Читать книгу Die Legende von Ascardia - Morpheus - Страница 6

Aufbruch

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Ein einziger Tag stellte sich schon sehr bald als viel zu kurz

heraus, um sich auf solch eine

Expedition vorzubereiten.

Cathrina hatte äußerst schlecht geschlafen. Immer wieder war sie

aufgeschreckt.

Bald war sie einfach aufgestanden. Schlaf würde sie in dieser Nacht

wohl keinen mehr finden. Bis zum Sonnenaufgang waren es noch

mehrere Stunden. Als sie hinunter ins Wohnzimmer kam,

entdeckte sie Mia, die in einem der Sessel saß und

gedankenverloren ins Feuer starrte.

„Kannst du auch nicht schlafen?“

Sie fuhr erschrocken hoch und die Decke in der sie eingehüllt war

verrutschte: „Himmel noch mal, Cathrina!“, rief sie vorwurfsvoll,

„Was tust du zu dieser späten Stunde hier unten?“

Cathrina schnaubte verächtlich. War ja nicht so, als dass Mia zwei

Jahre jünger als sie selbst war und es eigentlich an ihr gewesen

wäre diese Frage zu stellen.

„Ich konnte nicht schlafen. Und wie es aussieht, stehe ich damit

wohl nicht alleine da.“

„Ich plane nur den morgigen Tag.“

„Hast du denn gar nicht geschlafen?“

„Ein wenig, aber nicht viel. Ich konnte keine Ruhe finden.“

„Ja, das ging mir genauso.“

„Es ist soviel zu erledigen. Soviel an das zu denken ist. Ich habe

Angst, dass ich etwas vergesse, etwas Wichtiges. Was ist, wenn ich

zu wenig Wundsalben mitnehme oder Mull und Bandagen? Und

was soll ich bloß von meiner Ausrüstung mitnehmen? Soll ich den

Mörser mitnehmen? Aber der ist sehr schwer … wenn ich ihn aber

nicht mitnehme, könnte ich ihn brauchen, falls ich plötzlich einen

Trank herstellen muss. Ohne ihn könnte ich mit den meisten der

Pflanzen gar nichts anfangen …“

„Langsam. Ganz ruhig. Mach dich nicht verrückt. Ich bin mir sicher,

dass dir Helembertus einige deiner Fragen beantworten kann und

dich sicherlich auch unterstützen wird. Er weiß bestimmt Rat. Ich

werde morgen früh mit Benedictus sprechen. Er muss

kontrollieren, ob mit den Beschlägen noch alles in Ordnung ist.

Und ob das Sattelzeug fehlerfrei und stabil ist. Und ich muss

Gerbodo aufsuchen. Er muss dringend meine Dolche schleifen.

Nimm nicht zu viel mit. Die Pferde werden das Meiste tragen. Aber

spätestens, wenn wir in Ribeon sind, werden wir den Großteil der

Strecke zu Fuß zurücklegen müssen. Dort ist es einfach zu

gefährlich.“

„Hast du Angst?“

Cathrina löste ihren Blick von den Flammen und sah Mia an.

„Diese Reise wird gefährlich. Es nützt nichts sich in dieser Hinsicht

etwas vorzumachen. Ich rechne nicht damit, dass wir es alle wieder

bis nach Hause schaffen.“

Sie konnte sehen, wie ihre Worte auf Mia wirkten. Doch ihre

Schwester war nicht dumm. Sicher waren ihr diese Gedanken auch

schon durch den Kopf gegangen. Cathrina sprach sie lediglich aus.

„Ob ich Angst habe? Nein. Wir werden mit den besten Männern,

die der König zu bieten hat, unterwegs sein. Eine größere

Überlebenschance werden wir kaum haben. Das heißt nicht, dass

ich unachtsam oder gar leichtsinnig sein werde.“

„Aber wieso schickt er nicht mehr Männer los? Wieso sind wir so

wenige?“

„Es ist nicht unsere Aufgabe die Entscheidungen des Königs in Frage

zu stellen.“

„Jetzt klingst du wie unser Vater.“

Bei ihren Worten verzog Cathrina angewidert das Gesicht: „Sag das

nicht! Der Tag an dem ich erkennen würde, dass ich so bin wie er,

wäre der, an dem ich mich freiwillig in ein Schwert stürze.“

„Cathrina! Sag doch bitte nicht so etwas! Das ist grauenvoll!“

„Aber es entspricht der Wahrheit.“

„Ich kann dich beruhigen. Du könntest niemals sein wie er.“

„Ich vermute, dass seine Majestät die Entscheidung, wie viele

Männer gehen sollen, Hawke überlassen hat.“

„Aber ist es denn nicht leichtsinnig mit so wenigen loszuziehen?“

„Wenn es mehr wären, könnte das Aufsehen erregen. Und es

würde gleichzeitig auch viel länger dauern bis wir unser Ziel

erreichen. Außerdem wäre es eine zusätzliche Gefahr für Ascardia.“

„Das stimmt wohl.“

„Mehr Männer bedeuten nicht automatisch mehr Sicherheit.“

„Wahrscheinlich hast du Recht.“

„Ich möchte dich nur um eines bitten, Melissa.“

„Nenn mich nicht so!“

„Ganz egal, was Hawke dir sagt, du wirst ihm Folge leisten. Ohne

Widerworte! Selbst, wenn das bedeuten sollte, dass du mich zurück

lassen musst.“

„Vergiss es!“

„Mia, ich meine das Ernst! Du bist auf dieser Reise das Wichtigste!“

„Mach dich nicht lächerlich!“

„Sei nicht so starrköpfig und hör mir zu! Wir haben neun Krieger!

Aber wir haben nur eine Heilerin dabei! Du bist wichtiger als ich

und deine Sicherheit hat oberste Priorität! Also versprich es mir!“

„Das will ich aber nicht! Ich werde keinen Schritt ohne dich

machen!“

„Als ob ich es unseren Gegnern leicht machen würde! Also, bitte

versprich es mir.“

„Wenn es sein muss …“

„Es muss. Und jetzt geh schlafen. Wir haben morgen viel zu tun.“

„Seid Ihr Euch sicher, dass es eine gute Idee war, dem zu

zustimmen?“

Der Mann, der im Sessel saß, blickte nachdenklich in sein Weinglas.

Langsam schwenkte er es umher und die rubinrote Flüssigkeit

drohte über den Rand zu schwappen. Er wirkte unkonzentriert und

weit entfernt. So hatte ihn sein Freund noch niemals gesehen.

„Ich habe alles versucht, ihn davon abzubringen. Doch sein

Entschluss stand fest. Ich konnte ihn nicht davon abbringen. Er

wäre misstrauisch geworden, wenn ich zu lange auf ihn

eingewirkt hätte. Er ist nicht dumm.“

„Aber was ist, wenn er überlebt? Was ist wenn er Ribeon

tatsächlich erreicht.“

„Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Und falls doch, ist da immer

noch Lillith.“

„Sie lebt in Gefangenschaft und das schon seit Jahren! Was hätte

sie zu verlieren? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auf den

Handel, den er ihr bieten wird, eingeht.“

„Das spielt keine Rolle. Sie kann den Turm nicht verlassen.“

„Aber muss sie das überhaupt? Ihr Wissen ist zu groß. Sie könnte

ihm zuviel erzählen und dann wäre alles verloren!“

„Ruhig, ruhig mein junger Freund. Ich glaube ihr unterschätzt

meine Fähigkeiten gewaltig. Macht Euch um Hawke keine

Gedanken, er wird schon bald keine Gefahr mehr sein. Dafür

werde ich sorgen. Er wird nicht lebend nach Ascardia zurückkehren,

das versichere ich Euch.“

„Aber was ist mit den Mädchen?“

„Wäre es Euch lieber, wenn sie überleben?“

„Das liegt nicht in meiner Hand.“, der Jüngere zuckte unbeteiligt die

Schultern.

„Das ist wahr. Aber wenn ihr mich bittet, überdenke ich meine

Entscheidung vielleicht noch mal.“

„Das ist großzügig von Euch, aber Ihr seid ein großer Mann und ich

werde meine Bitten nicht für solche Nichtigkeiten vergeuden.“

Der Mann im Sessel bleckte die Zähne bei diesen Worten. Er hatte

nichts anderes erwartet. Also hob er sein Glas: „Dann soll es so

sein!“

Mharen stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und war

auch nicht weit davon entfernt in Tränen auszubrechen.

„Ihr macht doch Witze? Das kann doch wohl nicht Euer Ernst sein!

Ser Vanellus hat mir heute Morgen davon erzählt, ich dachte

wirklich, er nimmt mich auf den Arm.“

Sicher, dachte Cathrina, weil mein Vater ja auch der humorvollste

Mann in ganz Ascardia ist. Seit sie denken konnte, hatte sie ihren

Vater noch niemals lächeln sehen, geschweige denn, dass er mal

einen Scherz gemacht hätte.

„Wir brechen morgen in aller Frühe auf. Bitte bereitet alles vor.“

„Aber um Himmels willen, Cathrina. Bitte überdenkt Eure

Entscheidung noch mal!“

„Es war der Wunsch seiner Majestät. Da gibt es nichts zu

überdenken.“

Cathrina wandte sich ab. Ihr lagen solche Gefühlsausbrüche nicht

und sie konnte damit auch nicht viel anfangen.

Sie ging hinaus, um mit Benedictus alles Weitere zu besprechen

und fand ihn bei den Ställen.

„Guten Morgen, Miss DuPuis.“

„Morgen Benedictus. Meine Schwester und ich werden morgen zu

einer ziemlich langen Expedition aufbrechen. Es ist wichtig, dass

Alcantara und Pollux in guter Verfassung sind. Kontrolliert die Eisen

und das Zaumzeug. Es ist wichtig, dass sie die lange Reise

unbeschadet überstehen. Außerdem müssen sie vor

Sonnenaufgang bereit zum Aufbruch sein.“

Der junge Mann deutete eine Verbeugung an: „Sehr wohl, Miss.

Wird sofort erledigt.“

Nachdem sie das hinter sich gebracht hatte, verließ sie die Koppel.

Sie musste zu Gerbodo. Sie hatte zwei Paar Dolche bei sich, die er

unbedingt schleifen musste. Und bei dem Einen war das Heft

schon ganz abgerieben. Vielleicht konnte er da etwas machen.

Diese vier Messer waren eine wahre Schande. Schon mehrmals

hatte sie ihren Vater darum gebeten, sich neue beschaffen zu

dürfen, doch er hatte jedes Mal abgelehnt.

Dolche waren unsagbar teuer und er weigerte sich, ihr das nötige

Geld auszulegen.

Cathrina widerstrebte es, ihn überhaupt darum zu bitten, doch

schon bald war ihr keine andere Wahl mehr geblieben. Darüber

hinaus und das hatte sie mehrmals betont, sollte er die Dolche

nicht bezahlen, sondern ihr lediglich das Geld dafür leihen. Als

Soldatin brauchte sie schließlich anständige Waffen.

Seine Antwort blieb die gleiche. Und als ihr Vater ihr dann noch

herablassend unter die Nase rieb, dass sie nun langsam in dem

Alter sein sollte, für ihre Auslagen selbst aufzukommen, wusste

sie spätestens dann wieder, weshalb sie sich so lange dagegen

gesträubt hatte, dieses Thema überhaupt anzusprechen.

Sie hoffte inständig, dass Bodo ihr helfen konnte.

Cathrina fand ihn im hinteren Teil der Schmiede. Er war gerade

dabei ein Schwert fertigzustellen. Das Wasser zischte, als er den

heißen Stahl hinein hielt.

Sie wollte ihn nicht erschrecken und obwohl seine Türen immer

offen standen klopfte sie zaghaft an.

Er sah auf und blinzelte, als er sie entdeckte. Dann breitete sich

sein altbekanntes, zahnloses Grinsen auf seinem Gesicht aus.

„Cathrina! Wie schön! Ich bin hier gleich fertig, dann mach ich ein

Päuschen!“

„Keine Eile, Bodo. Lass dir Zeit.“

„Ich habe da etwas gehört …“, begann er und arbeitete weiter.

Cathrina war natürlich sofort klar, wovon er da sprach. Es musste

ein offenes Geheimnis sein.

„Ja?“

„Ist es wahr?“

„Das kommt darauf an. Was soll wahr sein?“, Bodo war von Natur

aus neugierig und es bereitete Cathrina eine gewisse Freude, ihn

ein wenig zappeln zu lassen, wie einen Fisch an der Angel.

„Jetzt spannt mich doch nicht so auf die Folter. Schon den ganzen

Morgen gehen hier Leute aus und ein. Junge Krieger, selbst der

Kommandant war heute schon hier.“

„Hawke? Tatsächlich?“

„Sehr richtig. Alle brachten sie mir Waffen. Schwerter, Dolche,

sogar einen Schild hatte einer dabei. Klingen, die ich schleifen

sollte. Das Schild hatte ein paar Beulen, die da nicht hingehörten.

Pfeilspitzen mussten ersetzt werden. Soviel hatte ich schon seit

Wochen nicht mehr zu tun.“

Auch wenn Gerbodo maulte, er liebte die Arbeit. Er lebte für seine

Schmiede.

„Einen der Männer, Ticzco hieß er, glaube ich, habe ich dann

schließlich gefragt, was denn anliegt, denn alles musste sehr

schnell erledigt werden …“

„Bis morgen früh …“

„Ja richtig. Und da erzählte er mir, dass sich ein paar Männer

auf den Weg nach Ribeon aufmachen. Und wisst Ihr, was mich

daran am meisten verblüffte?“

„Was denn?“, Cathrina kannte die Antwort bereits.

„Als er mir sagte, dass zwei der DuPuis Schwestern ebenfalls mit

auf diese gefährliche Reise gehen würden.“

„Aha …“

„Und jetzt erklärt Ihr mir bitte mal, warum ich das von einem

Fremden erfahren musste!?“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch davon zu berichten. Es war

viel zu tun.“

„Verstehe …“

„Nun seid doch nicht böse, Meister Bodo! Natürlich hätte ich Euch

davon erzählt, aber es ist noch soviel zu erledigen. Mir schwirrt

schon der Kopf.“

„Hmm … Nun ja, verständlich. Also, Kind. Was kann ich für Euch

tun?“, Cathrina seufzte. Dann reichte sie ihm ihr Bündel, das er

langsam aufrollte.

„Oh weh! Kind! Die sind aber in einem schlechten Zustand!“

Sie nagte auf ihrer Unterlippe: „Ich weiß, Ser. Aber könnt Ihr nicht

trotzdem noch etwas retten?“

„Hmm … Ich weiß ehrlich gesagt nicht … Ich bin kein Hexer …“

„Vielleicht könnte ja ich etwas für Euch tun.“

Ohne, dass es Gerbodo oder Cathrina bemerkt hätten, hatte

Kristan die Schmiede betreten. Jetzt kam er zielstrebig auf sie zu

und schlang anzüglich einen Arm um ihre Hüfte. Als er versuchte

sie auf den Hals zu küssen, entwand sich Cathrina schnell seinem

Griff.

„Aber aber, meine Teure! Wer wird denn so schüchtern sein?“

„Was wollt Ihr hier, Kristan?“

„Ich habe gehört, dass Ihr uns für eine Weile verlassen wollt und da

dachte ich mir, wir genießen unseren letzten Abend bei einem

gemeinsamen kleinen Fest. Nur wir beide. Was haltet ihr davon?“

Er kam erneut näher und Cathrina wich zurück.

Sie hatte nichts gegen Kristan, aber sie hasste es, wie er sie

immer ansah und versuchte, sie bei jeder Gelegenheit

anzutatschen.

„Ich danke Euch für dieses überaus verlockende Angebot, Kristan,

aber ich habe noch unendlich viel zu tun. Und ich sollte morgen

früh ausgeruht sein …“

„Oh Ihr werdet ausgeruht sein … Verlasst euch darauf. So erholt

werdet Ihr Euch in Eurem ganzen Leben noch nicht gefühlt haben.“

Er versuchte wieder, sie an sich zu ziehen. Cathrina legte die Hände

auf seine Brust und versuchte ihn von sich zu schieben. Ohne

großen Erfolg.

„Habt Ihr nicht verstanden, was die Lady gerade gesagt hat? Ihr

sollt sie loslassen.“, Hawkes tiefe Stimme schallte durch die

Schmiede und Kristan erstarrte.

„Na sieh mal einer an, der Kommandant höchst persönlich!“, seine

Stimme triefte vor Abscheu.

„Hab ich gerade unbemerkt in Eurem Revier gewildert? Das

bedaure ich zutiefst.“

„Was redet Ihr da?“, Hawke wirkte leicht irritiert.

„Nun gut, meine Schöne. Dann will ich Euch nicht länger

aufhalten.“, er machte Anstalten Cathrina die Hand zu küssen und

nur ihre gute Erziehung hinderte sie daran, sie einfach weg zu

ziehen. „Kommt unbeschadet wieder nach Hause und seid gewiss,

dass ich hier auf Euch warten werde.“, er neigte höflich den Kopf

und ging zur Tür, „Ach eines noch, süße Cathrina. Achtet darauf,

dass der da Euch auf der langen Reise nicht anfällt. Ihr seid eine

wunderschöne Frau und der Himmel weiß, wozu solche Männer,

wie er einer ist, in der Lage sind, wenn sie solange ohne weibliche

Zuwendung verbringen müssen …!“

„Hurensohn!“, knurrte Hawke und wollte sich schon auf Kristan

stürzen.

„Nicht.“, Cathrina hielt ihn zurück, „Das ist genau, was er will.“

„Mag sein …“, er bleckte zornfunkelnd die Zähne, als er Kristans

Lachen hörte, das sich immer weiter entfernte, „Aber es ist auch

genau, was ich will.“

Er sah ihr in die Augen und dann auf ihre Hand, die seine Schulter

noch immer gepackt hielt. Schnell ließ sie ihn los.

„Nun, Schmied. Ist meine Waffe fertig?“

Gerbodo, der aus einem tiefen Traum zu erwachen schien, beeilte

sich in die Gänge zu kommen.

„Ja Ser. Hab sie soeben fertig gemacht.“ Er reichte Hawke sein

Schwert, das wie silbernes Mondlicht schimmerte.

„Gute Arbeit.“, er ließ ein paar Goldmünzen auf den Tresen fallen

und verließ ohne ein weiteres Wort die Schmiede.

Kurze Zeit sagten weder Meister Bodo noch Cathrina ein Wort.

Keiner von beiden konnte sich das eben Geschehene erklären. Sie

schüttelte den Kopf um ihn wieder frei zu bekommen.

„Bodo …?“

„Hmm?“

„Meine Dolche ?“

„Ah ja. Entschuldigt.“, er nahm die Waffen wieder in die Hand und

betrachtete sie aus jedweder Richtung, „Cathrina … Es tut mir leid,

aber selbst wenn ich sie schleife, poliere und auch den Griff

ausbessere werden aus ihnen keine anständigen Waffen mehr.“

Cathrina seufzte leicht resigniert: „Das dachte ich mir schon,

Meister Bodo. Aber bitte versucht Euer Bestes. Ich bin auf diese

Waffen angewiesen.“ Gerbodo schien ihr gar nicht mehr zu

zuhören.

„Ser? Habt Ihr verstanden, was ich gerade gesagt habe?“

„Wartet mal, Cathrina. Ich habe da eine Idee. Sekunde, ich bin

gleich wieder da!“ Ohne, dass sie auch nur etwas darauf erwidern

konnte, rauschte er an ihr vorbei.

Heute benahmen sich alle irgendwie seltsam, also setzte sie sich

auf einen dreibeinigen Hocker und wartete bis er zurückkehrte.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit und Cathrina fragte sich schon, ob

er sie womöglich vergessen hatte, als er aufgeregt auf sie zukam.

„Hier ist es! Dem Himmel sei Dank, dass ich es gefunden habe. Es

ist schon so lange her, als ich sie bekommen habe, dass ich

vergessen hatte, wo sie waren. Hier! Für Euch!“

Er drückte Cathrina ein Bündel in die Hand, ähnlich dem das sie ihm

vorhin gereicht hatte.

„Was ist das?“

„Seht selbst.“

Sie löste das schmale Lederband mit dem es verschnürt war und

rollte den weichen Stoff auseinander.

„Ich möchte, dass Ihr sie

bekommt!“

Cathrina sah ihn fragend an und dann hielt sie staunend inne.

„Großer Himmel, Bodo!“

Im Stoff kam ein filigraner, weißlich schimmernder Dolch zum

Vorschein. Die Klinge war ungeheuer scharf, das Mittelstück war

aus dem gleichen Metall und wunderschön, mit silbernen Blättern

verziert. Der Griff wurde von einem hellen Leder ummantelt. Der

Knauf war einzigartig. So etwas hatte Cathrina noch niemals zuvor

gesehen. Auch er war verziert mit zarten Blättern und sie alle

schienen sich um den einen strahlenden Schmuckstein zu ranken.

Dieser hier war von glänzendem, durchscheinendem Hellgrün.

Sein Zwilling hatte einen blutroten Stein. Cathrina hatte es die

Sprache verschlagen.

„Das ist Manus.“, er deutete auf den mit dem hellgrünen Stein,

„Manus steht für Tapferkeit. Sein Bruder trägt den Namen Dextra.

Das bedeutet Stärke.“

„Bodo … Ich … Ihr könnt doch nicht. Nein! Das kann ich unmöglich

bezahlen! Wie stellt Ihr Euch das vor?“, sie war aufgesprungen.

„Setzt Euch, mein Kind: „Keiner hat etwas davon gesagt, dass Ihr sie

bezahlen sollt.“

„Was??“, und wieder sprang sie auf, „Das kann ich unmöglich

annehmen! Unmöglich!“, Bodo schmunzelte, als würde er ein

Geheimnis kennen, dass Cathrina verborgen blieb.

„Jetzt beruhigt Euch erst mal, meine Liebe. Ich kann Euch diese

Dolche sehr wohl geben. Geben, nicht schenken. Ich kann nicht

einfach etwas verschenken, dass mir gar nicht gehört.“

Jetzt wurde Cathrina kreidebleich: „Meister Bodo. Was redet Ihr

da nur für ein wirres Zeug! Wenn sie Euch nicht gehören, will ich

sie erst recht nicht haben! Das wäre nicht richtig.“

„Das ist wahr. Aber versteht Ihr denn nicht? Sie gehören Euch!

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen sie Euch zu geben. Ich war nur ihr

Bewahrer.“

Jetzt war Cathrina völlig verwirrt.

„Lasst mich Euch die Geschichte erzählen. Setzt Euch.“,

kopfschüttelnd ließ sie sich wieder auf den Hocker fallen. Sie war

gespannt, was er ihr berichten wollte.

„Ich bin schon seit sehr, sehr langer Zeit Schmied in Ascardia. Es

war Herbst, später Herbst. Es regnete in Strömen, als es spät

nachts an meiner Tür klopfte. Als ich sie öffnete, stand eine junge

Frau davor. Hochschwanger und nass bis auf die Knochen. Ich

kannte sie nicht. Aber auch sie nannte mich immer Meister Bodo.“,

fügte er mit einem Lächeln hinzu, „Sie sagte, sie sei in sehr großer

Gefahr. Es wäre nur eine Frage der Zeit, sagte sie. Ich wusste nicht

wovon sie sprach und sie erläuterte es auch nicht näher. Sie reichte

mir ein Bündel, jenes, welches ich Euch gerade gegeben habe. Sie

sagte, es sei das Wertvollste, das sie hätte und sie würden ihr

ungeheuer viel bedeuten. Sie sagte, man könne ihr Leben nehmen,

aber nicht diese Dolche. Die sollten sie nicht bekommen. Sie hätten

ihrer Mutter gehört. Und davor deren Mutter. Sie wusste, erzählte

sie, dass ihre Töchter in Sicherheit seien, zumindest vorerst. Doch

sie wusste, dass diese Dolche, wenn sie im Haus blieben, früher

oder später ihrem Mann in die Hände fallen würden und dann

wären sie fort. Das könne sie nicht ertragen. Deswegen hätte sie

sie zu mir gebracht. Dass sie nicht verloren gehen. Ich musste ihr

versprechen, nein schwören, dass ich sie nicht verkaufe. Sie bat

mich sie aufzubewahren. Sie sagte, dass ich mich eines Tages an

dieses Gespräch erinnern würde. Sie sagte, dass ich spüren würde,

wenn der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, sie weiter zu geben.

Sie wollte, dass sie jemand bekommt, der rein wäre. Ja ich glaube,

so hat sie sich ausgedrückt. Seine Absichten sollten rein sein und er

sollte gut und ehrlich sein. Dann hätte sich ihr Wunsch erfüllt.“

Cathrina wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Dass

Gerbodo ausgerechnet an sie dachte, ehrte sie sehr.

„Und wie kommt Ihr darauf, dass sie damit mich meinte?“

„Weil ich in all den Jahren keinen einzigen Gedanken mehr an sie

vergeudet habe. Versteht Ihr? Es war als hätte ich sie vergessen,

von dem Zeitpunkt an, als ich sie in die hinterste Ecke meines

Kleiderschranks ablegte. In all den Jahren hatte ich einige

Menschen hier sitzen. Den meisten ging es ganz ähnlich wie Euch.

Doch bis heute war es, als hätte es sie nie gegeben. Deswegen bin

ich mir ganz sicher! Diese Dolche gehören zu Euch!“

Cathrina wusste nichts darauf zu erwidern. Meister Bodo schien

fest entschlossen.

„Seid Ihr Euch Eurer Sache auch wirklich sicher?“ Gerbodo nickte

eifrig: „Ja das bin ich.“

„Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken.“

„Glaubt mir, Cathrina. Es ist genau, wie sie sagte.“

„Was ist aus der jungen Frau geworden.“

Bodos Blick wurde traurig: „Einige Wochen später wurde sie

unter der großen Muttereiche erhängt.“

„Das ist ja entsetzlich!“, Cathrina war tief getroffen, „Sie hat davon

gewusst. Sie wusste, dass dies geschehen würde, deshalb war sie

bei Euch.“

„Ja, davon bin ich überzeugt.“, er stand auf.

„Ich muss jetzt wieder zurück an die Arbeit. Bitte nehmt sie und

passt gut auf sie auf. Sie sind jetzt in den richtigen Händen.“

Cathrina betrachtete ihre neuen Dolche: „Ich werde sie in Ehren

halten, was auch geschieht.“

„Das weiß ich. Und ich denke, das war genau, was sie wollte.“ Er

zögerte kurz: „Passt gut auf Euch auf.“

„Das werde ich.“

Er neigte den Kopf und verließ den Raum.

Cathrina wickelte das Bündel andächtig zusammen. Sie hatte sehr

viel nachzudenken.

„Ich weiß einfach nicht, was ich mitnehmen soll!“, Mia raufte sich

die Haare.

„Hilft Helembertus Euch nicht?“, Kite stand in der Tür und

beobachtete sie amüsiert.

„Er sollte schon längst hier sein. Ich bin verloren! Mir rennt die Zeit

davon!“

„Unsinn! Ihr habt noch jede Menge Zeit.“

„Ich habe das Glück dass sich meine Schwester um die Ausrüstung

und alles Weitere kümmert. Sonst hätte ich wirklich ein Problem.

Das Wichtigste ist mein Arzneikoffer. Ich habe schon Wundsalben,

Mullbinden, Tränke gegen Übelkeit und Schmerzen, außerdem

entzündungshemmendes Pulver dabei. Der Fiebertrank! Den hätte

ich doch beinah vergessen!“

Sie eilte an ihm vorbei und stieß dabei gegen den Tisch. Ein

paar der Gläschen wackelten bedächtig und Kite konnte eines

davon gerade noch auffangen, bevor es auf dem Boden aufschlug.

Sie schien es nicht einmal zu bemerken.

Kite betrachtete sie gedankenverloren. Sie war so wunderschön.

Selbst jetzt, mit den roten Flecken auf den Wangen, die von ihrer

Aufregung herrührten. Er verfolgte ihre Bewegungen und wie sich

ihr ewig langes Haar dabei bewegte. Schon mehr als einmal hatte

er sich vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen musste.

Unglücklicherweise war sie brillant. Sie war Helembertus beste

Schülerin und würde eines Tages in seine Fußstapfen treten. Und

er? Sein Wissen reichte gerade, um junge Heiler ausbilden zu

können.

Wie konnte er da mithalten?

„Kite? Hört Ihr mir überhaupt zu?“, Mia drehte sich zu ihm um und

sah ihn aus ihren smaragdgrünen Augen besorgt an.

„Fehlt Euch etwas?“, mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihm

und kam erschreckend nah.

Sie legte eine Hand an seine Wange, „Eure Temperatur scheint

normal zu sein. Aber Eure Augen sind so glasig und Ihr scheint

irgendwie abwesend zu sein …“

Sie duftete so unbeschreiblich gut, eine Mischung aus

Maiglöckchen und Regen.

Er zuckte leicht zurück. Er musste unbedingt aufhören sich wie ein

Trottel aufzuführen. Er legte seine Hand über die ihre, die noch

immer an seinem Gesicht ruhte.

„Mir fehlt nichts, Mia.“, langsam führte er ihre Hand fort. Seine

Wange fühlte sich ohne ihre Berührung seltsam verlassen an.

„Seid Ihr Euch sicher? Irgendwie scheint Ihr heute nicht Ihr selbst zu

sein …“

Das liegt vielleicht daran, dass Ihr mich für eine gefühlte Ewigkeit

verlassen wollt und ich mich jeden Tag fragen werde, ob es Euch

gut geht und mir Sorgen machen werde! Er wollte es ihr sagen,

doch er tat es nicht. Wozu sie jetzt mit solchen Nichtigkeiten

belasten?

„Es geht mir gut, ich habe nur leichte Kopfschmerzen. Das ist alles.

Sorgt Euch nicht.“

Er stand auf und trat an ein Bücherregal. Nach kurzem Zögern fand

er wonach er sucht: „Hier. Das könnte Euch unterwegs nützlich

sein.“

Er reichte ihr ein in Leder gebundenes, leicht angestaubtes Buch.

„Heil- und Giftpflanzen, A–Z und ihre Wirkung.“, las sie laut vor.

„Es ist mir klar, dass Ihr Euch von uns allen am Besten mit

Pflanzen auskennt, doch vielleicht könntet Ihr es brauchen. Falls

Ihr doch einmal unsicher seid. Einige der Pflanzen sehen sich

manchmal zum Verwechseln ähnlich.“

„Das ist wahr. Danke Kite.“, sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf

die Wange und Kite erstarrte.

„Oh, ich störe doch nicht etwa?“

„Meister Helembertus! Wie schön!“

Mia hatte sich schon längst von Kite abgewandt, doch er konnte

sich noch immer nicht rühren.

„Ich hatte so gehofft, dass Ihr die Zeit finden würdet. Ich bin so

unglaublich überfordert.“ Helembertus gluckste vergnügt: „Nur

keine Panik, meine Liebe. Das ging mir bei meiner ersten großen

Expedition ganz genauso.“

„Wirklich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“

„Ihr seid lieb! Auch ich war nicht immer so weise, wie ich heute

ohne jeden Zweifel bin.“, er sagte es in maßlos gespielter

Selbstüberzeugung, sodass Mia lachen musste.

„Also, lasst mich doch einmal sehen.“, er ging auf ihren

Arzneikoffer zu und warf einen interessierten Blick hinein.

„Na das sieht doch alles schon sehr, sehr gut aus. Ihr habt doch

an alles gedacht. Also was verunsichert Euch so?“

„Aber wird es auch reichen? Sollte ich nicht mehr mitnehmen?“

„Hmm …“, machte Helembertus und fuhr sich gedankenvoll durch

seinen langen Bart, „Nun, Baldrian, Holunder und Kamille braucht

Ihr nicht mitnehmen, die findet Ihr unterwegs zur Genüge, ebenso

wie Melisse und Rosmarin. Also wären Mittelchen für leichte

Schmerzen schon einmal abgedeckt. Die habt ihr unterwegs ganz

schnell hergestellt. Darum denke ich nicht, dass Ihr allzu viel

davon mitnehmen solltet. Kamille hilft bekanntlich auch bei

entzündeten Wunden, ebenso wie Lavendel und Arnika. Auch nicht

schwer zu beschaffen. Mal sehen … Ihr solltet in jedem Falle noch

eine Dose der Grundsalbe mitnehmen. So könnt ihr jede beliebige

Salbe herstellen, die ihr gerade braucht.“

„Das ist eine ausgezeichnete Idee!“

„Ähnlich würde ich es auch mit den wirklich schwierig

herzustellenden Substanzen machen. Achtet vor allem darauf

genug Werkzeug mitzunehmen. Den Mörser zum Beispiel …“

„Auch wenn er so unglaublich schwer ist?“

„Wartet,“, er wuselte geschäftig an ihr vorbei, „nehmt den hier.

Der ist zwar wesentlich kleiner, als der, den Ihr sonst benutzt. Aber

er ist handlich und unglaublich robust.“

„Habt Dank, Helembertus. Der ist wirklich viel praktischer.“

„Nehmt mindestens zwei kleine Messer mit und auch eine Sichel

… Sie ist schärfer und einige Pflanzen verlieren bekanntlich an

ihrer Heilkraft, wenn sie nicht richtig entfernt werden.“

Mia nickte verstehend. Das wusste sie aus ihrer Anfangszeit als

Heilerin. Oft hatte sie sich gewundert, weshalb ihr so mancher

Trank nicht gelingen wollte, bis Helembertus sie darauf

aufmerksam gemacht hatte, dass sie ihre Pflanzen falsch

abgeschnitten hatte. Kleiner Fehler, große Wirkung. Da hätte sie

auch selbst dran denken können.

Jetzt machte sie sich doch Notizen. Helembertus Zeit war kostbar

und sie wollte nicht noch einmal nachfragen müssen.

Er zählte weiter auf und Mia schrieb fleißig mit. Das ging noch eine

ganze Weile so weiter und schließlich hatten sie alles.

„Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken kann. Jetzt erscheint es

mir plötzlich töricht, Euch mit so einfältigem Zeug belastet zu

haben. Es war eigentlich nichts dabei, worauf ich nicht auch von

alleine hätte drauf kommen können.“

„Ah meine Liebe, macht Euch doch nicht lächerlich! Alles ging so

wahnsinnig schnell, kein Wunder, dass Ihr die Nerven verloren

habt. Und glaubt mir,“, er kam auf sie zu und legte ihr die Hände

leicht auf die Schultern, „nichts hätte mir mehr Freude bereiten

können, als meiner besten Schülerin bei ihren Vorbereitungen zu

helfen. Ihr macht mich stolz.“, er hauchte ihr einen liebevollen,

väterlichen Kuss auf die Stirn: „Bitte passt gut auf Euch auf!“

„Das werde ich, Meister.“, Mia blinzelte ganz schnell ihre Tränen

fort. Sie wollte weder Helembertus noch Kite zeigen, wie schwer ihr

dieser Abschied fiel: „Ich werde Euch keine Schande machen.“

„Davon bin ich überzeugt.“, er lächelte sie noch einmal herzlich an,

zwinkerte Kite im Vorbeigehen noch einmal zu und verließ dann mit

wehendem Umhang den Raum.

Überrascht stellte sie fest, dass die erste Sonne bereits hinter dem

Horizont verschwand und das vollgestopfte Zimmer mit einem zart

rosa Licht erfüllte.

„Habt Ihr nun alles was Ihr braucht?“, Kites Stimme hörte sich

selbst in seinen Ohren seltsam rau an.

„Ja. Wir haben es doch noch geschafft.“

Es entstand eine, für Kite als peinlich empfundene Pause.

„Das ist gut.“, er rutschte von einem Tisch, auf dem er die letzten

Stunden verbracht hatte und kam zu ihr hinüber. Eine Armeslänge

von ihr entfernt blieb er stehen.

„Dann kommt bald wieder.“

Sie nickte und er wollte sich schon von ihr abwenden, entschied

sich dann aber doch dagegen.

„Mia … Versprecht mir, dass Euch nichts geschehen wird. Ich

könnte es nicht ertragen …“

„Kite …“

Er beugte sich zu ihr hinunter. Er berührte sie nicht, sondern legte

einfach seine Lippen ganz leicht auf die ihren. Mia schlug das Herz

bis zum Hals. Sie schloss die Augen und gab sich dem Kuss, der

nicht mehr war als ein zarter Flügelschlag, sich jedoch so unendlich

richtig anfühlte hin.

Und dann war es vorbei.

Kite spielte mit einer ihrer dunkelbraunen Locken.

„Ich werde hier auf Euch warten.“

Noch bevor Mia etwas erwidern konnte, war er auch schon

verschwunden und ließ sie unendlich einsam zurück.

Das Abendessen wurde im allgemeinen Schweigen eingenommen.

Ausnahmsweise war die ganze Familie anwesend. Einschließlich

Cailan und Leelu. Anthonius saß an der Stirnseite und sagte kein

einziges Wort.

Cathrina und Mia gingen in Gedanken noch einmal den morgigen

Ablauf durch und waren schon den ganzen Tag stiller als

gewöhnlich. Leelu jedoch kaute auf ihrer Unterlippe herum, was

für sie mehr als untypisch war. Auch sie schien das Ganze mehr

mitzunehmen als Cathrina gedacht hätte.

„Wann werdet Ihr dann wieder da sein?“, fragte sie nun und

durchbrach damit das Schweigen.

„Wir wissen es nicht genau. Das kommt darauf an, wie gut wir

vorankommen.“ Leelu nickte und senkte den Blick wieder auf den

Teller.

Das Essen war heute eine bedrückende Angelegenheit und

Cathrina konnte es kaum erwarten bis es endlich vorbei war.

Es dauerte auch nicht sehr lang da stand Anthonius auf.

„Ich werde morgen früh nicht dabei sein, wenn ihr aufbrecht.“

Die drei Schwestern und selbst Cailan sahen ihn überrascht an.

Hielt er es denn nicht einmal für nötig seine beiden Töchter

gebührend zu verabschieden, dachte Cathrina und spürte Zorn in

sich aufwallen. Sie würden sehr lange fort sein und niemand konnte

vorhersehen, wie die ganze Geschichte ausgehen würde.

„Ich werde morgen in Cor Antallin erwartet. Ich wünsche Euch eine

gute Reise. Und Cathrina …“ ,diese hob den Blick und sah ihn an,

„dass Ihr mir keine Schande macht. Ihr seid mit dem

Kommandanten der Elitetruppe des Königs unterwegs, das solltet

Ihr niemals vergessen!“, mit diesen Worten wandte er sich ab und

verließ den Speisesaal. Cathrina spürte das Beben, das ihren Körper

erfüllte.

Meine lieben Kinder, ich bedaure es sehr, dass Ihr auf diese

gefährliche Reise gehen müsst. Das Haus wird unendlich leer sein,

wenn Ihr nicht hier seid. Ihr werdet mir fehlen und kommt sicher

und wohlbehalten wieder nach Hause.

Wäre das denn wirklich zu viel verlangt gewesen?! Nicht genug,

dass er es nicht mal für nötig befand sie zu verabschieden, er

musste sie auch noch demütigen.

Wutentbrannt stand sie auf und warf ihre Serviette auf den Tisch.

„Cathrina!“, hörte sie Leelu hinter sich herrufen, doch sie ignorierte

sie. Als sie vor ihrem Schlafgemach ankam, hatte Leelu sie

eingeholt.

„Warte,“, schnaufte sie, völlig außer Atem und Cathrina wandte

sich zu ihr um, „sei ihm nicht böse. Er hat gerade viel um die

Ohren und es sicher nicht so gemeint.“

Cathrina stieß die Tür auf, die gegen die Wand schlug und stapfte

ins Zimmer.

„Hör auf ihn andauernd in Schutz zu nehmen!“, fauchte sie ihre

Schwester an, die ihr gefolgt war und sie zuckte zurück, „Du hast

das Gespräch eben mitbekommen! Du warst beim Abendessen

dabei! Also erzähl mir bitte nicht, er habe es so nicht gemeint, denn

genau das hat er!“

Cathrina warf ihren Waffengürtel auf das Bett. Sie hätte nicht

übel Lust das Ding quer durchs Zimmer zu werfen. Doch sie trug

bereits die neuen Dolche und verbot es sich, so respektlos mit

ihnen umzugehen.

Und sie wusste, dass Leelu es missbilligen würde.

„Ich verstehe einfach nicht, wieso er mich dermaßen verabscheut.“

„Das tut er doch gar nicht.“

Cathrina schnaubte nur verächtlich: „Kein anderer Vater hätte sich

so verhalten! Niemals!“

Selbst Leelu wusste darauf nichts zu sagen. Auch sie hatte das

Verhalten ihres Vaters schon oft in Frage gestellt, wollte sich das

vor Cathrina aber nicht eingestehen.

„Ihr werdet doch vorsichtig sein, nicht wahr?“

Cathrina hob den Blick und konnte gerade noch sehen, wie Leelu

krampfhaft blinzelte, um ihre Tränen zu verbergen.

„Natürlich werden wir das.“

„Das ist gut.“, sie wandte sich zum Gehen, „Du bist die Fähigste

von uns. Wenn du es nicht schaffst, diese Reise unbeschadet zu

überstehen, schafft es keiner.“

Ihre Worte ehrten Cathrina und sie fasste sich ein Herz, ging auf

ihre Schwester zu und nahm sie kurz in den Arm: „Ich werde dafür

sorgen, dass Mia wieder heil nach Hause kommt.“

„Daran habe ich keinen Zweifel. Aber es ging mir um dich, nicht

nur um sie. Auch du sollst gesund wieder Heim kehren.“

„Ich werde mein Bestes tun.“

„Ja. Ich weiß.“, sie lächelte traurig und ging hinaus.

Diese Nacht war noch viel schlimmer, als die vorige.

Doch dieses Mal zwang sich Cathrina liegen zu bleiben, in der

Hoffnung endlich einzuschlafen. Und als es ihr dann endlich gelang

klopfte auch schon Mharen an die Tür, eine Öllampe in der Hand

und sagte, dass es Zeit wäre.

Also stand sie auf, wusch sich und zog sich ihre Sachen an, die sie

am Abend zuvor zurechtgelegt hatte.

Sie knöpfte das langärmlige Hemd zu, schlüpfte in ihr Lederkorsett,

das sie darüber zog und eng verschnürte. Dann zurrte sie ihren

Waffengürtel fest und fuhr gedankenverloren über die weißen

Griffe, die beruhigend glänzten.

Nun war es also soweit.

Sie schlüpfte in ihre dunklen Lederstiefel und ließ den Blick durch

den Raum schweifen. Sie hoffte, dass sie je wieder hierher

zurückkehren würde.

Sie holte tief Luft und schloss die Tür hinter sich.

Mharen wollte sie dazu bringen, noch etwas zu essen, doch sowohl

sie, als auch Mia hatten keinen Hunger. Also umarmte sie die

Mädchen noch einmal und wünschte ihnen viel Erfolg. Draußen

wartete Benedictus mit den Pferden auf sie.

Er sah müde aus. Er half ihnen, alles festzumachen, dass auch

nichts verrutschen konnte. Pollux wieherte ungeduldig und

Cathrina schwang sich in den Sattel.

„Alles Gute.“

„Passt gut auf Mharen auf, während wir nicht da sind.“

„Natürlich, Miss!“

Cathrina warf Mia einen fragenden Blick zu und als diese nickte

drückte sie ihre Fersen in Pollux Seite und sie ritten gemeinsam los.


Die Legende von Ascardia

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