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Stirnrunzelnd stand Sömma am Fenster und blickte missmutig nach draußen. »Bald ist es dunkel. Sie wird doch nicht in den Wald gegangen sein?«

»Nein«, sagte die Mutter ruhig und schnitt weiter Rüben. »Sie weiß, wie gefährlich das ist.«

»Wenn Lilli so weitermacht, findet sie nie einen Mann. Da nützt ihr die ganze Schönheit nichts, ohne Mitgift kein Mann.«

Die Mutter seufzte. Sie kannte diesen Satz. Wie ein Mantra wiederholte sie ihn immer wieder. Davon ließ sie sich auch nicht von Lillis Mutter abbringen, die meinte, das alles käme schon noch.

Die Tante wirkte wenig beruhigt. Stoßartig atmete sie aus, etwas versöhnlicher blickte sie Kleo an. »Immerhin hast du ja noch eine andere Tochter.« Kleo saß in einer Ecke und stickte. Müde lächelte sie der Tante zu.

»Und einen Sohn«, sagte die Mutter scharf.

»Ja, ja. Der gute Björn.« Sie betonte jedes Wort.

Kleo kicherte, dann hielt sie damenhaft die Hand vor den Mund und verstummte.

»Ich dulde nicht, dass ihr in diesem Haus über ihn lacht«, fuhr die Mutter ihre Schwester an. »Das gilt auch für dich, Kleo.« Sie fuhr mit dem Schneiden fort. Ein mundgerechtes Stück nach dem anderen fiel in die bauchige Tonschüssel. »Er mag zwar etwas langsamer sein als andere, aber er ist stark wie ein Bär und er hat ein goldenes Herz.«

Wenn sie aufgesehen hätte, hätte sie bemerkt, wie Kleo die Augen verdrehte, aber wahrscheinlich wusste sie es auch so.

Ach hätte Kleo doch ein wenig mehr von Lilli und die etwas mehr von ihrer großen Schwester, dachte Mutter zum hundertsten Mal. Aber man muss die Menschen annehmen, wie sie sind. Kleo wird ihren Weg machen … und Lilli auch. Irgendwann.

Ein energisches Klopfen an der Tür schreckte sie aus ihren Gedanken.

»Wer mag das sein?«, fragte Sömma und sah sie mit großen Augen an. Die Mutter fragte sich, wovor sie Angst hatte. Aber so war sie immer gewesen; ein ungewohntes Geräusch, das Scheppern eines Fuhrwerks, das durch ein Schlagloch fuhr, der Ruf eines fahrenden Händlers oder das Bellen eines Hundes ließen sie zusammenzucken. Das Bellen eines Hundes sogar in besonderen Maße. Daran waren Großmutters Geschichten sicher nicht ganz unschuldig.

»Wir werden es gleich wissen«, antwortete Mutter ruhig. »Herein, die Tür ist offen.«

Die Tür schwang auf und ein Mann betrat die Hütte. Er trug ein ledernes Wams und einen roten Hut mit einer Feder daran.

»Eine Botschaft von meiner Herrin, der Lady.« Unsicher sah er sich um. Er hatte wohl eine etwas repräsentativere Behausung erwartet.

Mutter kam seiner Frage zuvor. »Ah, von meiner Mutter. Was hat sie uns denn zu sagen?« Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab.

Der Bote griff in seine Joppe und zog eine Schriftrolle heraus. »Soll ich sie …«, fragte er vorsichtig.

»Ich kann lesen, danke«, sagte Mutter kühl und nahm ihm das Schriftstück aus der Hand. Achtlos erbrach sie das Siegel und entrollte das kostbare, schneeweiße Papier. Während sie den Inhalt überflog, sah sie kurz zum Boten hin, der etwas ratlos immer noch in der Tür stand. »Danke.«

Sömma sah ihn entschuldigend an. Der Mann räusperte sich, dann ging er.

»Was gibt’s denn?«, fragte Sömma. Mutter wollte ihr schon die Nachricht überreichen, als ihr einfiel, dass Lesen nicht ihre größte Stärke war und sie wollte sie nicht in Verlegenheit bringen.

»Mutter ist krank.« Erschrocken sahen Kleo und Sömma sie an. Sie hob die Stimme. »Naja, so schlecht wird es ihr schon nicht gehen, Baba ist zäh.«

Sömma hob entrüstet die Augenbrauen. Kaum war Großmutter krank, tat sie so, als sei sie eine Heilige, dachte Mutter. Dann fuhr sie fort: »Sie möchte eine bestimmte Arznei aus der Apotheke, die man dort nach ihrem Wünschen hergestellt hat. Und – Lilli soll sie ihr bringen.«

Verständnislos sahen Sömma und Kleo einander an.

»Lilli? Warum Lilli?«, fragte Sömma und schielte auf das Schriftstück.

»Das steht da nicht.« Mutter las die Nachricht noch einmal, dann zuckte sie ratlos die Achseln. »Und sie soll die rote Haube tragen, die sie ihr geschenkt hat, damit ihre Wachen sie schon von Weitem erkennen und ihr das Tor öffnen.«

»Warum hat der Bote die Medizin denn nicht gleich mitgenommen?«, fragte Kleo.

»Das verstehe ich auch nicht.«

»Egal, sie muss sie ihr bringen«, stellte Sömma fest.

»Ich weiß nicht, es ist ein weiter Weg und der Wald ist gefährlich«, gab Mutter zu bedenken.

»Das fällt dir jetzt ein, Schwesterchen. Wo die Kleine doch jeden Tag am Waldrand spielt … oder sogar im Wald.«

»Lilli geht nicht in den Wald, das hat sie mir versprochen. Im Übrigen dürfte der Wald hinter dem Haus kaum vergleichbar sein mit dem Weg zu Baba. Das ist ein gewaltiger, dunkler Wald.«

Sömma war deutlich anzusehen, dass sie daran ihre Zweifel hatte, sie ging aber nicht darauf ein, sondern beruhigte die Mutter. »Die neue Straße ist sicher. Großmutter hat sie doch selbst bauen lassen.«

»Ja, schon, aber Lilli ist doch noch so klein …«

»Sie ist eine junge Frau. Jünger zwar als Kleo …«

»Warum eigentlich nicht Kleo?«

Darauf wusste keiner eine Antwort. Kleo kaute angestrengt auf ihrer Unterlippe. »Vielleicht ist das Ganze eine Art Prüfung«, begann sie. »Ja, das muss es sein. Sie möchte wissen, ob wir tun, was sie uns sagt.«

»Das wird der Grund sein! Kleo, du bist ein kluges Kind.« Sömma war sofort Feuer und Flamme. »Großmutter möchte wissen, auf wen sie sich verlassen kann.«

»Ich muss zugeben, das wäre der Alten zuzutrauen …« Mutter klang wenig begeistert.

»Ja, unbedingt. Und wir müssen sicherstellen, dass sie uns zu den Menschen zählt, denen sie unbedingt vertrauen kann.« Vielsagend hob Sömma die Augenbrauen. Dass Großmutter eine der reichsten Frauen in der ganzen Gemarkung war, musste sie nicht extra erwähnen.

Mutter seufzte. »Ich will erst warten, was mein Mann dazu sagt. Und natürlich Lilli.«

Wolfsnacht

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