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Warum sollte sie nicht in den Wald gehen? Lilli fand die abergläubische Angst ihrer Mutter total übertrieben. Ganz zu schweigen von der ewig schreckhaften Tante Sömma, der sie schon so manchen Streich gespielt hatte.

Lilli ging schon seit ihrer frühesten Kindheit in den Wald und hatte noch immer den Weg zurückgefunden. Mit der Frage, was sie immer in den Wald zog und was sie dort überhaupt machte, könnte man sie allerdings in Verlegenheit bringen.

Denn meistens saß sie einfach nur da; sie suchte sich ein schönes Plätzchen, einen umgestürzten Baum, der von der Sonne beschienen war, das sonnige Ufer eines kleinen Tümpels, eine kleine Lichtung, und beobachtete. Stundenlang blieb sie still, lauschte dem Gesang der Vögel und dem Quaken der Frösche, versank im Rauschen der hohen Tannen, bis sie glaubte, selbst ein Teil des Waldes geworden zu sein. Das waren ihre glücklichsten Momente. Sie konnte nichts anfangen mit dem Geschnatter der Mädchen in ihrem Alter, ihrem Geschwätz über Handarbeiten und Männer und teilte nicht ihren Fleiß beim Weben und Besticken ihrer unzähligen für die Aussteuer bestimmten Tücher. Wie viele handbestickte Tischtücher braucht man schon im Leben? Und erfüllte ein unbesticktes Taschentuch nicht ebenso seinen Zweck wie ein mit aufwändigem Monogramm verziertes?

Es war ein herrlicher Sommertag. Lilli kniete auf dem Boden und beobachtete, wie die Mücken auf der sonnigen Lichtung tanzten.

Ein Zweig raschelte und sie wusste, dass sich etwas näherte, auf leichten Pfoten daher tappte.

Lilli verhielt sich mucksmäuschenstill und wagte kaum zu atmen, um es nicht zu erschrecken. Sie schloss die Augen.

Sie hörte, dass das Tier ganz nahe sein musste. Ganz langsam öffnete sie ihre Augen, erst einen kleinen Spalt, dann ganz. Vor ihr saß das entzückendste Tier, das sie je gesehen hatte, und blickte sie aus großen, schwarzen Augen an. Es hatte ein rötliches Fell, das unglaublich weich und kuschelig aussah und seine spitzen Ohren verliehen ihm ein fast kluges Aussehen.

Noch immer bewegte sich Lilli nicht. Aber dieses Fell, das sah so weich aus, das musste sie einfach streicheln. Unendlich langsam hob sie die rechte Hand. Das Tier sah sie misstrauisch an, schien aber ebenso neugierig zu sein wie das Mädchen.

Es schnüffelte an Lillis Hand und erschauderte ein wenig. Oder bildete sich Lilli das nur ein?

»Du musst dich nicht fürchten«, sagte sie sanft. Tatsächlich schien das die Kreatur etwas zu beruhigen.

»Ich … der Geruch kam mir nur so bekannt vor.«

Das Tier hatte gesprochen! Oder nicht? Es hatte den Mund nicht bewegt und doch war es Lilli, als habe sie seine Stimme gehört. Wenn das ein Traum war, dann wollte sie am liebsten nie wieder aufwachen.

»Wie heißt du?«

Das Tier legte den Kopf schief und seine Knopfaugen schienen ihr direkt ins Herz zu blicken. »Du verstehst mich? Naja, ich sollte wohl nicht überrascht sein.« Es setzte sich hin. »Man nennt mich Raike.«

»Ich bin Lilli.«

»Hm.« Eine Fliege ließ sich auf seiner Stirn nieder und Raike schüttelte den Kopf. Als er nach dem lästigen Insekt schnappte, wurden kleine, spitze Zähne sichtbar.

Lilli kicherte. Es sah einfach zu süß aus.

»So ganz allein im Wald, Lilli?«

»Aber wir sind doch noch gar nicht richtig im Wald.«

»Also ich sehe ringsum nur Bäume. Hast du keine Angst, mein Kind?«

»Ach nein. Wovor sollte ich denn Angst haben?«

»Nun, …« Raike schien nachzudenken. »da hast du auch wieder recht. Dummer Aberglaube.«

»Du siehst so weich aus, darf ich dein Fell berühren?«

Raike verzog die Schnauze. »Naja, eigentlich ungern. Aber ausnahmsweise.«

Zart strich ihm das Mädchen über den weichen Pelz.

»Das darf nicht jeder.«

»Danke«, sagte Lilli sanft. »Du hast wirklich ein schönes Fell.«

Der Fuchs duckte sich unter ihrer Hand weg, schien sich plötzlich unwohl zu fühlen. »Naja, so toll auch wieder nicht. Ihr Menschen macht auch hübsche Kleider. Aus Schafhaaren, nicht wahr?«

»Das kann man gar nicht vergleichen. Dein Fell ist wundervoll.«

»Danke … denke ich.«

»Entschuldige, habe ich etwas gesagt, das dir nicht gefällt? Ich wollte dich nicht verärgern.«

»Nein, nein. Es ist nur … nichts.« Er schien zu grinsen, als das Mädchen ihn an der Kehle kraulte. »Du bist in Ordnung, denke ich.«

»Danke, das ist nett von dir.«

Raike schloss genüsslich die Augen.

Lilli hätte ihn noch lange streicheln wollen, aber sie hörte einen gedämpften Ruf. »Lilli! Lilli!«

»Das ist Mutter. Ich muss nach Hause.« Sie erhob sich. »Ich sollte mich beeilen, sonst wird sie sauer.«

»Machst du immer, was deine Mutter sagt?«, fragte Raike und es klang ein wenig spöttisch, aber dann schüttelte er den Kopf. »Dann geh mal lieber. Mach’s gut, kleine Lilli.«

»Danke, du auch, Raike.«

Eilig lief das Mädchen zurück zum Haus.

Lauf nicht vom Weg ab

Wolfsnacht

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