinge würden sich wahrscheinlich niemals ändern, dachte
Cathrina milde lächelnd, als sie auch schon Gerbodo schreien hörte.
Seine tiefe Stimme schallte bis zu ihr hinauf.
Irgendwie war dies auch beruhigend. Sie liebte solche Momente.
Meist war sie früh auf den Beinen. Niemand in ihrer Familie stand
so früh auf. Mit Ausnahme von Leelu vielleicht. Doch diese lebte
schon seit langem nicht mehr mit im Haus und so zählte sie
streng genommen auch nicht. Dies waren jene Momente, die sie
nur für sich ganz alleine hatte. Zu dieser frühen Stunde wollte noch
niemand etwas von ihr.
Sie liebte es, sich aus dem Haus zu stehlen, wenn es noch ganz
ruhig war. Durch die gepflasterten Straßen zu wandern, wenn die
Stadt noch schlief. Alles war so ruhig und friedlich.
Ihr lag nichts daran, ewig in den Laken zu liegen, ganz im
Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester, für die es einen wahren
Luxus darstellte bis weit nach Sonnenaufgang im Bett bleiben zu
können. Cathrina teilte diese Leidenschaft nicht.
Für gewöhnlich war sie auch schon draußen auf Patrouille. Heute
jedoch war ihr freier Tag und so hatte sie jede Menge Zeit.
Zumindest bis Mharen sie in die Finger bekam.
Schnell verdrängte sie diesen Gedanken.
Dieser Augenblick gehörte ganz ihr und sie wollte ihn nicht damit
vergeuden an Küchenarbeiten zu denken. Nirgendwo fühlte sie sich
deplatzierter als in der Küche. Solche Nichtigkeiten überließ sie
lieber Leelu. Sie war schon immer die häuslichere von ihnen
gewesen.
Sie seufzte bei diesem Gedanken.
Leelu war in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von ihr und auch, wenn
sie Cathrina oft mit ihren wohlgemeinten Weisheiten auf die
Nerven ging, fehlte sie ihr doch ein wenig, obwohl ihr Haus nicht
einmal zehn Gehminuten von ihrem Heim entfernt war. Leelu hatte
oft diese stille, erhabene Aura ausgestrahlt, die Cathrina oft
beruhigte.
Gerade, wenn sie so aufgewühlt war, wie sie sich jetzt gerade
fühlte.
Sie stand auf, denn sie wusste, dass sie hier keine Ruhe mehr
finden würde. Der Moment war verflogen. Für gewöhnlich blieb sie
viel länger an diesem Ort, doch nicht heute. Sie konnte sich die
Nervosität, die mit jeder verstrichenen Minute immer mehr in ihr
anschwoll nicht erklären. Also machte sie sich an den Abstieg, um
ihre Schwester zu suchen.
Sie nickte im Vorbeigehen dem einen oder anderen freundlich zu,
auch den wenigen Soldaten, die ihre Runden machten und das Pech
hatten heute Dienst zu haben.
Sie folgte der steinigen Straße und kam zur Schmiede. Gerbodo
hatte die Türen weit offenstehen. Im Augenblick mochte es noch
nicht sehr warm sein, aber Cathrina wusste aus Erfahrung, dass sich
dies in der kleinen, muffigen Schmiede schon bald ändern würde
und die Temperaturen
einem Hochofen gleich kommen würden. Da war jeder noch so
kleine Luftzug willkommen.
„Hey, kleine Miss! Was macht Ihr denn schon hier?!“, Gerbodo
brachte sein Pfeifchen in eine bessere Position zwischen seinen
Lippen und schielte Cathrina aus Augen, die er zum Schutz vor dem
Qualm zusammengekniffen hatte, an. Viele der Bewohner aus
Ascardia mochten es als unverschämt empfinden, dass ein Mann
von geringerem Stand, wie Gerbodo einer war, sie persönlich
ansprach. Doch Gerbodo kannte Cathrina von klein auf und war ihr
über all die Jahre ein guter Freund geworden. Eine andere Anrede
würde sie mehr als unpassend empfinden.
„Ist das nicht ein bisschen früh für Euch?“, er kam einen Schritt
auf sie zu und stand nun in der Tür.
Sie nickte verhalten: „Euch entgeht aber auch nichts Meister
Bodo.“
Er lächelte bei dem alten Namen, den sie ihn in jüngeren Jahren
immer genannt hatte: „Nicht oft, meine Liebe. Nicht oft. Also, mein
Kind. Wollt Ihr mir erzählen, was Euch bedrückt?“
„Wie kommt Ihr denn darauf, dass mich etwas bedrückt?“.
Cathrina strich sich eine braune Strähne aus dem Gesicht, die sich
widerwillig aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte.
„Liebes Kind, Ihr macht Euch über mich lustig!“
Sie unterdrückte ein Seufzen und ging näher auf ihn zu.
„Nun gut ich erzähle es Euch. Aber nur, wenn Ihr aufhört, mich
„Liebes Kind“ zu nennen.“ Er paffte gemütlich seine Pfeife, grinste
sie zahnlos an, versprach jedoch nichts.
„Ich bin nicht sicher, woran es liegt, aber aus irgendeinem Grund
fühle ich mich so unruhig. Ohne, dass ich es mir erklären könnte.“
„Die Ratsmitgliederversammlung?“
„Vielleicht. Aber wieso sollte mich das nervös machen?“
„Das ist eine gute Frage, mein Kind.“
Cathrina sah ihn böse an: „Bodo …!“, meinte sie tadelnd, doch er
ignorierte sie.
„Gibt es denn etwas, vor dem Ihr euch fürchtet?“
„Ich fürchte mich nicht!“
„Verzeiht! Verzeiht! Nein, natürlich nicht! Ich meinte damit, gibt es
etwas, dass Euch Sorge bereitet?“ Gerbodo tat sich schwer damit,
nicht in brüllendes Gelächter auszubrechen. Cathrina war etwas
eigen, wenn man ihr Schwäche unterstellte. Dabei war sie die
furchtloseste Frau, die ihm je begegnet war.
„Das ist es ja gerade. Ich habe eigentlich keinen Grund, mir Sorgen
zu machen. Es ist mehr ein ungutes Gefühl … Ach, ich weiß es auch
nicht, Gerbodo. Vergesst einfach, dass ich Euch damit belästigt
habe. Ihr habt sicher Wichtigeres zu tun, als Euch mein sinnloses
Gerede anzuhören. Bitte verzeiht.“
Noch bevor Gerbodo irgendwas darauf erwidern konnte, war sie
auch schon verschwunden. Verdutzt zog er sich die Pfeife aus dem
Mund und starrte ihr hinterher.
Dieses Mädchen, dachte er, solange er sie kannte, war sie für ihn
ein ewiges Rätsel. Er schüttelte den Kopf und war sich sicher, dass
sie ihm in ein, zwei Tagen erzählen würde, was sie wirklich
beschäftigt hatte.
So war das immer bei ihr. Sie erzählte selten, was ihr auf der Seele
brannte, bis sie lang genug darüber gebrütet hatte oder sich ihr
Problem in Luft auflöst.
Cathrina DuPuis benötigte nur selten Hilfe bei ihren Problemen.
Gerbodo schüttelte erneut den Kopf, betrat die Schmiede und
brüllte nach seinem jungen Gesellen.
Cailan Alisterus war ein einfacher Mann. Schon weit vor
Sonnenaufgang war er auf die Jagd gegangen, um seine Fallen zu
überprüfen und hatte feststellen müssen, dass ihm das Glück an
diesem Morgen mehr als wohlgesonnen war. Und so kam er mit
großen Schritten über die Weide, in beiden Händen je drei Hasen,
die er später auf dem Markt verkaufen wollte. Natürlich war er
noch nicht fertig mit seiner Jagd, doch er wollte die Fallen leeren,
bevor sich irgendwelche
Wildtiere über seine hart erkämpfte Beute hermachten.
Als er nun Cathrina sah, die ihm zielstrebig entgegen kam, geriet
sein entschlossener Gang kurz ins Stocken.
Es war ein seltenes Bild und Cailan stellte sich kurz die Frage, ob es
womöglich seiner Gemahlin nicht gut ginge. Doch Leelu hatte an
diesem Morgen nichts dergleichen verlauten lassen. Der
allmorgendliche Ablauf war durch nichts gestört worden.
„Guten Morgen, Cailan.“
„Cathrina, alles in Ordnung?“
Cathrina, der erst jetzt bewusst wurde, wie verwirrend ihr
Erscheinen auf Cailan gewirkt haben musste, beruhigte ihn sofort:
„Ja es ist alles in Ordnung. Ich war nur auf der Suche nach Leelu.“
Cailan betrachtete Cathrina aus seinen sanften, grünen Augen
interessiert an.
„Sie ist kurz auf den Markt gegangen, um einige Zutaten zu
besorgen, aber sie müsste jeden Moment wieder nach Hause
kommen. Ist etwas vorgefallen?“
Cathrina bereute ihre Entscheidung hierher gekommen zu sein. Es
war gar nicht ihre Art die Menschen in ihrer unmittelbaren
Umgebung derart durcheinander zu bringen. Und sie war ganz
sicher noch niemals zuvor zwei Mal am gleichen Tag gefragt
worden, ob denn alles in Ordnung sei. Cailan kannte seine
Schwägerin nur allzu gut. Er konnte regelrecht spüren, wie Cathrina
sich innerlich in ihr Schneckenhaus zurückzog. Also ging er
entschlossenen Schrittes auf das graue Haus zu und hoffte somit
ihr jegliche Fluchtmöglichkeiten abzuschneiden.
„Möchtest du einen Tee?“
Cathrina wollte schon ablehnen, doch sie wollte keinesfalls
unhöflich erscheinen, also stimmte sie zu und folgte Cailan ins
Haus. Im Wohnzimmer war es zu warm und so setzten sie sich
auf die Bank vor dem Haus und hielten ihre dampfenden Becher in
den Händen.
Eine Weile sagte keiner ein Wort. Cathrina kam sich töricht vor.
„Wieso bist du hier, Cathrina?“, es war keine unhöfliche Frage.
Cailan spielte lediglich auf die Tatsache an ,dass sie für gewöhnlich
Wichtigeres zu tun hatte, als zu so früher Stunde grundlos bei ihrer
Schwester vorbeizuschauen.
„Ehrlich gesagt, weiß ich es auch nicht.“
„Hm.“, machte Cailan und nahm einen Schluck von seinem heißen
Tee. Ihr war bewusst dass er ihr nicht glaubte.
„Ich kann es nicht beschreiben. Ich meine, ich war wie jeden
Morgen auch oben am Hang und habe den Morgen genossen,
doch aus irgendeinem Grund war es anders als sonst. Ich fand
einfach keine Ruhe. Und dann dachte ich an die Zeit zurück, als
Leelu noch bei uns lebte und mir immer mit ihren Weisheiten in
den Ohren lag.“
Cailan gluckste amüsiert: „Ja das kann sie verdammt gut.“
„Richtig. Und sie wird dessen auch nie müde.“
„Ja das kann sie stundenlang.“
„Und wenn sie keine klugen Ratschläge verteilte, scheuchte sie
einen in der Gegend rum.“
Jetzt brach Cailan in schallendes Gelächter aus: „Oja! Das habe ich
auch schon miterleben dürfen.“, lachte er.
In diesem Moment kam Leelu. Sie runzelte ihre hellen,
wohlgeformten Augenbrauen und sah die beiden misstrauisch an.
„Was ist denn so lustig?“
Cathrina, die sich nur schwer das Lachen verbeißen konnte stand
auf: „Gar nichts. Ich kam nur zufällig hier vorbei und traf Cailan an.
Ich muss jetzt auch gehen. Hab Dank für den Tee.“
Cailan nickte ihr noch immer lächelnd zu.
Als Cathrina sich entfernte, konnte sie hören, wie Leelu ihren
Mann tadelte, weil er nicht auf der Jagd war, wo er um diese Uhrzeit schließlich hingehörte.
Cathrina konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verbeißen und
war sich vollkommen darüber im
Klaren, dass sie das junge Paar hören konnte.
Unerklärlicherweise hatte der kurze Besuch sie tatsächlich
aufgemuntert, obwohl sie ihre Schwester nicht wirklich hatte
sprechen können. Also machte sie sich auf den Heimweg, um sich
der unwirschen Mharen zu stellen, die mit Sicherheit schon in der
Küche stand und das Mittagessen vorbereite.
Sie konnte ihr nicht ewig entkommen, also stellte sie sich dieser
Tatsache lieber gleich.
Im Haus war es seltsam ruhig, als sie die Tür aufschob. Für einen
kurzen Augenblick dachte sie tatsächlich, dass niemand zu Hause
sei, als sie ein aufgebrachtes Kreischen und Gepolter aus der Küche
hörte. Schnell setzte sie sich in Bewegung, die Hand an ihrem
Waffengurt und stieß die Tür auf.
„Was geht denn hier vor?“, fragte sie aufgebracht, als sie Mharen
erkannte, die, mit einer riesigen Kelle bewaffnet nach einem
rostbraunen, großen Fellbündel schlug. Bei Cathrinas Worten
richtete sie sich auf.
„Also, auch wenn mir dieser Flohzirkus auf die Nerven geht, habe
ich dennoch nicht vor ihn zum Abendessen zu servieren.“
Cathrina runzelte verwirrt die Stirn, als sie Mharens Blick
bemerkte. Sie hatte nicht bemerkt wie sie den Dolch gezogen
hatte. Schnell steckte sie ihn zurück in die Scheide. Mharen
machten Waffen nervös. Mehr als einmal hatte sie sich bei ihrem
Vater beschwert, dass Cathrina es nicht einmal für nötig befand,
während des Essens auf ihren kostbaren Waffengurt zu verzichten.
Cathrina erwiderte daraufhin jedes Mal dasselbe: Das man
niemals vorsichtig genug sein könnte. Kriminelle kümmerten sich
nun mal nicht um solche Nichtigkeiten wie Essenszeiten oder
Bettruhe. Das war das oberste Gebot in ihrer Kompanie. Lass
niemals deine Waffen aus den Augen!
Mharen rümpfte daraufhin meist nur missbilligend die Nase und
murmelte dann oft so etwas, wie „paranoid“ und
„überempfindlich“. Cathrina stritt deswegen nicht mit ihr. Sollte
Mharen doch denken, was sie wollte, ihre Vorsicht hatte ihr schon
mehr als einmal das Leben gerettet.
„Also, was ist nun?! Macht Ihr Euch nun nützlich oder nicht!“, es
war keine Frage. Cathrina seufzte frustriert und ging um den
Küchentisch herum.
„Los, Arco. Raus hier!“, sie drückte die Hintertür weiter auf und
schob den großen, hässlichen Hund hinaus, „Du sollst Mharen
doch nicht immer ärgern, du weißt doch, wie sie ist.“
„Redet nicht so, als wäre ich nicht hier!“, wies sie Cathrina zurecht
und fuchtelte dabei bedrohlich mit ihrer Kelle, „Ich verstehe gar
nicht, was dieser blöde Köter immer hier will! In einen Moment ist
er noch nicht da, nur um mich im nächsten Augenblick zu Tode zu
erschrecken.“
„Das liegt daran, dass Ihr immer die Küchentür offen stehen lasst!
Man könnte meinen, Ihr wolltet ihn einladen.“
„Einladen? Macht Euch doch nicht lächerlich!“
Mharen konnte noch so ärgerlich tun, Cathrina wusste es besser.
Schon mehr als einmal hatte sie sie dabei beobachten können, wie
diese ein paar Essensreste vor die Tür stellte. Mharen liebte den
Hund, doch es war ihre Art, sich dauernd über ihn zu beschweren.
Niemand konnte genau sagen wie Arco zu ihnen gestoßen war. Er
war plötzlich einfach da. Ein kleines, hässliches Hundebaby. Die
Schwestern hegten die Hoffnung, dass er im Laufe der Jahre noch
hübscher werden würde. Dem war nicht so.
Arco gehörte irgendwie zu ihnen, auch wenn er kam und ging wie
es ihm beliebte. Cathrina würde etwas fehlen, wenn er einmal nicht
mehr da wäre.
Manchmal begleitete er sie auf ihren Streifzügen und saß dann mit
heraushängender Zunge neben ihr im Gras und wartete geduldig
darauf, dass sie ihm die Hälfte von ihren Broten überließ, was sie
auch immer tat.
„Ist Mia schon weg?“
„Ja. Sie hat heute die Verantwortung im Institut, da Helembertus
der Versammlung beiwohnt. Sie erzählte etwas von der letzten
Stufe eines Trankes, der angeblich die Denkfähigkeit eines
Menschen erheblich steigern würde.“
„Ah richtig. Davon hat sie mir gestern Abend erzählt.“
„Alles Humbug, wenn Ihr mich fragt. Wenn ein Mensch einfach nur
dumm ist kann, er einen ganzen Kessel von diesem Gesöff saufen
und er würde dennoch nicht klüger davon!“
„Also Mharen! Bitte etwas mehr Vertrauen in die Fähigkeiten
meiner Schwester! Ich bin sicher, Mia weiß schon, was sie da tut.“
„Ich meine ja nur …“
„Helembertus würde ihre Zeit sicher nicht mit irgendwelchen
Nichtigkeiten vergeuden.“
„Ja, das stimmt wohl.“
„Mia meinte außerdem, dass der Trank lediglich die Konzentration
und die Leistung des Gedächtnisses erhöht. Nicht, dass man davon
intelligenter wird. Wo nichts ist, kann auch nichts erhöht werden.“
Das brachte Mharen zum Schmunzeln: „Da habt Ihr wohl recht,
mein Kind.“
Cathrina verzog das Gesicht. Wieder diese Floskel. Sie hasste es, so
genannt zu werden, auch wenn sie wusste, dass es Mia und selbst
Leelu nicht anders erging. Sie war kein Kind mehr und begegnete
den Menschen am liebsten auf Augenhöhe. Sie wollte nicht
heruntergestuft werden, nur weil sie jünger war.
„Wann ist Vater gegangen?“
„Kurz vor Melissa. Die Versammlung wurde sehr früh angesetzt. Es
muss sich um etwas sehr wichtiges handeln. Ich habe es in all den
Jahren noch nicht erlebt, dass Ser Vanellus schon kurz nach
Sonnenaufgang das Haus verlassen hat.“
Dieser Gedanke war Cathrina auch schon gekommen. Sie hatte
gehört, dass die Versammlung nicht wie sonst im alten Rathaus
am Marktplatz abgehalten wurde, wie es seit je her Brauch war,
sondern hoch oben in der Festung selbst.
Und das wiederum konnte nur eines bedeuten: Seine Majestät
höchst persönlich würde anwesend sein.
„Es ist schon sehr lange her, dass seine Majestät an einer dieser
Versammlungen teilgenommen hatte.“, dachte Cathrina laut nach.
„Ja ich weiß, mein Kind, das Gleiche ging mir auch im Kopf herum,
als ich davon erfuhr. Es heißt, er sei viel zu schwach, um sich mit
derlei Nichtigkeiten zu befassen …“
Mharen stellte einen Becher frischer Milch vor Cathrina ab und
setzte sich dann zu ihr: „Habt Ihr ihn je zu Gesicht bekommen?“,
fragte sie fast schüchtern, doch Cathrina schüttelte den Kopf.
„Nur ein einziges Mal, als er gekrönt wurde. Also vor vier Jahren.
Aber da sah ich ihn nur von weitem, als er auf einem der Balkone
von Cor Antallin stand und der Menge zujubelte.“
„Ja richtig. Stimmt, an diesen Tag kann ich mich noch erinnern.“
Sie schwiegen beide einen kurzen Augenblick und hingen ihren
Gedanken nach.
„Wie schrecklich muss es für einen so jungen Menschen sein, einer
einfachen Krankheit so machtlos gegenüber zu stehen?“, meinte sie
unvermittelt.
„Ich weiß nicht, ob man diese Krankheit einfach nennen kann.
Gerüchten zufolge starben seine Eltern an ebendieser Krankheit …“
„Und sie wird seither der Eberlin-Fluch genannt. Ich weiß, ich
weiß!“
Mharen stand auf: „Nun muss ich mich aber sputen, es gibt noch
soviel zu tun. Ser Vanellus wird sicher Hunger haben, wenn er nach
Hause kommt. Der Himmel weiß, wie lange diese Versammlung
dauern wird. Also, wenn Ihr mir nicht helfen wollt, schert Euch
gefälligst aus der Küche und steht nicht im Weg herum!“
Das ließ sich Cathrina nicht zweimal sagen. Hastig stürzte sie die
Milch herunter und ergriff blitzschnell die Flucht.
Solche Tage waren ungewohnt für sie. Sie konnte sich nicht daran
erinnern, wann sie je soviel Zeit übrig gehabt hätte, dass sie nichts
mit sich anzufangen wusste.
Also nahm sie sich einen Apfel aus der Obstschale, die im
Wohnzimmer stand und machte sich auf den Weg zu den Ställen.
Die Sonnen standen bereits hoch am Himmel und obwohl noch
nicht einmal Mittag, war es schon jetzt angenehm warm. Es war
kurz vor Herbstanfang. Oft war der Herbst schöner, als der
Sommer. Cathrina war es einerlei. Sie konnte jedem Wetter etwas
abgewinnen. Zwar war die Patrouille bei schönem Wetter weitaus
angenehmer, aber der Wald roch bei Regen so einzigartig gut. Im
Winter, wenn sie das Glück hatte, ganz früh durch den Wald zu
reiten, war der Schnee meist noch unberührt. Und wenn dann die
Sonnen aufgingen, glitzerte der Schnee einzigartig.
Sie betrat den Stall, konnte aber Benedictus, den Stallburschen
nirgends entdecken. Darum ging sie auf die letzte Box zu, nicht
ohne im Vorbeigehen Leelus Stute Nephina über die samtweiche
Nase zu kraulen. Sie bedauerte, nur einen Apfel mitgenommen zu
haben.
Alcantara war nicht in ihrer Box, womöglich hatte Benedictus
einen Ausritt mit ihr gemacht. Er kümmerte sich um die Pferde, als
wären es seine eigenen. Cathrina hatte diese Eigenschaft schon
immer sehr an ihm geschätzt. Sie ging weiter in den Stall hinein,
bis sie am Ende angelangt war. Das Licht war hier gedämpft, doch
ihre Augen hatten sich längst an dieses Zwielicht gewöhnt. Pollux
wieherte ungeduldig. Er wartete darauf, dass seine Herrin ihn
endlich nach draußen brachte, um mit ihm auf Patrouille zu
gehen. Er hatte nicht sonderlich viel Verständnis dafür, dass man
Cathrina so etwas wie einen freien Tag überließ. Er wollte lediglich
hinaus und laufen, soweit ihn seine kraftvollen Beine trugen.
Und außerdem hatte er den Apfel in ihrer Hand bemerkt.
Auch wenn Cathrina seine Absichten durchschaute, ließ sie ihn
nicht so einfach davonkommen und ließ ihn noch etwas länger
zappeln.
Pollux war ein wunderschöner, rötlich brauner Fuchs. Man könnte
nicht gerade behaupten, dass er sonderlich gut erzogen wäre,
manch einer würde behaupten, dass er gar kein Benehmen besaß
und er liebte es, seiner Herrin auf der Nase herumzutanzen und sie
mit seinem schrecklichen Verhalten zur Weißglut zu bringen.
Doch Cathrina sah es ihm nach. Er war noch sehr jung und somit
wild und ungestüm. Und sie hatte schon mehr als einmal feststellen
müssen, dass sie, wenn es wirklich einmal ernst wurde, sich voll
und ganz auf ihn verlassen konnte.
Doch Pollux war voller Energie und die fünf, sechs Stunden, die sie
mit ihm auf ihrer Patrouille verbrachte, reichten ihm bei Weitem
nicht. Und so machte er gerne mal Dummheiten.
Also öffnete sie die Tür und sobald sie diese betreten hatte, stupste
er sie herausfordernd an. Es hätte sie auch nicht überrascht, wenn
ihm ein breites Grinsen im Gesicht gestanden hätte. Sie legte ihm
das Zaumzeug an, das immer an der Wand hing, legte sich den
Sattel auf die Schulter und führte ihn nach draußen.
Schon bald war Pollux bereit für einen Ausritt. Sie schwang sich auf
seinen Rücken, nicht ohne ein paar ungeduldige Schritte
seinerseits. Sie konnte förmlich spüren, wie er darauf brannte
loszupreschen. Also gab sie ihm die Sporen und der junge Hengst
stürmte davon.
Es tat gut, den Wind im Gesicht zu spüren. Es war ein ganz
anderes Gefühl von Freiheit. Es dauerte nicht lange, da hatten sie
das Ende der Weide erreicht und Cathrina hielt geradewegs auf den
Zaun zu. Sie war sich sicher, dass Pollux ihn ohne Mühe hinter sich
lassen würde. Also lehnte sie sich nach vorne, hielt die Zügel etwas
straffer und spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Es war ein
wahnsinnig gutes Gefühl über den Zaun zu fliegen, dass sie sich ein
Auflachen nicht verkneifen konnte. Selten fühlte sie sich so
entspannt und frei, wie auf dem Rücken ihres Pferdes.
Sie konnte noch aus dem Augenwinkel Benedictus sehen, der
gerade mit Alcantara aus der entgegengesetzten Richtung kam. Sie
sah seinen verblüfften Gesichtsausdruck, als sie auch schon im
mörderischen Tempo an ihm vorbeiritt.
Cathrina vergaß die Zeit und bis sie wieder auf den Stall zuhielt
war Pollux bereits schweißgebadet und einige Stunden waren
vergangen.
Mharen würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, weil sie das
Mittagessen verpasst hatte. Darum beeilte sie sich jetzt. Langsam
stieg sie vom Pferd, als auch schon Benedictus auf sie zu kam.
„Miss DuPuis, meine Mutter schickt nach Euch.“ Wie sie gedacht
hatte: „Wie sauer war sie denn?“
Benedictus hielt seinen Blick gesenkt: „Ähm … Sie brüllte etwas von
wegen: ‚zu ihrer Zeit hätte der, welcher zu spät kam, Pech gehabt
und hätte ohne etwas im Magen auskommen müssen. Aber die
Jugend von heute würde einfach viel zu sehr verhätschelt’. So
etwas in der Art.“
„Oh … Also sehr sauer. Benedictus würde es dir etwas ausmachen,
dich um Pollux zu kümmern?“ Benedictus schoss durch den Kopf,
dass dies ohnehin seine Aufgabe sei, doch er wusste, dass sich die
junge Miss, als einzige aus diesem Haus am liebsten selbst um ihr
Pferd kümmerte. Er hatte sich nie getraut, sie zu fragen, wieso sie
das tat, wo sie es doch eigentlich gar nicht musste und auch nicht
nötig hatte.
„Selbstverständlich macht es mir nichts aus. Geht Ihr nur, bevor
meine Mutter euch gar nicht mehr ins Haus lässt.“
Cathrina schenkte ihm ein dankbares Lächeln und drückte ihm die
Zügel in die Hand. Doch sie ging nicht ohne Pollux noch seinen
Apfel knabbern zu lassen und ihm noch einmal durch die Mähne
zu fahren.
Dann drehte sie sich hastig um und eilte zurück zum Haus. Sie hielt
es für klüger nicht durch die Küchentür ins Haus zu platzen.
Vielleicht konnte sie so Mharen auch einfach ausweichen.
Leise öffnete sie die Haustür. Nach dem hellen Sonnenlicht auf der
Weide dauerte es einen kurzen Augenblick, bis sich ihre Augen an
das Dämmerlicht gewöhnt hatten.
„Was schleichst denn du hier so herum?“
Cathrina konnte ein überraschtes Aufstöhnen gerade noch
unterdrücken.
„Bist du verrückt, mich so zu erschrecken!?“, herrschte sie ihre
jüngere Schwester leise an.
„Cathrina?“
„Ah. Na toll!“
Mharen kam aus der Küche stolziert und funkelte sie finster an:
„Ist Euch eigentlich klar, dass Ihr mindestens zwei Stunden zu spät
seit!“
Reumütig senkte Cathrina den Kopf. Es war nicht klug sich mit
Mharen anzulegen. Schon gar nicht, wenn sie so böse war wie
jetzt. Noch dazu, wenn sie recht hatte.
„Bitte verzeiht mir. Ich war ausreiten und habe die Zeit vergessen.“
„Man sollte annehmen, dass jemand wie Ihr in der Lage sein
sollte, pünktlich nach Hause zu kommen.“
Cathrina ließ die Schultern hängen und vermied es Mharen
anzusehen. Sie gehörte noch immer zu den wenigen Menschen, die
es fertig brachten, dass sie sich wieder wie eine Fünfjährige
vorkam.
„Die Herrschaften haben fast eine ganze Stunde nur auf Euch
gewartet! Ihr solltet Euch wirklich bei Ihnen für Euer unmögliches
Benehmen entschuldigen.“
„Das werde ich.“
„Und außerdem, was fällt euch nur ein, wie eine Verrückte durch
die Gegend zu reiten! Noch dazu allein! Euch hätte sonst was
zustoßen können!“
Bei ihren Worten hob Cathrina den Kopf: „Woher wisst Ihr …?“
„Benedictus. Ich habe schließlich nach Euch gesucht! Also wirklich.
Von Euch hätte ich wirklich mehr erwartet.“
Als wäre sie wieder fünf Jahre alt …
„Also. Wenn Ihr noch Hunger habt, das Essen steht auf dem
Tisch. Und wenn Ihr damit fertig seid, Euer Vater erwartet Euch im
Arbeitszimmer. Euch beide.“, fügte sie hinzu.
Als sie hinaus ging, meinte Cathrina etwas wie „hätte es an den
Hund verfüttern sollen …“ gehört zu haben.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, stöhnte Mia
mitleidvoll au: „Ich hätte dich vorwarnen sollen. Doch mit so einer
Standpauke habe selbst ich nicht gerechnet.“
„Nun, ich habe ihr auch allen Grund gegeben, böse auf mich zu
sein.“
„Himmel, Cathrina! Ich kenne niemanden in dieser Familie, der
fähiger wäre auf sich selbst aufzupassen! Sie hätte sich wirklich
nicht so aufregen dürfen.“
„Daran lässt sich nun auch nichts mehr ändern.“, sie setzte sich in
die Küche, wo Mharen immer das Essen für die Nachzügler
bereitstellte.
„Also, wie war denn dein Tag so? Gibt es etwas Neues?“
Mia betrachtete sie amüsiert: „Wieso fragst du mich nicht einfach,
was Vater von der Versammlung zu berichten hatte. Das ist es
doch, was dich wirklich interessiert, habe ich Recht?“ Cathrina sah
von ihrem kalten Lammeintopf auf.
„So leicht bin ich also zu durchschauen?“
„Mit Sicherheit nicht, aber sagen wir einfach, ich kenne dich und
mir machst du nicht so leicht etwas vor.“
„Also schön. Dann erzähl mal.“
„Nichts.“
„Bitte?“
„Ich sagte nichts. Er hat nichts von der Versammlung erzählt. Nur,
dass er uns nachher sprechen möchte, wenn du wieder da bist und
gegessen hast.“
„Mmmh … Seltsam.“
„Das finde ich auch.“
Cathrina schob die Schüssel von sich und stand auf: „Wir können
es auch gleich hinter uns bringen. Kaltes Lamm schmeckt einfach
furchtbar.“
„Dann solltet Ihr das nächste Mal darauf achten, pünktlich am
Tisch zu sitzen!“, äffte Mia die gereizte Stimme Mharens nach.
Und das sogar erschreckend gut.
„Manchmal machst du mir wirklich Angst.“, lachte Cathrina und
Mia hakte sich bei ihr ein.
„Herein!“
Cathrina stieß die schwere Eichentür ganz auf und nacheinander
betraten sie das stilvolle Arbeitszimmer. Es war bis unter die Decke
mit schweren Regalen vollgestellt, die über und über mit dicken
Büchern beladen waren.
Direkt gegenüber der Tür stand ein kostbarer Schreibtisch, hinter
dem ihr Vater bis gerade noch in einigen Papieren vertieft gewesen
war.
„Setzt Euch.“
Cathrina hatte ein mulmiges Gefühl. Wenn sie in dieses Zimmer
gerufen wurde, hatte das meist nichts Gutes zu bedeuten. Und
ein Seitenblick auf Mia bestätigte, dass es ihr ganz ähnlich
erging.
„Hawke hat für heute Abend gleich nach Sonnenuntergang eine
kleinere Versammlung anberaumt und er wünscht, dass Ihr beide
dort erscheint.“
Einen kurzen Augenblick ließen Cathrina und Mia seine Worte auf
sich wirken und warteten ob ihr Vater vielleicht noch etwas
hinzufügen würde, doch er tat es nicht.
„Aus welchem Grund?“
Anthonius sah seine Tochter streng an: „Wie Ihr Euch sicherlich
denken könnt, ist der Kommandant der Elitetruppe des Königs
nicht dazu verpflichtet, mir seine Beweggründe zu erläutern. Ich
leite lediglich seine Botschaft weiter.“
„Um was ging es denn in dieser wichtigen Versammlung?“
„Ich bin nicht befugt, Euch davon zu berichten.“
„War Hawke auch dabei?“
„Die Ratsmitgliederversammlung ist ausschließlich für die
Ratsmitglieder bestimmt. Und natürlich für seine Majestät, wenn er
sich im Stande fühlt.“
„Aber …“
„Cathrina! Ich dulde keine weiteren Fragen! Ihr wisst nun, was Ihr
zu tun habt und ich wünsche, dass Ihr dem Wunsch des
Kommandanten Folge leistet! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, ich habe noch
einiges zu tun!“
Damit war das Gespräch beendet.
Mia und Cathrina erhoben sich fast gleichzeitig und gingen zur Tür.
„Und Cathrina.“
Sie war gerade dabei die Tür zu schließen und hielt irritiert inne.
„Ich erwarte in Zukunft, dass Ihr die vereinbarten Essenszeiten
strikt einhaltet. Habt Ihr mich verstanden?“
Cathrina spürte wie ihr das Blut in die Wangen schoss: „Ja Ser.“
Leise ließ sie die Tür ins Schloss fallen.
„Was glaubst du, hat das zu bedeuten?“
Sie waren auf dem Weg zur Kaserne, als die letzte Sonne gerade
den Horizont berührte.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Ich könnte es ja verstehen, wenn er dich zu sich ruft. Aber wieso
bin ich hier?“
Mia war ihre Nervosität anzumerken und Cathrina selbst ging es
auch nicht viel besser. Allerdings war sie geschickter darin, es sich
nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
Sie traten durch das Tor auf den großen Übungsplatz. Der eine
oder andere Soldat nickte ihnen grüßend zu.
Vor Hawkes Kammer blieben sie stehen. Außer ihnen war
niemand zu sehen und nachdem Cathrina einmal tief
durchgeatmet hatte, klopfte sie an.
„Herein!“, die tiefe Stimme des Kommandanten war durch das
dicke Holz gut zu hören. Mia öffnete die Tür.
„Ihr habt meine Nachricht also bekommen. Gut. Tretet ein.“, sein
Blick blieb ausdruckslos und war weder freundlich noch feindselig.
Außer ihm befanden sich noch sieben weitere Männer im Raum
und einen erkannte Cathrina als Hawkes ersten Heerführer,
Kytschuld. Sie nickte ihm knapp zu und er erwiderte ihren Gruß.
„Wenn ich Euch kurz hier herüber bitten dürfte …“
Hawke ging etwas tiefer in den Raum hinein und blieb vor einem
langen Tisch stehen. Als sie näher trat, erkannte Cathrina eine
riesige Landkarte darauf.
„Also, machen wir es kurz. Gleich nach der Versammlung heute
Vormittag hat mich Helembertus, der Berater des Königs
aufgesucht.
Seine Majestät ist schwer krank, wie Ihr alle wisst. Laut
Helembertus geht es ihm immer schlechter. Seine Krankheit
übersteigt seine Fähigkeiten bei weitem. Helembertus sieht nur
noch eine Möglichkeit … Die schwarze Königin.“ Ein Raunen ging
durch die Menge.
„Die schwarze Königin? … Lillith?! Hat er den Verstand verloren?“,
rief einer der Männer aufgebracht. Hawke hob beschwichtigend die
Hände.
„Ruhig, Männer. Ich muss zugeben, dass auch meine erste Reaktion
ganz ähnlich ausfiel. Doch er könnte Recht haben. Lillith verfügt
über ungeahnte Zauberkraft und ist im Besitz großen Wissens. Nur
sie wäre vielleicht in der Lage seine Majestät noch zu retten.“
„Und wie kommt Ihr darauf? Sie ist eine Hexe! Verbannt in den
hohen Turm von Ribeon! Warum sollte ausgerechnet sie uns helfen
wollen?“, Kytschuld sah Hawke eindringlich an.
„Indem wir ihr die Freiheit schenken.“ Stille.
„Pff.“, machte einer der Soldaten, an dessen Name sich Cathrina
nur vage erinnern konnte.
„Als ob sie so dumm wäre, sich darauf einzulassen.“
„Wenn sie es nicht tut, müssen wir sie dazu zwingen. Das Leben
unseres Königs hängt davon ab.“ Kytschuld betrachtete die Karte
näher.
„Lillith ist nur eines unserer vielen Probleme. Ribeon liegt auf der
anderen Seite der Karte. Wir sind hier unten. Wir werden Wochen
unterwegs sein und die Reise wird alles andere als einfach.“
„Das stimmt. Deswegen muss sie gut geplant sein.“
Cathrina ließ den Blick durch die Runde wandern. Sie sah die
Zweifel in jedem einzelnen Gesicht. Und selbst Hawke schien sich
seiner Sache nicht allzu sicher. Aber er war entschlossen, das
konnte sie in seinem Blick sehen.
„Das einfachste wird sein, wenn wir nach Osten ziehen. In Kolkath
könnten wir auf Widerstand stoßen, darum wird es einfacher sein,
wenn wir direkt nach Lu’yasa reiten. Mit etwas Glück lässt uns
Mutter Benedicta unsere Vorräte aufstocken, bevor wir durch die
Lyriumwüste weiter nach Norden reisen …“
„Ihr wollt wirklich durch die Lyriumwüste ziehen?“
„Uns bleibt kaum eine andere Möglichkeit.“, er tippte mit den
Finger auf die Karte und zeichnete den Weg nach: „Hoch oben im
Norden ist nichts weiter außer Stein und Fels. Das könnte ewig
dauern und ist nicht unbedingt ungefährlicher als Bashima.“
Dem konnte niemand widersprechen. Aus diesem Grund waren
Catálash und Ribeon so unantastbar. Sie waren durch riesige
Gebirge oder tödliche Wüste wunderbar geschützt.
„In Catálash bekommen wir vielleicht noch einmal die Möglichkeit
ein wenig zu verschnaufen. Und selbst wenn nicht, da gibt es
unzählige Wälder, also Hunger droht uns dort nicht.“
Die Männer nickten, sie alle folgten Hawkes Beschreibung. Mochte
ihnen diese Vorstellung noch so widerstreben, sie alle werden
ihrem Kommandant ohne Murren folgen. Sie eingeschlossen.
„Wie kommen wir über den toten Fluss? Gerüchten zufolge kann
ihn niemand überqueren.“
„Ich weiß es noch nicht. Darüber mache ich mir Gedanken wenn es
soweit ist.“, Hawke richtete sich vollständig auf, „Männer, ich weiß
das wird eine harte und gefährliche Reise. In den Wäldern gibt es
Kannibalen und einen Haufen anderer Krimineller. Bashima ist
riesig und wird schwer zu überwinden sein. Doch genau aus diesem
Grund habe ich Euch ausgewählt. Ihr seid meine besten Männer
und ich würde Euch nicht etwas zumuten, von dem ich nicht
überzeugt wäre, dass Ihr es meistern werdet. Ich verlasse mich auf
Euch. Das Leben unseres Herrschers hängt davon ab. Wir tun es für
das Land, das wir lieben und ich erwarte, dass jeder Einzelne von
Euch bis an seine Grenzen geht …“
„Verzeiht, Ser. Aber ich verstehe nicht genau, was ich hier soll.“,
Mias Stimme klang fast schüchtern, als sie sich so direkt an den
großen Krieger wandte. Sein Blick wurde freundlich als er sie nun
ansah.
„Ihr, Melissa DuPuis, seid die fähigste Heilerin nach Helembertus in
ganz Ascardia und wahrscheinlich sogar in ganz Kalides. Wir
könnten Eure Fähigkeiten mit Sicherheit gut gebrauchen.“
„Aber ich bin keine Kriegerin …“
„Glaubt mir, ich würde Euch nicht solchen Gefahren aussetzen,
wenn ich nicht überzeugt wäre Euch beschützen zu können.“
Bei diesen Worten stieg Mia die Röte ins Gesicht: „Ich glaube Ihr
überschätzt mich.“
„Wenn man Helembertus Glauben schenken mag, untertreibe ich
sogar noch. Wir werden eure Heilkünste brauchen. Da bin ich
sicher. Und außerdem …“, nun fixierte er Cathrina, „Bin ich sicher,
dass Eure Schwester eher sterben würde, als dass sie zulässt, dass
Euch etwas zustößt. Habe ich nicht recht?“
„Das habt Ihr, Ser!“, Cathrina hielt seinem durchdringenden Blick
stand.
„Ihr würdet uns also einen großen Dienst erweisen, wenn Ihr uns
begleitet.“, Mia nickte und er wandte sich wieder an alle.
„Jeder von Euch hat den morgigen Tag dienstfrei. Ich erwarte von
jedem Einzelnen von Euch, dass er die freie Zeit nutzt, um sich auf
die Reise vorzubereiten. Kontrolliert Eure Waffen, die Pferde und
nehmt nur das Nötigste mit. Wir reiten übermorgen, bevor die
Sonnen aufgehen, los. Ihr könnt gehen.“