Читать книгу Die Jägerin - Blutrausch (Band 2) - Nadja Losbohm - Страница 8
5. Ende der Geduld
ОглавлениеNicht einmal der Schlaf konnte mir helfen, Ruhe zu finden. Die Träume, die ich hatte, waren grausam. Und auch wenn ich mit offenen Augen dalag, sah ich die Bilder noch vor mir. Irgendwann hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren und auch jede Empfindung abgeschaltet. Wie versteinert lag ich in meinem Bett und starrte vor mich hin. Wenn der Pater zu mir kam, um nachzusehen, ob ich seine gemachten Mahlzeiten gegessen hatte, lag ich immer noch genauso da, wie er mich zuvor schon gesehen hatte. Er seufzte dann jedes Mal, weil er feststellte, dass ich wieder das Essen hatte verderben lassen. Aber er gab nicht auf. In regelmäßigen Abständen kehrte er zurück und stellte mir etwas Frisches hin, nur um es wenige Stunden später unangetastet wegzutragen. Dann hörte ich auch den Schlüssel, der sich im Schloss herumdrehte. Er vergaß nie, die Tür zu verriegeln.
Ich saß aufrecht in meinem Bett und starrte auf die Überdecke. Die Muster ihrer Stickereien verschwammen vor meinen Augen. Ich war eine leblose Statue. Ich saß da, ohne mich zu bewegen. Ich aß nicht, weil ich keinen Hunger verspürte. Ich trank nicht, weil ich nicht durstig war. Es hatte keinen Sinn für mich. Nichts hatte für mich einen Sinn. Ich sah nichts Schönes mehr und nichts Gutes um mich herum. Ich spürte nur Kälte.
Pater Michaels Schritte ertönten im Gang vor meinem Zimmer. Die Tür wurde aufgeschlossen, und er trat ein. Er war immer da. Unaufhörlich, ohne etwas von seiner Energie zu verlieren wie ein batteriebetriebenes Spielzeug, kümmerte er sich und wollte mich davon abhalten, zu verhungern und zu verdursten. Für einen Moment blieb er im Rahmen stehen. Wahrscheinlich überraschte es ihn, mich in einer anderen Position vorzufinden als bei seinen anderen Besuchen. Rasch erholte er sich von seiner Verwunderung und kam zum Bett. Geräusche drangen an meine Ohren, die mir sagten, dass er einen Teller auf meinen Nachttisch stellte und dazu ein Glas. Es plätscherte leise, als das Wasser darin hin und her schwappte. „Ich habe dir ein paar Cracker mitgebracht. Bitte versuch doch wenigstens sie zu essen”, bat er mich. Seine Hand tauchte in meinem Blickfeld auf. Zwischen den Fingern hielt er einen Cracker.
Ich machte aber keine Anstalten, ihn zu nehmen. Ich wollte ihm den Gefallen nicht tun. Ich wollte nicht das Essen essen, das er mir anbot. Und ich wollte nicht das Wasser trinken, dessen Bläschen sprudelten, bis es nach Stunden abgestanden war. Pater Michael seufzte und senkte seinen Arm wieder. Ich spürte seine Verzweiflung, und es verschaffte mir Genugtuung.
Ich litt.
Er sollte auch leiden.
Er hatte mir keine Gnade gewährt. Nun tat ich das Gleiche mit ihm.
„Dein Schweigen und dein Verweigern bringen mich noch um den Verstand! Du müsstest dich sehen, Ada! Du bist ganz weiß und hast dunkle Schatten unter den Augen. Deine Wangen sind eingefallen und deine Lippen aufgesprungen, weil du nichts isst oder trinkst”, sagte er mir.
Was war los mit ihm? Gefiel ich ihm so nicht? Es war doch sein Werk!
„Bitte iss doch etwas. Wie sollst du denn wieder gesund werden, wenn du dich so stur verhältst?”, sagte er und hielt mir erneut den Keks vors Gesicht.
Ich ignorierte wieder sein Betteln. Er hatte es auch mit meinem getan. Und wozu sollte ich gesund werden? Was war es nütze, wenn mir das Wichtigste in meinem Leben fehlte? Doch es war einmal zu viel des Guten, und ihm riss der Geduldsfaden. Pater Michael kniete sich neben mich aufs Bett, packte mit einer Hand meinen Hinterkopf und versuchte mit der anderen, den Cracker in meinen Mund zu zwingen. Aber ich biss fest die Zähne aufeinander. Er hatte keine Chance. Das Essen zerbröselte nur zu kleinen Krümeln, die sich über die Decke verteilten. Er zog einen weiteren Cracker aus der Packung hervor und legte ihn zurecht. Ich spürte seine Finger an meinem Mund und wie sie versuchten, mit Gewalt meine Lippen auseinander zu kriegen, die sich so sehr zusammengepresst hatten, sodass es mir schon wehtat. Wieder gelang es ihm nicht. Frustriert schrie er auf und schleuderte nicht nur den Cracker, der neben mir gewartet hatte, durchs Zimmer, sondern auch die restliche Packung, die knisternd im hohen Bogen quer durch den Raum flog. „Verdammt, Ada!”, rief er aus und sprang vom Bett auf. Er drehte sich im Kreis herum und vergrub die Hände in den Haaren. Dann kehrte er zurück zu mir und packte mich an den Schultern. Kräftig schüttelte er mich durch. „Ich liebe dich, und ich brauche dich hier! Tu mir doch den Gefallen, und iss etwas!”, sagte er und versuchte, mir in die Augen zu sehen. Stur blickte ich an ihm vorbei und zeigte mich ihm völlig unbeeindruckt. „Wie kann man nur so dickköpfig sein?!”, schrie er mich an.
Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper und blieb stumm. Für eine Weile spürte ich seine Blicke auf mir. Dann seufzte er und gab sich geschlagen. Ihm fiel offenbar nichts mehr ein, was er noch tun konnte. Pater Michael lief hinüber zu der am Boden liegenden Cracker-Packung und hob sie auf. Dann verließ er den Raum. Und wieder hörte ich den Schlüssel, als er mich einschloss.