Читать книгу Bauphysik-Kalender 2022 - Nabil Fouad A., Nabil A. Fouad - Страница 55
3.2.4 Hilfsmodelle zur vereinfachten Berücksichtigung spezieller hygrothermischer Effekte
ОглавлениеWir sind von unseren Fahrzeugen gewöhnt, dass bei geschlossenen Fenstern und Türen auch beim stärksten Unwetter kein Wasser in die Fahrgastzelle gelangt – zumindest dann, wenn sie relativ neu sind. Das gleiche gilt für ungewollte Luftströmungen durch die Fahrzeughülle. Gebäude sind jedoch keine Fahrzeuge. Die Gebäudehülle ist weniger maßhaltig, die Qualitätsüberwachung ist weniger ausgefeilt, die Materialien und ihre Verarbeitung sind kostengünstiger. Trotzdem erwarten wir von unseren Gebäuden eine deutlich höhere Lebensdauer, eine größere Zuverlässigkeit und mehr Komfort bei gleichzeitig weniger Pflege und größeren Wartungsintervallen. In den meisten Punkten werden diese Erwartungen dennoch erfüllt, allerdings müssen wir lernen, gewisse Abstriche bei der absoluten Wasser- und Luftdichtheit der Gebäudehülle zu machen. Dieselbe Dichtheit wie bei Fahrzeugen ist hier schlicht und einfach unmöglich, wie schon in den Abschnitten 2.1.4 und 2.1.6 diskutiert. Das liegt jedoch nicht am ungeeigneten Material oder unmotivierten Bauhandwerkern. Im Gegenteil, hier können wir große Fortschritte verzeichnen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Klebeverbindungen am Bau nie vollständig luftdicht sein können und Fensteranschlüsse selten völlig wasserdicht. Selbst wenn es gelingen würde, zu Beginn eine perfekte Dichtheit herzustellen, dann bedeutet dies leider nicht, dass dieser Idealzustand von langer Dauer sein muss. Das zeigen die Erfahrungen aus 70 Jahren bauphysikalischen Freilandversuchen.
Beurteilungsmodelle, die davon ausgehen, dass die Gebäudehülle perfekt luft- und wasserdicht ausgeführt ist, sind daher realitätsfern. Dass sie in der Vergangenheit trotzdem oft zuverlässige Ergebnisse geliefert haben, hat vor allem zwei Gründe: Erstens weisen viele Bauteile ein ausreichendes Trocknungspotenzial auf, sodass durch kleinere Fehlstellen noch keine Schäden entstehen. Zweitens bewirken manche Leckagen nicht nur eine zusätzliche Befeuchtung, sondern ermöglichen auch eine verbesserte Trocknung. Raumluftinfiltration, die im Winter zu Tauwasserbildung führt, kann bei höheren Temperaturen im Sommer auch die Rücktrocknung beschleunigen. Dennoch erscheint es etwas fahrlässig, davon auszugehen, dass schon alles gut gehen wird. Das zeigen die zahlreichen Feuchteschäden, die von Sachverständigen gerne dokumentiert und veröffentlicht werden. Dabei scheinen einige Konstruktionen, wie z. B. unbelüftete Flachdächer in Holzbauweise besonders betroffen zu sein [45] oder Holzbauwände mit Wärmedämm-Verbundsystemen [46]. Schäden an diesen Konstruktionen haben dazu geführt, nicht nur praktische Lösungen für diese Konstruktionen zu erarbeiten, sondern auch die feuchtetechnischen Beurteilungsmethoden zu verbessern. D. h. es wurde versucht, neue Ansätze in die vorhandenen Feuchteschutzbemessungsmodelle zu integrieren, die eine Berücksichtigung der feuchtetechnischen Auswirkungen von unvermeidbaren Fehlstellen zulassen.