Читать книгу Die Jägerin - Blutrausch (Band 2) - Nadja Losbohm - Страница 10
7. Lauschangriff
Оглавление„Es zerbricht sie, dass sie das Kind weggeben musste. Ich wusste, dass es schwer werden würde. Aber dass es so schlimm wird, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie weint oft fürchterlich. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Mensch in der Lage ist, solche Töne von sich zu geben. Ihr Weinen…es war schrecklich…es war unmenschlich. Sie isst nicht, und sie trinkt nicht. Grundgütiger, ich habe sogar versucht, ihr etwas mit Gewalt hineinzuzwängen!” Pater Michael klang entsetzt und beschämt über sein eigenes Verhalten.
Ich stand an der geschlossenen Tür zu seinem Büro und belauschte sein Gespräch. Ich war mir nicht sicher, ob er telefonierte oder Besuch hatte. Erschrocken zuckte ich zusammen, als er nach kurzem Schweigen wieder sprach. „Sie hat davon gesprochen wegzugehen. Sie will alles aufgeben und hinter sich lassen, was sie begonnen hat. Ich habe sie in ihr Schlafzimmer gesperrt. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte”, bedauerte er sein Vorgehen.
Es wurde wieder still, und ich stellte mir sein trauriges und bekümmertes Gesicht vor, während er am Telefon seinem Gesprächspartner lauschte. Aber dann ertönte eine zweite Stimme hinter der Tür. Es war Mister Hawk, der die ganze Zeit still zugehört hatte, während der Pater berichtete, was in den letzten Tagen geschehen war. „Und wie geht es dir bei alledem?”, wollte mein ehemaliger Nachbar wissen.
In dem Zimmer blieb es lange ruhig, als der Pater über seine Antwort nachdachte. „Es geht mir kaum besser. Ich liege oft nachts wach und weine und trauere um mein Kind. Nun muss ich auch noch um Ada trauern. Mir zerreißt es das Herz, sie so zu sehen. Sie ist doch sonst immer so stark gewesen, Bernard.” Seine Stimme brach bei dem letzten Wort weg. Ich hörte ein leises Schniefen.
„Michael, sie ist stark. Ihr seid es beide”, erwiderte Mister Hawk.
Der Pater lachte verächtlich. „Ich bin nicht so stark wie du und Ada glauben.”
Ich hörte den Schmerz und die Enttäuschung in seiner Stimme. Auf einmal kam ich mir furchtbar egoistisch vor, weil ich mich nie bemüht hatte, ihm zu helfen, und nur an meinen eigenen Verlust gedacht hatte. Nicht einen Gedanken hatte ich daran verschwendet, dass auch er darunter leiden könnte. Und nun machte er sich Vorwürfe, war enttäuscht von sich selbst und schämte sich für die Dinge, die er getan hatte, um mir zu helfen.
„Wenn es so weitergeht, werde ich sie gehen lassen”, fügte Pater Michael mit einem Seufzen hinzu. Er klang gefasster und entschlossen.
Mir stockte der Atem, und mein Herz machte einen Hüpfer. Er würde mich tatsächlich gehen lassen?
„Du liebst diese Frau, Michael. Das würdest du nicht übers Herz bringen”, bemerkte Mister Hawk.
„Ja, ich liebe sie über alles! Mehr als alles andere auf dieser Welt. Aber soll ich zusehen, wie sie sich zu Tode hungert, weil sie sich nach ihrem Baby sehnt und ich es ihr verweigere?” Ich hörte, wie sein Stuhl knarrte, und Schritte erklangen hinter der Tür. Sie waren nervös und unruhig. Mit Sicherheit lief der Pater in seinem Büro auf und ab. „Sie hat sich so sehr verändert. Ich vermisse ihre Stimme, ihr Lachen. Aber nun ist nur noch Stille hier. Wo ist nur das fröhliche Mädchen hin, das mich zum Lachen bringen konnte und das mein Herz eroberte?”, fragte er, aber er erhielt keine Antwort von seinem Gesprächspartner. Aber ich hatte eine!
Aufgebracht stieß ich die Tür auf. Mit Schwung knallte sie gegen die Wand und kam mir wieder entgegen. Ich stoppte sie mit meiner Hand. Pater Michael stand vor dem Wandteppich mit dem Abbild der Heiligen Maria, Mutter Gottes, und sah mich mit offen stehendem Mund und großen Augen an. Mister Hawk saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Paters. Seine Hände lagen mit verschränkten Fingern auf dem Gehstock, von dem ich wusste, dass er ihn in Wirklichkeit nicht brauchte. Mit seinen wässrigen Augen blickte er mich aufmerksam an. Er wirkte nicht überrascht, mich hier zu sehen. Es war unheimlich. Als wenn er wüsste, dass ich hinter der Tür gestanden und gelauscht hatte.
„Ada”, hauchte Pater Michael überrascht und trat auf mich zu. Abrupt blieb er stehen, als er erkannte, wie fuchsteufelswild ich war.
„Du willst wissen, wo das Mädchen ist, in das du dich verliebt hast?”, fragte ich und funkelte ihn wütend an. Er starrte mich nur an, immer noch fassungslos über mein Auftreten, und wahrscheinlich bereute er seine Entscheidung, dass er mich doch nicht wieder eingeschlossen hatte. „Dieses Mädchen gibt es nicht mehr, Michael! Es ist in dem Moment gestorben, als du ihm das Kind weggenommen und es in sein Zimmer gesperrt hast wie eine Gefangene! Du wolltest doch, dass ich erwachsen werde. Und um dich zu zitieren: Ich bin nicht dein Kasper, der dich unterhält!”, warf ich ihm an den Kopf, so wie er es einst mit mir getan hatte. Wütend wirbelte ich herum und knallte die Tür hinter mir zu. Mit stapfenden Schritten stieg ich die Treppe hinunter und verschwand wieder unter der Erde. Das Letzte, was ich hörte, war Pater Michaels Stimme, die flehentlich meinen Namen rief und mich bat, zurückzukommen. Aber ich wollte nicht. Und er folgte mir auch nicht.