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Kapitel 3 Mein Zuhause

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Jeden Sonntagmorgen wurden wir vom Klavierspiel meines Vaters geweckt. Er war ein hervorragender Musiker und wollte das ­Vergnügen, das Musik ihm bereitete, mit uns teilen. Deshalb bestand er, obwohl er sonst nicht besonders streng war, darauf, dass auch wir Klavier lernten. Keiner von uns wurde im klassischen Bereich je so gut wie er, aber ich brachte es immerhin zu einer Karriere als professioneller Musiker.

Nach dem musikalischen Weckruf stieg mir der Duft aus der Küche in die Nase. Meine Mutter war eine großartige Köchin und verwöhnte mich als Kind mit noch warmem Brot frisch aus dem Ofen und selbstgemachter Erdbeermarmelade, Dinge, die für mich selbstverständlich waren. Erst später erkannte ich, wie gut wir es hatten.

Zu meinen glücklichsten Kindheitserinnerungen gehören unsere Familienzusammenkünfte rund um den Küchentisch. In einem Zitat von Leonardo da Vinci, das ich schon immer mochte, heißt es, dass eine Mahlzeit „eine Verabredung“ sei. Ich finde es sehr wichtig, Zeit gemeinsam zu verbringen – sich zusammen an einen Tisch zu setzen, das Essen und die Gesellschaft der anderen zu genießen. So waren unsere sonntäglichen Frühstücke: Meine Eltern, meine Brüder Gunvald, Håkon und Kjetil, meine Schwester Ingunn und ich aßen und redeten, bevor es dann in die Kirche ging.

Am Tisch wurde immer viel diskutiert – unter uns sieben gab es viele starke Stimmen und Meinungen. Bei mir zu Hause steht heute in der Küche genau so ein Tisch: Wer bei mir isst, der muss sich auch mit mir unterhalten! Nun ist es eine Sache, die Küche vom Wohnzimmer zu trennen und Fernseher daraus zu verbannen, aber eine ganz andere, wenn Leute ihre iPads und Smartphones mit an den Tisch bringen. Ich hoffe aber, dass die Tradition gemeinsamer Mahlzeiten bestehen bleibt; ohne sie geht ein Stück Familienleben verloren.

Als a-ha den Durchbruch schaffte und „Take On Me“ ein Welthit wurde, gehörte zu den ersten Dingen, die ich kaufte, ein Flügel für meinen Vater. Das erschien mir angemessen, wenn ich bedachte, was er mir alles mitgegeben hatte.

***

Die Familie meines Vaters stammt aus Kristiansand an der Südküste. Seine erste Stelle als Arzt bekam er in Kongsberg, einer Kleinstadt in den Bergen, die einmal ein Zentrum des norwegischen Silberbergbaus gewesen war. Dort wurde ich geboren.

Als ich sechs war, zogen wir nach Westen in die kleine Stadt Heggedal, südlich von Oslo und nur wenige Kilometer von der Küste des Oslofjords entfernt gelegen. Wieder ein paar Jahre später, ich war neun, zogen wir etwas weiter nördlich nach Asker. Dort verbrachte ich einen Großteil meiner Kindheit. Mein Vater war ursprünglich Allgemeinmediziner, ein einfacher Landarzt. Aber nun arbeitete er auch in Krankenhäusern, sowohl in Oslo als auch in Drammen (Asker liegt so ziemlich in der Mitte zwischen beiden Orten). Er teilte seine Arbeitskraft zwischen zwei Posten auf: In Oslo praktizierte er am Hauptkrankenhaus, und in Drammen wurde er der Chef der Pathologie.

Meine Eltern waren beide große Verfechter des Dienstes an der Allgemeinheit: Meine Mutter, die ursprünglich aus Skien kam, arbeitete als Lehrerin, wenn sie nicht gerade mich und meine vier Geschwister hütete. Sicher war die Familie auch ein Grund, warum mein Vater Arzt wurde, anstatt die Musik zum Beruf zu machen. Man darf nicht vergessen, dass Norwegen nicht immer ein so wohlhabendes Land wie heute war. Mein Großvater litt noch unter schwierigen Lebensbedingungen; er war Buchhalter und besaß außerdem einen Tante-Emma-Laden. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Jahre hart, und nicht alle seine Kunden konnten ihre Rechnungen sofort begleichen. Die Geschäfte liefen schlecht, das Geld wurde knapp, und schließlich hatte er keine andere Wahl als aufzugeben: Er machte pleite, was ihn schwer getroffen haben muss. Aber er war ein sehr moralischer Mensch und zahlte seine Schulden ab. Das alles spielte sicher auch eine Rolle bei der Berufswahl meines Vaters. Für seine Generation war es noch etwas ganz Anderes, eine Laufbahn als Musiker einzuschlagen als für mich im selben Alter.

Mein Vater war in meiner Kindheit eindeutig der Patriarch im Haus. Mit seiner natürlichen, ruhigen Autorität musste er uns niemals ausdrücklich etwas verbieten. Wir respektierten ihn. Im Gegenzug übte er keinerlei Zwang oder Druck in Sachen Schule und Noten auf uns aus. Unsere Eltern legten größeren Wert auf Charakterbildung. Was in unserem Haushalt auch einiges zählte, war künstlerisches Schaffen, vor allem Malen und Zeichnen.

Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig Malen bei uns zu Hause war. In einer großen Familie herrscht immer ein gewisser Wettbewerb; in unserer manifestierte dieser sich beim bildnerischen Gestalten. Wie alle meine Geschwister war ich ein sehr kreatives Kind. Obwohl sehr begabt im Zeichnen, besaß ich nicht die Ausdauer, etwas wirklich Großes in Angriff zu nehmen. Ich zielte eher auf einen schnellen Effekt, schüttelte mir etwas lässig aus dem Handgelenk und fertig! Ab zum Nächsten.

Auch schnitzen konnte ich gut, was zum Teil an meiner Geschicklichkeit lag und zum Teil an meinem Gefühl für Formen. Ich glaube, ich hatte schon immer ein gutes Auge für Design. Mein Bruder Kjetil war als Kind auch ein talentierter Holzschnitzer, was zu einem weiteren freundlich-gesunden Wettbewerb zwischen uns führte.

Meine Geschwister und ich wuchsen in einer Atmosphäre von Geborgenheit und Sicherheit auf. Ich kann nicht mit einer Kindheit in Armut oder einem angespannten Verhältnis zu den Eltern aufwarten: Wir wurden alle gut versorgt und hatten genug Freiraum, um uns zu entwickeln und zu verwirklichen. Es ist schon auffällig, dass wir alle den Mut hatten, nicht unbedingt sichere Berufe zu ergreifen. Das liegt an unserer Erziehung und dem stillen, aber stetigen ermutigenden Einfluss unserer Eltern.

*

Von meiner Mutter lernte ich kochen. Die unterschiedlichen Zubereitungsarten interessierten mich als Kind brennend, vor allem das Backen. Mit den Händen war ich wie gesagt schon immer geschickt, und Brotbacken ist etwas Handwerkliches – den Teig kneten und aus einfachsten Zutaten etwas Köstliches herstellen. Die Konsistenz von selbstgebackenem Brot hängt davon ab, was du mit deinen Händen machst. Das ist ein sinnliches Erlebnis, das mir wirklich gefällt.

Als Jugendlicher backte ich unheimlich viel, unter anderem auch jede Menge Brot, was sehr nützlich war, als Paul, Magne und ich nach London zogen und von so gut wie nichts leben mussten. Paul ist zwar ein fantastischer Musiker und Songwriter, aber seine Kochkünste sind „ausbaufähig“. Ich weiß noch, wie er einmal versuchte, aus den Resten in unserer Vorratskammer – Mehl und verschrumpeltem Gemüse – eine Art Kohlbrot zu machen. Erst mein Eingreifen rettete die Situation, sonst hätten wir an diesem Abend nichts zu essen bekommen. Doch dazu später mehr.

Neben dem Brotbacken stieg ich auch voll in die Produktion von Kuchen ein, was für meine Familie gut und schlecht zugleich war: gut, weil es fast jeden Tag einen frisch gebackenen Kuchen gab; schlecht, weil ich oft von einem bestimmten Rezept besessen war, das ich dann immer wieder backte. Der erste Kuchen, den ich produzierte, war eine Art Vanillepudding-Zimt-Plunder: Auf einen Boden aus Blätterteig kam eine Schicht Vanillepudding, darauf Teigringe mit Zimt und Rosinen, und zum Schluss wurde das Ganze mit Puderzucker bestreut. Dieser Kuchen hatte es mir eine ganze Weile angetan, was für meine Familie bedeutete, dass sie ihn jeden Tag vorgesetzt bekamen. Am Ende hatten alle die Nase voll davon, ich eingeschlossen.

Danach versuchte ich mich an etwas Anspruchsvollerem: einem Biskuitkuchen mit Marzipanüberzug. Am Anfang kaufte ich das Marzipan noch beim Bäcker, später lernte ich, es selbst herzustellen, und setzte diese Fähigkeit zu besonderen Anlässen ein. Ich experimentierte mit den Rezepten, verringerte vor allem oft die Zuckermenge. Indem ich die Süße reduzierte, versuchte ich, die anderen natürlichen Zutaten mehr in den Vordergrund zu bringen. Bei Himbeermarmelade kommt dann zum Beispiel die Säure besser zur Geltung, die wiederrum einen spannenden Kontrast zum süßen Marzipan bildet. Ich hörte auf, Sahne zu süßen, und tue es bis heute nicht. Erstens ist es nicht nötig, und zweitens überdeckt die Süße des Zuckers die anderen Geschmacksrichtungen.

Ich half meiner Mutter zwar brav in der Küche, war aber durchaus zu Streichen aufgelegt. Eine der Traditionen in unserem Haus bestand darin, dass wir Kinder zu Weihnachten kleine Figuren aus Marzipan formten, die dann Gästen auf einem Tablett angeboten wurden. Als ich kleiner war, knetete ich einfache Formen wie Obststücke. Als Teenager wurden meine Entwürfe jedoch zunehmend schräg. So kreierte ich einmal einen abgetrennten Finger, ein wahres Kunstwerk. Er hatte einen Nagel, innen einen Knochen und war blutrot, wenn man hineinbiss! Ich weiß noch, wie ein Freund der Familie sich angeregt unterhielt und den Finger vom Teller nahm, ohne genau hinzusehen. Erst als er ihn zum Mund führte, erkannte er, was er da vermeintlich in der Hand hielt, und ließ ihn mit einem Schrei fallen. Ein paar Jahre später schockte ich dieselbe Familie mit einer weiteren Delikatesse. Diesmal hatte ich einen erigierten Penis geformt, komplett mit Hoden. Er war übrigens – je nachdem, wen man fragt – nicht lebensgroß. Aber definitiv groß genug, um einen ziemlichen Wirbel zu verursachen.

*

Wenn ich von meiner Kindheit erzähle, darf unser Sommerhaus nicht unerwähnt bleiben. Meine Eltern hatten Kristiansand zwar verlassen, aber dort ein Haus gekauft, in dem wir den Sommerurlaub verbrachten. Auf die jährlichen Ferien freuten wir uns alle. Heutzutage würde man die Strecke in drei bis vier Stunden schaffen, aber damals brauchten wir sieben oder acht Stunden. Unser Gepäck war auf dem Dach festgeschnallt, und wir fünf quetschten uns zusammen mit Sheeba auf den Rücksitz. Damals gab es noch keine Gurte, also tobten wir herum und stritten uns darum, wer sich auf der Ablagefläche ausbreiten durfte.

Das Haus liegt in einer Hügellandschaft mit Felsklippen, die bis ins Meer reichten. Es hat keinen Meerblick, sondern steht etwas zurückgesetzt in einem Waldgebiet mit niedrigen alten Bäumen; eins von diesen Blockhäusern, die billig mit Secondhand-Material zusammengezimmert werden, aber dadurch auch besonders charmant sind. Die Einrichtung bestand aus lauter altem Zeug, das wir zu Hause ausrangiert hatten. Besteck und Geschirr waren total zusammengewürfelt, was ein Gefühl von Freiheit verströmte, einen unkonventionellen Zauber.

Für mich als Kind war es fantastisch, einen Ort zu haben, an dem die wilde Natur gleich vor der Türschwelle begann und nur darauf wartete, entdeckt zu werden. Wir spielten viel draußen, vor allem Indianer. Mein Vater bastelte uns Pfeile und Bögen aus einem bestimmten Pinienholz, das besonders flexibel war und den Bögen die nötige Spannung verlieh. Ich liebte das Bogenschießen und wurde ein richtig guter Schütze. Auch auf die Jagd ging ich gerne, konnte mich aber nie dazu überwinden, ein Tier zu erlegen. Ich pirschte mich ran, beobachtete es und ließ es dann laufen. Beim Angeln ging es mir nach einer Weile genauso. Eine Zeit lang war ich ein passionierter Angler. Aber als ich älter wurde, bekam ich Mitleid mit den Tieren. Seitdem ist Angeln für mich ein ambivalenter Zeitvertreib.

Das Sommerhaus ist heute nicht mehr so wie früher. Eigentlich stimmt das nicht. Das Sommerhaus ist noch ganz genau so wie früher; ich bin es, der sich verändert hat. Wenn ich dort nach denselben Dingen suche wie als Kind, werde ich garantiert enttäuscht. Aber wenn ich mit der richtigen Erwartungshaltung hinfahre, kann ich es genießen. Und seit ich selbst Vater bin, denke ich dort besonders oft darüber nach, was ich meinen Kindern bieten kann.

Die Ferien in Kristiansand werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Ich erlebte intensive Wochen mit meiner Familie, in denen ich den Alltag vergessen und ich selbst sein konnte. Das war für mich sehr wichtig, denn zu Hause erfuhr ich zwar Wärme und Geborgenheit, in der Schule sah es allerdings ganz anders aus. Dort war ich ganz auf mich allein gestellt und musste mich gegen Menschen behaupten, die mir nicht gerade wohlgesonnen waren.

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