Читать книгу Pages - Die Zeilen meines Lebens - Nadine Stenglein - Страница 8
Begegnungen
Оглавление„Ich sehe aus wie ein Wischmopp, und das ist allein deine Schuld, Charles“, knurrte Helena, nachdem sie das mächtige gusseiserne Tor passiert hatten, hinter dem sich das herrschaftliche Anwesen im Nobelviertel Chelsea erstreckte. Ein Springbrunnen zierte das gepflasterte Rondell vor dem Treppenaufgang zur großflächigen Terrasse mit dem barocken Geländer, über die man nach hundert Schritten zur halbbogenförmigen Tür mit dem goldenen Löwenknauf in der Mitte gelangte, vor dem Amy als Kind immer Angst gehabt hatte. Nun fand sie ihn nur noch hässlich. Dafür mochte sie die rund geschnittenen Buchsbäume und all die bunten Blumen, die in dem parkähnlichen Garten wuchsen, der die Villa und das Rondell mit einem anschließenden Parkdeck umgab. Der Springbrunnen in der Mitte war neu.
„Wasserspeiende Geier. Meine Güte“, flüsterte Charles, der seinen Wagen auf dem Parkplatz zwischen hochpolierten Luxusschlitten parkte.
„Wunderschön. Genauso einen wollte ich auch immer. Charles, erinnere mich daran, wenn wir wieder zu Hause sind. Jedenfalls schöner als noch mehr Rosen“, sagte Helena und prüfte noch einmal ihr Haar im Innenspiegel. Währenddessen stiegen Charles, Amy und Geri aus. Dann reichte Charles seiner Frau ein in Goldpapier verpacktes Päckchen, das Geschenk für Amber.
„Was schenken wir ihr denn eigentlich?“, wollte Amy wissen.
„Trüffelpralinen und einen sehr guten Tropfen.“
„Den bräuchte ich jetzt selbst“, flüsterte Charles, was Amy und Geri kurz auflachen ließ.
„Was ist nur los mit dir heute?“, echauffierte sich Helena. Charles tat, als hätte er es nicht gehört.
„Wow. Dieser Luxus erschlägt einen förmlich“, flüsterte Geri, die sich umblickte.
„Allerdings“, gaben Charles und Amy zugleich zurück und musterten mit verzogenem Mundwinkel den Brunnen.
„Will sich deine Mutter wirklich ein Denkmal setzen?“, fragte Geri leise zu Amy gewandt, entschuldigte sich aber sogleich dafür. Natürlich, wusste diese, hatte sie auf die wasserspeienden Geier angespielt, die Helena so beeindruckten. Amy musste schmunzeln und winkte ab.
Charles hängte sich bei ihr ein. „Du siehst übrigens wunderschön aus“, flüsterte er und lächelte anschließend Geri zu. „Und du auch.“
„Danke, Mr. Reed.“
„Hallo, habt ihr mich vergessen?“, hörten sie eine sich erneut echauffierende Helena hinter sich. Sofort klinkte sich Charles aus und eilte zu ihr.
Sein Wagemut war mit einem Mal verpufft, und er wirkte wieder wie ein Hündchen, was Amy traurig machte. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte sie sich öfters gegen ihre Mutter gewehrt. Sie hakte sich bei Geri unter. „Schritt für Schritt“, sagte sie dann, wohl auch zu sich selbst.
Eine Angestellte Ambers und deren Mannes Winston öffnete ihnen die Tür in einem schwarzen knielangen Kleid, weißer Schürze und einem ebenso weißen Häubchen. Dazu trug sie blickdichte Strümpfe und bequeme Pantoffeln. Mit einem unechten Lächeln auf den Lippen lud die beleibte ältere Dame zur Einkehr ein. Seit Amy denken konnte, hatten Amber und Winston einen Stall voller Angestellten, die alle das Gleiche trugen. Bei Herren bevorzugten sie einen schwarzen Anzug und ein schneeweißes Hemd, dazu polierte Schuhe. Die meisten, musste Amy zugeben, waren äußerst attraktiv, wohingegen Winston weniger zu schmachten hatte, was merklich kein Zufall war. Schließlich war Amber die Personalchefin und sah eindeutig einen Sinn hinter ihrer Einstellungspolitik.
„Herzlich willkommen. Mrs. und Mr. Chantler erwarten Sie bereits“, sagte die Frau und machte sogar einen leichten Knicks, was Helena sichtlich genoss.
„Das müssen wir auch einführen“, flüsterte sie ihrem Mann zu, als sie danach Ambers Angestellten durch den ovalen, mit hellem Marmor ausgelegten Eingangsbereich folgten, in dessen Mitte ein mit weißen Lilien geschmückter Flügel stand.
„Ich wette, auf dem hat noch nie jemand gespielt“, sagte Amy leise.
Plötzlich zog ihre Mutter sie zur Seite. „Am besten, ihr hakt euch ab hier auseinander“, erklärte sie.
„Weshalb? Haben Sie Angst um die Blumen?“, wollte Geri wissen und legte die Stirn in Falten.
Amy hob eine Braue. Sie konnte sich nicht verkneifen zu antworten: „Nein, weil sie sonst vielleicht denken, wir sind Lesben. Richtig, Mutter?“
Helena hielt kurz die Luft an. „Es reicht bereits ein Skandal in der Familie. Selbst mich haben Leute schon einmal darauf angesprochen. Und Geraldine hat ja auch noch keinen Mann oder Freund“, erklärte sich Helena flüsternd und ging voran, um sich bei Charles einzuhängen.
„Lächeln, Charles“, forderte sie.
„Ich komme mir vor wie in einer schlechten Komödie“, gab Geri zu, was Amy absolut nachempfinden konnte. Gleichzeitig fragte sie sich, woher ihre Mutter wusste, dass Geri wieder Single war. Das interessierte diese ebenfalls.
„Ich habe ihr jedenfalls nicht erzählt, dass ihr euch getrennt habt. Das steht fest.“
Geri nickte. „Das glaube ich dir. Zwischen Mark und mir war die Luft raus. Ich bin froh, dass wir Freunde bleiben.“
„Was wirklich selten ist.“
Geri zuckte mit den Achseln. „Na ja, wir werden sehen, ob es klappt. Nun will er erst einmal seine Weltreise machen.“
„Wo bleibt das Catering?“ Die gehetzte Stimme, die von der anderen Seite durch die zweiflüglige Bogentür drang, war Amy nur zu gut bekannt. Sekunden später wurde die Tür geöffnet, und Amber stolzierte in ein silbergraues Tüllkleid gehüllt auf sie zu. In ihrem Schatten gingen zwei Männer. Ihrer Bekleidung nach gehörten sie zum Personal.
„Wir kümmern uns umgehend darum“, versprach einer von ihnen und winkte seinem Begleiter zu, schneller zu gehen. Ambers verhärmter Gesichtsausdruck wich einem gekünstelten breiten Lächeln, wobei sie ihre gebleichten Zähne vollends zur Schau stellte.
„Oh, meine Lieben. Schön, dass ihr gekommen seid. Ein paar aus unseren Reihen sind schon anwesend“, säuselte sie und klimperte mit ihren künstlichen, überlangen Wimpern. Danach breitete sie die Arme aus und ließ sich von Charles Beglückwünschen und Wangenküsschen zur Begrüßung geben, gefolgt von Helena.
„Meine Güte, siehst du gut aus, Amber“, flötete diese.
Amber winkte ab. „Nun ja. Mir geht es fantastisch, das hält jung. Das wünsche ich dir und deiner Familie auch, Schwesterlein.“
Helena lächelte trotz des kleinen Seitenhiebs weiter und ergriff eine von Charles Händen. „Wir können nicht klagen. Nicht wahr, Schatz?“
Charles nickte nur, während sich Amber bereits Amy und Geri widmete, die sie ebenfalls beglückwünschten.
„Sieh an. Ich hätte nicht gedacht, dass du aus deinem Schneckenhaus kommst. Träumst du immer noch so gern, Amylein?“, wollte Amber wissen.
„Für dich habe ich einmal eine Ausnahme gemacht, Tante Amber“, gab Amy freundlich zurück.
Amber lachte. „Und du hast eine reizende Freundin dabei. Ihr zwei seid ja fast im Partnerlook, was den Stil angeht. Hat das etwas zu bedeuten?“ Sie blinzelte.
„Wollen wir nicht erst einmal hineingehen?“, unterbrach Helena ihre Schwester.
„Jetzt? Wo es so spannend wird?“, wollte Amber wissen.
Nicht nur Amy wusste genau, worauf ihre Tante hinauswollte, weshalb sie dieser sogleich den Wind aus den Segeln nahm.
„Geri ist meine beste Freundin, Tante Amber.“
„Und sie studiert Psychologie. Sehr erfolgreich“, setzte Helena hinzu.
„Oh, ich dachte schon …“, lachte Amber. Helena hatte sichtlich Mühe sich zusammenzureißen.
„Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich höchstwahrscheinlich schon in Amy vergucken. Aber ich stehe nur auf Männer, bin aber wahnsinnig froh, Amy als Freundin zu haben. Alles Gute zum Geburtstag, Mrs. Chantler.“ Mit diesen Worten übergab Geri Amber die Blumen. Die nahm sie mit gespitzten Lippen an, hielt sie aber eine Armlänge von sich entfernt. Helena lachte unecht. „Geraldine ist nicht nur schlau, sondern auch gern witzig.“
Amy und Charles grinsten, während Geri freundlich und gelassen blieb. Zumindest äußerlich. Am liebsten hätte Amy sie für ihre Worte umarmt und ihr einen Knutscher auf die Stirn gedrückt.
„Wie geht es denn deinen Söhnen?“, fragte Charles und erntete dafür einen kleinen Tritt gegen das Schienbein seitens seiner Frau. Seine kleine Revanche brachte ihn trotzdem zum Schmunzeln, als er Amys und Geris verschmitztes Lächeln sah. Schnell reichte er dem Geburtstagskind das mit Goldfolie verpackte Geschenk. „Für dich, von uns, liebe Amber“, sagte Helena.
Wenig interessiert nahm Amber es entgegen. „Danke. Unseren Söhnen geht es großartig. Sie können nur leider nicht kommen.“ Amber übergab einem Angestellten die Geschenke und winkte ihn sogleich weiter. „Zu viele geschäftliche Verpflichtungen. Ja, sie sind eben sehr ehrgeizig, können sich vor Aufträgen kaum noch retten.“
Charles zog die Brauen hoch.
„Wie schön“, zwitscherte Helena.
„Und du arbeitest immer noch als Floristin, Amylein?“, wollte Amber wissen.
„Wer ist denn schon alles da?“, rief Helena überschwänglich.
„Sind die Blumen aus dem Laden, in dem du arbeitest, Amy?“, fragte Amber weiter.
„Ja. Geri und ich fanden sie passend und …“, bemerkte Amy. Sofort winkte ihre Tante ab. „Nun ja. Ich bin jedoch allergisch gegen Orchideen.“
„Oh, das wusste ich nicht, Tante Amber.“
„Seit wann das denn? Ich meine, seit wann bist du dagegen allergisch?“, fragte Charles.
„Seit ein paar Wochen. Schrecklich ist das. Pusteln, Fieber … Unerklärlich.“
Um das Ganze zu unterstreichen, nieste sie zweimal. Helena hängte sich bei ihr ein. „Das ist ja wirklich schrecklich.“ Sie warf einen Blick zu ihrer Tochter. „Wenn man dich schon einmal etwas aussuchen lässt, Amy. Dieses Gemüse aus dem Laden taugt sowieso nicht viel“, zischte Helena. Geri verdrehte kurz die Augen, während Amy sich auf die Innenseite ihrer rechten Wange biss, um nicht laut loszuschreien.
„Kommt, meine Lieben.“ Amber winkte sie mit sich. „Dennoch vielen Dank, dass ihr euch merklich so viele Gedanken wegen eines Geschenks gemacht habt.“ Die Ironie entging wohl keinem.
Geri pustete Luft aus, sobald Helena und Amber ihnen den Rücken gekehrt hatten. „Das ist ja noch schlimmer, als ich dachte“, flüsterte sie. Charles schüttelte den Kopf und zeigte nach rechts. In einer Ecke hatte er einen ganzen Schwamm mit frisch gesteckten Orchideen entdeckt.
„Typisch.“ Amy entfuhr ein Seufzen.
„Du weißt ja, wer es gesagt hat. Vergiss es. Weißt du was: Wir essen etwas, und dann betrinken wir uns. Oder besser, wir essen nichts und betrinken uns gleich“, schlug Geri vor.
Der Saal war mit Rosen geschmückt. Kronleuchter hingen von der gewölbten Decke. Der ganze Raum erinnerte an ein Schloss, was dieses Haus im Grunde ja auch war. Jemand spielte Mozart an einem weißen Flügel, der inmitten des Raumes auf einem Podest stand. Amber führte ihre Schwester und deren Anhang zu den Gästen, die Champagnergläser in ihren vornehmen Händen hielten und sich gepflegt unterhielten, merklich ihr Umfeld im Blick behaltend und die Ohren auf interessante Neuigkeiten ausgerichtet.
„Die meisten kenne ich gar nicht. Vor so mancher Feier konnte ich mich drücken“, flüsterte Amy Geri zu.
„Verständlich. Ich glaube, nicht mal am Hof der Queen geht es derart steif zu.“
„Die Rosen sind jedenfalls wirklich hübsch“, sagte Amy, hielt bei einem Bukett, das auf einem der runden Tische lag, inne und roch daran. Es war mit Muscheln besetzt, die an eine von Tante Ambers Lieblingsinseln erinnern sollten, auf der sie und Winston ein Ferienhaus besaßen.
„Die hätte dein Chef beziehungsweise du noch schöner gemacht“, sagte Geri so laut, dass es ein paar Leute hören konnten, was anscheinend auch ihre Absicht war.
Amy lächelte. „Dankeschön. Lieb von dir.“
„Nur die Wahrheit, Amy.“
In regelmäßigen Abständen fiel ihre Mutter jemandem dezent in die Arme und vergab oder erntete Wangenküsschen. Amber hatte sich unterdessen wieder einen ihrer Angestellten geschnappt und ertränkte ihn mit einem Wasserfall aus Worten. Die Tische am rechten Rand, die für das Catering vorgesehen waren, waren noch immer leer.
„Ist das nicht Mrs. Doctor Rosenthal?“, rief eine ältere Dame Amy ins Ohr, deren Garderobe an ein Sahnetörtchen erinnerte. Beherzt nahm sie Amys Hände und drehte sich einmal mit ihr. „Natürlich, natürlich. Freddy. Mrs. Rosenthal ist hier.“ Sie ließ los und winkte einem Mann, der am Stock ging und auf sie zuwankte. Wie seine Frau trug er eine Brille mit runden Gläsern.
„Entschuldigung, wenn ich …“, stotterte Amy irritiert.
„Mrs. Rosenthal ist doch schon lange tot, Emma“, erinnerte der Mann seine Frau mit sanfter Stimme. Verdutzt blickte die Dame erst ihn und dann Amy an, tätschelte anschließend ihre Wangen.
„Aber sie lebt doch, Freddy. Hier, kneif mal.“
Augenblicklich wich Amy zurück, lächelte aber.
„Ich glaube, Sie verwechseln mich.“
„Das tut sie in der Tat. Sie sieht öfter Personen von früher. Wissen Sie, sie war Ärztin und …“, erklärte der nette Herr.
„Das bin ich doch immer noch, Freddy.“
„Natürlich, Liebes, natürlich.“
„Wiedersehen, Mrs. Rosenthal“, rief Emma, während ihr Mann sie wegführte.
„Wiedersehen“, erwiderte Amy und winkte ihr. Kurz darauf stießen ihre Eltern zu ihnen.
„Meine Güte. Das war eine Freundin Ambers. Wenn du einmal so wirst, Charles, dann …“ Sie schluckte den Rest des Satzes.
„Dann was, Mutter?“, wollte Amy wissen und erinnerte sich an June.
„Na endlich“, hörten sie Amber und ihren Mann zugleich ausrufen.
„Ja, was dann?“, wollte Charles von Helena wissen, die nur abwinkte.
Inzwischen war das Catering gekommen. Zwei Männer und eine junge Frau servierten es auf silbernen Tabletts. Winston kam Helena entgegen. „Es sollte eigentlich schon längst da sein. Jetzt wird es vor den Gästen aufgetragen. Ein Skandal“, sagte Winston.
„Es kann eben nicht immer alles perfekt laufen“, entgegnete Helena.
„Du musst es ja wissen“, gab Winston mit einem Blick auf Amy zurück, der diese traf wie ein kleiner Stromschlag. Ob Holly auch so eine nette Familie gehabt hat? Die Geschichte blieb in ihrem Hinterkopf verankert. Tante Amber kehrte zurück, nachdem sie allen erklärt hatte, was sie zu tun hatten, damit alles zu ihrer Zufriedenheit war. Die zu erreichen schien allerdings praktisch unmöglich.
„Das Dessert ist ganz und gar anders, als ich es wollte. Stell dir das vor, Winston. Wenn du nachher den Scheck ausstellst, dann ziehst du mindestens dreißig Prozent ab. Verstanden?“
Er wurde rot. „Natürlich, Schatz. Das ist ja unerhört.“
„Gibt es Probleme?“, fragte eine junge Frau in einem giftgrünen, langen Abendkleid, das Haar streng zu einem Dutt frisiert, die knallrot geschminkten Lippen, wie beinahe alle hier, zu einem Dauerlächeln verzogen. Es war eine weit entfernte Cousine Winstons, soweit Amy sich erinnern konnte.
„Aber nein, Charleen. Alles in bester Ordnung“, flötete Amber. „Und, Amy? Hast du schon eine bessere Hälfte gefunden, oder bist du immer noch auf der Suche? Die letzten Versuche gingen ja gehörig daneben, wie man so hörte.“
Wie schön, dachte Amy, dass sie mich als Puffer benutzt, um ihre Wut hinunterzuspülen. „Noch nicht“, antwortete sie.
„Dachte ich mir“, lachte Amber.
„Die Betonung liegt auf noch. Denn Verehrer hat sie genug“, gab Geri zurück.
Amber hob die Brauen. „Ach, wirklich? Ist jemand darunter, den man kennen sollte?“
Bevor Amy und Geri sich eine Antwort überlegen konnten, hallte ein Klirren durch den Raum. Augenblicklich stieß Amber einen entsetzten Schrei aus und presste sich eine Hand gegen die Brust.
„Mein armes Herz“, flüsterte sie und rauschte von dannen. Winston folgte ihr.
„Es ist unglaublich. Jedes Mal muss man sich billig rechtfertigen. Wenn du nur anders wärst, mit ein bisschen mehr Mühe, dann bräuchte ich mich nicht so zu schämen. Also lüg gefälligst besser“, zischte Helena ihrer Tochter zu. „Ich lüge nicht, Mutter.“ Helena weitete die Augen.
Im Hintergrund hörte Amy scheltende Worte ihrer Tante gegenüber dem Catering-Service, die sich mit dem Gelächter einiger Gäste vermischten. Helena fixierte Amy mit zuckenden Mundwinkeln. Charles wollte etwas sagen, doch Helena hob einen Finger, was ihn zum Schweigen brachte. Obwohl Amy so einiges auf der Zunge lag, hielt sie sich wieder zurück, konnte nur den Kopf schütteln. Der ängstliche Ausdruck in den Augen ihres Vaters brachte sie dazu. Am Ende hätte Helena ihre Wut vor allem wieder an ihm ausgelassen, und das wollte Amy auf jeden Fall vermeiden.
„Ich hole mir etwas zu trinken. Kommst du mit, Geri?“, schlug sie stattdessen vor.
Geri entwich ein Seufzen. „Da hilft nicht einmal mehr Gedankenstopp“, sagte sie auf dem Weg zu einem der Kellner.
„Mich wundert es, dass mein Vater heute manches Mal aufmüpfiger war als sonst.“ Nachdenklich kaute Amy auf ihrer Unterlippe.
Geri lachte kurz. „Aufmüpfig? Das ist gut. Die liebe Helena weiß doch, dass sie bei euch über Grenzen gehen kann.“
Amy nickte und nahm sich zwei Gläser Champagner von einem Tablett, das ein Kellner an ihnen vorbeijonglierte. Sie dankte ihm, was ihn sichtlich erstaunte.
„Deine Mutter hätte dich dafür wahrscheinlich schon wieder halb umgebracht. Willst du wirklich ewig so weitermachen?“, bemerkte Geri.
Amy seufzte. „Du weißt doch. Dad und …“ Sie stockte, als sie plötzlich den jungen Mann vom Markt entdeckte, der direkt neben Amber stand und mit ihr diskutierte.
„Was ist? Hast du einen Geist gesehen?“, wollte Geri wissen.
Amy bekam keinen Ton heraus. So viel Zufall konnte es doch nicht geben. Oder? Ein Lächeln wanderte über ihre Lippen, als sie an ihren Zusammenstoß dachte, der wie die Anziehungskraft zweier Magneten angemutet hatte, würde man dem Ganzen einen Tick Romantik beimessen. Bei Gott, sie konnte nicht verhehlen, dass er auch von Weitem attraktiv aussah. Das weiße Hemd trug er halb geöffnet, die eng anliegende Jeans zeichnete einen durchaus wohlgeformten Po. Mit seinem dunklen Haar und dem braunen Teint sah er ein wenig aus wie ein Südländer, wogegen sein Akzent durch und durch der eines eingesessenen Engländers war. Nun, vielleicht waren ja seine Eltern aus dem Ausland. Spanien? Italien?
Leicht zuckte sie zusammen, als Geri sie anstupste, und verschüttete etwas von ihrem Champagner.
„Kennst du den Typen etwa, den du gerade so anstarrst und der dich, ohne es zu wissen, zu hypnotisiert haben scheint?“, fragte Geri und spitzte die Lippen.
Amy erschrak. „Was?“
Sofort löste Amy den Blick von ihm und linste zu Geri, die sie mit vor Spannung geweiteten Augen musterte.
„Na komm schon. Mach mir nichts vor.“
Schnell zog Amy ihre Freundin in eine andere Ecke des Raums. Auf dem Weg dorthin erklärte sie ihr von der mehr oder weniger schicksalhaften Begegnung, ließ das Buch jedoch außen vor.
Geri staunte nicht schlecht. „Wow, das klingt ja äußerst spannend. Und er sieht wirklich heiß aus. Ich glaube, der arbeitet für diesen Catering-Service.“
Amy spähte an ihr vorbei durch die Menschenmenge. Tatsächlich trug er gerade ein neues Tablett zu den Tischen.
„Warum versteckst du dich? Sage doch Hallo“, schlug Geri vor. „Aber das geht ja nicht, ich Dussel.“
„Wieso?“, entfuhr es Amy.
„Deine Mutter würde dich rupfen wie ein Hühnchen, wenn ihr wieder zu Hause wärt. Ihre Tochter kennt jemanden vom Personal persönlich. Obwohl kennen ja zu hoch gegriffen ist. Wenn sie wüsste, dass du ihn auch noch attraktiv findest.“
So ungern sie es zugab, Geri traf voll ins Schwarze.
„Granny June hätte es sicher erst recht getan“, flüsterte sie.
„Okay. Was hältst du davon, ihm nachzugehen, wenn er das Haus verlässt? Wie zufällig? Oder aber du riskierst …“
„So, wie ich es eben gesagt habe“, schallte Ambers Stimme zwei Oktaven höher durch den Saal. Geri und Amy zuckten zusammen. Tantchen lächelte ihren Gästen übertrieben zu.
„Das Personal. Nie zuverlässig. Aber ich habe alles im Griff, meine Lieben.“
Die, die Ambers Ankündigung gehört hatten, nickten lachend. Ganz anders als der junge Mann, dessen Gesichtsausdruck zeigte, dass er seine Auftraggeberin alles andere als witzig fand. Dennoch ging er seiner Aufgabe weiterhin besonnen nach, was Amy beeindruckte. Sie an seiner Stelle wäre sicher hibbelig geworden und hätte Patzer gemacht. Schließlich hielt er seine Kollegen an, besprach etwas mit ihnen und verschwand dann nach draußen.
„Dein Einsatz. Los jetzt“, sagte Geri und schob sie voran.
„Er wird sich freuen, wenn er erfährt, dass der Drache meine Tante ist. Lassen wir es lieber“, wandte Amy ein.
„Du hast nur kalte Füße“, lachte Geri, die selbst gespannt war, wer dieser Mr. Unbekannt war.
Ein vorbeigehender Kellner kam genau richtig. Amy stellte ihr leeres Glas auf das Tablett, das er mit einer Hand jonglierte, und nahm sich ein neues. Danach begab sie sich mit Geri auf den Pfad der Verfolgung. Im Hof vor der Treppe endete die Spur. Amy hielt Geri zurück, die bereits die Stufen hinabgehen wollte, und versteckte sich mit ihr neben einer großen Kübel-Palme, die sie beide gut verdeckte. Zumindest dachten sie das.
„Das ist albern“, flüsterte Geri.
„Ich weiß. Aber du sagst doch immer, man soll nach seiner Intuition handeln. Das tue ich.“
„Habe ich das wirklich gesagt?“
Amy sah sie ungläubig an.
Geri verzog einen Mundwinkel. „Ja, habe ich. Blöder Rat. Also in dem Fall.“
„Kann ich vielleicht helfen, oder hat Sie die Señora geschickt, weil Sie mich beobachten? Dann richten Sie ihr bitte aus, dass sie keine Angst zu haben braucht. Wir heißen nicht umsonst Mason`s Catering – Spitzenqualität aus Leidenschaft. Ich bürge für meinen Namen.“
Amy stockte der Atem, und Geri sah ganz genauso aus. Der junge Mann vom Markt stand nur ein paar Schritte von ihnen entfernt, als hätte er sich geradewegs zu ihnen gebeamt. Er kam ganz um die Palme herum. In den Händen hielt er eine Schüssel voller Zuckerblumen. Sie funkelten in der Sonne, die hinter buschigen Wolken auftauchte.
„Dann sind Sie der Chef dieser Cateringfirma?“, brachte Amy gerade noch heraus. Geri und sie lächelten, was er nicht erwiderte. Stattdessen begann er vor sich hin zu nuscheln.
„Die alte Schachtel hat sich nicht verändert“, glaubte sie herauszuhören. Führt er öfters Selbstgespräche? Egal – sie fand ihn immer noch attraktiv. Anscheinend hatte er nicht zum ersten Mal mit Amber zu tun.
„Der ist süßer als seine Cremeschnittchen, die ich im Vorbeigehen auf den Tischen gesehen habe“, flüsterte Geri, nachdem er weitergegangen war.
„Er erkennt mich nicht mal mehr“, sagte Amy enttäuscht. Geri drehte sich Richtung Haus, als sie die Stufen hinabsteigen wollte.
„Was für ein Mann! Und er versteht auch noch etwas vom Backen und Kochen“, schwärmte Geri. Etwas, womit sie auf Kriegsfuß stand. Sie konnte, aber hasste es. Ganz im Gegenteil zu Amy.
„Frage ihn, ob er Back- und Kochkurse gibt. Du wolltest es doch schon lange lernen“, schlug Geri dann vor.
„Das letzte Mal, als ich Dad mit einem eigenen Geburtstagskuchen überraschen wollte, habe ich fast die Küche abgefackelt. Dabei las es sich so kinderleicht in diesem Buch. Also lieber nicht.“
Geri schob sie weiter. „Dann lag es anscheinend am Buch. Sicher war der junge Mann nur in Gedanken und hat dich deshalb nicht erkannt. Deine Tante kann einen aber auch fertig machen. Und ich kenne sie erst wenige Minuten.“
„Er denkt, wir sind Schnüfflerinnen, Geraldine.“
„Genau. Und das stellen wir nun klar. Besser gesagt, du stellst es klar. Er kommt sicher gleich wieder. Also, schön langsam gehen. Aber bitte, sprich meinen Namen nicht aus. Geri reicht, klingt viel cooler.“
Amy musste lächeln, als sie ihr ernstes Gesicht sah.
„Na, siehst du. So gefällst du mir schon besser“, erwiderte Geri.
„Warte, ich schaue mal, was genau auf den Bussen steht“, sagte sie dann.
Geri blickte Richtung Haus. „Okay. Aber mach schnell.“
Amy nickte und machte sich auf den Weg. In einer modernen, weiß angehauchten Silhouette, die wohl eine Rose darstellen sollte, stand tatsächlich Mason`s Catering – Spitzenqualität aus Leidenschaft, dicht darunter eine Telefonnummer, Adresse und der Name des Inhabers: Ben Mason.
„Ben also, aus Belsize Park in London“, flüsterte sie und eilte zu Geri zurück, um ihr das Forschungsergebnis mitzuteilen.
„Ich kenne das Stadtviertel. Es passt zu dir. Grün und eher ruhig. Gefällt mir. Ben und Amy. Hat was.“
Amy versetzte ihrer Freundin einen Stoß gegen die Schulter, woraufhin diese sie mit sich nach drinnen zog.
„Musst du mich immer schlagen?“, beschwerte sich Geri gespielt.
Gespannt schauten beide nach Ben und entdeckten ihn bei seinen Mitarbeitern, mit denen er letzte Details absprach. Amber hielt sich ein paar Schritte von ihnen entfernt auf. Ihr Mann und Amys Eltern waren bei ihr. So wie es aussah, unterhielten sie sich über Ben, denn Amber deutete zweimal dezent in seine Richtung. Amy hatte keine Ahnung, wie sie den zu einem O geformten Mund ihrer Mutter deuten sollte. Entweder war sie entsetzt über das, was Amber gerade über Ben und sein Team erzählte, oder beeindruckt. Geri jedenfalls kam, zu Recht, wie Amy fand, aus dem Staunen nicht mehr heraus, was das Catering anging. Gemeinsam gingen sie an den Tischen vorbei, vor denen sich ein rotes Seil spannte. Allein die Zuckerrosen zwischen Gläschen mit bunt gefüllter Creme und Biskuit und Karamellgittern als Krönung sahen aus wie aus einem Märchen.
„Mein Gott. Ich würde kugelrund werden, wenn er mein Freund wäre. Außerdem ist er selbst Spitzenqualität“, schwärmte Geri, griff über die Absperrung hinweg und nahm sich eine der Zuckerblüten. Dabei zwinkerte sie Amy zu. Ein absichtlicher Fauxpas, der Wirkung zeigte. Ben hatte es gesehen und steuerte direkt auf sie zu. Amy hatte keine Zeit mehr, etwas zu erwidern.
„Entschuldigung, aber das Buffet ist noch nicht eröffnet. Die Seile sind nicht umsonst platziert worden. Auch wenn es nicht meine Idee war.“
„Oh“, war alles, was Geri dazu bemerkte. Sie biss lächelnd in das kleine Kunstwerk, wonach ihr ein leises Stöhnen entfuhr. Amy spürte, dass sie errötete. Ben atmete tief durch.
„Ich weiß, ich bin nur der kleine Dienstleister. Aber dennoch habe ich auch etwas Respekt verdient. Meinen Sie nicht?“ Er sagte es ruhig, aber bestimmt, und neigte dabei den Kopf leicht zur Seite. Geri schluckte und nickte mit hochgezogenen Brauen.
„Meine Güte, so sollte es nicht rüberkommen. Geri hat nur … Sie war im Unterzucker und das kann schnell in einem Schock enden, wenn sie nicht … also wenn sie nicht in irgendetwas hineinbeißt. Und wirklich …“ Amy ruderte nach weiteren Worten. „Es sieht unglaublich lecker aus. Zauberhaft. Wundervoll. Besonders diese Rosen.“
Geri zeigte auf sie und nickte erneut. „Sie hat absolut recht. Sie haben mir das Leben gerettet. Sozusagen!“
Wenn sie nicht in irgendetwas hineinbeißt, wiederholte Amy gedanklich und ärgerte sich. Was hatte sie da für einen Schwachsinn geredet?
Schon war Amber und damit dicke Luft im Anzug. Die Wolken ließ sie direkt über ihren Köpfen platzen.
„War hier schon wieder etwas unklar? Ich dachte ja, wir hätten uns verstanden, junger Mann. Es kann doch nicht so schwer sein, aufzupassen und die Gäste nett zurückzuhalten, bis ich den Startschuss gebe. Oder?“, zischte sie.
„Entschuldigung, Madame“, sagte Ben.
„Es war meine Schuld“, warf Amy dazwischen.
„Deine, Amy? Wenn, dann meine“, brach es aus Geri hervor.
„Sie heißen also Amy“, sagte Ben.
„Warum? Du hast es meinetwegen gemacht“, erwiderte diese auf Geris Aussage hin.
„Muss ich das verstehen?“, fragte Ben.
„Besser nicht“, stotterte Amy.
„Du bist süß. Nimmst alles auf dich“, erwiderte Geri und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Also doch lesbisch. Ich wusste es“, lachte Amber.
„Nein“, riefen Amy und Geri zugleich. Ben runzelte die Stirn.
Amber winkte ab und sah sich um. „Nun gut. Bevor das hier aus dem Ruder läuft, eröffnen wir das Buffet, und dann verschwinden Sie hier, Mr. Mason. Das war definitiv das letzte Mal, dass ich Ihre Spitzenqualität in Anspruch genommen habe.“
„Mit Vergnügen“, erwiderte Ben.
„Unerhört“, echauffierte sich Amber und stakte zurück zu den Gästen, von denen schon einige zu tuscheln begonnen hatten.
„Die Herrin hat befohlen, das Volk gehorcht. Der Kunde ist König“, sagte Ben zu seinen Mitarbeitern und reichte ihnen eine mit Kristallsteinen besetzte Schere.
Amy und Geri wechselten schuldbewusste Blicke.
„Hören Sie, Ben … Mr. Mason. Es tut mir leid“, stammelte Amy und folgte ihm nach draußen, während seine Mitarbeiter den Rest erledigten.
„Ich brauche Luft“, sagte er zu sich selbst und entledigte sich seines Hemds. Der aufkommende Wind kühlte seinen straffen Oberkörper. Amy wurde mit jeder Sekunde heißer. Sie stoppte ein paar Meter nach der Eingangstür, die langsam hinter ihr ins Schloss fiel. Geri war ihr anscheinend nicht gefolgt. Vielleicht hatte sie Angst, wieder in ein Fettnäpfchen zu treten. Dennoch rechnete sie es ihr hoch an, dass sie es lieb gemeint hatte, sozusagen als Amy-Förderungsprogramm in Sachen Liebesdingen. Ben drehte sich um. „Sie schon wieder!“
„Ich … ich wollte mich nur noch einmal richtig entschuldigen. Für uns beide. Damit meine ich meine Freundin und mich … die wirklich nur eine gute Freundin ist. Also keine Bettfreundin oder dergleichen.“
Wie bescheuert hörte sich das denn bitte an? In seinen Ohren sicher noch einen Tick mehr als in ihren, dachte sie und wollte schon wieder kehrtmachen.
Bens Blick wurde ein wenig weicher. „Angenommen. Man sollte immer verzeihen können.“
Sie nickte und erwiderte zögerlich. „Ja, sollte man.“
Ihre Blicke ruhten aufeinander, und nach ein paar Sekunden zog sich seine Stirn in Falten. Sie konnte seine Gedanken geradezu in seinem Kopf rattern hören. Hatte es Klick gemacht?
„Ich werde mit meiner Tante reden und das alles noch mal klarstellen, Mr. Mason“, versprach sie.
Er schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Ich bin mir zwar sicher, dass sie beim mündlichen oder gar schriftlichen Verteilen der Sterne für mein kleines, aber von Herzen geführtes Unternehmen äußerst sparsam sein wird, aber davon werde ich mich nicht unterkriegen lassen. Das haben schon andere versucht.“
Er kam näher, wobei seine Augen heller zu funkeln begannen. Jedenfalls kam es Amy so vor. Seine Blicke und was er sagte, all das war äußerst interessant und wirkte wahrlich magnetisierend auf sie.
„Moment“, sagte er plötzlich und dieses Mal war er es, der sie anstarrte, was sie verunsicherte.
„Habe ich etwas im Gesicht?“
Er nickte und tippte sich mit einem Finger gegen die Lippen, was sie erschrocken zur Kenntnis nahm. Sofort wischte sie sich mit den Händen über Wangen, Nase, Kinn, Stirn und Augenlider. „Eine Biene, eine Wespe?“, rief sie.
„Sie sind doch diese Frau vom Markt. Nicht wahr? Ja, genau. Das ist ja ein Zufall. Ich habe Sie erst gar nicht erkannt.“
Sofort hielt sie inne und nahm die Hände runter. „Was? … Warum sagen Sie das nicht gleich?“
„Ich stehe sonst nie auf dem Schlauch. Ich meine, weil ich Sie nicht gleich erkannt habe.“
„Na ja. Mit dem Make-up und in dem Kleid bin ich nicht ganz ich selbst“, hörte sie sich sagen.
„Ja, stimmt.“ Nun lächelte er.
Sie schürzte die Lippen. „Vielen Dank, obwohl ich nicht weiß, ob das nun gut ist oder nicht.“ Sie lächelte ebenfalls, wobei sie jedoch ein wenig zusammenzuckte. Ein Teil davon war aufgesetzt, merkte sie, sodass sie die Mundwinkel ein Stück absinken ließ. Nein, das war auch noch nicht ehrlich.
Bleib locker, Herrgott, schimpfte sie sich und spitzte die Lippen, um es danach noch einmal zu versuchen.
„Was wird das?“, fragte Ben.
„Was?“
„Sie wirken so … verkrampft. Und übrigens war es ein Kompliment, wenn Sie es richtig sehen. Auf dem Markt haben Sie mir eindeutig besser gefallen.“
Amy hielt die Luft kurz an, und plötzlich fiel ihr das Lächeln ganz leicht. Nicht zu viel, nicht zu wenig, ehrlich eben. „Danke, das beruhigt mich.“
„Mich auch. Und?“
Sie wurde ernst. „Und was?“
Sein Lächeln wurde intensiver. „Haben Sie ihren persönlichen Schatz noch gefunden?“
Vielleicht gerade eben, dachte sie, schüttelte den Gedanken jedoch ab. Das war doch idiotisch.
„Ja. Ja, allerdings.“
Ben kniff die Augen ein wenig zusammen. „Ehrlich? Das macht mich neugierig. Was ist es, oder wer?“
Dieses Mal hielt sie Luft länger in ihrer Lunge und vergaß beinahe, wie man sie wieder daraus entließ. Ihre Wangen begannen zu glühen. Sie hasste es, wenn man ihr ihre Verlegenheit oder Scham am Gesicht ablesen konnte.
Er nickte. „Also doch ein wortwörtlich persönlicher Schatz.“
„Ben. Wir sind fertig. Lass uns bloß abhauen von hier, sonst kriege ich einen Koller“, unterbrach sie plötzlich die junge Frau aus seinem Team, die, gefolgt von den beiden Männern, das Haus verließ.
Sie hielt bei ihnen inne und verschränkte die grazilen, schlanken Arme vor ihrem durchaus üppigen Dekolleté. Amy fragte sich, ob sie Bens Freundin oder gar Frau war. In dem Moment verließ auch Geri das Haus und kam direkt zu ihnen.
„Das einzig Gute da drin ist das Buffet“, stöhnte sie und legte einen Arm um Amy. Merklich hatte sie in den letzten paar Minuten mehr als ein Glas Alkohol zu sich genommen, denn sie wankte ein bisschen. „Und er … ähm Sie Ben“, fügte sie dann hinzu. Ben lächelte ihr zu. „Vielen Dank.“
„Geri, es tut mir echt leid. Ich bin nur mitgekommen, weil ich mir eine weitere Predigt ersparen wollte. Vor allem aber habe ich es wegen Dad getan. Aber ich weiß, dass ich tief in deiner Schuld stehe, weil ich dich überredet habe mitzukommen“, erwiderte Amy.
Diese winkte ab. „Ich weiß doch. Alles gut. Ach ja. Deine Mutter möchte dich umgehend sprechen.“
Amy seufzte. „Na klasse.“
„Kommst du nun, Ben?“, fragte die junge Frau und verdrehte die Augen. Ben zeigte auf sie.
„Darf ich vorstellen. Das ist Mary-Ann. Meine Stiefschwester.“
„Hallo“, sagten Amy und Geri wie aus einem Mund. Die junge Frau nickte nur uninteressiert.
Ben strich sich mit einer Hand durchs Haar. „Tja. Ich muss dann wohl. War schön, Sie wiederzusehen, Amy.“
Stiefschwester also, dachte Amy erleichtert.
„Gleichfalls“, flüsterte sie, und sie reichten sich die Hände zum wieder viel zu frühen Abschied. Bens Händedruck war stark und dennoch zart, seine Haut weich und gepflegt. Am liebsten hätte sie sie gar nicht mehr losgelassen, tat es dann aber. Den Blick aber konnte sie nicht von ihm nehmen. Auch Geri scannte jeden Millimeter von Ben.
„Geben Sie auch Kurse?“, fragte sie dann.
Die Stirn leicht gerunzelt fragte er: „Ja, warum?“
Sie rieb sich die Hände. „Sehr gut. Meine Freundin hier kocht grauenhaft, und bevor sie mich oder jemand anderen noch damit umbringt, dachte ich, Sie könnten ihr einen Kurs geben. Egal, wie teuer. Ich zahle. Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.“
„Geri, du bist unmöglich“, flüsterte Amy.
Ben schmunzelte. „Eine sehr gute Idee. Ich wollte Ihnen sowieso meine Karte geben. Sie müssen mir noch verraten, wer Ihr Schatz ist, den Sie auf dem Markt gefunden haben.“
Amy wurde verlegen.
„Dein was?“, fragte Geri.
Amy spürte erneute Hitze in sich aufsteigen. „Das darf ich leider nicht verraten.“
Noch einmal kam Ben näher und steckte ihr seine Karte zu. „Anmeldung jederzeit. Einfach anrufen. In Ihrem Fall nehme ich die Vereinbarung natürlich gern selbst entgegen. Ich muss unbedingt herausfinden, was oder wer Ihr Geheimnis ist.“ Er zwinkerte ihr zu, und ob sie wollte oder nicht, es brachte sie zum Lächeln. Einem absolut natürlichen Lächeln, das voller Leben steckte.
„Wow“, bemerkte Geri, als er weg war und seufzte.
„Absolut wow“, schwärmte Amy und schüttelte dann die Trance ab, in die Bens Aura sie getaucht hatte.
„Aber ich muss vorsichtig bleiben. Also, falls ich anrufe, dann … Nein, ich werde nicht anrufen“, sinnierte sie.
„Amy, und ob du da hingehst.“ Geri hakte sich bei ihr unter.
„Warum nicht du? Du findest ihn doch auch … toll.“
„Ja. Aber ich habe Augen im Kopf. Und seine haben nur dich gesehen. Trau dich. Und bitte … vergiss dabei deine Mutter. So, und nun verrate mir dein Geheimnis.“
Amy sah sie an. „Mein Geheimnis ist, es gibt keines.“
„Was? Dann war das nur eine Art Köder?“
Schnell nickte Amy und bekam dafür einen ordentlichen Puffer gegen den Oberarm. „Ganz schön keck.“
„Wer schlägt hier denn nun wen, Geri?“, lachte Amy.