Читать книгу Wolfsnacht - M.P. Anderfeldt - Страница 8

4

Оглавление

Am nächsten Tag schien die Sonne und die Vögel zwitscherten. Beinahe hätte Lilli ein fröhliches Lied gepfiffen, aber das schickte sich natürlich nicht für ein Mädchen. Oder, wie ihre Mutter und Tante Sömma es formulieren würden: für eine junge Dame. Das war natürlich schade, weil Lilli ziemlich gut pfeifen konnte, ihr Bruder Björn hatte es ihr beigebracht. Björn konnte so viele Sachen, die Erwachsenen interessierten sich aber nur für die Dinge, die er nicht konnte.

Ihr Weg führte sie vorbei an Feldern, auf denen das Getreide üppig wuchs und an grünen Wiesen mit träge wiederkäuenden Kühen. Die Straße war gut ausgebaut, große Schlaglöcher waren mit Kieselsteinen gefüllt, sodass die Wagen auch bei Regen nicht darin stecken blieben, vor Brücken oder Furten war sie nicht selten sogar gepflastert. Findlinge begrenzten den Weg zu beiden Seiten, damit man ihn auch bei Schnee nicht verlor.

Lilli trat zur Seite, damit ein schwerer, von zwei Ochsen gezogener Wagen überholen konnte. Das Fuhrwerk war kaum schneller als sie selbst.

»Soll ich dich mitnehmen? Auf meinem Wagen ist noch Platz.« Der Fuhrmann klopfte auf den leeren Platz neben sich auf dem Kutschbock.

Lilli schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen.

»Dein Bündel sieht schwer aus, mein Kind. Meinen Ochsen macht das Gewicht nichts aus.«

Wieder schüttelte Lilli den Kopf.

»Sei doch nicht so, Kleine. Hier oben kannst du dich ausruhen. Wir singen Lieder und sehen uns die Welt von oben an.«

Er war jetzt beinahe auf ihrer Höhe. »Lass dich doch wenigstens einmal ansehen.«

Seufzend blieb Lilli stehen. Unter der blöden Haube konnte sie kaum zur Seite sehen. Das sollte sie wohl von irgendwelchen sündigen Blicken abhalten. Also sah sie ihm gerade ins Gesicht. »Ich muss zu meiner Großmutter und ihr Medizin bringen.«

Der Mann trug einen zerflederten Strohhut und kaute auf einem Grashalm. »Oh, die arme Alte. Komm, steig auf, dann wollen wir keine Zeit verlieren.«

»Das würde meine Großmutter nicht wollen.«

»Von mir wird sie nichts –«, raunte er.

»Meine Großmutter, die Lady«, fügte Lilli leise hinzu.

Der Mann schluckte, verdaute die neue Information. »Die … Lady«, wiederholte er.

Lilli nickte.

Der Fuhrmann sah erst nach hinten, dann nach vorn. Dann noch einmal nach hinten, um sicherzugehen. »Nun,« räusperte er sich, »dann wünsche ich Euch eine gute Reise. Und bestellt Eurer Großmutter schöne Grüße.«

Lilli lächelte und verbeugte sich. »Vielen Dank.«

Der Kutscher ließ seine Peitsche knallend auf die breiten Rücken der Ochsen niedersausen. Die Tiere quittierten es mit einem widerwilligen Brüllen und legten einen Schritt zu. Deutlich schneller als er gekommen war, verschwand der Wagen und Lilli war wieder allein auf dem Weg.

Bei jedem Schritt gluckerte der Inhalt der Flasche, die der Apotheker ihr gegeben hatte. Was für eine Medizin das wohl sein mochte?

Mutter und Tante Sömma hatten noch rasch einen Kuchen gebacken, den Lilli der Großmutter ebenfalls überreichen sollte. Das Gebackene duftete verführerisch und Lilli wünschte sich, sie hätte für sich selbst etwas zu Essen mitgenommen. Aber sie hatte befürchtet, dass ihr Vater seine Erlaubnis zurückzog, wenn sie zu lange zögerte. Ihm passte die ganze Aktion gar nicht. »Weshalb lässt sie die Medizin nicht von einem ihrer Boten holen?, »Warum ausgerechnet Lilli?«, »Warum darf sie nicht jemanden mitnehmen?« Das waren Fragen, auf die niemand eine Antwort hatte, nicht mal Sömma, die sonst nie um eine Antwort verlegen war.

Aber Lilli wollte gehen. Sie kannte ihre Großmutter kaum, aber wenn sie krank war, musste sie ihr helfen. Das war doch klar.

Und außerdem hatte sie Lust auf ein kleines Abenteuer – es geschah so selten, dass sie allein irgendwo hin durfte. Und jetzt auch noch in praktisch offiziellem Auftrag.

Vielleicht hätte sie ja sogar Gelegenheit, sich den Wald genauer anzusehen, sie hatte schon viel davon gehört. Ein See sollte dort liegen, an dessen Ufer nachts Nymphen auf Harfen spielten und Lichtungen, auf denen Feen in der Sonne tanzten. Dort gab es angeblich aber auch Bäume, die unter ihrem Laubdach rastende Menschen festhielten um sie nie wieder loszulassen und gewaltige Untiere, welche mit einem Haps ein ganzes Pferd oder einen Auerochsen verschlingen konnten. Manche der großen Bäume, so erzählte man, hatten Wurzeln, die bis in die Hölle reichten. Darum konnte es passieren, dass sie einfach so in Flammen aufgingen.

Lilli glaubte all diese Geschichten natürlich nicht. Nymphen und Feen gab es sowieso nicht, das wusste sie. Höchstens in den Wunschträumen von Holzfällern oder Fallenstellern. Sie hatte auch genug Bäume gesehen, um zu wissen, dass sie Menschen nicht festhielten, wahrscheinlich war ein Betrunkener über eine Wurzel gestolpert und hatte die Geschichte dann entsprechend ausgeschmückt.

Der Rauch allerdings war real. Auch jetzt, wo sie sich dem Wald näherte, sah sie hier und dort dünne Rauchsäulen aufsteigen. Das, dachte sie stirnrunzelnd, ist die Quelle des Reichtums meiner Großmutter, der Lady vom Wald.

Hier, im Schatten des Waldes, gab es weniger bewirtschaftete Felder und die hübschen Dörfer, durch die sie noch am Morgen spaziert war, wichen ärmlichen, aber trutzig aussehenden, befestigten Weilern. Statt Pferden und Rindern standen hier Schafe und Ziegen auf von Mauern umgrenzten Weiden.

Lilli bemerkte nicht die drei Gestalten, die sich aus dem Schatten eines verlassenen Schafkobens schälten und ihr mit deutlichem Abstand folgten.


Wolfsnacht

Подняться наверх