Читать книгу König und Dämon - N. H. Warmbold, Nicole Heuer-Warmbold - Страница 4

Kapitel 2 – Fremde und neue Bekannte

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Das Training war anstrengend; Davian nahm nicht die geringste Rücksicht darauf, dass Mara fünf Tage, nun, viereinhalb, dazu die drei in seinem Haus, mit Husten und Fieber im Bett gelegen hatte. Nach den Basisübungen, mit seinen Männern, ließ er sie zehn Runden im Schneematsch um das Übungsfeld laufen, bevor sie mit Jula Stockkampf trainieren sollte.

Das einzig angenehme an diesem Morgen war Julas Lächeln zur Begrüßung und die Tatsache, dass es ihm keine offensichtliche Freude bereitete, ihr auf die Finger zu dreschen. Besonders nett ging er trotzdem nicht mit ihr um, lachte über ihre Fehler, ihre Ungeschicklichkeit. „Der Stock ist wohl nicht deine Waffe?“

Grimmig schlug Mara zu. „Ein Stock ist überhaupt keine anständige Waffe.“

Er parierte lachend ihren wilden, ungezielten Hieb und schlug gleichfalls zu. „Oh, doch. Siehst du?“

„Nicht auf die Finger!“

„Dann nimm sie weg“, erwiderte Jula lapidar.

„Aber …“

„Keiner sagt, dass deine Hände am Stock wie festgewachsen sein müssen, beweg sie! Hat dir das keiner erklärt?“

Mara hatte nicht die Zeit, darüber nachzudenken, sie musste sich verteidigen, viel zu hektisch, atemlos. „Keiner.“

„Vergiss nicht zu atmen“

„Ich versuche es.“

„Entschuldige.“ Jula senkte das Tempo seiner Schläge und Stöße merklich. „Ich vergaß, dass du krank warst.“

„Geht schon.“ Trotzdem keuchte Mara angestrengt, stützte schwer atmend die Hände auf die Oberschenkel.

Jula hockte sich vor sie und erklärte ruhig: „Nein, ernsthaft, du hältst den Stock viel zu verkrampft. Wenn du dich so daran klammerst, während du einen Schlag abfängst, tun dir schon nach kürzester Zeit Arme und Schultern weh. Du musst nachgeben.“

„Nachgeben? Dann kriege ich den Stock an den Kopf.“

„Du hast Beine, Mara, weich zur Seite aus.“

„Oh. Verstehe. Ich bin zu unbeweglich, zu steif.“

„Jedenfalls im Stockkampf.“ Er lachte erneut, richtete sich auf. „Siehst du, du musst den Schwung meines Angriffs nutzen, um deinen Stock zu drehen und ihn mir … unters Kinn zu knallen. Schlag zu.“

Sie schlug zu. Jula fing den Schlag mit dem Stock federnd ab, wich gleichzeitig ein Stück zur Seite aus, kippte dann gewissermaßen seinen Stock und berührte mit der Spitze ihr Kinn. „Gesehen? Jetzt du.“

„Ich weiß nicht, dann tue ich dir womöglich weh.“

„Du triffst mich sowieso nicht.“ Er grinste. „Bereit?“

Sie übten, immer wieder die gleiche Bewegung: Jula schlug zu, Mara fing den Angriff ab, mal zur einen, mal zur anderen Seite ausweichend, drehte, seinen Schwung nutzend, ihren Stock, traf ihn aber nie. Natürlich nicht. Zum einen war sie zu langsam, meist zu zaghaft, oftmals stand sie auch schlicht zu weit von Jula entfernt. Doch selbst als sie das ausglich, nicht zur Seite, sondern schräg nach vorne auswich, traf sie ihn einfach nicht, der Stock schwang ins Leere, nicht gegen sein Kinn, nicht mal in die Nähe seines Kinns.

Angestrengt versuchte Mara es weiter, Jula erhöhte das Tempo und sie musste auf ihre Finger aufpassen, rascher ausweichen, ihr Ziel unerreichbar.

Aber warum überhaupt sein Kinn, das Ziel war doch, den Schwung seines Angriffs für ihren Gegenangriff zu nutzen? Wieder ließ Mara ihren Stock hochschwingen, machte dabei jedoch einen weiteren Schritt auf ihn zu und stieß ihm ein Ende des Stockes in den Bauch.

Überrascht keuchend taumelte Jula zurück, hielt sich den Leib.

„Sieht so aus, als hättest du was gelernt, Mädchen. Nicht allein, Schläge klaglos einzustecken.“ Davian musterte Jula mit schmal zugekniffenen Augen, wandte sich an Mara. „Könntest du das auch wiederholen?“

„Er ist jetzt gewarnt.“

„Unsicher, was du machst.“ Verächtlich verzog Davian das Gesicht. „Tut ’s weh, Gardist?“

Jula kam heran, noch immer eine Hand auf den Bauch gepresst. „Ich werd’ es überleben.“

Davian nickte grimmig. „Gut, dann haben ja gleich zwei was gelernt.“

Er rieb sich das Kinn, schien verärgert. „Ungünstig, dass ich das jetzt abbrechen muss, aber seine Majestät will dich sprechen. Geh dich umziehen.“

Mara schluckte die Frage nach dem Warum hinunter, nickte nur und begab sich in einen Nebenraum, wo ihre Kleidung lag. Hörte hinter sich Davian und Jula.

„Habt Ihr Euch inzwischen erholt, Gardist? Wir machen weiter.“

„Jawohl, Hauptmann.“

Ein Gardist, keiner, den Mara kannte, begleitete sie in den Palast und nickte ihr, an der Tür zu den Zimmern seiner Majestät angelangt, knapp zu. „Ihr werdet erwartet.“

„Danke.“ Mara trat ein.

Der König war nicht allein und erhob sich wie sein Besucher: ein großer, schlanker Mann in seinem Alter, das graue Haar kurz geschnitten, der kurze Bart wie von silbergrauen Fäden durchzogen. Sehr helle, blaue Augen. Seitlich des Mannes und sich ein wenig im Hintergrund haltend stand ein schlaksiger blonder Junge mit neugierigem, wachem Blick, vielleicht fünfzehn, sechzehn Jahre alt.

Freundlich begrüßte der König Mara, stellte sie dem Mann allerdings nicht vor. Ein Versehen oder Absicht?

„Mara, es ist eine Weile her. Ich freue mich aufrichtig, dass Ihr kommen konntet.“

Mara verneigte sich ohne nachzudenken nach Art des Tempels und nickte auch dem anderen Mann, er trug wie der Junge schlichte, praktische Kleidung, keine Uniform, höflich zu. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Majestät.“

„Setzt Euch.“ Der König deutete auf den Sessel neben dem Grauhaarigen. „Mir ist zu Ohren gekommen, Ihr hattet … Meinungsverschiedenheiten?“

„Majestät sind gut unterrichtet. Die Hohe Frau hat mich des Tempelbezirks verwiesen.“

Der Grauhaarige zog verwundert die Augenbrauen hoch und musterte Mara streng. „Wegen eines kleinen Streits?“

Mara hob die Schultern, sie wollte einem Unbekannten nicht unbedingt die Gründe für ihren Zwist mit Lorana darlegen. „Gewissermaßen.“

Mitfühlend beugte sich der König vor. „Dann seid Ihr jetzt womöglich ohne Unterkunft?“

„Nein, das nicht. Hauptmann Davian war so freundlich, mich bei sich aufzunehmen.“ Wie der König sicherlich genau wusste, was sollte das Ganze? Die unnötige Fragerei, die Nachlässigkeit, weder den Fremden noch sie vorzustellen, geschweige denn den Jungen. Ein Geduldspiel? Abwartend lehnte Mara sich zurück.

Der König versuchte sein Schmunzeln zu verbergen. „Ihr habt viel gelernt, unbjita, und nicht allein von Lorana. Ihr fragt nicht?“

„Euer Zug, Majestät.“

Der König wandte sich amüsiert lachend an den Grauhaarigen. „Ist sie nicht reizend? Irgendwann, wenn ich ein wenig Zeit und Muße habe, werde ich mit ihr Schach spielen. Und verdammt aufpassen müssen, die junge Dame ist raffiniert.“

Der König winkte einem Bediensteten, Mara Tee einzuschenken. „Würdet Ihr mir eine Frage beantworten, Mara?“

„Es geht ihm gut, Majestät. Das Wetter ist wirklich nicht ideal für einen derartigen Ritt, Eichhörnchen schmecken wohl auch nicht sonderlich lecker, aber es geht ihnen verhältnismäßig gut.“

„Danke.“ Gedämpft lächelte der König, den Kopf gesenkt, bevor er wieder aufsah. „Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen, und wenn ich etwas für Euch tun kann, müsst Ihr es nur sagen. Ich schulde Euch etwas.“

„Aber doch nicht …“ Verwirrt sprang Mara auf. „Majestät, ich …“ Sie war den Tränen nahe, wusste nicht einmal, warum, wusste nichts zu sagen, nichts zu tun. Der König meinte sehr viel mehr als nur diese kleine Auskunft, sprach von den zurückliegenden Ereignissen, von ihrem Verhalten. Vielleicht hatte sie nicht alles falsch gemacht. Hilflos schaute Mara ihn an. „Ihr schuldet mir nichts, Majestät.“

„Euch ist bewusst, dass es beleidigend ist, mir zu widersprechen.“

Sie grinste rasch. „Majestät können mich ja rausschmeißen.“

„Ja, das könnte ich. Bloß würde ich mich nur ungern um das Vergnügen Eurer Gesellschaft bringen. Ich … Ah, ich glaube, ich habe Euch noch nicht den Schwertmeister Jon vorgestellt.“

Respektvoll verneigte sich Mara. „Es ist mir eine große Ehre, Meister.“

„Jon, die Zauberin Mara I’Gènaija.“

Der Grauhaarige, Jon, reichte Mara die Hand und nickte ihr grüßend zu. „Ich muss gestehen, ich habe bisher nur wüste Gerüchte über Euch gehört. Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Mara. Der Junge dort ist mein Sohn Janek.“

* * *

„Tessa!“, rief Lucinda halblaut und kam Tessa auf dem dämmrigen, weiten Flur entgegen, haschte nach deren Handgelenk. „Magst du nicht ein Stückchen mit mir kommen? Wir haben schon so lange nicht mehr miteinander geplaudert.“

„Gern.“ Tessa vermied es, sich nach Hauptmann Minto umzudrehen; sie hatte andere Pläne gehabt. Aber Lucinda war eine Freundin.

„Schön. Was hast du mit dem Hauptmann zu schaffen?“ Lucinda hakte sich bei ihr ein und dirigierte Tessa in einen geschmackvoll möblierten Raum. Regen, in den sich einige Schneeflocken mischten, trommelte gegen die hohen Fenster.

„Nichts“, wehrte Tessa ab. „Hauptmann Minto hat sich nur erkundigt, wie es mir geht. Ich hatte neulich darüber geklagt, wie sehr mir Reik fehlt.“ Es war noch nicht einmal gelogen, trotzdem fühlte sich Tessa bei ihren Worten schuldig. Doch die hielten Lucinda von weiteren Fragen ab.

Ihre Freundin kicherte albern, als sie Tessa neben sich in einen bequemen Sessel zog. „Mir würde ja Hauptmann Alek mehr zusagen, der ist nicht nur größer, der sieht auch besser aus.“ Lucinda verzog trotzig die vollen Lippen. „Und bestimmt sagst du mir jetzt gleich, ich solle nicht so reden.“

„Ich sage doch gar nichts.“

„Aber insgeheim machst du mir Vorwürfe! Jeder macht mir Vorwürfe“, klagte Lucinda.

„Ich mache dir keine Vorwürfe, Lucinda, ich verstehe es bloß nicht. Und es macht mich traurig zu sehen, wie enttäuscht und … ja, unglücklich Sandar ist. Weißt du eigentlich, wie sehr du ihn mit deiner Absage gekränkt hast?“

„Sandar, immer nur Sandar“, ereiferte sich Lucinda. „Ihm geht es doch gut, ich … Ich bin ihm völlig gleichgültig, es ging ihm nie um mich, immer nur um diesen Vertrag! Aber ich … Es wird Krieg geben, Tessa, hat dir das dein Bruder nicht oft genug gesagt?! Mein frisch angetrauter Ehemann wäre in den Krieg gezogen, während ich …“ Lucinda drückte die Hand vor den Mund, sprach nicht weiter.

Tessa musterte Lucinda irritiert. „Ich glaubte, du hast Sandar gemocht? Welchen Unterschied macht es denn, ob ihr verheiratet seid oder nicht?“

„Ich habe ihn gemocht, ich mag ihn immer noch, sogar noch viel mehr, auch wenn dein geliebter Vetter mich jetzt hasst, aber … Ich will keine Witwe mit dickem Bauch sein, Tessa, ich bin noch nicht einmal zwanzig!“, schrie sie verzweifelt.

„Das ist doch überhaupt … Lucinda, nicht!“ Tröstend legte Tessa die Arme um ihre schluchzende Freundin. Sie dachte nicht an den bevorstehenden Krieg, vermied jeden Gedanken daran, obwohl die Massen von Soldaten in der Festung, noch vielmehr in der Stadt von nichts anderem kündeten. Minto würde in den Krieg ziehen, Sandar, Leif, Reik. Ja, Reik würde als Winterkönig … Aber noch war Reik auf seiner Suche, war er nicht Winterkönig, und Tessa konnte weiterhin die Augen verschließen. Nicht daran denken.

„Es ist doch Unsinn, so zu denken, Lucinda. Du weißt nicht, was passieren wird. Dann müsstest du dich ja vor dem ganzen Leben fürchten.“ Und vermutlich tat Lucinda genau das: sich vor dem Leben fürchten.

Tessa hielt ihre Freundin eine Weile im Arm und wiegte sie sanft. „Stell dir vor, wie es wäre, Hauptmann Alek zu küssen.“

Schniefend hob Lucinda den Kopf. „Wieso Alek?“

„Na, du hast doch von ihm geredet. Stell dir vor, er würde dir seine Zunge in den Mund stecken, ohne auch nur zu fragen“, wiederholte Tessa.

„Also, ich weiß nicht“, zweifelte Lucinda. „Kannst du dir das vorstellen?“

„Nein“, antwortete Tessa ehrlich. Sie mochte Hauptmann Alek nicht. „Der ist so steif und streng, der küsst bestimmt überhaupt nicht.“

„Keine Ahnung“, kicherte Lucinda. „Wie sollten ihn mal fragen.“

* * *

Ich kauere auf dem harten Steinboden, frierend, nackt. Über mir ragt der zornige Gott auf, zischt, flucht, droht mir. Meine Wange schmerzt. Er hat kein Recht, mich zu schlagen. Ich hebe den Kopf. Einhalt gebietend strecke ich die Hand aus, doch nutzt er die Gelegenheit, um meinen Arm zu packen und mich dicht an sich zu ziehen. Zu dicht, enger als angemessen, unanständig nah. Es ist nicht richtig, das, was wir machen, in einem Tempel zu tun. Seinem Tempel.

Mara stöhnte im Schlaf, sie wollte nicht träumen, nicht das, nicht, wenn Davian neben ihr lag.

Mit einem Ruck war sie wach und setzte sich auf, atmete viel zu hastig. Schweigend beobachtete Davian sie, das Gesicht halb unter seinem Arm verborgen. Der Schein des ersterbenden Kaminfeuers tanzte flackernd über seinen nackten Oberkörper und Mara biss sich auf die Lippen, ballte die Fäuste, um ihn nicht zu berühren, ihn nicht gierig zu küssen.

Er lachte leise, erstaunt. „Was ist denn mit dir los?“

„Ich habe geträumt, nicht … Nicht das erste Mal“, berichtete Mara stockend. „Seitdem ich krank in den Häusern lag, träume ich immer wieder diesen einen Traum. Außer in der Nacht, als du neben mir gelegen hast. Ich habe gehofft, es würde jetzt aufhören, weil ich … Ich habe mich geirrt.“

Sacht streichelte Davian ihren Handrücken. „Schlimm, dein Traum?“

„Nein, das eigentlich nicht. Eher seltsam. Es ist kein richtiger Traum, mehr …“ Sie beendete den Satz nicht, fuchtelte bloß ziellos mit den Händen herum. Sorgte für etwas mehr Licht.

„Möchtest du davon erzählen?“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf, die Lippen zusammengepresst. „Nein, besser nicht. Nicht so genau.“

„Was heißt?“

„Manche Einzelheiten … Es wäre mir unangenehm.“

„Verstehe. Du musst nicht alles sagen. Falls du überhaupt etwas sagen willst.“

„Ja, ich …“ Mara zögerte, suchte nach Worten. „Er ist wütend. Der zornige Gott. Ich bin in seinem Tempel und er ist wütend, auf mich. Unbeherrscht, gierig, er benimmt sich wie ein wildes Tier.“

„Der zornige Gott?“, wiederholte Davian fragend.

„Der Jäger.“

„Der Jäger, so.“ Davian verzog das Gesicht. „Was meinst du damit, dass es kein richtiger Traum ist? Was dann?“

„Es … geschieht tatsächlich.“

„Während du neben mir liegst?“

Hilflos zuckte Mara die Schultern, sie konnte es nicht erklären. „Dieser Ort, der Tempel, ich kenne ihn, ich erkenne ihn wieder, aber ich war nie da! Und …“ Nur eine Ahnung, der Hauch einer Ahnung, aber sie traute sich nicht, sie auszusprechen. Und Davian kannte den Tempel unter dem Tempel nicht, konnte ihn gar nicht kennen. „Wenn ich ihn dir beschreibe, dann …“

„Wozu soll das gut sein? Ich kenne nicht viele Tempel, Mara, und schon gar keine, die dem Jäger geweiht sind.“

„Trotzdem, vielleicht … vielleicht wüsste ich dann …“

Seine Stimme klang ungeduldig, fast verärgert. „Was wüsstest du dann?“

„Was es bedeutet. Und wo dieser Ort liegt.“

„Ah ja?“ Davian musterte Mara eindringlich, eine Augenbraue skeptisch angehoben. „Du tust es ja sowieso, also erzähl. Beschreib mir deinen Tempel.“

„Seinen Tempel, ich habe keinen. Es ist ein düsterer, karger Ort, völlig schmucklos, die Wände sind … Doch, sie sind bearbeitet, ein wenig geglättet, trotzdem erwecken sie den Eindruck, Teil einer Höhle zu sein. Einer hohen, weiten Höhle. Der Boden ist eben, aber rau unter den Knien, ein … sehr rauer, körniger Stein, dunkelfleckig. Fackeln an den Wänden und unter der Decke hängen Öllampen, an Ketten, je fünf an jeder Seite auf dem Weg zum Altarstein. Ein grober, kantiger Klotz Felsgestein, zweieinhalb Schritt lang, anderthalb breit, die Seiten und die Oberfläche unregelmäßig, kaum geglättet, nur …“

„Warte, Mädchen …“, unterbrach Davian sie. „Du bist zu schnell.“

„Wie bitte?“

„Ich kann mir das nicht alles merken. Kannst du zeichnen?“

Mara musste an die Zeichnungen denken, die Davian ihr gezeigt hatte. Dachte verlegen an ihre eigenen mühsamen Versuche, die sorgfältig abgezeichneten Bildchen von Pflanzen und Blüten und schüttelte verneinend den Kopf.

Davian erhob sich und verließ das Schlafzimmer, kam gleich darauf mit einem Stoß Papier, einer Unterlage und einem kohligen Stück Holz zurück, setzte sich mit überkreuzten Beinen aufs Bett. „Wie breit ist der Tempelraum im Verhältnis zur Länge und zur Höhe?“

Mara runzelte die Stirn. „Also, der Raum ist deutlich länger als breit, aber nicht wirklich rechteckig, die hintere linke Ecke ist etwas zu … zu nah. Etwa acht, neun Schritt breit, knapp fünfundzwanzig lang, die Decke ist rund sechs Schritt hoch. Zu den Seitenwänden hin abgesenkt, dort sind es nur etwa viereinhalb Schritt. Die hintere Wand ist wie ausgebeult, hinter dem Altar, und dort, nicht ganz in der Mitte, ein Stück weiter rechts, öffnet sich ein Gang. Wie ein dunkles Maul, ein halbhoher Bogen …“

Zu ihrer Verwunderung zeichnete Davian auf zwei Blättern gleichzeitig. Fasziniert sah sie ihm zu. Ein Bild zeigte den Tempelraum, wie er von oben aussehen würde, das zweite den Blick von vorn. „Du machst das gut.“

Er grinste zurückhaltend. „Na ja. Säulen?“

„Nein, keine Säulen.“

Davian nahm sich ein drittes Blatt. „Dann den Altar, oder Altarstein, wie du sagst. Zweieinhalb auf anderthalb?“

„Ja, und gut einen Schritt hoch. Aber die Kanten sind nicht sehr sorgfältig bearbeitet. Oder gar nicht, auf jeden Fall sehr unregelmäßig. Scharfkantig. Unterhalb der Oberkante sind Zeichen eingeritzt, eingemeißelt, in der Alten Sprache …“ Brummend reichte ihr Davian das Hölzchen, gar kein Holz, sondern eine Art Zeichenstift, berührte dabei wie zufällig ihr Knie. „Musst du machen, Zauberin, ich kenne die Alte Sprache nicht.“

„Oh. Ja.“ Mara kniff die Augen zusammen, zeichnete sorgfältig die Schriftzeichen ein. „Es ist nicht ganz vollständig, fürchte ich, das Licht war zu schlecht. Zu dunkel. Hier in der Mitte fehlt was.“

„Er stand davor?“

Verlegen schaute Mara ihn an, nickte. „Er stand davor.“

„Sonst noch was?“, wollte Davian wissen. „Vielleicht die Lampen?“

„Das sind schlichte Schalen aus … Kupfer, ja. Je drei feinere Ketten führen zu einer stärkeren Kette, mit der die Lampe befestigt ist.“

„Und überhaupt kein Schmuck, nichts an den Wänden?“, wunderte sich Davian. „Auch keine Fenster?“

„Nein, nichts.“

„Scheint tatsächlich eine Höhle zu sein“, murmelte er.

„Ursprünglich.“

„Ursprünglich.“ Er nickte grimmig und legte Papier, Stift und Unterlage zur Seite. „Du warst hier im Bett.“

„Ja. Ich war die ganze Zeit hier im Bett.“ Ein wenig entspannter, beruhigt, obwohl es dafür keinen triftigen Grund gab, lehnte Mara sich zurück und blinzelte ihn an. „Du machst das häufiger, nicht wahr? Zeichnen?“

„Wenn ich was habe, das sich zu zeichnen lohnt.“

„Und das wäre?“

Vielsagend breitete er die Arme aus, zog dann Mara eng an sich. „Schlaf gut.“

Viele Leute hielten sich nicht mehr in dem Gasthaus in der Nähe des Osttores auf, und so fiel es Mara leicht, Davian an dem Tisch in der hinteren Ecke auszumachen. Er saß allein, im Halbdunkel, vor sich eine Weinflasche und einige leere kleine Gläser, und sah nicht auf, als sie sich still zu ihm setzte, schwieg. Irgendwann griff er zur Flasche und trank einen Schluck, fuhr sich nachlässig mit dem Handrücken über den Mund. „Damit war zu rechnen, nicht? Die beiden haben dir nichts entgegenzusetzen.“

Seine Stimme war schwer vom Alkohol, klang aber immer noch recht verständlich. Mara zuckte die Achseln, roch an einem der kleinen Gläser. Sehr scharf. „Branntwein?“

Er nickte bedächtig, schaute sie noch immer nicht an. „Geht schneller und ist billiger, als wenn ich mich allein mit Wein betrinke.“

„Aye.“ Mara deutete auf seine blutigen Fingerknöchel, erahnte eine Schramme quer über seiner rechten Wange; seine Kleidung war fleckig und wirkte unordentlich. „Du hast dich auch geprügelt?“

Davian zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Wieso auch?“

„Dass du dich betrinkst, sehe ich.“

„Ah. Ja. Der Kerl wurde unverschämt, glaubte, er könne sich eine Meinung erlauben.“

„Und er war nicht allein.“

„Stimmt.“ Mit zusammengekniffenen Lidern betastete er Kinn und Wange, lachte grimmig. „Er hatte ein paar Freunde dabei.“

„Aber du warst allein.“

„Finden sich immer ein paar, die mitmachen. Nicht, dass ich nicht allein mit denen fertig geworden wäre.“

„War es denn notwendig? Sich deswegen zu prügeln, meine ich?“

Und plötzlich war seine Stimme sehr hart, klang eisig. „Er hat dich beleidigt.“ Trank einen weiteren langen Schluck aus der Flasche.

„Ich verstehe.“

„Tust du das? Viele Kerle reden über dich, und wenn sie mit anderen Kerlen zusammen sind, noch ’n bisschen mehr trinken, wird ’s ziemlich dreckig.“

Mara biss sich auf die Lippen. „Bereust du es schon?“

„Was denn?“

„Mir einen Antrag gemacht zu haben. Und jetzt noch mein überstürzter Einzug ... Ich könnte es verstehen. Von einem Tag auf den anderen musst du dich nach jemand anderem richten, du kannst, in deinem eigenen Haus, überhaupt nicht mehr allein sein, du bist genervt, weil überall meine Sachen herumliegen, ärgerst dich über meine Unordnung, und …“

„Wie bitte? Nun mal langsam, Mädchen“, Davian blickte sie an, die Augen glasig, blutunterlaufen und sehr müde, sein Blick unstet. „Das denkst du doch nicht wirklich?“

„Ich … Aber warum dann? Warum gehst du weg und betrinkst dich? Warum sagst du mir nicht, was los ist?“

„Warum?“ Behutsam strich er über ihre Wange, wirkte abwesend. „Du bist so schön, so unfassbar schön, Zauberin. Du bist viel zu gut für mich, du verdienst einen anderen, einen viel besseren Mann, du … Du bist so jung, Mara.“

„Aber …“

„Psst, nicht.“ Er legte ihr zwei Finger auf die Lippen, beugte sich vor. „Darüber habe ich nachgedacht, darüber musste ich nachdenken. Allein. Darüber, dass ich gern noch ein paar Jahre warten würde mit dem Heiraten, nur wissen wir beide, es geht nicht. Wir können keine Jahre mehr warten.“

„Davian, du musst …“

„Ich will, Mara. Ich will, dass du meine Frau wirst. Aber hast du dir das gut überlegt? Wir stehen kurz vor einem verdammten Krieg und ich bin Soldat.“ Mara fühlte sich an einen anderen Abend erinnert, als er ihren Blick suchte und festhielt, Davian sie derart intensiv anschaute, dass ihr fast schwindelig wurde.

„Als Gardehauptmann werde ich vorn an der Spitze reiten, zentrale Position. Die übliche Vorgehensweise.“

Abwehrend schüttelte Mara den Kopf. „Du … Der Krieg hat noch nicht einmal begonnen und du redest von der üblichen Vorgehensweise?“

„Was glaubst du, was wir den ganzen Tag machen? Mit dem Schwert rumfuchteln und Leute beeindrucken?“, höhnte Davian. „Sicher gibt es, für den Fall einer Schlacht auf ebenem Gelände, eine übliche, grundsätzliche Vorgehensweise, die den Gegebenheiten wenn nötig angepasst wird.“

„Das heißt?“, fragte sie nach.

„Das heißt, die Garde übernimmt die Mitte, linke Flanke die Grenztruppen, also dein Freund Remassey, rechte Flanke … hm, Jon und Hauptmann Sadurnim mit der Reiterei vom Nordtor, möglicherweise noch Sandars Einheit dazu, ist noch nicht entschieden.“

„Und das ist alles?“

„Nein“, wehrte er ab, „aber Einzelheiten werde ich dir weder hier noch heute erläutern, Mädchen. Das ist kein Gesprächsthema für ein Gasthaus, und ich bin … betrunken.“

„Ja? Du redest nicht so.“

„Ich gebe mir Mühe, Teuerste. Sind dir …“ Er packte ihre Hand, legte ihr die andere in den Nacken und zog Mara nah zu sich, küsste sie grob. „Nicht umdrehen, die beiden Kerle am vorderen Tisch aufgefallen?“

„Der mit der Kapuze und der dunkelhaarige mit dem dunklen Mantel? Könnten die …“

„Aye, haben schon ein paar Mal her geguckt. Jede Wette, dass das die Kerle sind, die Ron und Jula neulich getroffen haben.“

„Warum sollten die her schauen?“, wunderte sich Mara.

„Was weiß ich? Du fällst halt auf. Vielleicht … Les und Marten stehen nicht zufällig draußen?“

„Ich habe ihnen nahe gelegt zu gehen. Du fängst aber nicht noch eine Schlägerei an?“

„Wär’ keine so gute Idee, ich kann nicht mehr geradeaus laufen. Und wer passt dann auf dich auf?“

„Ich kann allein auf mich … Was tust du? Nimm sofort die Hand da weg!“ Mehr überrascht denn wütend stieß Mara ihren Stuhl zurück und sprang auf, sah Davian entgeistert an, der sie dreist angrinste. „Gefällt dir nicht?“

„Ganz sicher nicht hier, ich brauche keine … Oh.“ Sie ahnte, was Davian bezweckte. „Verdammter Scheißkerl!“

„Du reagierst großartig.“ Entspannt lehnte Davian sich zurück. Hob die Hände, eine Hand, in der anderen hielt er die Weinflasche, und grinste den großen Mann, der neben Mara getreten war und beruhigend ihren Oberarm berührt hatte, spöttisch an. „Alles in Ordnung, das Mädchen ist bloß ein bisschen empfindlich.“

Der Mann hielt locker einen zugespitzten Stab in seiner Rechten und trat drohend einen weiteren Schritt auf Davian zu. Er war wirklich sehr groß und hatte annähernd schwarze Haut, schob die Kapuze zurück. Sein Schädel war kahl rasiert. „Ihr lasst besser sofort die junge Frau in Ruhe. Und Ihr entschuldigt Euch bei ihr.“

Seine Stimme war sehr tief, erstaunt sah Mara den Mann an. „Ihr sprecht Südländisch?“

Der Fremde musterte sie eingehend, bevor er antwortete. „Ihr offenbar auch.“ Mit dem Kopf deutete er auf Davian. „Und er?“

Ich weiß nicht. Allerdings Ostländisch.“

Der Fremde verzog das Gesicht und blickte zu dem zweiten Mann im weiten, schwarzen Mantel, der ebenfalls näher getreten war. Zu nah. „Sprecht Ihr Ostländisch, Sakar?“

Der Dunkelhaarige, Sakar, schüttelte ablehnend den Kopf. „Scheußliche Sprache, weit schlimmer noch als Südländisch.“

Mara runzelte die Stirn, beide sprachen Südländisch, allerdings mit Akzent, und übersetzte für Davian, der dem kurzen Wortwechsel gelassen gelauscht hatte, die Flasche noch immer in der Hand.

Er lachte rau. „Hat er auch gesagt, was er tut, wenn ich es nicht mache?“

„Nein, aber ich meine, du solltest es dabei belassen“, mahnte Mara. „Du weißt jetzt, was du wissen wolltest.“

„Und du?“

Sie nickte sacht. „Ich weiß nicht, ob sie kämpfen können, aber sie sind … mächtig.“

Davians Gesichtsausdruck blieb unverändert. „Beide?“

„Ja.“

„Interessante Situation. Sag ihm, ich entschuldige mich. Aber heiraten werde ich dich trotzdem.“

„Soll ich das wirklich?“

„Jepp. Wörtlich.“

Achselzuckend übersetzte Mara. Der große Fremde betrachtete sie irritiert. „Geht er immer den schwierigen Weg?“

Das war der leichtere Weg. Er hat auch kurz erwogen, eine Schlägerei anzufangen.“

Wie bitte, eine Schlägerei? Aber warum denn …“

Sakar mischte sich ein, musterte Mara herablassend. „Der Kerl ist womöglich einer von diesen Elitesoldaten?“

Sie sah keinen Grund, das zu verheimlichen. „Gardisten, ja. Hauptmann Davian.“

Sogar ein Hauptmann.“ Sakar nickte Davian zu, deutete eine knappe Verbeugung an. „Ich bin Sakar, von Erian Jasa. Oder, wie man hier sagt, den Inseln jenseits des Meeres. Mein Begleiter, der so gern hübsche junge Frauen aus vermeintlich unangenehmer Lage rettet, nennt sich Liz-Rasul. Aus Sulantra Né, weit im Süden dieses Kontinents.“

Nachdem Mara übersetzt hatte, erhob sich Davian unterdrückt schwankend, was ihm einen weiteren verächtlichen Blick von Sakar einbrachte. Davian grüßte sehr formell, die Faust gegen die linke Brustseite gedrückt. „Is’ mir ein …“, er rülpste, „… besonderes Vergnügen. Das schöne Kind heißt Mara und hilft mir, den Heimweg zu finden.“

Er kam hinter dem Tisch hervor, seine Schritte doch sehr unsicher, und legte Mara besitzergreifend den Arm um die Schultern. „Jetzt.“

Der dunkelhäutige Fremde, Liz-Rasul, trat ihm in den Weg. Mara schüttelte entschieden den Kopf, noch bevor er etwas sagen konnte. „Lasst. Es ist in Ordnung.“

Ihr kennt den Mann?“

Sie lächelte verhalten. „Jeden Tag ein bisschen besser.“

Auf der Straße, sie hatten kaum die übernächste Ecke erreicht, nahm Davian den Arm von ihrer Schulter, stützte sich an eine Hauswand und übergab sich würgend in den Schnee.

„Wie betrunken bist du eigentlich?“, erkundigte sich Mara.

„Sturzbetrunken, allein müsste ich nach Hause kriechen. Schade um den Wein, so schlecht war der gar nicht.“

„Sie halten dich für einen Säufer.“

„Das tun viele. War‘n die beiden Kerle tatsächlich so was wie Zauberer?“

„Ja. Bist du einer? Ein Säufer?“

„Frag mich das, wenn ich nüchtern bin. Du hast das Bett heute Nacht für dich allein, ich schlafe unten, im vorderen Zimmer. Da steht noch die alte Couch rum.“

Irritiert sah Mara ihn an. „Aber wieso, ich …“

„Verdammt, ich bin besoffen, ich weiß nicht mehr, was ich tue! Darum!“

* * *

Liz folgte den beiden in einigem Abstand. Er musste es einfach tun, auch wenn Sakar dagegen war, auch wenn er nicht wusste, was genau er tun würde, wenn der Mann dem Mädchen gegenüber handgreiflich werden würde. Der Mann war Soldat, ein Hauptmann der Garde, wenn er das Mädchen richtig verstanden hatte, und die waren … Alle Nordländer standen im Süden in einem schlechten Ruf, waren verhasst und gefürchtet, sie galten als blutrünstige, grausame Barbaren. Sakar hatte die manduranischen Gardisten zudem wiederholt als Elitesoldaten bezeichnet. Aber der Mann war auch dermaßen betrunken, dass er nicht mehr allein gehen konnte, die junge Frau musste ihn stützen.

Ihr Lächeln war sehr anziehend. Eine Hure, wie Sakar glaubte, und dass der Mann und die Frau sich offenbar kannten, widersprach dieser Theorie nicht im Geringsten. Auch nicht die Tatsache, dass sie sehr jung und sehr schön war, und doch … Ihr Auftreten, ihr Verhalten war nicht das einer Dirne, und der Mann, eigentlich die Frau, hatte vom Heiraten geredet. Vielleicht ein seltsamer manduranischer Scherz.

Liz folgte ihnen bis zu einem Haus an einem nicht weit entfernten, kleinen Platz, in dem beide verschwanden.

Er war nicht sonderlich überrascht, nur einen Augenblick später Sakars spöttische Stimme hinter sich zu hören. „Und, genug gesehen?

Ihr wolltet doch nicht mitkommen.“

Ich will gleichwohl nicht, dass Ihr in Schwierigkeiten geratet, mein Freund.

Ich sehe keine Schwierigkeiten.“

Nein?“ Sakar lachte. „Ihr habt ein wenig unüberlegt gehandelt, meint Ihr nicht?

Das Mädchen …

Sehr hübsch, zugegeben. Der Kerl muss eine Menge Geld haben. Oder andere Vorzüge.

Ich glaube nicht, dass sie eine Hure ist.

Dann lasst es, träumt noch ein bisschen länger von ihrem Lächeln und der Zartheit ihrer Haut. Aber lasst Euch nicht von dem Kerl erwischen, der sah mir nämlich nicht danach aus, als würde er viel Spaß verstehen.

Ein Gardist. Hauptmann“, bemerkte er sinnend.

Ihr wisst, was das bedeutet, Liz.

Gut möglich, dass wir ihm in der Festung erneut begegnen.“ Er fuhr sich nachdenklich über den kahlgeschorenen Schädel. „Hauptmann Davian.

* * *

Mara hatte das Frühstück vorbereitet, Tee gekocht, noch ein paar Nüsse für den Haferbrei gehackt und überlegte gerade, ob sie Davian wecken sollte, als der in der Küche erschien. Die Füße nackt, das Hemd zerknittert, sein Gesicht bleich, mürrisch, die Lider schmal zusammengekniffen. „Verdammt hell hier.“

Draußen war es noch dunkel. „Drei Kerzen und das Herdfeuer?“

Er brummte etwas, ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. „Danke für die Waschschüssel und das feuchte Tuch.“

„Du musst dich nicht bedanken.“

„Nur bei dir entschuldigen?“

„Das hast du gestern bereits getan“, wehrte sie ab.

„Ja. Um dich dann anzubrüllen.“

Mara reichte Davian einen Becher, bemüht, nicht über den Kater zu stolpern, der ihr um die Beine strich. „Hier, trink, in kleinen Schlucken. Das sollte gegen deine Kopfschmerzen helfen.“

Grimmig betrachtete er den Becher, roch skeptisch am Inhalt. „Riecht komisch, was ist das?“

„Nun, gewissermaßen Tee. Sehr starker Tee.“

„Aha. Schmeckt seltsam … bitter. Und das soll helfen?“

Achselzuckend setzte sie sich zu ihm an den gedeckten Tisch, nahm sich vom Haferbrei. „Da ist noch mehr. Viel trinken hilft. Und ich meine Tee.“

Davian verzog das Gesicht zu einem schwachen Grinsen. „Bin ich jetzt dein Patient?“

„Nein, aber ich hatte Unterricht, warum sollte ich das nicht nutzen?“

Der Kater sprang auf die Bank und kletterte von da aus auf ihren Schoß, wo er es sich gemütlich machte.

„Vermutlich schlägst du mir gleich vor, ich sollte etwas essen“, grummelte Davian. „Möglicherweise von dem Haferbrei?“

„Wenn du magst. Ich könnte dir auch Eier machen, mit gebratenem Speck. Ich habe gesehen, da ist noch welcher im Vorraum.“

„Das würdest du tun?“

Verwundert blickte sie ihn an. „Ja, warum denn nicht? Du siehst aus, als könntest du was vertragen.“

„So schlimm?“

„Elend.“ Rasch stand Mara auf – der Kater maunzte vorwurfsvoll –, holte Eier und Speck aus dem Vorraum und machte sich am Herd zu schaffen. „Dauert nicht lange.“

Davian beobachtete sie schweigend, schenkte sich sogar Tee nach. „Der schmeckt gar nicht mal schlecht.“

„Du kannst ein bisschen Honig drangeben, wenn er dir zu bitter ist.“

„Nicht nötig, ich mag ihn so. Bitter.“

„Oh, dann …“ Sie stellte den Teller mit gebratenen Eiern und Speck vor ihn. „Bitte, dein Essen.“

„Das ging wirklich schnell, ich danke dir.“ Er lächelte sie zurückhaltend an, schaute auf den Teller. „Ist eine … große Portion.“

„Du bist ja auch ein großer Mann. Davian?“

Sorgsam schnitt er eine dicke Scheibe Brot ab, sah nicht auf.

„Warum tust du das? Dich absichtlich derart betrinken?“

„Vielleicht bin ich ja ein Säufer?“

Schweigend musterte Mara ihn, streichelte abwesend den Kater.

„Keine gute Antwort, ich weiß. Manchmal … manchmal ist dann das Leben leichter, wenigstens für kurze Zeit. Die Antworten auf schwierige Fragen sind einfacher zu finden, die Probleme nicht mehr so drängend, im Grunde gleichgültig. Solange man … ich betrunken bin. Die Dinge sind nicht mehr so wichtig.“

Er hob den Kopf, begegnete ihrem Blick. „Warst du jemals richtig betrunken?“

„Nicht so wie du.“

„Dachte ich mir. Alkohol betäubt, den Schmerz, die Sinne, du spürst … empfindest nicht mehr so viel, und wenn, ist es dir egal. Gleichgültig.“

„Aber warum …“

„Mara, ich hätte dir wehgetan und ich hätte es nicht einmal gemerkt! Ich … ich begehre dich, begehrte dich auch gestern Nacht, ich hab’ dich so sehr gewollt, aber ich hätte mich aufgeführt wie ein Schwein, wie ein verdammter Dreckskerl. Ich hätte dich vergewaltigt, und nicht nur einmal, und es wäre mir egal gewesen!“

Mara schluckte und sah ihn nicht an, streichelte nur weiter mit zitternden Händen den Kater. „Du hast unten geschlafen.“

„Ja. Gestern. Ganz ernsthaft, Mara, du solltest noch mal gründlich darüber nachdenken, ob du mich heiraten willst.“

„Ich habe Ja gesagt.“

„Ich weiß, und ich Idiot … Bitte, denk darüber nach!“, drängte er.

Zögernd nickte sie. „Ich denke darüber nach. Bist du ein Säufer?“

Davian kniff die Augen zusammen. „Ich glaube nicht. Noch habe ich mich so weit unter Kontrolle, dass ich weiß, wann ich besser aufhöre. Und dann höre ich auf. Noch weiß ich, was ich tue. Aber wenn ich so weitermache, dann werde ich …“

„Dann werden wir beide mit den Konsequenzen leben müssen“, murmelte Mara erstickt.

„Du wolltest …“

„Verdammt, wie kannst du nur so einen Scheiß reden?!“ Abrupt sprang Mara auf, der Kater verlor einmal mehr seinen Ruheplatz, starrte Davian wutentbrannt an. „Wie kannst du auch noch glauben, was du sagst?! Du verdammter Mistkerl, wie kannst du mir so etwas erzählen und mir dann noch raten, ich solle darüber nachdenken?! Du allein bist verantwortlich für deine Handlungen, für deine Taten, nur du!“

Davian hatte sich gleichfalls erhoben. „Nun, wenigstens sagst du nicht: ‚Ich danke dir für deine Offenheit’.“

„Für diesen Dreck?!“

„Mach den Herd nicht kaputt, Mädchen. Und lass die Pfanne stehen!“

„Ha!“ Sie stellte die Pfanne hart auf den Herd zurück, sie lag eh nicht gut in der Hand, riss die Schüssel mit dem Haferbrei vom Arbeitstisch und warf sie nach Davian. Nicht gut gezielt, er wich mit Leichtigkeit aus, verzog das Gesicht, als die Schüssel krachend gegen die Wand prallte und zersprang. Scherben und Brei rutschten von der Wand, verteilten sich auf Bank und Fußboden; zur Freude des Katers.

„Du bist wütend, Zauberin.“

„Überaus wütend, versuch nicht, mich abzulenken!“

Schwer atmend stand sie mitten in der Küche, wusste nicht, wie weiter. Sie war zornig, sie bebte vor Wut, doch sie würde nicht nah genug an Davian herankommen, um ihn schlagen zu können. „Verfluchter, versoffener Scheißkerl!“

„Mehr fällt dir nicht ein? Komm her!“, verlangte er.

„Nein! Du hältst mich bloß fest, weil du Angst hast, ich würde dich schlagen!“

„Ich habe keine Angst vor deinen Schlägen, nun komm schon her.“

„Das ist ein Trick. Du willst ja nur, dass ich in deine Nähe komme.“

„Klar, was denkst du? Du möchtest doch in meine Nähe kommen.“

Misstrauisch beobachtete Mara ihn, die Fäuste noch immer geballt. „Bild dir bloß nichts ein, ich … Bleib stehen!“

Er lachte, kam einfach auf sie zu. „Und wenn nicht?“

Mara schlug zu, einmal, mit der flachen Hand. Dann hielt Davian sie unerbittlich fest, drückte sie an sich. „Musste das sein?“

„Hast du mir doch beigebracht. Schlag dahin, wo es wehtut. Tut es weh?“

„Wie hast du es so treffend formuliert? Wir werden beide mit den Konsequenzen leben müssen.“

„Pah, du verdammter …“

Grob presste Davian den Mund auf ihren Mund und küsste sie hart, unbeherrscht. Ließ irgendwann ihre Arme los, so dass Mara sie um seinen Hals, seinen Oberkörper schlingen konnte. Sie hungerte, gierte nach seinen Küssen, seinem Körper, danach, von ihm angefasst zu werden, und zerrte sich hastig das Hemd über den Kopf, drängte sich an ihn, riss vor lauter Ungeduld an seinem Hemd und hörte ihn heiser lachen. „So wütend, Zauberin?“

Mara drückte ihr Gesicht an seine Brust, sie wollte ihn schmecken, seine Wärme, seinen Herzschlag spüren, noch enger, noch näher. „Oh, mach, bitte! Fass mich an, Davian, fass mich an!“

„Mara, ich …“

„Mach! Worauf wartest du?“

„Sag nicht, du hättest Gefallen am Küchentisch …“

„Es ist mir gleich, wo, nur jetzt! Davi …“ Etwas klirrte, krachte, weiteres Geschirr auf dem Küchenboden, Mara hörte noch Davians heisere Stimme dicht an ihrem Ohr. „Du putzt nachher die Küche.“

Dann nur noch ein Strudel von Empfindungen, ein einziger Rausch.

(212. Tag, 1. Herbstmonat)

König und Dämon

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