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Der Gelehrte: Jawdat Saʿids Ethik der Gewaltlosigkeit

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Jawdat Saʿid

Jawdat Saʿid (geb. 1931) ist ein muslimischer Gelehrter aus Syrien, der sich ausdrücklich in die Tradition von Reformern wie Jamal Al-Din Al-Afghani (gest. 1897),3 Muhammad Abduh (gest. 1905),4 Muhammad Iqbal (gest. 1938),5 Malek Bennabi (gest. 1973) und Muhammad Asad (gest. 1992) stellt.6 Während andere muslimische Gelehrte und Denker weiterhin unbefangen über die juristische Frage publizieren, wann der ğihād als gerechte Selbstverteidigung legitim ist, wie ein solcher Kampf ausgefochten werden darf und was seine Grenzen sind, schlägt der an der Al-Azhar-Universität ausgebildete Gelehrte eine Gegenrichtung ein, wenn er in dieser schwierigen Zeit vom „Tod jeglichen Krieges“7 schreibt und damit seine intellektuellen Energien in den Dienst eines islamischen Friedenspotenzials stellt.

Saʿid hatte während seiner Studienzeit Ende der 1940er-Jahre miterlebt, wie die ägyptische Muslimbruderschaft immer militanter wurde.

Ihre Versuche, durch Attentate eine politische Veränderung zu erreichen, schadeten nicht nur dem Islam, sondern schufen zugleich ein gesellschaftliches Klima der Angst. So war es dem Staat dann möglich, Schritt für Schritt, zugunsten der Sicherheit, die bürgerlichen Freiheiten einzuschränken – bis heute. Von daher betrachtet er seinen Ansatz eines gewaltfreien islamischen Widerstandsrechts ausdrücklich als eine Gegenposition zu den muslimischen Gruppierungen in der Moderne, die allzu oft Gewalt als Mittel zum Zweck einsetzen, um politische Realitäten zu verändern. Insbesondere wendet er sich gegen das Denken des Ideologen Sayyid Qutb (gest. 1966), der den ğihād als Befreiungskampf zur Errichtung einer globalen Gottesherrschaft deutete.8 Als Reaktion auf dessen gewaltlegitimierenden Schriften verfasste Saʿid schließlich 1966 sein wegweisendes Buch Die Schule von Adams Sohn: Das Problem der Gewalt in der islamischen Welt. In elf weiteren Büchern baute er seine Lehre von der Gewaltlosigkeit im Islam weiter aus.

Nach seiner Rückkehr nach Syrien arbeitete Saʿid als Lehrer in Damaskus. Nach mehrmaligen Verhaftungen wegen seines gewaltlosen Engagements wurde er schließlich aus dem Staatsdienst entlassen. Ab 1973 siedelte der Gelehrte daher in sein Heimatdorf auf dem Golan zurück. Für den Versuch Anfang der 2000er-Jahre, seine Lehre in die Praxis umzusetzen und in Syrien eine Bürgerrechtsbewegung zu gründen, wurden seine Mitstreiter mit bis zu fünf Jahren Haft verurteilt. In den Bewegungen des Arabischen Frühlings bekam Saʿid in Syrien für seine Thesen dann wieder mehr Aufmerksamkeit. Auf Protestbannern konnte man immer wieder Zitate aus seinen Büchern lesen, und er selbst ermahnte die Demonstranten, sich nicht vom Assad-Regime zu gewalttätigen Handlungen provozieren zu lassen. Doch die Revolution schlug um in einen bewaffneten und blutigen Konflikt als der syrische Präsident mit Gewalt gegen die friedlich Protestierenden vorging.

Der 26-jährige Schneider Ghiyath Matar, der in seiner Heimatstadt Daraya den Spitznamen „Kleiner Gandhi“ innehatte, postete damals auf seiner Facebook-Seite: „Wir wählen die Gewaltlosigkeit nicht aus Schwäche oder Feigheit, sondern aufgrund einer moralischen Überzeugung; wir wollen den Sieg nicht erringen, indem wir unser Land zerstören.“9 Am 6. September 2011 wurde er von Sicherheitskräften festgenommen, wenige Tage später wurde seine verstümmelte Leiche seiner Familie und seiner schwangeren Frau zurückgegeben.10

Nach Amnesty International wurden zwischen 2011 und 2015 auf Anordnung von höchster Ebene bis zu 13.000 Häftlinge hingerichtet, entweder nach einem kurzen Scheinprozess oder ohne Gerichtsurteil. Assad zielte hierbei auf Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Intellektuelle, kritische Militärs, also jene Schicht, die man für einen Übergang zu demokratischen Verhältnissen braucht.11 Die Journalistin Andrea Böhm schreibt: „Assad wusste genau, wen er ermorden musste, um sich am Ende der internationalen Gemeinschaft als „alternativlos“ zu präsentieren.“12

Unter diesen Bedingungen sah sich der heute 88-jährige Jawdat Saʿid gezwungen, in die Türkei zu fliehen.

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